Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern des Minderjährigen Matthias F*** wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Melk vom 11. September 1985, Sch 41/85-3, gemäß § 55 a EheG geschieden. In dem anläßlich der Scheidung abgeschlossenen, hinsichtlich der den Minderjährigen betreffenden Teile pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich wurden die elterlichen Rechte der Mutter übertragen und vereinbart, daß der Vater berechtigt ist, das Kind an jedem ersten und dritten Samstag eines jeden Monates zwischen 14,00 Uhr und 16,30 Uhr in der Wohnung der Mutter zu besuchen. Ohne Zustimmung der Mutter war der Vater nicht berechtigt, das Kind - auch während der Besuchszeit - aus dem Wohnhaus der Mutter wegzubringen. Diese Besuchsrechtsregelung wurde bis September 1986 befristet, ab Oktober 1986 war eine neuerliche Besuchsrechtsregelung vorgesehen. Am 17. März 1987 beantragte der Vater Albert D*** (vormals F***), der seinen Geburtsnamen wieder angenommen hat, eine Neuregelung des Besuchsrechtes in der Form, daß er am ersten und dritten Wochenende eines jeden Monates in der Zeit von Samstag 9,00 Uhr bis Sonntag 18,00 Uhr das Kind besuchen und auch in seiner Wohnung unterbringen dürfe, weiters ein Ferialbesuchsrecht für die letzten zwei Juliwochen 1987 und ein Weihnachtsbesuchsrecht vom 1. Jänner 1988 bis 6. Jänner 1988. Da er das Kind ein halbes Jahr nicht gesehen habe, sei er bereit, zur Gewöhnung vorerst Gewöhnungsbesuche bei dem Kind zu machen.
Die Mutter sprach sich bei ihrer Einvernahme am 31. März 1987 gegen diesen Antrag aus und war nur damit einverstanden, daß das Besuchsrecht ohne Ausführung des Kindes und ohne Nächtigung beim Vater durchgeführt werde, weil sie nicht wolle, daß das Kind längere Zeit beim Vater sei, obwohl es trotz des längeren Unterbleibens des Besuchsrechtes dem Vater nicht entwöhnt sei. Sie habe jedoch Sorge, daß dieser das Kind nicht ausreichend beaufsichtige. Die Bezirkshauptmannschaft Melk führte in ihrer Stellungnahme nach durchgeführten Erhebungen im wesentlichen aus, die Mutter sei um eine liebevolle Erziehung bemüht und fühle sich sehr sicher, zumal der Vater des Minderjährigen Matthias das Besuchsrecht auf Grund seiner Inhaftierung nicht habe ausüben können. Die Mutter befürchte wegen der großen Eheschwierigkeiten und der Verfehlungen des Vaters, für das Kind könne eine sehr belastende Situation entstehen. Es sei jedoch der Eindruck gewonnen worden, daß die Mutter wegen ihrer persönlichen Probleme mit dem Vater dessen Kontakt zu seinem Sohn nicht wolle, weil dieser das Kind gegen sie beeinflussen könne und dieses dadurch hin- und hergerissen werde. Der Vater sei einsichtig und bemüht, er sei auch mit einer Abänderung des angestrebten Besuchsrechtes in der von der Bezirkshauptmannschaft Melk vorgeschlagenen Form, nämlich Abholen und Beisichbehalten des Kindes am ersten und dritten Samstag in der Zeit von 13,00 Uhr bis 17,00 Uhr, um eine Eingewöhnung des Kindes zu ermöglichen, einverstanden und erst bei positiver Entwicklung eine Erweiterung anzustreben.
Die Mutter sprach sich in ihrer neuerlichen Einvernahme am 16. Juni 1987 zunächst nur gegen die Ausführung des Kindes aus, weil sie befürchte, der Vater könne es nicht mehr zurückbringen und übermäßig beschenken. Sie wolle aber, daß der Vater das Kind überhaupt nicht mehr sehe.
Nachdem auch der kinder- und jugendpsychologische Beratungsdienst nach Gesprächen mit den Eltern und Tests mit dem Minderjährigen und insbesondere der Beobachtung der aufgeschlossenen Hinwendung des Kindes zu seinem Vater trotz der längeren Unterbrechung des Kontaktes durch dessen Haft keine Bedenken gegen die Besuchskontakte geäußert hatte, regelte das Erstgericht mit Beschluß vom 14. Juli 1987 das Besuchsrecht des Vaters dahin, daß es diesem das Besuchsrecht am ersten und dritten Samstag jeden Monates in der Zeit von 13,00 bis 17,00 Uhr in der Weise einräumte, daß die Mutter das Kind jeweils zu Beginn des Besuchstermines ausgehbereit hält, der Vater es um 13,00 Uhr abholt und um 17,00 Uhr wieder zur Mutter zurückbringt. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung damit, daß mit dieser Regelung eine Stabilisierung der Verhältnisse erzielt werden soll. Die Regelung entspreche dem Wohl des Kindes, das trotz der längeren Unterbrechung der Besuche einen guten Kontakt zu seinem Vater habe. Ein Besuchsrecht in der Wohnung der Mutter und in deren Beisein wäre wegen der zu großen psychischen Belastung für alle Teile dem Kind abträglich.
Gegen diesen Beschluß erhob Hermine F*** Rekurs, in welchem sie eine Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses im Sinne einer ersatzlosen Streichung des Besuchsrechtes beantragte und dies damit begründete, sie befürchte wegen in der Ehe vorgekommener Gewalttätigkeiten, der Vater könnte dem Kind etwas antun, er sei wegen unsittlicher Handlungen, begangen an der außerehelichen Tochter der Mutter, rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden. Es stehe daher zu befürchten, er könnte das Besuchsrecht zu unsittlichem Verhalten mißbrauchen und sich an seinem Sohn ebenfalls sexuell vergehen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs keine Folge. Es führte aus, das Besuchsrecht stelle nicht nur eine bloße Befugnis eines Elternteils dar, sondern ein Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung und ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht. Es sei zwar richtig, daß der Vater mit Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 18. Dezember 1985 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt worden sei, weil er die am 25. August 1974 geborene Astrid F*** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht habe (§ 207 Abs. 1 erster Fall, § 212 Abs. 1 erster Fall StGB) und daß er seine Strafe vom 2. September 1986 bis 2. März 1987 verbüßt habe. Der Mutter seien die sittlichen Verfehlungen bereits zum Zeitpunkt der getroffenen Besuchsrechtsregelung anläßlich der Ehescheidung und auch der Einvernahme am 20. August 1985 bekannt gewesen. Sie habe dabei - abgesehen von den sittlichen Verfehlungen - die positive Einstellung des Vaters den Kindern gegenüber, insbesondere gegenüber seinem Sohn betont und ihn als ruhigen, zurückhaltenden Menschen beschrieben, der nur die Kontrolle verliere, wenn er betrunken sei. Sie habe auch keinerlei negatives Verhalten des Vaters während der bisherigen Ausübung des Besuchsrechtes vorgebracht. Erst im Rekurs habe sie massive Bedenken erhoben, vor allem aber in der Äußerung von Befürchtungen, der Vater beabsichtige, mit ihr wieder die Ehegemeinschaft aufzunehmen. Abstrakte Befürchtungen seien nicht ausreichend, nur eine konkrete Gefährdung der psychischen oder physischen Interessen des Kindes könne Beachtung finden, nicht aber Spannungen zwischen den Eltern. Da sich das bisherige Besuchsrecht des Vaters auf das Kind in keiner Weise negativ ausgewirkt habe, die eingeholten Stellungnahmen positiv seien, die Besuchsdauer relativ kurz, könne sich erst in der Zukunft zeigen, ob konkrete negative Auswirkungen für das Kind oder eine unerträgliche Störung in den Beziehungen des Kindes zur Mutter zu befürchten seien. Die Verurteilung des Vaters wegen seiner schwerwiegenden sittlichen Verfehlungen allein rechtfertige eine gänzliche Untersagung des Besuchsrechtes im Hinblick auf das gute Verhältnis zwischen Vater und Sohn noch nicht, zumal eine Besuchsrechtsregelung zwischen den Elternteilen nach diesen Verfehlungen bereits getroffen worden sei und es seither keine konkreten Probleme gegeben habe.
Gegen diese bestätigende Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter gemäß § 16 AußStrG wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit und Nullität.
Die Mutter führt in ihrem Rechtsmittel aus, die Zuerkennung des Besuchsrechtes an den Vater trotz dessen rechtskräftiger, unbedingt ausgesprochener Verurteilung wegen Mißbrauches seiner Stieftochter Astrid F*** zur Unzucht auf andere Weise als durch Beischlaf sei ein eindeutiger Nachweis dafür, daß das Kindeswohl durch die Ausübung des Besuchsrechtes jedenfalls gefährdet sei, weil keinerlei Gewähr dafür bestehe, daß sich der Vater in Zukunft jeder sexuellen Abartigkeit auch gegenüber seinem Sohn enthalten werde. Das bedeute, daß das Kindeswohl, welches gegenüber den Interessen des Vaters Vorrang habe, nicht berücksichtigt worden sei. Dies stelle eine offenbare Gesetzwidrigkeit dar.
Rechtliche Beurteilung
Richtig ist, daß das Recht des Vaters im Konfliktfall gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten hat. Dies ergibt sich schon aus dem klaren Wortlaut des § 148 ABGB. Im Pflegschaftsverfahren stellt das Wohl des Kindes das oberste Grundprinzip dar, wobei § 178 a ABGB jene Kriterien nennt, die bei Beurteilung des Kindeswohles zu berücksichtigen sind. Das Gericht hat daher eine Entscheidung nach § 148 ABGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Kindes und seine Bedürfnisse, besonders seine Anlagen und Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sowie die Lebensverhältnisse der Eltern zu treffen.
Ist aber eine Regelung nach den Umständen des Einzelfalles zu treffen, so vermag nicht schon der Vorwurf allein, daß nicht alle Umstände des Einzelfalles gebührend berücksichtigt oder im Rahmen der Beweiswürdigung gewichtet worden seien, die in § 16 AußStrG angeführte Rechtsmittelvoraussetzung der offenbaren Gesetzwidrigkeit zu begründen. Diese wäre nur gegeben, wenn die Bedachtnahme auf das Wohl des Kindes gänzlich unterblieben, das Rekursgericht zu einer klaren Gesetzeslage in Widerspruch geraten oder willkürlich vorgegangen wäre (EFSlg. 30.571 uva). Im vorliegenden Fall hat aber das Rekursgericht in seiner Entscheidungsbegründung unter Berücksichtigung aller Verfahrensergebnisse und auch des Strafaktes ausführlich dargelegt, warum es trotz der strafgerichtlichen Verurteilung des Vaters das Wohl des Kindes für nicht gefährdet erachtet. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist daher nicht gegeben.
Gemäß § 2 Abs. 2 Z 5 AußStrG sind die Gerichte im außerstreitigen Verfahren verpflichtet, alle Umstände und Verhältnisse, welche auf die richterliche Verfügung Einfluß haben, von Amts wegen zu untersuchen. In dem Vorbringen der Mutter, die Vorinstanzen hätten es unterlassen, einen Sachverständigen aus dem Gebiet der forensischen Psychiatrie zur Beurteilung der psychischen Verfassung des Vaters und deren Auswirkungen auf das Wohl des Kindes von Amts wegen beizuziehen, dies aber wäre zur Würdigung der von der Mutter vorgebrachten sittlichen Bedenken unumgänglich erforderlich gewesen, liegt zunächst nur die Behauptung eines Verstoßes gegen die Verfahrensvorschrift des § 2 Abs. 2 Z 5 AußStrG, also eines Verfahrensmangels.
Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze können im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses zufolge der Vorschrift des § 16 Abs. 1 AußStrG nur wegen Nullität angefochten werden, ansonsten unterliegen sie als einfache Verfahrensmängel nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (EFSlg. 39.783 uva). Auf den Begriff der Nullität in § 16 Abs. 1 AußStrG sind im allgemeinen die hiezu in der ZPO entwickelten Grundsätze unter Berücksichtigung der Besonderheiten des außerstreitigen Verfahrens sinngemäß anzuwenden (SZ 44/180 ua). Der Oberste Gerichtshof hat jedoch auch erkannt, daß in besonders gelagerten Fällen auch andere als den durch sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des § 477 ZPO als nichtig aufgreifbaren Verfahrensverstößen im Hinblick auf ihre einschneidende Bedeutung das Gewicht einer Nullität nach § 16 Abs. 1 AußStrG zukommen kann (SZ 43/228 ua). Davon könnte dann gesprochen werden, wenn die dem Gericht im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 5 AußStrG obliegende Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, daß dadurch die Grundprinzipien des Pflegschaftsverfahrens - hier das Kindeswohl - vollkommen außer acht gelassen würden (EFSlg. 30.551, 32.611 ua).
Davon kann aber im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Sicher berührt die Frage, ob der Vater wegen seines psychischen Zustandes sein Besuchsrecht in der von der Mutter befürchteten Weise ausüben wird, unmittelbar das Wohl des Kindes und damit ein Grundprinzip des Pflegschaftsverfahrens. Das Rekursgericht hat sich aber mit den Einwänden der Mutter wegen der sittlichen Verfehlungen des Vaters auseinandergesetzt und ist auf Grund der eigenen Stellungnahmen der Mutter (bis zu den erst im Rekurs massiv erhobenen Vorstellungen) durch Einsichtnahme in den Strafakt und insbesondere auf Grund der Stellungnahme des Jugendamtes der Bezirkshauptmannschaft Melk und des eingeholten Gutachtens des kinder- und jugendpsychologischen Beratungsdienstes zu dem Ergebnis gelangt, daß das Kindeswohl durch die Ausübung des Besuchsrechtes nicht beeinträchtigt ist, dem Kind, das an seinem Vater hängt, vielmehr die Möglichkeit eines ohnedies sehr eingeschränkten Kontaktes eingeräumt werden soll. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den psychischen Zustand des Vaters wurde von der Mutter auch noch im Rekursverfahren nicht beantragt. Das Unterbleiben einer amtswegigen Einholung könnte unter diesen Umständen höchstens einen Verfahrensmangel begründen, dem aber im Sinne der obigen Ausführungen nicht das Gewicht einer Nullität zukommt.
Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
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