Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger nimmt die beklagte türkische Gesellschaft mit Sitz in Istanbul in deren Eigenschaft als Luftfrachtführer in Anspruch. Er begehrt 8.111,50 EUR an Ersatz für den Schaden, der durch die Beschädigung eines Gepäckstücks bzw den teilweisen Verlust dessen Inhalts auf dem Flug von Wien nach Beirut entstanden ist.
Außer Streit steht, dass keine „Wertdeklaration“ iSd Art 22 Abs 3 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) vorgenommen wurde (AS 112).
Folgender Sachverhalt steht fest:
„Am 3. 5. 2008 trat der Vater des Klägers am Flughafen Wien Schwechat mit einem Flugzeug der beklagten Partei einen Flug über Istanbul nach Beirut an. Der Kläger begleitete ihn zum Check‑in Schalter. Der Vater wollte zwei Reisekoffer einchecken und eine kleinere Tasche als Handgepäck mit an Bord nehmen. In der Tasche befand sich unter anderem eine Mappe mit Dokumenten, diverse Brillen, Ketten und preiswerte Antiquitäten, Süßigkeiten, Diabetes‑Medikamente und Blutdruckmessgeräte. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Tasche den damals für Handgepäck zulässigen Maximalmaßen entsprach. Eine Angestellte der beklagten Partei teilte mit, dass die Koffer Übergewicht haben und die Tasche in dieser Form nicht als Handgepäck befördert werden dürfe. Auf Ersuchen öffnete der Vater des Klägers die Tasche. Die Angestellte warf einen Blick auf den Inhalt. Auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration wies die Angestellte nicht hin. Dem Kläger war grundsätzlich der Begriff der Wertdeklaration bekannt. Er und sein Vater bezahlten mittels Erlagschein 150 EUR als Aufschlag für 30 Kilogramm Übergewicht des Gepäcks und gaben alle drei Gepäckstücke als 'normales' Reisegepäck auf. Als der Vater des Klägers in Beirut ankam, stellte er fest, dass zwar die beiden Koffer, nicht aber die Tasche angekommen war. Er erstattete Verlustanzeige. Die Tasche wurde nach einiger Zeit wiedergefunden und dem Vater des Klägers in beschädigtem, zerdrücktem und beschmutztem Zustand ausgehändigt. Die meisten Gegenstände, die ursprünglich darin gewesen waren, waren zerstört oder fehlten, darunter insbesondere die Dokumente, Ketten, Antiquitäten und einige Brillen. Diese Gegenstände hatten zumindest einen Wert von 804,36 EUR. Der Vater des Klägers trat dem Kläger sämtliche Ansprüche aus dem Vorfall ab. Dieser nahm die Abtretung an.“
Der Kläger brachte vor, die beklagte Gesellschaft unterhalte eine Geschäftsstelle in Wien, wo der Luftbeförderungsvertrag geschlossen und der Flugpreis entrichtet worden sei. Die beklagte Partei hafte als Luftfrachtführer nach dem Montrealer Übereinkommen für die Zerstörung, den Verlust oder die Beschädigung von Reisegepäck, das in ihrem Gewahrsam gewesen sei. 4.000 EUR betrage allein der Schaden infolge Verlusts der Dokumentenmappe, in der für seinen Vater, der Journalist sei, beruflich wichtige Dokumente, Fotos von Reportagen und Aufzeichungen von Kontaktadressen aufbewahrt waren. Infolge Verlusts dieser Dokumente habe der Vater einen beträchtlichen Verdienstentgang hinnehmen müssen. Der restliche Schadensbetrag von 4.111,50 EUR ergebe sich aus dem Verlust bzw der Zerstörung der in der Tasche transportierten Gegenstände. Die in Art 22 Abs 2 MÜ vorgesehene Haftungsbeschränkung von 1.000 Sonderziehungsrechten komme nicht zur Anwendung, weil es die beklagte Partei unterlassen habe, vor Antritt des Flugs auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration hinzuweisen. Wäre darauf hingewiesen worden, dass eine Wertdeklaration möglich sei, hätte der Vater eine solche vorgenommen und den dafür vorgesehenen Zuschlag entrichtet.
Die beklagte Partei wendete zusammengefasst ein, die im Montrealer Übereinkommen vorgesehene Haftungshöchstgrenze von 1.000 Sonderziehungsrechten (894,64 EUR) gelte, weil eine Wertdeklaration iSd Art 22 MÜ nicht vorliege und ein grobes Verschulden des Luftfrachtführers nicht behauptet worden sei. Der entrichtete Gepäckzuschlag für Übergepäck könne eine Wertdeklaration nicht ersetzen. Nach Art 29 MÜ sei auch bei Heranziehung einer anderen Anspruchsgrundlage die Haftungsbeschränkung des Montrealer Übereinkommens anzuwenden. Die beklagte Partei kontrahiere ‑ wie jedes Luftfahrtunternehmen - ausschließlich unter Anwendung ihrer Allgemeinen Geschäfts- und Beförderungsbedingungen. Diese seien auch im vorliegenden Fall Vertragsgrundlage des Luftbeförderungsvertrags. Darin sei eine Möglichkeit der Aufgabe des Gepäcks mit Wertdeklaration nicht vorgesehen. Gemäß Punkt 16.3.7. der Allgemeinen Geschäfts‑ und Beförderungsbedingungen bestehe außerdem keine Haftung für zerbrechliche Gegenstände, Geld, Preziosen, Silberwaren, Wertpapiere oder sonstige Wertgegenstände wie Geschäftsdokumente, Reisepässe oder andere Dokumente, die der Identifikation dienen. Gegen den auf 4.000 EUR gerichteten Schadenersatzanspruch für den Verlust der Dokumentenmappe werde eingewendet, dass nach Punkt 16.3.5. der Allgemeinen Geschäfts- und Beförderungsbedingungen nicht für indirekte Schäden oder Folgeschäden gehaftet werde (AS 145). Der Schaden werde auch der Höhe nach bestritten. Dem Kläger fehle die Aktivlegitimation.
Der Kläger replizierte, die Geltung der Allgemeinen Geschäfts‑ und Beförderungsbedingungen sei bei Abschluss des Luftbeförderungsvertrags nicht vereinbart worden. Er und sein Vater seien nicht über deren Inhalt aufgeklärt worden.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von 894,64 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 11. 2008 und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren von 7.216,86 EUR ab. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, aus dem Montrealer Übereinkommen ergebe sich keine Rechtspflicht, die Reisenden auf die Möglichkeit der Wertdeklaration hinzuweisen. Aufgrund der Haftungsbeschränkung des Art 22 Abs 2 MÜ stehe dem Kläger kein höherer Betrag als der zugesprochene zu.
Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers nicht Folge. Den Luftfrachtführer treffe nach dem Montrealer Übereinkommen nicht die Pflicht, den Reisenden auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration hinzuweisen. Wie sich aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑63/09 (Rs Walz/Clickair) ergebe, sei bei unterlassener Deklaration der im Art 22 MÜ angeführte Höchstbetrag ein absoluter, der sowohl materiellen als auch immateriellen Schaden umfasse. Das Montrealer Übereinkommen lasse als universeller völkerrechtlicher Vertrag, der der raschen und effizienten Rechtsabwicklung und damit der Rechtssicherheit diene, für eine über die Haftungsbeschränkung hinausgehende Haftung nach nationalem Schadenersatzrecht keinen Raum.
Das Berufungsgericht sprach vorerst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Über Antrag des Klägers änderte es diesen Ausspruch dahin ab, dass die Revision (doch) zulässig sei. Es bestehe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob der Luftfrachtführer den Reisenden auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration hinzuweisen habe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. In seiner Revision tritt der Revisionswerber der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Verpflichtung des Luftfrachtführers, den Reisenden auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration hinzuweisen, sei aus den Regelungen des Montrealer Übereinkommens nicht ableitbar, nicht entgegen. Er vertritt aber den Standpunkt, diese Verpflichtung ergebe sich aus dem nationalen (österreichischen) Schadenersatzrecht, insbesondere aus den vorvertraglichen Aufklärungs‑, Schutz‑ und Sorgfaltspflichten. Wenngleich das ABGB keine allgemeine Bestimmung über vorvertragliche Pflichten enthalte, würden sie in den §§ 874 und 878 ABGB vorausgesetzt. Bei Unterlassung der notwendigen Aufklärung sei der Geschädigte so zu stellen, wie bei ordnungsgemäßer Aufklärung. Die Angestellte der beklagten Partei, die einen Blick in die Tasche geworfen hatte, habe dadurch zumindest ungefähre Kenntnis über den Inhalt erlangt. Sie habe gewusst, dass der Vater des Klägers die Tasche an Bord mitnehmen wollte. Es sei ihr auch sicher bekannt gewesen, dass Reisende in der Regel einen Grund dafür haben, Taschen als Handgepäck mitnehmen zu wollen, weil darin üblicherweise wertvollere Gegenstände aufbewahrt werden, um diese vor Verlust und Beschädigung zu schützen. Angesichts dieser Umstände hätte die Angestellte ‑ zumindest im Zweifelsfall ‑ auf die Möglichkeit einer Wertdeklaration hinweisen müssen. Die Missachtung dieser Verpflichtung führe zu einer Haftung über die Haftungsbeschränkung hinaus.
Dazu ist auszuführen:
1. Sowohl Österreich als auch der Libanon sind Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. 5. 1999 („Montrealer Übereinkommen“ ‑ „MÜ“) ‑ BGBl III 2004/131, dem auch die Europäische Union beigetreten ist (Reuschle, Montrealer Übereinkommen2 Präambel Rz 44). Dieses Übereinkommen geht dem Warschauer Abkommen vor (Art 55 Z 1 lit a MÜ), es wurde von Österreich mit Wirkung vom 28. 6. 2004 ratifiziert und ist damit Teil des innerstaatlichen Rechts. Es ist auf die ‑ im vorliegenden Fall zu beurteilende ‑ Beförderung von Reisegepäck in einem Luftfahrzeug zwischen Österreich und dem Libanon anwendbar (Art 1 Abs 1 MÜ).
2. Der Zweck des Montrealer Übereinkommens liegt darin, durch gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen (Abs 5 der Präambel zum MÜ). Wie sich bereits aus der Bezeichnung ergibt („Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr“) werden darin bestimmte Ansprüche aus der Schlechterfüllung des Beförderungsvertrags (nämlich Personenschäden, Verspätung, Verlust, Verspätung und Beschädigung von Gütern und Reisegepäck) geregelt.
2.1. Der Reisende ist schriftlich darauf hinzuweisen, dass dieses Übereinkommen, soweit es Anwendung findet, in diesen Fällen die Haftung regelt und beschränken kann (Art 3 Abs 4 MÜ). Die Nichtbeachtung berührt aber weder den Bestand noch die Wirksamkeit des Beförderungsvertrags; dieser unterliegt gleichwohl den Vorschriften dieses Übereinkommens einschließlich derjenigen über die Haftungsbeschränkung (Art 3 Abs 5 MÜ).
2.2. Der Luftfrachtführer verpflichtet sich durch den Luftbeförderungsvertrag gegenüber dem Reisenden, diesen sowie dessen Gepäck an den vereinbarten Bestimmungsort zu bringen. Wenngleich das Montrealer Übereinkommen den der Beförderung der Gepäckstücke zu Grunde liegenden Vertragstypus nicht regelt, wird er als akkzessorischer Gepäckbeförderungsvertrag gesehen, in welchem sich der Luftfrachtführer verpflichtet, das Gepäckstück an den vereinbarten Ort zu bringen und es zugleich in Obhut nimmt, also es gegen Verlust und Beschädigung zu schützen hat (Reuschle, MÜ2 Art 17 MÜ Rz 41).
2.3. Art 17 Abs 2 MÜ enthält die grundlegenden Haftungsnormen für Gepäckschäden. Geregelt werden Schadenersatzansprüche infolge Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck. Der Luftfrachtführer hat einen derartigen Schaden zu ersetzen, wenn das Ereignis, durch das die Zerstörung, der Verlust oder die Beschädigung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder während eines Zeitraums eingetreten ist, in dem sich das aufgegebene Reisegepäck in der Obhut des Luftfrachtführers befand. Bei aufgegebenem Gepäck iSd Art 17 Abs 2 MÜ, also Gegenständen, die der Reisende dem Luftfrachtführer vor oder bei Reiseantritt in dessen Obhut gegeben hat, besteht somit eine verschuldensunabhängige Haftung. Der Ersatzanspruch ist aber grundsätzlich auf den in Art 22 Abs 2 MÜ näher genannten Haftungshöchstbetrag beschränkt.
2.4. Diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Reisende bei der Übergabe des aufgegebenen Reisegepäcks an den Luftfrachtführer das Interesse an der Ablieferung am Bestimmungsort angegeben und den verlangten Zuschlag entrichtet hat („Wertdeklaration“). In diesem Fall hat der Luftfrachtführer bis zur Höhe des angegebenen Betrags Ersatz zu leisten, sofern er nicht nachweist, dass dieser höher ist als das tatsächliche Interesse des Reisenden an der Ablieferung am Bestimmungsort. Der EuGH (6. 5. 2010, C‑63/09, Axel Walz/Clickair SA RdNr 38) führt zu Art 22 Abs 2 MÜ aus, dass der Reisende die Möglichkeit habe, bei der Übergabe des aufgegebenen Reisegepäcks an das Luftunternehmen das Interesse betragsmäßig anzugeben. Diese Möglichkeit bestätige, dass es sich ‑ sofern keine Angaben gemacht wurden ‑ beim Haftungshöchstbetrag, den das Luftfahrtunternehmen für Schäden, die durch den Verlust von Reisegepäck eintreten, nach dieser Bestimmung zu zahlen habe, um einen absoluten Haftungshöchstbetrag handle, der sowohl materiellen als auch den immateriellen Schaden abdecke (RdNr 39).
2.5. Nach der zur inhaltsähnlichen Regelung des Art 22 Abs 3 MÜ ergangenen Entscheidung 7 Ob 111/12t ist die Interessen‑ oder Wertdeklaration zunächst ein einseitiger Akt des Absenders bei Übergabe des Gepäckstücks (Frachtguts) an den Luftfrachtführer. Nimmt dieser den Transportauftrag auf Grundlage des bekanntgegebenen Auftragswerts an, wird damit konkludent das betragsmäßige Interesse des Absenders an der Ablieferung am Bestimmungsort Grundlage des Luftbeförderungsvertrags und ist damit vereinbart. Die Durchführung des Transportauftrags durch den Luftfrachtführer, der den Transportauftrag mit dem bekannt gegebenen Auftragswert annahm, führt zur schlüssigen Vereinbarung der Wert‑ und Interessendeklaration gemäß Art 22 Abs 3 MÜ (7 Ob 111/12t mwN).
2.6. Eine Verpflichtung des Luftbeförderers, den Reisenden beim Einchecken oder bei Abschluss des Beförderungsvertrags auf die Möglichkeit einer Interessendeklaration hinzuweisen, ergibt sich aus dem Montrealer Übereinkommen nicht (Reuschle, Montrealer Übereinkommen2 Art 22, Rz 20). Der Revisionswerber will eine diesbezügliche Verpflichtung des Luftbeförderers aber aus dem ‑ seinem Vorbringen nach anwendbaren ‑ nationalen (österreichischen) Recht ableiten.
3. Nach österreichischem Recht lässt ‑ soferne anwendbar ‑ der Abschluss eines Vertrags nicht bloß die Hauptpflichten entstehen, die für die betreffende Vertragstype charakteristisch sind, sondern erzeugt eine Reihe von Nebenpflichten, zu denen auch die Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gehören. Der Schuldner hat die geschuldete Hauptleistung nicht nur zu erbringen, sondern er hat sie so sorgfältig zu bewirken, dass alle Rechtsgüter des Gläubigers, mit denen er in Berührung kommt, nach Tunlichkeit vor Schaden bewahrt und geschützt bleiben (RIS‑Justiz RS0017049).
4. Das Verhältnis der nach den Art 17 ff MÜ bestehenden Schadenersatzansprüche innerhalb des Übereinkommens zu den Schadenersatzansprüchen nach nationalem Recht regelt Art 29 MÜ (Ruhwedel in Münchener Kommentar, Bd 7, Art 29 MÜ Rz 6). Nach Art 29 MÜ kann bei der Beförderung von Reisegepäck ein Anspruch auf Schadenersatz ‑ auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund ‑ nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind. Die Frage, welche Personen zur Klage berechtigt sind und welche Rechte zustehen, wird hiedurch nicht berührt. Bei einer derartigen Klage ist jeder, eine Strafe einschließende, verschärfte oder sonstige nicht kompensatorische Schadenersatz ausgeschlossen.
4.1. Diese Bestimmung übernimmt (in leicht verändertem Wortlaut) im Wesentlichen die Regelung des Art 24 des Warschauer Abkommens (WA), BGBl 1961/286. Bereits zu Art 24 WA wurde die Auffassung vertreten, dass im Fall einer Haftung des Luftfrachtführers nach dem Warschauer Abkommen eine Haftung nach anderen Vorschriften grundsätzlich ausgeschlossen sein solle. Der Ausschluss erfasst jede andere Haftungsnorm, aus der der Luftfrachtführer wegen der in den Art 17‑19 bezeichneten Schäden in Anspruch genommen werden könnte. An diesem grundsätzlichen Verständnis will das Montrealer Übereinkommen nichts ändern (Schmid in Giemulla/Schmid, MÜ, Art 29 Rz 11, 12 mwN).
4.2. Auch Art 29 MÜ unterwirft auf anderen Rechtsgründen beruhende Schadenersatzansprüche den Voraussetzungen und Beschränkungen des Montrealer Übereinkommens. Im Interesse des Gleichklangs dürfen dem nationalen Recht keine weitergehenden Ersatzansprüche entnommen werden, als die Art 17 ff MÜ gewähren. Ist Art 17 MÜ anwendbar, ist ein Rückgriff auf nationales ergänzendes Recht unzulässig (Reuschle, MÜ2 Art 17 MÜ, Rz 1). Es soll für die Haftungsordnung des Montrealer Übereinkommens ein absoluter Vorrang geschaffen und verhindert werden, dass dessen Haftungsregelungen durch nationale Anspruchsgrundlagen „überspielt“ werden (Ruhwedel in Münchener Kommentar, Bd 7, Art 29 MÜ Rz 5; Reuschle, aaO Art 29 Rz 4). Die im Übereinkommen für vertragliche Ansprüche vorgesehene Haftungsbeschränkung soll nicht dadurch umgangen werden können, dass die Schadenersatzansprüche auf eine andere Rechtsgrundlage als Vertrag, also etwa auf Delikt, gestützt werden (Csoklich, Neuerungen im internationalen Lufttransportrecht, RdW 2004/591, S 648 [652]).
4.3. Nach den (österreichischen) Gesetzesmaterialien zum Übereinkommen soll das Haftungsregime dem Geschädigten nicht einen Mindestersatz, sondern einen angemessenen, international einheitlichen Ersatzanspruch garantieren, der im Interesse des Luftfrachtführers an der Kalkulierbarkeit des Risikos nicht überschritten wird (ErlRV 13 BlgNR 22. GP 10). Insoweit kommt dem Montrealer Übereinkommen Anwendungsvorrang vor den innerstaatlichen Schadenersatzbestimmungen und den innerstaatlichen Regelungen über den Verwahrungsvertrag zu (1 Ob 128/10w).
4.4. Andere (nationale) Anspruchsgrundlagen sind durch Art 29 nur innerhalb des Regelungsbereichs des Montrealer Übereinkommens ausgeschlossen (Littger/Kirsch, Die Haftung im internationalen Luftverkehr nach Inkrafttreten des Montrealer Übereinkommens: Zum Übergang vom Warschauer zum Montrealer Haftungsregime, 567). Schadenersatzansprüche aus anderen ‑ vom Montrealer Übereinkommen nicht geregelten Schäden ‑ bleiben von der „Sperrwirkung“ des Art 29 MÜ hingegen unberührt. Dort, wo der Schaden nicht die Form eines Personen‑, Güter‑ oder Verspätungsschadens angenommen hat und für eine Haftungsbegrenzung keine Rechtfertigung besteht, soll der Geschädigte uneingeschränkt auf das nationale Schadenersatzrecht zurückgreifen können (Reuschle, aaO, Art 29 Rz 9). So ist etwa davon auszugehen, dass das Montrealer Übereinkommen eine Lebensmittelvergiftung durch an Bord gereichtes verdorbenes Essen ‑ somit einen nicht unfallbedingten Personenschaden ‑ weiterhin nach dem anwendbaren nationalen Recht ausgeglichen wissen wollte (Schmid in Giemulla/Schmid, MÜ, Art 29 Rz 8). Zu denken ist ua auch an Schadenersatzansprüche gegen den Luftfrachtführer wegen Nichterfüllung des Frachtvertrags, auf Rückerstattung des Frachtlohns einschließlich dessen Minderung, wegen Frachtgutschäden außerhalb des Obhutszeitraums (siehe die Aufzählung von nicht unter den Vorbehalt des Art 29 fallenden Ansprüchen in Ruhwedel, aaO, Art 29 MÜ Rz 7; Reuschle, aaO Art 29 Rz 10, 11). Es soll vermieden werden, dass Schäden, deren Ersatz das Montrealer Übereinkommen nicht regelt, sowohl nach diesem als auch nach nationalem Recht folgenlos blieben.
5. Zu der in der Revision aufgeworfenen Frage, ob das Montrealer Übereinkommen auch Ansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten reguliert, wird in der österreichischen Lehre (Csoklich, Neuerungen im internationalen Lufttransportrecht, RdW 2004/591, S 648 [652]) und im deutschen Schrifttum Koller (Unbeschränkte Haftung des Luftbeförderers nach dem Montrealer Übereinkommen 1999?, TranspR 5/2005, 177 [181]) die Ansicht vertreten, Art 29 MÜ sei dahin auszulegen, dass nur solche konkurrierenden Ansprüche verdrängt werden, die unmittelbar mit der Obhut des Luftfrachtführers über das Gut oder mit der Verursachung einer Verspätung zusammenhängen, nicht aber Ansprüche wegen culpa in contrahendo (siehe auch Reuschle, MÜ2 Art 29 Rz 8; aA Ruhwedel in Münchener Kommentar zum HGB, MÜ Art 29 Rz 10). Folge man der Ansicht, dass das Montrealer Übereinkommen nur jene Schäden regelt, die unmittelbar durch ein Risiko, das mit der fremden Obhut des Luftfrachtführers über das Gut verbunden sind, wäre nach der Ansicht Csoklichs (aaO) auch die Verletzung nebenvertraglicher Sorgfalts‑ und Aufklärungpflichten, etwa durch mangelhafte Aufklärung über den Verlauf des Transports, nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen.
6. Dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Wegen des bereits perfekten Beförderungsvertrags (Pkt 2.2.) käme im vorliegenden Fall allenfalls die Verletzung vertraglicher Neben‑(Sorgfalts‑ und Aufklärungs‑)Pflichten in Betracht. Die Anwendung des österreichischen Rechts wäre aber ausgeschlossen:
Im Montrealer Übereinkommen werden bestimmte Lebenssachverhalte (ua die Beschädigung und der Verlust von aufgegebenem Reisegepäck) geregelt, wobei an den Eintritt des Schadens und nicht an die Pflichtverletzung oder die Anspruchsgrundlage angeknüpft wird. Ansprüche auf Schadenersatz anlässlich der Beförderung von Reisegepäck ‑ auf welchem Rechtsgrund sie auch beruhen, sei es auch ein Vertrag, sollen nur unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen geltend gemacht werden, die in diesem Übereinkommen vorgesehen sind (Art 29 MÜ). Jede andere Haftungsnorm, aus der der Luftfrachtführer wegen desselben wirtschaftlichen Schadens in Anspruch genommen werden kann, soll also ausgeschlossen sein. Die (gegenteilige) Rechtsauffassung des Klägers würde dazu führen, dass der ‑ wirtschaftlich gesehen ‑ selbe Schaden durch Heranziehung einer anderen Anspruchsgrundlage (der Verletzung nebenvertraglicher Schutz‑ und Sorgfaltspflichten) über die Haftungshöchstgrenzen des Art 22 Abs 2 MÜ hinaus entschädigt wird. Dadurch würde aber die in Art 22 Abs 2 MÜ enthaltene Haftungsbeschränkung unterlaufen. Da Art 29 MÜ ‑ in Erweiterung des Textes des Art 24 WA ‑ ausdrücklich auch Schadenersatzansprüche unter anderem aus „Vertrag“ regelt, erfasst er auch etwaige ‑ nach dem anwendbaren nationalen Recht gegebene ‑ vertragliche Nebenpflichten, zB die Aufklärung über die Möglichkeit der Wertdeklaration. Daraus resultierende etwaige Schadenersatzansprüche können demnach nur „unter den Voraussetzungen und mit den Beschränkungen“ des Montrealer Übereinkommens geltend gemacht werden (vgl OLG Köln, TranspR 1990, 199 = ZLW 1990, 219 zu Art 18 WA; zustimmend Schmid in Giemulla/Schmid, MÜ Art 17, Rz 171).
Die Abweisung des über die Haftungshöchstgrenze des Art 22 Abs 2 MÜ hinausgehenden Klagebegehrens durch die Vorinstanzen erweist sich daher als zutreffend.
Der Revision des Klägers war demnach nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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