OGH 10Ob39/10y

OGH10Ob39/10y17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen André R*****, geboren am 21. Februar 1998, *****, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur, Bereich Jugendwohlfahrt, Dr. Theodor Körner-Straße 34, 8600 Bruck an der Mur), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 28. April 2010, GZ 2 R 125/10x-26, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, der Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 10. März 2010, GZ 5 PU 8/10z-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Unterhaltsvorschussantrag des Kindes abgewiesen wird.

Text

Begründung

Der am 21. 2. 1998 geborene André R***** ist der Sohn von Herbert R***** und Regina R*****. Letztere ist mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 3. 2. 2010, GZ 5 PU 8/10z-17, zu einem um 50 EUR erhöhten monatlichen Unterhalt von 190 EUR ab 1. 12. 2009 verpflichtet worden. Die Rechtskraft des Unterhaltserhöhungsbeschlusses wurde am 8. 3. 2010 bestätigt.

Am 9. 3. 2010 brachte das Kind, vertreten durch den Vater, bei Gericht einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ab 1. 3. 2010 ein.

Mit Beschluss vom 10. 3. 2010, GZ 5 PU 8/10z-19, bewilligte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom 1. 3. 2010 bis 28. 2. 2015. Zur Begründung wurde angegeben, dass die Unterhaltsschuldnerin nach der am 8. 3. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet habe; beim Bezirksgericht Bruck an der Mur sei gegen die Unterhaltsschuldnerin am 8. 3. 2010 eine Forderungsexekution eingebracht worden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Vorschüsse seien nach § 8 Satz 1 UVG vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren. Bevorschusst werden könne daher nur der ab diesem Monat „laufende Unterhalt“; als „laufender Unterhalt“ sei auch der Unterhalt für den Monat anzusehen, in dem der Vorschussantrag gestellt werde.

Im konkreten Fall sei der letzte Tag für die Erhebung eines Rekurses gegen den Beschluss vom 3. 2. 2010, mit dem die Unterhaltspflicht der Mutter erhöht worden sei, der 3. 3. 2010 gewesen. Der Unterhaltstitel sei daher am 4. 3. 2010 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Ab dem 4. 3. 2010 sei festgestanden, dass für März 2010 ein höherer Unterhalt zu zahlen gewesen sei. Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit, also nach dem 3. 3. 2010, sei die Mutter nach dem Antragsvorbringen ihrer erhöhten Zahlungspflicht für März 2010 nicht nachgekommen. Da die von § 3 Z 2 UVG geforderte Voraussetzung daher am Tag des Vorschussantrags, dem 9. 3. 2010, bereits vorgelegen sei, bestehe ein Vorschussanspruch ab 1. 3. 2010.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch eine Auslegung des Ausdrucks „laufender Unterhaltsbeitrag“ in § 3 Z 2 UVG im Sinne des Standpunkts des Bundes denkbar sei und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage noch nicht vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Antragsabweisung, in eventu einer Gewährung der Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 4. 2010. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Das Kind, die Mutter und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Die Rechtsmittelausführungen des Bundes lassen sich dahin zusammenfassen, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Z 2 UVG nF erst dann vorlägen, wenn der Unterhaltsschuldner nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels den fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht leiste und das Kind (spätestens zugleich mit dem Vorschussantrag) einen tauglichen Exekutionsantrag eingebracht habe. Da die Vollstreckbarkeit des Titels am 4. 3. 2010 eingetreten sei, könnten die Anspruchsvoraussetzungen frühestens ab April 2010 vorliegen, wenn nämlich der Schuldner den für April 2010 fällig werdenden Unterhaltsbeitrag nicht bezahle. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeträge seien unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Zum Zeitpunkt des Vorschussantrags (9. 3. 2010) könne noch nicht festgestanden haben, ob die Mutter überhaupt säumig sei oder den für April 2010 fällig werdenden Unterhalt ohnehin leisten werde.

Der Senat hat dazu erwogen:

Bis zum Inkrafttreten der Novellierung des UVG mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, „dass eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschußgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.

Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert. Die Norm erhielt in ihrem ersten (auf Inlandsverhältnisse bezogenen) Teil folgende Fassung: „Vorschüsse sind zu gewähren, wenn … 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben“.

Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.

Da § 3 Z 2 UVG auf die nicht vollständige Leistung des laufenden Unterhaltsbeitrags nach Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellt, ist es für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss unerheblich, ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden. Nach der Neufassung des § 3 Z 2 UVG kommt es weiters nicht mehr auf eine erfolglose Exekutionsführung an, sondern es genügt, dass das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat (vgl IA 673/A BlgNR 24. GP 36).

§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exekution. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111; RIS-Justiz RS0108900 [T2]). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 4 UVG Rz 1). Darunter ist zu verstehen, dass die nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeiträge nicht bezahlt werden. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Damit soll der Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen zum Ausdruck kommen, während Rückstände einer Bevorschussung nach dem UVG weiterhin nicht zugänglich sind (vgl Neuhauser, Änderungen beim Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275 [276]).

Der im Außerstreitverfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wird - mangels einer Sonderregelung - mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit

- Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist,

- ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist,

- Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,

- Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (Fucik/Kloiber, AußStrG § 42 Rz 1). Die Rekursfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG).

Im vorliegenden Fall ist die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 3. 2. 2010 am 4. 3. 2010 eingetreten, weil der Beschluss der Mutter am 17. 2. 2010 zugestellt wurde und die 14-tägige Rechtsmittelfrist ungenützt am 3. 3. 2010 abgelaufen ist.

Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Im vorliegenden Verfahren war an diesem Tag (10. 3. 2010) zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar; die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit war aber nicht gegeben, konnte doch zu diesem Zeitpunkt noch kein Rückstand an laufendem Unterhalt iSd § 3 Z 2 UVG bestehen, weil ein nach Eintritt der Vollstreckbarkeit laufender Unterhaltsbeitrag noch nicht fällig war.

In Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes sind die Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinne einer Antragsabweisung abzuändern, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz nicht alle Voraussetzungen der begehrten Unterhaltsvorschussgewährung erfüllt waren.

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