OGH 10Ob11/22y

OGH10Ob11/22y20.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj P* und des mj D*, beide geboren * 2016, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien – Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirk 10, 1100 Wien, Alfred-Adler-Straße 12) wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Vaters Dr. B*, USA, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Jänner 2022, GZ 48 R 258/21b, 48 R 259/21z‑21, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Döbling vom 15. Juni 2021, GZ 7 Pu 90/21v‑6 und 7 Pu 90/21v‑7, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100OB00011.22Y.0420.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die am 31. Mai 2021 gestellten Anträge der Kinder auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 7 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in der Justiz abgewiesen werden.

 

Begründung:

[1] Am 15. Mai 2021 stellten die beiden Kinder, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, Anträge auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 7 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in der Justiz in Höhe von 1.062 EUR (ON 4) bzw 1.059 EUR (ON 5), jedoch jeweils höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c sublit bb erster Fall, § 108f ASVG monatlich. Gestützt wurden diese Anträge auf die – jeweils in beglaubigter Übersetzung aus der englischen Sprache beiliegende – Entscheidung des Superior Court of California, County of Sonoma, vom 5. Jänner 2021, in dem das Gericht ua feststellt und beschließt, dass der Vater der Mutter ab dem 1. April 2021 „2.590 USD pro Monat als Kindesunterhalt“ zahlt. Der Unterhaltsschuldner habe den laufenden Unterhaltsbeitrag nach Eintritt der Vollstreckbarkeit nicht zur Gänze geleistet.

[2] Das Erstgericht gewährte beiden Minderjährigen jeweils vom 1. Mai 2021 bis 31. Oktober 2021 Unterhaltsvorschüsse von je 1.059 EUR, jedoch höchstens in der Höhe des jeweiligen Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c sublit bb erster Fall, § 108f ASVG monatlich.

[3] Das Rekursgericht gab den Rekursen des Vaters nicht Folge. Die Sprüche der Beschlüsse seien nicht in sich widersprüchlich, weil sich daraus ein bestimmter Höchstbetrag ergebe. Eine Vollstreckbarerklärung im Inland sei nicht erforderlich und auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor, weil dem Vater volles Neuerungsrecht im Rekurs zustehe, das er auch in Anspruch genommen habe. § 7 Abs 1 UVG komme nicht zur Anwendung, weil sich aus der Aktenlage nichts zu den Einkommensverhältnissen des Vaters ergebe. Der Unterhaltstitel enthalte zwar einen Globalunterhaltsbetrag, doch sei im vorliegenden Fall sehr wahrscheinlich, dass die Minderjährigen als Zwillinge einen gleich hohen Anspruch hätten.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der vom Rekursgericht nachträglich zugelassene und von den Minderjährigen beantwortete Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

[5] 1. Die auf § 3 UVG (hier: iVm § 7 1. COVID-19-JuBG) gestützte Gewährung von Unterhaltsvorschüssen setzt voraus, dass für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (§ 3 Z 1 UVG).

[6] 2. Ein solcher Exekutionstitel ist in erster Linie ein im § 1 EO aufgezählter, im Inland geschaffener Exekutionstitel für einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 3 UVG Rz 6). Im Ausland geschaffene Titel gelten ebenfalls als im Inland vollstreckbare Exekutionstitel, sofern nicht die österreichische Rechtsordnung die Vollstreckbarkeit im Inland mangels einer Anerkennungs- und Vollstreckungsnorm versagt. Eine tatsächlicheVollstreckbarerklärung im Inland ist nicht erforderlich; es kommt auf die abstrakte Vollstreckbarkeit an (RS0119820; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 3 UVG Rz 12).

[7] 3. Voraussetzung dafür, dass ein Titel im Inland vollstreckbar ist, ist seine Vollstreckbarerklärung ist hinreichende Bestimmtheit. An die Bestimmtheit ausländischer Exekutionstitel dürfen aber nicht dieselben Anforderungen wie an inländische Titel gestellt werden. „Offene“ Titel muss das Vollstreckungsgericht konkretisieren, wobei die zu vollstreckende Forderung ohne weitere Wertungsentscheidung zu berechnen sein muss (RS0118680).

[8] 4.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt bei einem für mehrere Unterhaltsberechtigte gemeinsam festgelegten Unterhaltsbetrag kein den Erfordernissen des Unterhaltsvorschussverfahrens entsprechender Exekutionstitel vor (10 Ob 42/13v IPRax 2015, 450 [zustimmend König 458 f]).

[9] 4.2. Im vorliegenden Fall begehrten die Kinder jeweils die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen unter Berufung auf einen Unterhaltstitel, dem sich aber nur entnehmen lässt, dass der Vater der Mutter einen (Global-)Betrag als Kindesunterhalt zahlt. Die Höhe der jeweils geltend gemachten Unterhaltsforderung ergibt sich jedoch nicht ohne weitere Wertungsentscheidung aus dem im Unterhaltstitel für beide Kinder gemeinsam festgelegten Unterhaltsbetrag. Die ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe der jeweiligen Unterhaltspflicht des Unterhaltsschuldners gegenüber den beiden Kindern wäre jedoch Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen. Sind mehrere Personen gegen eine andere Person unterhaltsberechtigt, so handelt es sich dabei nämlich um selbständige Ansprüche, die verschieden sind oder verschieden sein können, je nach Bedarf der einzelnen Unterhaltsberechtigten. Es bilden daher mehrere Unterhaltsberechtigte keine Gläubigermehrheit iSd §§ 888 ff ABGB, auch wenn in einem Urteil oder Vergleich ein gemeinsamer Unterhaltsbetrag zugesprochen bzw vereinbart wurde (10 Ob 42/13v; 1 Ob 276/97p).

[10] 4.3. Soweit das Rekursgericht seine davon abweichende Rechtsansicht auf die Argumentation von Neumayr (in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 3 UVG Rz 7) stützt, liegt ein Missverständnis vor, weil danach nicht „ein Globalunterhaltstitel so angepasst werden könne, dass mehreren Kindern im Zweifel der Unterhalt in gleicher Höhe zustehe“. Es wird vielmehr der besondere Fall behandelt, dass die Kinder gemeinsam einen Vorschussantrag stellen, und die in der älteren Rechtsprechung vertretene Ansicht als problematisch bezeichnet, wonach ein Unterhaltstitel, der sich auf einen Globalunterhalt für mehrere Kinder gemeinsam bezieht, im Fall gemeinsamer Beantragung (doch) zur Vorschussgewährung geeignet sein soll. Dieser Ansicht schloss sich auch das Landesgericht Salzburg zu AZ 21 R 59/08k an (EFSlg 120.536) und wies einen von den Kindern gemeinsam gestellten Antrag folgerichtig ab (s 10 Ob 103/08g, wo diese Frage aber offen gelassen werden konnte). Zur Begründung des vom Rekursgericht vertretenen Ergebnisses taugt diese Ansicht daher gerade nicht.

[11] 4.4. Im vorliegenden Fall wurde von den beiden Minderjährigen kein gemeinsamer Unterhaltsvorschussantrag gestellt, sodass sich die Frage, ob der gegenständliche Unterhaltstitel bei gemeinsamer Beantragung zur Vorschussgewährung (doch) geeignet wäre, hier nicht stellt. Gesonderte Anträge durch zwei Unterhaltsberechtigte auf Bevorschussung eines (ausländischen) Globalunterhaltsbetrags für beide Kinder wurden von der bisherigen Rechtsprechung vielmehr als unzulässig angesehen (RS0129109).

[12] 4.5. Der vom Rekursgericht betonte Umstand, dass die Kinder Zwillinge sind und ihr Unterhalt mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich hoch sei, ändert nichts daran, dass kein ausreichend bestimmter Titel vorliegt, aus dem sich die jeweilige Unterhaltshöhe ergibt

[13] 4.6. Entgegen den in der Revisionsrekursbeantwortung der Kinder enthaltenen Ausführungen führt auch der Hinweis im Unterhaltstitel, dass näher bezeichnete Berechnungsgrundlagen der Parteien und des Gerichts beigefügt seien, zu keiner anderen Beurteilung. Abgesehen davon, dass diese Unterlagen nicht vorliegen, würde sich die Höhe des jeweils geschuldeten Betrags auch bei bloßer „Beifügung“ von Berechnungsgrundlagen nicht ohne Wertungsentscheidung aus dem Unterhaltstitel selbst ergeben.

[14] 5. Der Vater rügt somit zutreffend, dass ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel nicht vorliegt. Da andere, von dieser Voraussetzung unabhängige Gewährungsgründe nicht geltend gemacht wurden, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung der verfahrensgegenständlichen Anträge abzuändern. Auf die im Revisionsrekurs weiters geltend gemachten Bedenken gegen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen muss mangels Relevanz für die Entscheidung nicht eingegangen werden.

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