Rechtsgebiet: Undefined
Spruch:
Art. 11 EMRK - Vorrang des von der mitgliederstärksten Gewerkschaft abgeschlossen Tarifvertrags.
Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 11 EMRK (5:2 Stimmen).
Begründung:
Sachverhalt:
Die vorliegende Beschwerde wurde von den drei deutschen Gewerkschaften Beamtenbund und Tarifunion (dbb), Marburger Bund – Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sowie von zwei Mitgliedern der GDL erhoben.
Ein Unternehmen kann mit unterschiedlichen Gewerkschaften, die seine Mitarbeiter vertreten, mehrere Tarifverträge abschließen, die sich auf Arbeitnehmer im selben Betrieb beziehen. Dies kann zu Konflikten zwischen Tarifverträgen führen, wenn diese abweichende Bestimmungen für Arbeitnehmer in ähnlichen Positionen enthalten. Zur Lösung dieses Problems erließ der Gesetzgeber am 3.7.2015 das Tarifeinheitsgesetz (TEG), mit dem insb ein neuer § 4a in das Tarifvertragsgesetz (TVG) eingeführt wurde. Demnach sind in einem Betrieb im Fall kollidierender Tarifverträge nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, welche die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (Mehrheitstarifvertrag). Die anderen Tarifverträge werden unanwendbar. Jene Gewerkschaft, deren Tarifvertrag unanwendbar wird, hat einen Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrags, der die Bestimmungen des Mehrheitstarifvertrags enthält (»Nachzeichnung«). Außerdem muss der Arbeitgeber im Fall von
Tarifverhandlungen alle in seinem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften informieren und ihnen Gelegenheit geben, ihre Forderungen vorzubringen. Daneben wurden mit dem TEG § 2a Abs 1 Z 6 und § 99 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) eingeführt, die das Verfahren zur Bestimmung des in einem Betrieb anwendbaren Mehrheitstarifvertrags regeln.
Aufgrund einer Beschwerde des ErstBf und des ZweitBf erklärte das BVerfG in einem Leiturteil vom 11.7.2017 (1 BvR 1571/15 ua) das TEG für weitgehend mit dem GG vereinbar. § 4a TVG wurde nur insoweit für unvereinbar mit der durch Art 9 Abs 3 GG garantierten Gewerkschaftsfreiheit erklärt, als die Berücksichtigung der Interessen der Berufsgruppen, deren Tarifvertrag verdrängt wird, nicht sichergestellt war. Die von den übrigen Bf erhobenen Beschwerden wurden vom BVerfG unter Verweis auf dieses Leiturteil am 10.8.2017 nicht zur Behandlung angenommen ( BvR 1803/15).
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf behaupteten eine Verletzung von Art 11 EMRK (hier: Gewerkschaftsfreiheit).
I.Verbindung der Beschwerden
(34) Angesichts ihres ähnlichen Gegenstands erachtet es der GH als angemessen, die Beschwerden in einem einzigen Urteil zu behandeln (einstimmig).
II.Zur behaupteten Verletzung von Art 11 EMRK
(35) Die Bf brachten vor, die umstrittenen Bestimmungen des TEG würden ihr Recht auf Gewerkschaftsfreiheit verletzen, das ein Recht auf Kollektivverhandlungen einschließe [...].
1.Zulässigkeit
(38) Mit Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes und dem Urteil des BVerfG vom 11.7.2017 mussten die bf Gewerkschaften dem Ziel dieser Gesetzgebung entsprechend ihre Tarifverhandlungspolitik und möglicherweise auch ihre Organisationsstruktur ändern, um die Unanwendbarkeit zukünftiger, von ihnen ausgehandelter Tarifverträge zu verhindern [...]. Die bf Gewerkschaften sind daher, ebenso wie die bf Gewerkschaftsmitglieder, in deren Interesse die Gewerkschaften ihre Tarifverhandlungsstrategien verfolgten und anpassten, Mitglieder einer Gruppe, die Gefahr läuft, von der umstrittenen Gesetzgebung direkt betroffen zu sein. Alle Bf können daher behaupten, Opfer der geltend gemachten Konventionsverletzung zu sein.
(39) Der GH stellt weiters fest, dass diese Beschwerde weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen [...] Grund unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).
2.In der Sache
a.Zum Vorliegen eines Eingriffs
(51) [...] Die umstrittenen Bestimmungen des TEG [...] können die völlige Unanwendbarkeit eines zwischen einer Gewerkschaft und einem Arbeitgeber abgeschlossenen Tarifvertrags nach sich ziehen, wenn ein kollidierender Tarifvertrag – der zumindest teilweise abweichende Bestimmungen über Arbeitsbedingungen enthält und sich in räumlicher, zeitlicher, betrieblich-fachlicher und persönlicher Hinsicht mit dem Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft überschneidet – von einer anderen Gewerkschaft abgeschlossen wurde, die in dem Betrieb des betroffenen Unternehmens mehr Mitglieder hat. Zudem können Gewerkschaften aufgrund von § 2a Abs 1 Z 6 und § 99 ArbGG [...] verpflichtet sein, die Zahl ihrer Mitglieder in einem Betrieb und damit ihre Stärke im Fall eines Arbeitskampfs offenzulegen, damit die Mehrheitsgewerkschaft ermittelt werden kann. Diese Bestimmungen greifen in das durch Art 11 Abs 1 EMRK garantierte Recht der Bf ein, Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, das ein Recht sowohl der Gewerkschaften als auch ihrer Mitglieder einschließt, Kollektivverhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen.
b.Zur gesetzlichen Grundlage
(52) Die rechtliche Grundlage des Eingriffs [...] war ausreichend präzise formuliert, um es den betroffenen Personen zu ermöglichen, ihr Verhalten entsprechend anzupassen, und daher in ihrer Anwendbarkeit vorhersehbar. [...] Der umstrittene Eingriff war somit iSv Art 11 Abs 2 EMRK »gesetzlich vorgesehen«.
c.Zum legitimen Ziel
(53) [...] Es ist legitim, wenn der Gesetzgeber versucht, einen fairen Ausgleich zu treffen zwischen dem Ziel der Gewährleistung von Frieden und Solidarität in einem Betrieb und der uneingeschränkten Freiheit konkurrierender Gewerkschaften, in ein und demselben Betrieb gesonderte Tarifverträge auszuhandeln. [...] Die umstrittenen Bestimmungen des TEG zielen darauf ab, das angemessene und faire Funktionieren des Systems von Kollektivverhandlungen sicherzustellen, indem es Gewerkschaften, die Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen vertreten, daran hindert, zum Nachteil anderer Arbeitnehmer gesonderte Tarifverträge auszuhandeln, und einen Gesamtkompromiss erleichtert. Sie dienen somit dem Schutz der Rechte anderer, nämlich insb den Rechten von Arbeitnehmern, die keine Schlüsselpositionen innehaben, und von den sie vertretenden Gewerkschaften, aber auch der Rechte des Arbeitgebers. Damit verfolgen sie einen legitimen Zweck iSv Art 11 Abs 2 EMRK.
d.Zur Notwendigkeit des Eingriffs in einer demokratischen Gesellschaft
i.Relevante Grundsätze
(54) In Fällen, die sich auf die Freiheit beziehen, eine Gewerkschaft zu gründen und sich ihr anzuschließen, hängt die Weite des staatlichen Ermessensspielraums von der Art und der Reichweite der Einschränkung der betroffenen Gewerkschaftsrechte, dem damit verfolgten Zweck und den widerstreitenden Rechten und Interessen anderer Mitglieder der Gesellschaft ab [...].
(55) Die Sensibilität der mit der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Geschäftsführung verbundenen gesellschaftlichen und politischen Fragen und der hohe Grad an Abweichungen zwischen den nationalen Systemen auf diesem Gebiet sprechen für einen weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Entscheidung, wie sie die Gewerkschaftsfreiheit und den Schutz der Arbeitnehmerinteressen von Gewerkschaftsmitgliedern gewährleisten. [...]
(56) Zwei Grundprinzipien kennzeichnen das Recht auf Vereinigungsfreiheit nach Art 11 EMRK: Erstens berücksichtigt der GH die Gesamtheit der Maßnahmen, die der betroffene Staat im Rahmen seines Ermessensspielraums zur Gewährleistung der Gewerkschaftsfreiheit ergriffen hat. Zweitens akzeptiert der GH keine Einschränkungen, die den Wesenskern der Gewerkschaftsfreiheit, ohne den diese Freiheit ihres Gehalts beraubt würde, beeinträchtigen.
(57) Als wesentliche Elemente des Rechts auf Vereinigungsfreiheit wurden in einer nicht erschöpfenden, sich weiter entwickelnden Liste bestimmt: das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen und ihr beizutreten; das Verbot von closed-shop Vereinbarungen; das Recht von Gewerkschaften zu versuchen, den Arbeitgeber dazu zu bringen, sie als Vertreterin ihrer Mitglieder anzuhören; und, grundsätzlich, das Recht, Kollektivverhandlungen mit dem Arbeitgeber zu führen.
(58) Der Kern eines freiwilligen Systems von Kollektivverhandlungen besteht darin, dass es einer von einem Arbeitgeber nicht anerkannten Gewerkschaft möglich sein muss, Schritte zu setzen, die wenn nötig auch Arbeitskampfmaßnahmen umfassen, um den Arbeitgeber dazu zu bringen, mit der Gewerkschaft Kollektivverhandlungen über Angelegenheiten aufzunehmen, die sie als wichtig für die Interessen ihrer Mitglieder ansieht.
(59) Während das Recht, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, nicht als wesentliches Element der Gewerkschaftsfreiheit angesehen wurde, werden Streiks eindeutig von Art 11 EMRK als Teil der gewerkschaftlichen Aktivitäten geschützt. Das Recht auf Kollektivverhandlungen wurde jedoch nicht dahingehend ausgelegt, dass es ein »Recht« auf einen Kollektivvertrag einschließt.
(60) Es steht den Staaten frei, bei der Organisation ihres Kollektivverhandlungssystems repräsentativen Gewerkschaften – wenn angemessen – einen Sonderstatus einzuräumen. Der GH hat daher eine allgemeine Politik der zahlenmäßigen Beschränkung der Organisationen, die bei Kollektivvertragsverhandlungen (formell) beigezogen und mit denen Kollektivverträge abgeschlossen werden, auf größere Gewerkschaften oder auf solche, die repräsentativer für die gesamte Arbeitnehmerschaft eines Unternehmens sind, als vereinbar mit der Gewerkschaftsfreiheit erachtet, wenn die weiteren Gewerkschaften auf andere Weise angehört wurden. [...]
ii.Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall
(62) [...] Die mit dem TEG verbundene wesentliche Einschränkung besteht darin, dass ein kollidierender Tarifvertrag [...], der von einer Gewerkschaft abgeschlossen wurde, die nicht die höchste Zahl an Mitgliedern im betroffenen Betrieb [...] aufweist, unanwendbar wird.
(63) [...] Die betroffenen Gewerkschaften verlieren nicht schlechthin ihr Recht, Tarifverhandlungen zu führen – und in diesem Kontext wenn nötig Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen – und Tarifverträge abzuschließen. § 4a TVG soll Gewerkschaften dazu ermuntern, ihre Tarifverhandlungen zu koordinieren. Für den Fall einer fehlenden Abstimmung sieht er unterschiedliche rechtliche Folgen betreffend die mit dem Arbeitgeber abgeschlossenen kollidierenden Tarifverträge vor (indem nur der von der größten Gewerkschaft im Betrieb abgeschlossene Tarifvertrag anwendbar bleibt).
(64) [...] Die Reichweite der Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit und insb des Rechts auf Kollektivverhandlungen durch die genannte Bestimmung ist in mehrfacher Hinsicht begrenzt. Insb haben die Gewerkschaften, deren Tarifverträge unabwendbar geworden sind, gemäß § 4a Abs 4 TVG in seiner Auslegung durch das BVerfG einen Anspruch auf Nachzeichnung des gesamten Tarifvertrags der Mehrheitsgewerkschaft. Diese Gewerkschaften bleiben daher nicht gegen ihren Willen ganz ohne einen Tarifvertrag.
(65) Zudem behalten Minderheitsgewerkschaften nach § 4a Abs 5 TVG das Recht, zum Schutz der Interessen ihrer Mitglieder dem Arbeitgeber ihre Vorstellungen und Forderungen vorzutragen, mit diesem zu verhandeln und Tarifverträge abzuschließen. Das BVerfG stärkte mit seiner Auslegung dieser Bestimmung die Rechte der Minderheitsgewerkschaften, angehört zu werden, sogar noch weiter. Es stellte fest, dass die kollidierenden Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaften nicht unanwendbar werden, wenn die gesetzliche Pflicht, sie anzuhören, missachtet wurde. Außerdem könne ein kollidierender Tarifvertrag gemäß § 4a Abs 2 TVG nur unanwendbar werden, wenn die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der Arbeitnehmer einzelner Berufsgruppen oder Branchen, deren Kollektivvertrag unanwendbar wurde, ernsthaft und wirksam berücksichtigt hat.
(66) Überdies könnten in einem Tarifvertrag einer Minderheitsgewerkschaft vorgesehene langfristige Vergünstigungen wie Pensionsbeiträge nur unanwendbar werden, wenn der Mehrheitstarifvertrag eine vergleichbare Vergünstigung vorsieht. Gemäß dem BVerfG ist außerdem im Verfahren zur Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Betrieb nach § 99 ArbGG [...] die Offenlegung der Mitgliederstärke der Gewerkschaften nach Möglichkeit zu vermeiden.
(67) Angesichts seines Umfangs [...] beeinträchtigt der Eingriff in das Recht der Bf auf Kollektivverhandlungen kein wesentliches Element der Gewerkschaftsfreiheit, ohne das diese Freiheit ihrer Substanz beraubt würde. Wie oben dargelegt wurde (siehe Rn 59), enthält das Recht auf Kollektivverhandlungen kein »Recht« auf einen Kollektivvertrag. Entscheidend ist, dass Gewerkschaften Forderungen erheben können und vom Arbeitgeber angehört werden, was von den umstrittenen Bestimmungen des TVG in der Praxis wirksam gewährleistet wird. Außerdem wurde vom BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass die umstrittenen Bestimmungen das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaften [...] nicht beschneiden.
(68) Der GH möchte anmerken, dass er in seiner Rsp weitergehende Einschränkungen des Rechts auf Kollektivverhandlungen, wie insb den völligen Ausschluss des Rechts von Minderheits- oder weniger repräsentativen Gewerkschaften vom Abschluss von Kollektivverträgen, als vereinbar mit Art 11 EMRK erachtet hat.
(69) Der GH erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Weite des Ermessensspielraums des Staates auch vom Ziel abhängt, das mit der umstrittenen Einschränkung verfolgt wird, sowie von den widerstreitenden Interessen anderer, die unter einer uneingeschränkten Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen leiden würden. Der GH verweist auf seine obige Feststellung, wonach die umstrittenen Bestimmungen darauf abzielen, das faire Funktionieren des Systems der Tarifverhandlungen zu gewährleisten, indem es Gewerkschaften, die Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen vertreten, am Abschluss gesonderter Tarifverträge zum Nachteil anderer Arbeitnehmer hindert und einen Gesamtkompromiss erleichtert. Diese Ziele, welche die Rechte der genannten anderen Arbeitnehmer und der ihre Interessen vertretenden Gewerkschaften, aber auch des Arbeitgebers, schützen, müssen insofern als sehr schwerwiegend angesehen werden, als sie darauf abstellen, das gesamte System der Tarifverhandlungen und damit die Gewerkschaftsfreiheit als
solche zu stärken.
(70) Der GH [...] hat wiederholt einen hohen Grad an Unterschiedlichkeit zwischen den nationalen Systemen im Bereich des Schutzes der Gewerkschaftsrechte festgestellt. Wie sich aus seiner Rsp weiters ergibt, haben neben dem belangten Staat auch mehrere andere Staaten Systeme, die in der einen oder anderen Weise den Abschluss (anwendbarer) Kollektivverträge auf größere oder repräsentativere [...] Gewerkschaften beschränken. Das rechtsvergleichende Material [...] bestätigt ebenfalls, dass in den meisten Konventionsstaaten Regeln gelten, die eine Anwendung mehrerer kollidierender Kollektivverträge verhindern. Rechtssysteme, die es nur »repräsentativen« Gewerkschaften erlauben, Kollektivverträge abzuschließen – was restriktiver ist als die im vorliegenden Fall umstrittenen Bestimmungen – wurden außerdem als mit den einschlägigen Instrumenten der ILO [...] und der Europäischen Sozialcharta vereinbar angesehen.
(71) Angesichts der oben genannten Elemente [...] gelangt der GH zu der Schlussfolgerung, dass der belangte Staat hinsichtlich der umstrittenen Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit einen Ermessensspielraum hatte.
(72) Dieser Ermessensspielraum muss umso mehr gewährt werden, als der Gesetzgeber heikle politische Entscheidungen treffen musste, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den jeweiligen Interessen der Arbeitnehmer – einschließlich der konkurrierenden Interessen der unterschiedlichen Gewerkschaften – und der Geschäftsführung herzustellen. [...]
(73) Im Licht seiner Rsp möchte der GH weiters darauf hinweisen, dass die Tatsache, dass die umstrittenen Bestimmungen zu einem Verlust an Attraktivität und damit zu einem Rückgang der Mitgliederzahlen kleinerer Gewerkschaften, die oft spezifische Berufsgruppen vertreten, führen kann, als solche nicht das Recht von Gewerkschaftsmitgliedern beeinträchtigt, solchen Gewerkschaften beizutreten und weiterhin anzugehören [...].
(74) Angesichts der obigen Überlegungen gelangt der GH zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Sachverhalt keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht der Bf auf Kollektivverhandlungen zeigt, dessen wesentliche Elemente sie ausüben können, indem sie ihre Mitglieder vertreten und in deren Namen mit den Arbeitgebern verhandeln. Da der belangte Staat in diesem Bereich einen Ermessensspielraum genießt, der die umstrittenen Bestimmungen umfasst, gibt es keine Grundlage dafür, diese Bestimmungen als unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Bf gemäß Art 11 EMRK anzusehen.
(75) Folglich hat keine Verletzung von Art 11 EMRK stattgefunden (5:2 Stimmen; gemeinsames abweichendes Sondervotum der Richter Serghides und Zünd).
Vom GH zitierte Judikatur:
National Union of Belgian Police/BE, 27.10.1975, 4464/70 = EuGRZ 1975, 562
Wilson, National Union of Journalists` ua/GB, 2.7.2002, 30668/96 ua = NL 2002, 141 = ÖJZ 2003, 729
Demir und Baykara/TR, 12.11.2008, 34503/97 (GK) = NL 2008, 330
Sindicatul »Pastorul cel Bun«/RO, 9.7.2013,2330/09 (GK) = NLMR 2013, 236
National Union of Rail, Maritime and Transport Workers/GB, 8.4.2014, 31045/10 = NLMR 2014, 139
Norwegian Confederation of Trade Unions (LO) und Norwegian Transport Workers’ Union (NTF)/NO, 10.6.2021, 45487/17
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 5.7.2022, Bsw. 815/18, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2022, 347) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Original des Urteils ist auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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