BVwG W261 2286817-1

BVwGW261 2286817-17.3.2024

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W261.2286817.1.00

 

Spruch:

 

 

W261 2286817-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde XXXX , geb XXXX , vertreten durch den KOBV, Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld., gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich vom 02.10.2023, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 23.01.2024, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid vom 02.10.2023 in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 23.01.2023 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

 

 

Begründung

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer war seit 20.04.2021 Inhaber eines bis 01.07.2023 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) und der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 01.03.2023 vertreten durch den KOBV, Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld. (KOBV) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.

3. Mit Eingabe vom 21.03.2023 reichte der Beschwerdeführer vertreten durch den KOBV weitere medizinische Befunde nach.

4. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 19.06.2023 (vidiert am 11.07.2023) auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführer am 19.06.2023 ein. Darin stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen „chronisches Schmerzsyndrom“, „degenerative Wirbelsäulenveränderungen“, „degenerative Gelenksveränderungen bei Psoriasisarthropathie“, „chronisch obstruktive Atemwegserkrankung/Asthma bronchiale“, „Obstruktives Schlaf Apnoe Syndrom“, „arterieller Bluthochdruck“ und „Restless-Legs-Syndrom“ und einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) fest. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden nicht vorliegen.

5. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 11.07.2023 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

6. Der Beschwerdeführer gab, vertreten durch den KOBV, mit Eingabe vom 03.08.2023 (einlangend am 04.08.2023) eine Stellungnahme ab. Darin führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass der medizinische Sachverständige im Jahr 2021 das chronische Schmerzsyndrom, welches vor allem die Lendenwirbelsäule betreffen würde, anerkannt erhalten habe. Dies sei befristet gewesen, weil beim Beschwerdeführer die Möglichkeit für eine Operation bestanden habe, welcher dieser letztendlich nicht habe machen lassen. Er könne nicht nachvollziehen, warum zwischenzeitig eine Besserung der Schmerzsymptomatik bzw. der eingeschränkten Gehstrecke eingetreten sein solle. Der Beschwerdeführer sei im Mai 2023 trotz Verwendung der erforderlichen Krücke gestürzt und habe sich dabei drei Sehnen in der Schulter gerissen. Außerdem müsse er Einlagen tragen. Es werde beantragt, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen. Der Beschwerdeführer schloss dieser Stellungnahme keine neuen medizinischen Befunde an.

7. Der befasste medizinische Sachverständige führte dazu in seiner Stellungnahme vom 27.09.2023 aus, dass sich nach nochmaliger Prüfung keine Änderung des Sachverhaltes ergeben würde. Bei der durchgeführten Untersuchung und Begutachtung seien keine Einschränkungen der Gehfähigkeit oder der körperlichen Leistungsfähigkeit festgestellt worden.

8. Die belangte Behörde informierte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.10.2023 darüber, dass er unbefristeten Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 v.H. erhalten werde, jedoch dich Voraussetzung für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden.

9. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.10.2023 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

10. Mit Schreiben vom 05.10.2023 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Behindertenpass, welchem Bescheidcharakter zukommt.

10. Gegen den Bescheid vom 02.10.2023 erhob der Beschwerdeführer vertreten durch den KOBV fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst das vor, was er bereits in seiner Stellungnahme vom 03.08.2023 ausgeführt hatte. Aufgrund der bereits dort geschilderten Beschwerden sei es ihm nicht möglich, gefahrlos öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die belangte Behörde habe lediglich einen allgemeinmedizinischen Sachverständigen beauftragt, tatsächlich würden bei diesem Leiden vorliegen, welche von Fachärzten zu beurteileng gewesen werden. Es werde daher beantragt, medizinische Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Orthopädie/Chirurgie, Neurologie/Psychiatrie und Urologie einzuholen. Zudem werde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen. Es werde beantragt, der Beschwerde Folge zu geben und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung vorliegen würden, in eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

11. Mit Eingabe vom 30.11.2023 reichte der Beschwerdeführer vertreten durch den KOBV weitere medizinische Befunde nach.

12. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung der Angaben in der Beschwerde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie und Arztes für Allgemeinmedizin vom 10.01.2024 auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführer am 09.01.2024 ein. Darin stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen „chronisches Schmerzsyndrom“, „degenerative Wirbelsäulenveränderungen“, „Psoriasisarthropathie“, „chronisch obstruktive Atemwegserkrankung/Asthma bronchiale“ „Obstruktives Schlaf Apnoe Syndrom“, „arterieller Bluthochdruck“ und „gelegentlich dranghafte tröpfchenförmige Inkontinenz“ fest. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden nicht vorliegen.

13. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 19.01.2023 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

14. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23.01.2024 wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 02.10.2023 ab. Die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung würden nicht vorliegen.

15. Mit Eingabe vom 09.02.2024 (einlangend 12.02.2024) erstattete der Beschwerdeführer vertreten durch den KOBV einen Vorlageantrag. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass im oben genannten medizinischen Sachverständigengutachten einige medizinische Diagnosen enthalten seien, welche sehr wohl die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu beeinträchtigen. Sowohl die komplexe Bandscheibenproblematik als auch die mit der Psoriasis Arthritis einhergehenden Gelenksbeschwerden würden es dem Beschwerdeführer unmöglich machen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es werde daher zusätzlich die Einholung eines internistisch/rheumatologischen Sachverständigengutachtens beantragt. Die Abgabe einer Stellungnahme zum genannten Sachverständigengutachten sei nicht möglich gewesen, weil die belangte Behörde bereits vor Ablauf der Stellungnahmefrist die Beschwerdevorentscheidung getroffen habe. Es werde beantragt, das Beschwerdeverfahren dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

16. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19.02.2024 zur Entscheidung vor, wo dieser am 20.02.2024 einlangte.

17. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.02.2024 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Der Beschwerdeführer leidet, wie der medizinische Sachverständige selbst in seinem Gutachten vom 10.01.2024 ausführt, unter anderem an einem chronischen Schmerzsyndrom. Bei der Beurteilung der Frage, ob es dem Beschwerdeführer zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, führte der medizinische Sachverständige aus dem Fachbereich der Unfallchirurgie zwar aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner orthopädischen Leiden in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es fehlen in diesem medizinischen Sachverständigengutachten konkrete Feststellungen darüber, wie sich dieses chronische Schmerzsyndrom auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Der medizinische Sachverständige führt zwar im genannten Sachverständigengutachten aus, dass „Eine kurze Wegstrecke … ohne übermäßige Schmerzen .. zumutbar und möglich sind.“ Wie der medizinische Sachverständige zu dieser Beurteilung kam, ist nicht schlüssig nachvollziehbar, zumal bei Schmerzen immer ein subjektives Empfinden einhergeht. Es finden sich insbesondere keine Ausführungen darüber, ob die vom Beschwerdeführer verwendete Schmerzmedikation ausreichend ist, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Ebenso fehlen Ausführungen dazu, ob beim Beschwerdeführer für seine Leidenszustände alle Therapieoptionen bereits ausgeschöpft sind oder nicht. Nur dann, wenn hinsichtlich seiner Leiden alle Therapieoptionen bereits nachweislich ausgeschöpft wurden, könnte insbesondere das chronische Schmerzsyndrom ein Leiden darstellen, welches allenfalls die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar erscheinen lassen könnte. Dazu fehlen jedoch im Ermittlungsverfahren der belangten Behörde entsprechende Ausführungen eines medizinischen Sachverständigen.

Die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen sind in diesem Punkt demnach nicht schlüssig und nachvollziehbar, weswegen diese von der belangten Behörde nicht als Grundlage für deren Entscheidung hätte herangezogen werden dürfen.

Richtig und nachvollziehbar sind hingegen die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, wonach kein medizinisch nachvollziehbarer ärztlicher Befundbericht vorliegt, dass der Beschwerdeführer tatsächlich stuhlinkontinent ist. Die leichte Harninkontinenz bedingt allein aufgrund des Umstandes, dass diesen mit entsprechenden Vorlagen erfolgreich begegnet werden kann, keinen Grund dafür, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar wäre.

Die Auswirkungen der Psoriasis Arthritis werden in beiden medizinischen Sachverständigengutachten als „mäßige Funktionseinschränkungen“ beschrieben. In beiden Gutachten sind diese Feststellungen schlüssig und nachvollziehbar aufgrund der Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen, in welchen die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers in den oberen und unteren Extremitäten nachvollziehbar beschrieben werden. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Interne Medizin/Rheumatologie, wie dies im Vorlageantrag beantragt wurde, ist nicht erforderlich.

Dazu ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.06.1997, 96/08/0114 ausgeführt hat, dass die Behörden im Zusammenhang mit der Einschätzung des Grades der Behinderung verpflichtet sind, zur Klärung medizinischer Fachfragen ärztliche Gutachten einzuholen. Es besteht jedoch kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Wie bereits ausgeführt, sind die medizinischen Sachverständigengutachten in diesem Punkt jedenfalls schlüssig und nachvollziehbar.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

…“

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren die Frage zu klären haben, welche Auswirkung das führende Leiden des Beschwerdeführers, das chronische Schmerzsyndrom auf seine Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen hat. Dabei wird auch zu beurteilen sein, ob der Beschwerdeführer bereits alle möglichen Therapieoptionen ausgenutzt hat, um seinen Schmerzzuständen wirksam zu begegnen. Diese Frage wird ergänzend von einem Facharzt für Unfallchirurgie/Orthopädie aufgrund einer neuerlichen Untersuchung des Beschwerdeführers zu beurteilen sein. Das Ergebnis der Begutachtung ist in einem medizinischen Sachverständigengutachten zusammenzufassen.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführer noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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