BVwG W189 2290219-1

BVwGW189 2290219-122.10.2024

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W189.2290219.1.00

 

Spruch:

 

 

W189 2290219-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.03.2024, Zl. 1294375501-220229617, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.06.2024, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: der BF), ein somalischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 06.02.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Zu seinem Ausreisegrund gab er zu Protokoll, dass er heimlich mit einer Frau verheiratet sei, die dem Clan der Abgaal angehöre. Er dürfe nicht mit diesem Clan verheiratet sein. Die Familie seiner Frau wolle ihn deshalb umbringen. Er sei nämlich Gabooye, eine Minderheit in Somalia. Im Falle einer Rückkehr nach Somalia habe der BF Angst vor der Familie seiner Frau.

2. In seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) vom 13.06.2023 machte der BF nähere Ausführungen zu seinem Ausreisegrund.

3. Mit Bescheid des BFA vom 18.03.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkte II. und III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht am 04.06.2024 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

Die Identität des BF steht nicht fest. Er ist ein Staatsangehöriger von Somalia und stammt aus dem in der Region Middle Shabelle, nördlich der Stadt Balcad gelegenen Dorf XXXX (Koordinaten: XXXX ). Er gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime an. Der BF gehört entgegen seinem Vorbringen nicht der Minderheit der Gabooye, sondern einem Mehrheitsclan an. Er wurde nicht wegen einer heimlichen Beziehung zu einer einem Mehrheitsclan angehörigen Frau von deren Familie und der Al Shabaab bedroht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

1.2.1. Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, S. 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, S. 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, S. 44; vgl. SEM, 31.5.2017, S. 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S. 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, S. 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S. 8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S. 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

 Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

 Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

 Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

 Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

 Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S. 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S. 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S. 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S. 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S. 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S. 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, S. 25).

1.2.2. Berufsständische Minderheiten

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, S. 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, S. 57; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 45; SEM 31.5.2017, S. 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, S. 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, S. 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S. 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S. 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, S. 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S. 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S. 49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, S. 44ff; vgl. ÖB 11.2022, S. 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 2022a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, S. 44ff; vgl. FIS 5.10.2018, S. 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB 11.2022, S. 4; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, S. 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, S. 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, S. 7f). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von „noblen“ Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, S. 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 11.2022, S. 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, S. 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, S. 26).

1.2.3. Frauen

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 12.4.2022, S. 40). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 28.6.2022, S. 17). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S. 10; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 40). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und werden diesen systematisch untergeordnet. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 12.4.2022, S. 40).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S. 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, S. 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 11). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen eine führende Rolle bei den Privatunternehmen. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB 22.3.2022).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 12.4.2022, S. 37), bleiben häusliche (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 12.4.2022, S. 34/37).

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt bleiben ein großes Problem – speziell für IDPs (FH 2022a, G3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34ff, ÖB 11.2022, S. 11). Im Jahr 2021 kam es zu einem Anstieg an derartigen Fällen, oft werden Opfer auch getötet (HRW 13.1.2022; vgl. UNFPA 14.4.2022). Auch im Jahr 2022 ist die Zahl an Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt weiter gestiegen. Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. 2021 war eine hohe Rate an Partnergewalt zu verzeichnen; mit der Rücknahme von Covid-19-bedingten Einschränkungen ist die Rate an Partnergewalt zuletzt gesunken. 74 % aller registrierten Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (UNFPA 14.4.2022). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 12.4.2022, S. 35).

Frauen und Mädchen werden Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Nach anderen Angaben wiederum ereignet sich der Großteil der Vergewaltigungen - über 50 % - im eigenen Haushalt oder aber im direkten Umfeld; das heißt, Täter sind Familienmitglieder oder Nachbarn der Opfer. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Zahl an Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund der Covid-19-Maßnahmen zugenommen hat. Alleine im Juli 2021 wurden von der UN 168 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert - darunter auch Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt (USDOS 12.4.2022, S. 35f). Insgesamt hat sich aber aufgrund von Chaos und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 28.6.2022, S. 17).

Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz zukommen zu lassen. Die Gruppe interveniert z. B. in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019, S. 2/6). Al Shabaab hat Vergewaltiger – mitunter zum Tode – verurteilt (USDOS 12.4.2022, S. 37). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten der al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019, S. 6; vgl. DI 6.2019, S. 9).

Andererseits legen Berichte nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 28.6.2022, S. 18). Die Zahl an Zwangs- und Frühehen durch al Shabaab hat zugenommen (UNSC 6.10.2021). Dabei zwingt al Shabaab Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Ehe. Diese sowie deren Familien haben generell kaum eine Wahl. Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022, S. 37). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht gering geschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019, S. 8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S. 9).

Al Shabaab schränkt die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (TE 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitgehenden Diskriminierung von Frauen (AA 28.6.2022, S. 18). Diese werden etwa insofern stärker ausgeschlossen, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 12.4.2022, S. 40). Nach anderen Angaben hat al Shabaab einen pragmatischen Zugang. Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten (mahram) erlaubt ist (ICG 27.6.2019, S. 11).

Eheschließung: Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, S. 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S. 7). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).

Ehe-Alter / Kinderehe: Generell sind die Ausdrücke "Erwachsener" und "Kind" in Somalia umstritten und de facto gesetzlich nicht explizit definiert (SPA 1.2021). Zwar ist gemäß somalischem Zivilrecht für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen (ICG 27.6.2019, S. 8), doch Scharia und Tradition nehmen eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät an (LI 14.6.2018, S. 7). Generell herrscht unter den relevanten Stakeholdern keine Einigkeit darüber, wann denn nun eigentlich das Heiratsalter erreicht ist (UNFPA 14.4.2022) - und dies, obwohl Somalia die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, die eigentlich gegen eine Ehe vor dem Alter von 18 Jahren spricht (Sahan 19.9.2022). Laut Gesetzen sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. Sahan 19.9.2022). Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. FH 2022a, G3) – gerade in ärmeren, ländlichen Gebieten (ICG 27.6.2019, S. 8; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27; LI 14.6.2018, S. 7). Denn die Scharia, in der kein Mindestalter vorgesehen ist, hat das Familiengesetz weitestgehend ersetzt (Sahan 19.9.2022). Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht (FIS 5.10.2018, S. 27). Eltern ermutigen Mädchen zur Heirat, in der Hoffnung, dass die Ehe dem Kind finanzielle und soziale Absicherung bringt und dass diese die eigene Familie finanziell entlastet. Zudem wird eine frühe Ehe als kulturelle und religiöse Anforderung wahrgenommen (UNFPA 14.4.2022). Bei einer Umfrage im Jahr 2017 gaben ca. 60 % der Befragten an, dass eine Eheschließung für Mädchen unter 18 Jahren kein Problem ist (AV 7.2017, S. 36). Schätzungen zufolge heiraten 45 % der Mädchen vor ihrem 18. und 8 % vor ihrem 15. Geburtstag. Die Dürre hat das Risiko für viele Mädchen erhöht, bereits in jungen Jahren einer Ehe zugeführt zu werden. Es ist zu einem starken Anstieg der Zahl an Kinderehen gekommen. Viele durch die Dürre verarmte Familien holen Töchter aus den Schulen und verheiraten diese, um vom Brautgeld (yarad) leben zu können. In einem unsicheren Umfeld – etwa in einem IDP-Lager – wollen Eltern u.U. auch die Tochter vor Missbrauch schützen, indem sie diese verheiraten (Sahan 19.9.2022).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 28.6.2022, S. 18). Nach Angaben einer Quelle sind Zwangsehen in Somalia normal (SPA 1.2021). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 12.4.2022, S. 43). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (LI 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. LI 14.6.2018, S. 10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. LI 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S. 11).

In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (LI 14.6.2018, S. 10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S. 27).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF

Mangels Vorlage von unbedenklichen Dokumenten konnte die Identität des BF nicht bewiesen werden. Zumal er aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihm in seinen gleichbleibenden und grundsätzlich plausiblen Angaben zu seiner Staats- und Religionszugehörigkeit sowie seiner örtlichen Herkunft gefolgt werden.

Der BF brachte zwar ebenso stets vor, der Minderheit der Gabooye anzugehören, doch konnte er dies nicht glaubhaft machen. So gab er auf der einen Seite in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu Protokoll, in Somalia zuletzt als Schmied gearbeitet zu haben (AS 4), sagte dann aber in der Einvernahme durch das BFA im Widerspruch aus, immer Schuhmacher und Schuhputzer gewesen zu sein (AS 36). Bei beiden Berufen würde es sich zwar traditionell wohl um solche der Berufskasten handeln, doch hätte sich der BF nicht widersprochen, hätte er einen dieser Berufe tatsächlich ausgeübt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht damit konfrontiert, verneinte der BF zunächst, als Schmied gearbeitet zu haben, und meinte dann, dass er „glaube“, dass die Protokollierung in der Erstbefragung daher rühre, dass er auch als Schmied Schuhe reparieren habe müssen, nachgefragt nämlich, weil er dafür Metalle verwenden habe müssen (Verhandlungsprotokoll S. 4). Zum einen ist es aber unwahrscheinlich, dass der BF in der Erstbefragung, befragt nach seinem Beruf, diesen nicht einfach – wie auch in der Einvernahme – angegeben, sondern umschrieben hätte und dann „Schmied“ protokolliert worden wäre, zum anderen hat die vom BF beschriebene Tätigkeit auch nichts mit jener eines Schmieds zu tun. Diese Rechtfertigung des BF ist somit als Schutzbehauptung zu werten. Wohlgemerkt führte der BF im weiteren Widerspruch im Zuge seiner Fluchterzählung wiederum eine von ihm ausgeübte landwirtschaftliche Tätigkeit an (AS 39). Ebenso gab der BF stets an, in Somalia lediglich zwei Monate lang die Schule besucht zu haben, wobei er in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass er danach die Schule abbrechen habe müssen, weil er als Minderheitenangehöriger diskriminiert worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 4). Andererseits teilte er in der Erstbefragung aber auch mit, dass er seine Muttersprache in Wort und Schrift beherrsche (AS 4). Das erklärte er in der mündlichen Verhandlung zunächst damit, dass er das erst in Österreich durch das Internet gelernt habe. Auf Vorhalt, dass er diese Angaben aber in seiner Erstbefragung unmittelbar nach der Ankunft im Bundesgebiet gemacht hatte, änderte der BF sogleich seine Verantwortung darauf ab, dass er doch bereits in Somalia während seines zweimonatigen Schulbesuchs das Lesen und Schreiben erlernt habe. Auf nochmaligen Vorhalt versuchte der BF beides miteinander zu kombinieren, indem er – gänzlich unplausibel – erklärte, sowohl in Somalia als auch in Österreich die Schrift erlernt zu haben (Verhandlungsprotokoll S. 4 f). Aus diesem gänzlich widersprüchlichen und unplausiblen Aussageverhalten ist nur der Schluss zu ziehen, dass der BF auch zu seiner mangelnden Schulbildung – die er mit seiner Minderheitenangehörigkeit begründete – keine wahren Angaben machte, zumal es aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung überaus unwahrscheinlich wäre, dass der BF in lediglich zwei Monaten Lesen und Schreiben erlernt hätte. Da – wie sogleich ausgezeigt – auch das Fluchtvorbringen des BF, welches mit seiner Minderheitenangehörigkeit im Zusammenhang stünde, keineswegs glaubhaft ist, ist daraus zu schließen, dass der BF versuchte, eine Zugehörigkeit zu einer Minderheit zu konstruieren. Da somit nicht glaubhaft ist, dass er einer solchen angehört, ist im Umkehrschluss festzustellen, dass er einem Mehrheitsclan in Somalia zugehört.

Zu seinem Ausreisegrund gab der BF im Wesentlichen an, dass er in seinem Heimatdorf – als Angehöriger einer Minderheit – heimlich eine Beziehung zu einer Frau, welche dem Mehrheitsclan der Abgaal angehört habe, geführt habe, diese ebenso heimlich geheiratet habe und sie schwanger von ihm geworden sei. Er sei daraufhin von ihrer Familie misshandelt, gefangen gehalten und mit dem Tod bzw. der Steinigung durch die Al Shabaab bedroht worden. Dieses Vorbringen ist jedoch gänzlich unglaubhaft.

Zunächst ist schon grundsätzlich nicht plausibel, dass sich der BF in Anbetracht der sozialen Kontrolle in Somalia – gerade auch gegenüber Frauen – in seinem kleinen, ländlichen Dorf von Beginn der Beziehung im Oktober 2020 bis zum April 2021, als der Bruder seiner Frau sie erstmals gesehen habe, regelmäßig heimlich mit seiner Frau treffen hätte können (AS 38). Selbst nachdem ihr Bruder ihn geschlagen und aufgefordert habe, die Beziehung zu beenden, und er tags darauf von ihrem Bruder und ihrem Vater neuerlich geschlagen und für den Fall des Zuwiderhandelns mit dem Umbringen bedroht worden sei (AS 38), habe sich der BF bis in den September 2021 hinein weiterhin regelmäßig heimlich abends mit seiner Frau treffen können. Selbst obwohl seine Frau „immer“ von ihrer Familie geschlagen worden sei, habe man weder den telefonischen Kontakt zum BF unterbunden, noch seiner Frau verboten, abends alleine das Haus zu verlassen (Verhandlungsprotokoll S. 9). Dass aber auf der einen Seite der BF und seine Frau geschlagen und der BF mit dem Umbringen bedroht worden wäre, andererseits aber seiner Frau jegliche Freiheiten gelassen worden wären – gerade auch alleine abends das Haus zu verlassen, eine schon grundsätzlich erhebliche Freiheit für eine (junge) Frau in Somalia – ist jedoch in keinen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, sondern würde eine höchst widersprüchliche Verhaltensweise darstellen. Schließlich hätten die Eltern der Frau im Kontext der somalischen Gesellschaft auch ein erhebliches Interesse daran, die Jungfräulichkeit ihrer Tochter bis zu einer (arrangierten) Eheschließung sicherzustellen. Umgekehrt ist aber auch nicht nachzuvollziehen, dass der BF selbst trotz dieser Vorfälle samt Todesdrohungen in seinem kleinen Heimatdorf die Beziehung heimlich weitergeführt hätte und er keine Angst davor gehabt habe, dass er tatsächlich umgebracht werden könnte, wenn er neuerlich entdeckt werden würde, obwohl dies doch erheblich wahrscheinlich wäre (Verhandlungsprotokoll S. 10). Schon insoweit ist das Vorbringen des BF somit stark in Zweifel zu ziehen.

Der BF verstrickte sich daneben aber auch in eine Reihe von Widersprüchen. So erzählte er in der Einvernahme durch das BFA von zwei Vorfällen mit der Familie seiner Frau, bevor er im September 2021 von dieser gefangen genommen worden sei. Im April 2021 sei er nämlich zuerst vom Bruder seiner Frau und dann tags darauf nochmals von ihrem Bruder sowie ihrem Vater geschlagen und bedroht worden (AS 38). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte er hingegen einzig den ersteren Vorfall vor seiner Inhaftierung an und erklärte, dass sonst nichts passiert sei. Erst auf Vorhalt des anderen Vorfalls erinnerte er sich auch an diesen wieder, wobei er nun aber meinte, dass ihr Bruder und ihr Vater ihn gemeinsam mit seiner Frau gesehen hätten (Verhandlungsprotokoll S. 7 f), wohingegen er in der Einvernahme angab, dass nur ihr Bruder sie gesehen habe (AS 38). Wie der BF in der Einvernahme weiter schilderte, sei in der Folge seine Frau schwanger geworden, weshalb er im September 2021 von ihrer Familie inhaftiert worden sei. Konkret habe ihre Familie am 10.09.2021 von der Schwangerschaft erfahren, weshalb ihre Eltern am 15.09.2021 zu ihm nach Hause gekommen seien, um ihn mitzunehmen. Kurz darauf gab er aber im Widerspruch an, dass ihre Familie bereits am 10.09., 11.09. und 12.09. bei ihm zuhause gewesen sei. Da die Familie ihn dort nicht antreffen habe können, weil er fünf Tage und Nächte am Feld gewesen sei, um dort Mais anzubauen, hätten sie seine Mutter geschlagen. Auch dazu widersprach sich der BF aber sogleich, indem er in weiterer Folge angab, nur drei Tage und Nächte am Feld und am 13.09. wieder zuhause gewesen zu sein. An diesem Tag habe er von seiner Mutter von den Vorfällen erfahren. Er sei aber weiterhin seinem normalen Arbeitsalltag nachgegangen, weil er „solche Probleme“ nicht erwartet habe (AS 38 bis 40). Das ist aber in Anbetracht der gegen ihn ausgesprochenen Todesdrohungen ebenso unplausibel, wie dass weder seine Familie ihn bereits auf dem Feld vor der bestehenden Gefahr gewarnt hätte noch die Familie seiner Frau ihn auf dem Feld gesucht hätte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sagte der BF wiederum im Widerspruch zu alle dem aus, dass er sich die besagten drei Nächte auf dem Feld „versteckt“ habe (Verhandlungsprotokoll S. 10), was impliziert, dass er bereits vor dem 13.09. gewusst hätte, dass die Familie seiner Frau ihn suche. Der BF erzählte in der Einvernahme vom weiteren Geschehen, dass ihre Familie ihn zu sich nach Hause mitgenommen und ihn dort gefesselt und geschlagen habe. Sie hätten einen Verwandten von der Al Shabaab angerufen, der ihnen mitgeteilt habe, dass der BF nach den Gesetzen der Al Shabaab gesteinigt werden könne, wenn er ohne Einverständnis der Eltern Geschlechtsverkehr mit der Frau gehabt habe (AS 41). Im gewissen Widerspruch hierzu teilte der BF jedoch in der mündlichen Verhandlung mit, dass ihm seitens der Al Shabaab eine Bestrafung wegen seiner heimlichen Eheschließung ohne Zustimmung durch die Eltern gedroht hätte, weil nach Ansicht der Al Shabaab eine solche Ehe nicht gültig wäre (Verhandlungsprotokoll S. 8). Dabei ist wohlgemerkt darauf hinzuweisen, dass der BF laut seinem eigenen Vorbringen in Anwesenheit von zwei Zeugen durch einen Scheich verheiratet worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 7), wodurch entgegen der Behauptungen des BF eine nach islamischem Recht – d.h. nach der auch von der Al Shabaab angewendeten Scharia – gültige Ehe geschlossen worden wäre, sodass eine drohende Bestrafung durch die Al Shabaab nicht plausibel ist. In Bezug auf den Verwandten der Familie, der Mitglied der Al Shabaab sei, gab der BF in der Einvernahme zu Protokoll, dass dieser im Ort Basro wohnen würde, konnte dazu befragt, woher er das wisse, aber keine Antwort geben und revidierte seine Aussage sogleich darauf, dass er doch nicht wisse, wo jener Verwandte wohne. Auf Vorhalt dieses Widerspruchs rechtfertigte er sich damit, dass „alle Mitglieder der Al Shabaab“ in Basro wohnen würden, was aber offenkundig nicht den Tatsachen entspricht (AS 42). Ebenso gestalteten sich die Ausführungen des BF dazu, wie er festgehalten worden sei und wie er freigekommen sei, nicht kongruent. So meinte er zunächst, dass die Familie seiner Frau ihn in ihrem Haus gefesselt habe, dann, dass er im Hof angekettet gewesen sei (AS 41), dann, dass er in einem „Raum ohne Dach“ eingesperrt gewesen sei (AS 304), und schließlich, dass die Familie ihn in einer Hütte gefangen gehalten habe (Verhandlungsprotokoll S. 10). Zu seiner Flucht aus der Gefangenschaft erklärte er wiederum alternativ, dass er einen Baum, einen Holzzaun (AS 41) oder eine Holzwand (AS 304) weggeschoben habe. Wenig lebensnah erzählte er weiter, dass er – um ca. zwei Uhr nachts in seinem kleinen Heimatdorf – auf der Straße vor dem Haus der Familie „einen Mann“ getroffen habe, der mit einem Stein seine Ketten aufgebrochen habe (AS 41). In der Folge sei er – offenbar ebenso mitten in der Nacht – mit einem Tiertransporter in ca. zwei Stunden nach Mogadischu gefahren (AS 43). Bemerkenswerterweise erwähnte der BF zu keinem Zeitpunkt, dass er davor nach Hause zu seiner Familie gegangen wäre, obwohl dies doch sicherlich der nächstliegende Schritt gewesen wäre. Der BF gab dagegen in der Einvernahme zunächst an, dass er zu seiner Tante in Mogadischu gefahren sei (AS 39), behauptete aber in weiterer Folge im gänzlichen Widerspruch, dass diese Tante in Saudi-Arabien leben würde und er lediglich mit ihr telefoniert habe (AS 43). Diese habe ihm umgehend für die – erst Recht für vorgebliche Minderheitenangehörige – beträchtliche Summe von 3.000,- US-Dollar einen Schlepper organisiert, der ihm wiederum binnen kürzester Zeit einen gefälschten Reisepass und ein türkisches Visum besorgt hätte, sodass der BF nach bereits zwölf Tagen von Mogadischu mit dem Flugzeug in die Türkei ausreisen habe können (AS 6 ff, 39, 43; Verhandlungsprotokoll S. 5 f). Dass dies alles in dieser kurzen Zeit möglich wäre, erscheint jedoch eher unwahrscheinlich.

Aufgrund dieser Erwägungsgründe ist somit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit darauf zu schließen, dass das widersprüchliche und unplausible Fluchtvorbringen des BF nicht der Wahrheit entspricht und somit nicht glaubhaft ist.

Sonstige Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen brachte der BF nicht vor und sind auch nicht hervorgekommen.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 08.01.2024 (Version 6). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des BF über eine Bedrohung aufgrund einer heimlich geführten Beziehung ebenso wenig glaubhaft wie eine Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Minderheit. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung des BF in Somalia aus Konventionsgründen.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt B) wegen Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen, wie sie in der rechtlichen Beurteilung dargelegt wurden. Maßgeblich für die Beurteilung der Sache waren letztlich beweiswürdigende Erwägungen über die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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