AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z7
FPG §55
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L502.2262387.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2022, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.03.2023 zu Recht erkannt:
A) In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste im Jahr 2014 im Alter von 17 Jahren im Rahmen des Familiennachzugs legal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither hier auf.
2. Am 07.08.2014 wurde ihm vom Magistrat der Landeshauptstadt Salzburg erstmals ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ mit Gültigkeit bis zum 06.08.2015 erteilt. Seinen Verlängerungsanträgen wurde in der Folge stattgegeben. Er verfügte zuletzt bis zum 06.08.2018 über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Eine weitere Verlängerung des Aufenthaltstitels wurde von ihm nicht beantragt.
3. Am 12.10.2018 wurde er mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) darüber in Kenntnis gesetzt, dass von der Behörde beabsichtigt sei eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gegen ihn zu erlassen. Zugleich wurde er zur Abgabe einer Stellungnahme anhand eines Fragenkatalogs aufgefordert. Eine diesbezügliche Stellungnahme langte bei der Behörde nicht ein.
4. Er wurde mit rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 12.03.2019 wegen der Vergehen des schweren Betruges, der falschen Beweisaussage, des Diebstahls und der Urkundenunterdrückung zu einer Geldstrafe verurteilt.
5. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 06.06.2019 wurde er des Vergehens der Urkundenunterdrückung schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
6. Infolge seines Nichterscheinens zur behördlichen Einvernahme am 06.08.2019 wurde er mit Ladungsbescheid des BFA vom 01.10.2019 zu einer Einvernahme am 06.11.2019 geladen.
7. Mit Schreiben vom 05.10.2020 teilte das BFA ihm erneut mit, dass eine Beweisaufnahme im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot stattgefunden habe und wurde er anhand eines Fragenkatalogs zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert.
8. Mit Aktenvermerk des BFA vom 23.12.2020 wurde festgehalten, dass die Zustellung von Schriftstücken sowohl per Post als auch mittels Polizei erfolglos geblieben, sein Aufenthalt nicht mehr ohne weiteres feststellbar sei und keine weiteren Erhebungen möglich seien, sodass das Verfahren einzustellen sei. Gegen ihn wurde in weiterer Folge ein Festnahmeauftrag erlassen.
9. Am 14.06.2021 wurde ihm das Schreiben des BFA vom 05.10.2020 über die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch Polizeibeamte überreicht.
10. Mit Mail vom 15.06.2021 setzte das BFA die Finanzpolizei über seine unselbständige Erwerbstätigkeit nach Ablauf der Gültigkeit seines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ mit 06.08.2018 in Kenntnis.
11. Am 16.08.2021 informierte die Justizanstalt XXXX das BFA über seinen am 15.08.2021 erfolgten Strafantritt.
12. Mit Mail vom 16.08.2021 setzte das BFA die Justizanstalt XXXX über die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot in Kenntnis.
13. Am 18.08.2021 wurde er zur Prüfung der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme von einer Vertreterin des BFA in der Justizanstalt XXXX niederschriftlich einvernommen. Noch am selben Tag widerrief das BFA den Festnahmeauftrag vom 29.12.2020.
14. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 28.10.2021 wurde er des Vergehens der Urkundenunterdrückung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
15. Mit Schreiben des BFA vom 18.11.2021 wurde ihm mitgeteilt, dass er sich nach seiner Entlassung aus dem Polizeianhaltezentrum XXXX unverzüglich melderechtlich zu erfassen und einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu stellen habe, widrigenfalls gegen ihn eine Rückkehrentscheidung mitsamt einem Einreiseverbot erlassen werde.
16. Am 03.12.2021 ersuchte die Bezirkshauptmannschaft XXXX das BFA um Mitteilung des aktuellen Verfahrensstands des gegen ihn geführten aufenthaltsbeendenden Verfahrens, im Hinblick auf den bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX postalisch gestellten Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“.
17. Mit Mail vom 03.12.2021 teilte das BFA der Bezirkshauptmannschaft XXXX mit, dass das aufenthaltsbeendende Verfahren noch anhängig sei, sollte jedoch seitens der Bezirkshauptmannshaft der Ausstellung eines Aufenthaltstitels nichts entgegenstehen, werde das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingestellt werden.
18. Am 06.12.2021 teilte die Bezirkshauptmannschaft XXXX dem BFA mit, dass ihm kein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt werden könne, da er seit August 2018 nicht mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels sei. Seitens der Bezirkshauptmannschaft werde ihm die Beantragung eines humanitären Aufenthaltstitels beim BFA empfohlen.
19. Sein am 12.01.2022 gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG wurde mit Bescheid des BFA vom 27.07.2022 als unzulässig zurückgewiesen. Gegen den Bescheid wurde kein Rechtsmittel erhoben, sodass er in Rechtskraft erwuchs.
20. Einer Anfrage des BFA vom 27.09.2022 folgend übermittelte die Finanzpolizei am 28.09.2022 drei Strafanträge nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG).
21. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA wurde ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt III), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV), gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 7 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V) und ihm gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI).
22. Mit Information des BFA vom 30.09.2022 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
23. Gegen den ihm am 25.10.2022 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 11.11.2022 binnen offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
24. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 16.11.2022 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein. Das gegenständliche Beschwerdeverfahren wurde in der Folge der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichtes zur Entscheidung zugewiesen.
25. Am 17.11.2022 legte seine Vertretung dem BVwG eine Betreuungsbestätigung vor.
26. Mit Beschluss des BVwG vom 18.11.2022 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
27. Mit Schreiben vom 10.03.2023 teilte seine Vertretung dem BVwG mit, dass der Großvater des BF zur anberaumten Verhandlung am 13.03.2023 erscheinen werde und als Zeuge befragt werden könne.
28. Das BVwG führte am 13.03.2023 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF in dessen Anwesenheit, der seines Großvaters und der seines Vertreters durch. Dabei brachte er ein Beweismittel in Vorlage, das zum Akt genommen wurde.
29. Am 15.03.2023, 17.03.2023 und 20.03.2023 langten im Gefolge eines Ersuchens des BVwG an die jeweiligen Strafgerichte die gekürzten Urteilsausfertigungen ein.
30. Am 24.05.2023 richtete das BVwG eine Anfrage an seine Vertretung im Hinblick auf eine zwischenzeitlich allenfalls absolvierte Integrationsprüfung.
31. Mit Mail vom 07.06.2023 teilte seine Vertretung mit, dass die Benotung der Prüfung noch ausständig sei.
32. Am 26.06.2023 brachte seine Vertretung ein Schreiben des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Vorlage.
33. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem AJ-Web, dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an und wurde am XXXX in der Türkei geboren.
Seine Eltern sind seit seiner Kindheit geschieden. Er wuchs in XXXX bei seiner Mutter auf und besuchte dort die Schule. Nach einem Streit mit seiner Mutter ist er im Jahr 2012 mit Freunden nach Istanbul gezogen, um dort einer Arbeit nachzugehen. Er wurde jedoch mit Hilfe der türkischen Polizei wieder zu seiner Mutter nach XXXX zurückgebracht. Dort blieb er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014, wobei er bis 2013 bei seiner Mutter wohnhaft war. Er ging in dieser Zeit gelegentlich einer Erwerbstätigkeit auf Baustellen nach. Nachdem seine Mutter nach Deutschland verzogen war, war er bis zu seiner Ausreise bei „Arbeitskollegen“ wohnhaft.
Im Jahr 2014 reiste er legal im Wege des Familiennachzuges zu seinem bereits in Österreich aufhältigen Vater, der ebenso türkischer Staatsangehöriger ist. Seinem sodann gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ wurde vom Magistrat der Landeshauptstadt XXXX stattgegeben und wurde ihm der beantragte Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom 07.08.2014 bis 06.08.2015 erteilt. Der Aufenthaltstitel wurde in der Folge mehrmals verlängert, sodass er bis zum 06.08.2018 über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ verfügte. Eine weitere Verlängerung seines Aufenthaltstitels wurde nicht mehr beantragt.
Er war von 06.11.2014 bis 08.01.2016 bei seinem Vater in XXXX wohnhaft. Danach verzog er nach XXXX , wo er von 08.01.2016 bis 12.02.2018, von 14.02.2018 bis 06.04.2018, von 15.10.2018 bis 14.11.2018, von 20.02.2019 bis 20.11.2019, von 23.12.2021 bis 22.03.2022 und von 28.03.2022 bis 05.12.2022 meldepolizeilich mit Hauptwohnsitz registriert war. Von 30.11.2021 bis 23.12.2021 war er bei der Caritas XXXX als obdachlos registriert. Von 24.10.2018 bis 03.11.2018, von 10.04.2019 bis 22.05.2019, von 27.11.2019 bi 08.01.2020 und von 15.11.2021 bis 24.11.2021 wurde er im Polizeianhaltezentrum XXXX angehalten. Von 16.08.2021 bis 15.11.2021 war er in der Justizanstalt XXXX zur Vollziehung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert. Aktuell wohnt er alleine in einer Mietwohnung in XXXX . Die monatlichen Mietkosten in Höhe von EUR XXXX werden je zur Hälfte von seinem Großvater und seinem Vater getragen.
Er bezog bislang keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Er war von 20.04.2015 bis 30.09.2015, von 01.10.2015 bis 09.01.2016, von 08.03.2016 bis 07.01.2017, von 09.01.2017 bis 26.01.2018, von 05.03.2018 bis 12.03.2018, von 30.05.2018 bis 09.06.2018, von 24.09.2018 bis 16.10.2018, von 11.01.2019 bis 21.03.2019, von 22.03.2019 bis 31.03.2019, von 01.04.2019 bis 30.06.2019, von 22.08.2019 bis 18.09.2019, von 28.01.2020 bis 13.03.2020, von 01.04.2020 bis 19.07.2020, von 30.04.2021 bis 03.05.2021, von 12.05.2021 bis 07.06.2021 und von 01.02.2022 bis 01.03.2022 bei mehreren Arbeitgebern unselbständig erwerbstätig, wobei die längste durchgehende Beschäftigungsdauer bei einem Arbeitgeber ein Jahr und 18 Tage betrug (von 09.01.2017 bis 26.01.2018).
Er ist seit 24.02.2023 als geringfügig beschäftigter Arbeiter bei der Österreichischen Gesundheitskasse angemeldet, ist jedoch aktuell beschäftigungslos.
Von 24.01.2016 bis 07.03.2016, von 02.03.2018 bis 12.03.2018 und von 09.05.2018 bis 10.05.2018 bezog er Arbeitslosengeld.
Er spricht Türkisch und Kurdisch und verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse für den Alltagsgebrauch. Er hat aber die am 21.04.2023 stattgefundene Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Sprachniveau A2 nicht bestanden.
In der Türkei sind ein Onkel und eine Schwester mütterlicherseits wohnhaft, wobei er mit ihnen keinen Kontakt pflegt. Seine Mutter hat zwischenzeitlich wieder geheiratet und lebt in Deutschland. Mit ihr besteht nur ein loser Kontakt. In Österreich sind neben seinem Vater und seinen Großeltern auch weitere Verwandte väterlicherseits wohnhaft. Seine Großeltern wohnen in XXXX . Sein Vater, welcher eine zweite Ehe einging, aus der drei Kinder entstammen, lebt ebenso in XXXX . Sein Vater ist als Paketzusteller erwerbstätig. Seit Anfang des Jahres 2023 steht er mit seinem Vater wieder regelmäßig in Kontakt, wobei sie täglich miteinander telefonieren und sich samstags persönlich treffen.
Er ist gesund, arbeitsfähig, ledig und kinderlos.
Er weist in Österreich mehrere Verwaltungsübertretungen auf. Unter anderem wurde er wegen Übertretungen nach dem Meldegesetz und wegen § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG verwaltungsstrafrechtlich verurteilt.
1.2. Er wurde in Österreich drei Mal strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt:
1.2.1. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 12.03.2019, rechtskräftig mit 16.03.2019, wegen der Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB, der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und 4 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 288 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von XXXX zu je XXXX , im Nichteinbringungsfall zu XXXX Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.
Das Strafgericht sah es als erwiesen an, dass er
A) am 03.04.2018 in XXXX mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der XXXX durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vorgabe seiner Rückzahlungswilligkeit- und -fähigkeit, dazu verleitete, ihm einen Ankaufkredit für den Kauf des PKW der Marke BMW 320d in Höhe von EUR 13.900,-- zu gewähren, sohin zu einer Handlung verleitete, die die XXXX in einem insgesamt EUR 5.000,--, nicht jedoch EUR 50.000,-- übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte;
B) am 12.10.2018 in XXXX in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei bzw. der Polizeiinspektion XXXX als Zeuge bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache durch die wahrheitswidrige Aussage, dass er von einem Diebstahl einer Gasflasche nichts wisse sowie dass sein Cousin XY ihm die amtlichen Kennzeichentafeln XY geliehen habe und er nicht wisse wer mit diesen gefahren sein könnte, falsch ausgesagt hat;
C) mit abgesondert verfolgten Personen im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter nachgenannten Personen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt EUR 5.000,-- nicht übersteigenden Wert mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
1) in XXXX Verfügungsberechtigten der XXXX
a) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum Ende September bis Mitte Oktober 2018 fünf volle Gasflaschen im Gesamtwert von EUR 381,50;
b) am 10.11.2018 vier Gasflaschen im Gesamtwert von EUR 172,--;
c) am 11.11.2018 zwei volle und zwei leere Gasflaschen im Gesamtwert von EUR 238,60;
2) zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Zeitraum Ende August bis Ende Oktober 2018 in XXXX Verfügungsberechtigten des XXXX drei leere Gasflaschen im Gesamtwert von EUR 129,--;
3) am 09.10.2018 in XXXX dem XXXX eine Gasflasche im Wert von EUR 43,--;
D) im Zeitraum 10.09.2018 bis zum 14.09.2018 in XXXX Urkunden, nämlich die amtlichen Kennzeichentafeln XY des PKW des XY, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt hat, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem er sie abmontierte und mitnahm.
Bei der Strafbemessung wertete das Landesgericht seine Unbescholtenheit und sein Geständnis sowie den Umstand, dass er bei der Tatbegehung teilweise unter 21 Jahre alt war, mildernd. Erschwerend wertete es das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.
1.2.2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 06.06.2019, rechtskräftig mit 12.06.2019, wurde er wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von XXXX zu je XXXX , im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von XXXX , verurteilt.
Der Verurteilung lag der Sachverhalt zu Grunde, dass er am 16.03.2019 in XXXX die Kennzeichentafeln eines PKW abmontiert und mitgenommen hat und sohin eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt hat, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde. Bei der Strafbemessung wurde sein Geständnis mildernd gewertet. Erschwerend wurden seine Vorstrafe und der rasche Rückfall (nur vier Tage nach der Verurteilung) gewertet.
Am 15.11.2021 wurde er bedingt unter der Setzung einer Probezeit von einem Jahr aus der Ersatzfreiheitsstrafe entlassen. Zugleich wurde Bewährungshilfe angeordnet.
1.2.3. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 28.10.2021, rechtskräftig mit 03.11.2021, wurde er wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Er wurde schuldig gesprochen, im Zeitraum vom 08.05.2020 bis 09.05.2020 in XXXX Kennzeichentafeln, somit Urkunden, über die er nicht oder nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt zu haben, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, indem er die Kennzeichentafeln von zwei PKWs abmontierte und diese an sich nahm bzw. teilweise auf anderen PKWs anbrachte.
Bei der Strafbemessung wurde sein Geständnis mildernd gewertet, erschwerend seine zwei einschlägigen Vorstrafen sowie der rasche Rückfall.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, durch Einsichtnahme in die strafgerichtlichen Verurteilungen und durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters, des IZR, des AJ-Web und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.
2.2. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangte das BVwG zu den Feststellungen oben, die insgesamt unstrittig waren, zumal sie sich auf den vorliegenden Akteninhalt, den amtswegig eingeholten Strafurteilen, seinen glaubhaften Angaben vor dem BFA und dem BVwG, den von ihm vorgelegten Beweismitteln sowie auf unzweifelhafte Datenbankauskünfte stützten.
Die Feststellung, dass er aktuell beschäftigungslos ist, stützte sich auf seine eigenen Angaben im Rahmen der Beschwerdeverhandlung.
Auf die zeugenschaftliche Befragung seines Großvaters wurde im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung seitens seiner Vertretung verzichtet.
3. Rechtliche Beurteilung:
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des BFA.
Zu A)
1.1. § 57 AsylG idgF lautet:
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) – (4) ...
§ 58 AsylG idgF lautet:
(1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. …
2. …
3. …
4. …
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) – (14) ...
§ 10 AsylG idgF lautet:
(1) …
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) ...
§ 52 FPG idgF lautet:
(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. …
(2) – (4) ...
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) – (8) …
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) – (11) ...
§ 9 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) …
(5) …
(6) …
Art. 8 EMRK lautet:
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
§ 55 FPG lautet:
(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) …
(3) …
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) …
1.2. Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.
In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können.
Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 lautet:
Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
– nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
– nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
– nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 lautet:
Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.
Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.
Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie (nur) unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130; sowie VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).
1.3. In seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, führte der VwGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 27.6.2006, ZI. 2006/18/0138 und VwGH 26.09.2007, ZI. 2007/21/0215) zunächst aus, dass der Europäische Gerichtshof für die Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ausgeführt hat, dass darauf abzustellen sei, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setze den zuständigen nationalen Behörden Grenzen, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaats getroffene Ausweisungsentscheidung gelten (EuGH 10.2.2000, Nazli, C-340/97, Rn. 56 ff, sowie EuGH 11.11.2004, Cetinkaya, C-467/02, Rn. 43 ff). Im Hinblick auf die somit in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeordnete Gleichbehandlung von ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen einerseits und - im Ergebnis - EWR-Bürgern andererseits folgerte der VwGH für das FPG in der Stammfassung, dass solche Maßnahmen gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Unionsbürger-RL umgesetzt wurde und der demnach umschrieb unter welchen Voraussetzungen (insbesondere) gegen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, in Betracht kämen und maß die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen an den Kriterien dieser Bestimmung (siehe etwa VwGH 27.06.2006, ZI. 2006/18/0138).
Im Weiteren legte der VwGH dar:
„Dass in Bezug auf den Umfang der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgelegt wird, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht (vgl. EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, Rn. 67). Im eben genannten Urteil wurde aber erkannt, dass der erhöhte Ausweisungsschutz, wie er in Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL festgelegt ist (umgesetzt ursprünglich durch § 86 Abs.1 fünfter Satz FPG, jetzt durch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG), nicht auch auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu übertragen sei (Rn. 74).
Demgegenüber sei - gemäß den Rn. 79 ff des genannten Urteils Ziebell - für ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige, die sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthalts-RL) maßgeblich, sodass es darauf ankomme, ob der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt“ (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).“
Aus diesen Ausführungen leitete der VwGH ab, dass seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage komme, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt, sohin in Form eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG idgF, nicht mehr aufrechterhalten werden könne.
Infolge der Novelle des FPG durch das FrÄG 2011 sei es vielmehr zu einer grundsätzlichen Neuordnung des Systems aufenthaltsbeendender Maßnahmen gekommen, der zufolge in Umsetzung der Rückführungs-RL die neuen Institute der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots in das nationale Recht eingeführt wurden. Schließlich sei dieses neue System mit dem FNG-Anpassungsgesetz (BGBl I 68/2013) weiter verändert worden, weshalb mit Wirksamkeit vom 01.01.2014 die Rechtsinstitute der Ausweisung und des Aufenthaltsverbotes nach den §§ 66 und 67 FPG idgF ausschließlich gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kämen. Für alle sonstigen Drittstaatsangehörigen komme hingegen nur mehr eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot gemäß § 53 FPG, als aufenthaltsbeendende Maßnahme in Betracht.
Daran anknüpfend hielt der Verwaltungsgerichtshof erstmals fest, dass türkische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 „sonstige“ Drittstaatsangehörige darstellen und daher dem Wortlaut des § 52 FPG folgend dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung unterliegen.
Erläuternd führte der VwGH aus: „Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG)“ (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).
1.4. Aus diesen Ausführungen des VwGH ergibt sich nunmehr, dass gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung, allenfalls samt Einreiseverbot, zu erlassen ist.
1.5. Im angefochtenen Bescheid ging die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung vom unrechtmäßigen Aufenthalt des BF in Österreich aus, weshalb sie eine amtswegige Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG für rechtskonform hielt. Dass es sich bei ihm um einen türkischen Staatsangehörigen handelt, der im Jahr 2014 im Rahmen des Familiennachzugs zu seinem im Bundesgebiet aufhältigen türkischen Vater legal einreiste und beginnend ab dem Jahr 2015 einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachging, wurde keiner rechtlichen Würdigung unterzogen.
Angesichts dieses festgestellten Sachverhaltes war jedoch zu prüfen, ob er am regulären Arbeitsmarkt in Österreich als Arbeitnehmer über einen bestimmten Zeitraum eine ordnungsgemäße und echte Tätigkeit im Sinne des ARB ausgeübt hat, welche nicht wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich war (vgl. zum Arbeitnehmerbegriff und zum Verlust erworbener Rechte: EuGH C-14/09, Genc, vom 04.02.2010; EuGH, C-337/07, Altun, vom 18.12.2008).
In Anbetracht der festgestellten Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet war zu konstatieren, dass dieser die in Art. 6 ARB 1/80 vorgesehene Rechtstellung aufgrund seiner Beschäftigung beim selben Arbeitgeber im Zeitraum vom 09.01.2017 bis 26.01.2018 erworben hat.
1.6. Ein Verlust dieser Rechtsstellung ist nach der hg. Rechtsprechung in zwei Konstellationen denkbar: Entweder der Fremde ist für einen nicht bloß vorübergehenden Zeitraum vom Arbeitsmarkt abwesend (vgl. VwGH 14.06.2007, 2007/18/0182) oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Art. 14 ARB dar (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).
Es kam im Verfahren nicht hervor, dass er das Bundesgebiet ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum verlassen hat, sodass er seiner erworbenen Rechtsstellung aus diesem Grund nicht verlustig wurde.
Ein Verlust der Rechtsstellung des BF könnte daher allenfalls daraus resultieren, dass von ihm wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit iSd Art. 14 ARB 1/80 ausgeht.
Im Lichte der getroffenen Feststellungen kamen für das BVwG keine Anhaltspunkte für eine derartige Gefährdungsannahme hervor. Zwar wurde er insgesamt drei Mal rechtskräftig verurteilt, jedoch legen diese Verurteilungen aus folgenden Erwägungen keine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung und Gesundheit nahe.
Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 12.03.2019 wegen der Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB, der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und 4 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB nach dem Strafsatz des § 288 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 06.06.2019 sowie mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 28.10.2021 wurde er wiederholt der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Das Bezirksgericht XXXX sprach eine weitere Geldstrafe gegen ihn aus, das Bezirksgericht XXXX verhängte gegen ihn eine gänzlich bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von drei Monaten. Von den Strafgerichten wurden seine Unbescholtenheit, sein Geständnis und der Umstand, dass er bei manchen Tatbegehungen teilweise unter 21 Jahre alt war, gewertet. Erschwerend wurde das Zusammentreffen von mehreren Vergehen, seine Vorstrafe und der rasche Rückfall gewertet.
Der maßgebliche Strafrahmen des § 288 Abs. 1 StGB sieht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Unter Anwendung des § 37 StGB (Verhängung von Geldstrafen an Stelle von Freiheitsstrafen) hat das Landesgericht XXXX gegen den BF lediglich eine Geldstrafe von XXXX ausgesprochen. Der Strafrahmen des § 229 Abs. 1 StGB sieht wiederum bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen vor, demgegenüber wurde der BF zu einer Geldstrafe von XXXX bzw. zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Die Höhe der verhängten Strafen bewegen sich sohin im unteren Bereich des Strafrahmens und erreichen nicht jenes Maß, das eine gravierende Straffälligkeit erkennen ließe.
Vor dem Hintergrund, dass er sein ehemaliges soziales Umfeld in XXXX aufgegeben hat und nunmehr wieder in XXXX lebt, wo er von seinem Vater und Großvater Unterstützung erhält, ist zudem von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen. Zu beachten war darüber hinaus, dass die letzte Straftat am 09.05.2020 verübt wurde. Seitdem ist er nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch war für das BVwG im Rahmen der Beschwerdeverhandlung erkennbar, dass er aus seinem damaligen Fehlverhalten gelernt hat. Bei der Beurteilung der Gefährdungsprognose konnte das BVwG auch auf einen Bericht des Vereins Neustart zurückgreifen. Darin wurde das Risiko für die Begehung eines weiteren Delikts aus sozialarbeiterischer Sicht als gering eingestuft.
1.7. Die Voraussetzungen für die Annahme, dass von ihm wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit iSd Art. 14 ARB 1/80 ausgeht, liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes sohin nicht vor.
Er hat folgerichtig auch nicht seine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 verloren, was bedeutet, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet nicht unrechtmäßig ist. Die belangte Behörde hat ihre Rückkehrentscheidung daher zu Unrecht auf die Bestimmung des § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG gestützt.
1.8. Mit Blick auf die zitierte Judikatur des VwGH bleibt auch festzuhalten, dass gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen werden kann, allerdings setzt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine Gefährdung voraus, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL – umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG – entspricht (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).
Insofern die Behörde daher erwägen sollte, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, hätte sie den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden, da er sich seit ca. acht Jahren und acht Monaten im Bundesgebiet aufhält.
Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) entspricht dem Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs. 6 FPG und erfordert daher einen höheren Gefährdungsgrad als § 53 Abs. 3 FPG („schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“; vgl. VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0103, Rz 17).
Zur Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG judiziert der VwGH in ständiger Rechtsprechung, dass dabei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen ist und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die (jeweils) anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 28.05.2020, Ra 2019/21/0325).
Im Lichte der obigen Erwägungen kamen für das BVwG jedoch keine Anhaltspunkte für eine derartige Gefährdungsannahme hervor. Darüber hinaus wurde mit keiner seiner Verurteilungen ein Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 bis Z. 5 FPG verwirklicht. Auch kamen im Verfahren keine Hinweise hervor, die das Vorliegen der Z. 6 bis Z. 9 des § 53 Abs. 3 FPG als gegeben erscheinen lassen. Wie oben ausgeführt wurde, besteht bei ihm auch eine positive Zukunftsprognose. Zudem wäre von der Behörde bei der durchzuführenden Interessensabwägung zu beachten, dass er im Bundesgebiet über gewichtige familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Aufgrund seines langjährigen und rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet und des Umstandes, dass sein Vater und sein Großvater, welche seine wichtigsten Bezugspersonen innerhalb der Familie darstellen, hier wohnhaft sind, er als 17-jähriger nach Österreich kam und er in der Türkei nur über wenige familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, ist auch davon auszugehen, dass keine starken Bindungen mehr zum Heimatstaat bestehen. Bei der Interessensabwägung sind schließlich auch seine sehr guten Deutschkenntnisse und seine berufliche Integration zu beachten. Seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und Verwaltungsübertretungen sind zwar eine Bedeutung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zuzugestehen, jedoch führen diese nach Ansicht des BVwG bei einer Gesamtabwägung nicht zu einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
1.8. Folgerichtig war auch die vom BFA von Amts wegen vorgenommene und auf die Bestimmung des § 58 Abs. 1 Z. 5 AsylG gestützte Prüfung der amtswegigen Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht rechtskonform.
2. Spruchpunkt I und Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides waren daher aufzuheben, woraus auch die Behebung der Spruchpunkte III, V und VI des angefochtenen Bescheides resultierte.
3. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
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