FPG §46a Abs2
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46a Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:I413.2139937.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Marokko, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.11.2016, Zl 1128447005, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Marokko und stellte am 02.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG). Dieser Antrag wurde vom BFA am 19.09.2016 abgewiesen und ua ausgesprochen, dass eine Abschiebung nach § 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) nach Marokko zulässig ist. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2. Mit angefochtenem Bescheid vom 04.11.2016, Zl. 1128447005, trug die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß "§ 46 Absatz 2a Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005, idgF (FPG)" auf, mit seiner zuständigen ausländischen Behörde seines Herkunftsstaates (Botschaft, Konsulat) Kontakt aufzunehmen, an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken und dieses dem Bundesamt vorzulegen und weiters, innerhalb von 3 Wochen ab Durchsetzbarkeit dieses Bescheides diesem Auftrag nachzukommen und dies der belangten Behörde nachzuweisen, wobei im Falle der Unterlassung der Folgeleistung dieses Auftrages ohne wichtigen Grund (Krankheit, Behinderung, andere wichtige Gründe) mit der Verhängung einer Haftstrafe von 14 Tagen zu rechnen sei (Spruchpunkt I.) Zugleich schloss die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß "13 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF," aus (Spruchpunkt II.).
3. Begründend führte das BFA aus, dass der Beschwerdeführer von Gesetzes wegen verpflichtet sei, an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments mitzuwirken, wobei diese Verpflichtung auch mit Bescheid unter sinngemäßer Anwendung des § 19 Abs 2 bis 4 AVG durchgesetzt werden könne. Der Beschwerdeführer sei nicht gewillt, freiwillig auszureisen und behindere die Behörden an deren Auftragserfüllung und der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes. Da der Beschwerdeführer nicht bereit sei, mit den Behörden der Republik Österreich zusammenzuarbeiten, sei es unabwendbar, die Mitwirkung des Beschwerdeführers an der Erlangung eines (Ersatz‑)Reisedokuments unter Androhung einer Strafe aufzuerlegen.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei er im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides monierte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1. Der Beschwerdeführer stellte am 02.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.09.2016, Zahl: 1128447005/161208157/BMI-BFA_STM_RD, negativ entschieden wurde. Dieser Bescheid trifft zugleich eine Rückkehrentscheidung. Der Bescheid ist seit 04.10.2016 in Rechtskraft erwachsen.
2. Der Beschwerdeführer besitzt kein Reisedokument. Um die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes hat sich der Beschwerdeführer nicht bemüht.
3. Die belangte Behörde, das BFA, hat bei der für den Beschwerdeführer zuständigen ausländischen Behörde, der Botschaft des Königreiches Marokko, kein Ersatzreisedokument für die Abschiebung eingeholt oder ein Reisedokument für dessen Rückführung ausgestellt.
2. Beweiswürdigung
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in die Beschwerde sowie in das Zentrale Melderegister Beweis erhoben. Hieraus ist geht hervor, dass der Beschwerdeführer einen Reisepass und einen Personalausweis hatte, diese Dokumente jedoch in der Türkei gestohlen worden sind und sich der Beschwerdeführer nicht auf die Botschaft Marokkos begeben hatte, um neue Dokumente zu erhalten. Dass die belangte Behörde bei der Botschaft Marokkos kein Ersatzdokument für die Abschiebung eingeholt oder dem Beschwerdeführer ein Reisedokument für dessen Rückführung ausgestellt hat, ergibt sich aus dem bekämpften Bescheid, in welchem der Beschwerdeführer dazu verpflichtet wird, selbst Kontakt mit der Botschaft Marokkos aufzunehmen und an der Erlangung des Ersatzreisedokuments mitzuwirken.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A) Zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides:
3.1. Zur Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 46 Abs 2a FPG kann die Verpflichtung zur Mitwirkung zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments nach § 46 Abs 2 FPG mit Bescheid angeordnet werden, wobei die Bestimmungen über Ladungen gemäß § 19 Abs 2 bis 4 AVG sinngemäß gelten.
Nach § 46 Abs 2 FPG "[...] hat das Bundesamt bei der für ihn [für den Beschwerdeführer] zuständigen ausländischen Behörde ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen auszustellen." Hierfür gilt § 97 Abs 1 FPG betreffend die Ausstellung eines für eine einmalige Ausreise gültigen Reisedokuments. Zuletzt ordnet § 46 Abs 2 FPG an, dass "[d]er Fremde [...] an den notwenigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments im erforderlichen Umfang mitzuwirken" hat.
Damit sind die Aufgaben des Beschwerdeführers und der belangten Behörde klar umrissen. Die belangte Behörde muss bei der für den Beschwerdeführer zuständigen ausländischen Behörde ein Ersatzreisedokument einholen oder ein Reisedokument für dessen Rückführung ausstellen. Der Beschwerdeführer hat im erforderlichen Umfang an den notwendigen Handlungen zur Erlangung des Ersatzreisedokuments mitzuwirken.
Im vorliegenden Fall ordnet die belangte Behörde die Kontaktaufnahme des Beschwerdeführers mit der Botschaft Marokkos an. Damit wälzt sie ihre Verpflichtung, ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen, zur Gänze auf den Beschwerdeführer ab.
Den Beschwerdeführer trifft aber nach dem Gesetz lediglich eine Mitwirkungspflicht im erforderlichen Umfang. Diese Mitwirkungspflicht ist weitreichend und umfasst jedenfalls die Herausgabe aller Dokumente und die Mitwirkung an der Feststellung der Identität und Staatsbürgerschaft (Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 46 FPG, K 14). Sie kann auch bescheidmäßig auferlegt und kann mit einer Ladung nach § 19 AVG vor eine zuständige ausländische Behörde verbunden werden (Filzwieser et al, aaO, § 46 FPG, K 15, sowie E 4 und E 5). Die Mitwirkungspflicht wird auch die Mitwirkung an der Ausstellung eines solchen Reisedokuments, zB die Leistung einer Unterschrift oder die Abgabe von Fingerabdrücken udgl sowie eines Passfotos zur Ausstellung eines rechtsgültigen Reisedokuments umfassen. Andererseits darf die, wenn auch weitreichende Mitwirkungspflicht nicht überspannt werden. Eine Mitwirkungspflicht entbindet die belangte Behörde grundsätzlich nicht von ihrer Verpflichtung, die ihr vom Gesetz auferlegten Aufgaben zu erfüllen.
Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde nach § 46 Abs 2 FPG das für den Beschwerdeführer erforderliche Reisedokument bei der Botschaft Marokkos einholen müssen, wobei sie dem Beschwerdeführer - etwa nach erfolgten Schreiben an die Botschaft oder nach erfolgter Vereinbarung eines Termins zur Ausstellung des Reisedokuments - mit Bescheid die Mitwirkung an der Ausstellung eines gültigen Reisedokument in der Botschaft vorschreiben hätte können. Hierbei hätte sie diesen auch vor die Botschaft iSd § 19 Abs 2 AVG laden können.
Im vorliegenden Fall kam aber die belangte Behörde ihrer Pflicht nach § 46 Abs 2 FPG, das Reisedokument bei der für den Beschwerdeführer zuständigen ausländischen Behörde einzuholen, nicht nach. Diese Pflicht kann nicht im Wege der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers nach § 46 Abs 2a FPG auf diesen abgewälzt werden. Der bekämpfte Bescheid überspannt die nach § 46 Abs 2a FPG normierte, weitreichende Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers, sodass der Bescheid ersatzlos zu beheben war.
Auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage der Unionswidrigkeit des angefochtenen Bescheides war infolge der Aufhebung des Bescheides nicht einzugehen. Hingewiesen sei aber, dass eine Zwangsstrafe nach dem VVG nicht mit der Schubhaft gleichgesetzt werden kann, dient diese lediglich der Erreichung der Mitwirkung an der Erlangung eines Reisedokuments. Der Schubhaft kommt dagegen nach Auffassung des VwGH nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu (VwGH 27.01.2011, 2008/21/0595).
3.2. Zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides):
Mit Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen, weil "nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides [...] wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist".
Die belangte Behörde zeigt in ihrer Entscheidung eindeutig auf, inwiefern die Voraussetzung des § 13 Abs 2 VwGVG ist im vorliegenden Beschwerdefall erfüllt sind und lag für die belangte Behörde auch kein Grund vor, im Rahmen der Ermessensübung vom Ausschluss der aufschiebenden Wirkung Abstand zu nehmen. Es bestanden keine Gründe für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, zumal der Beschwerdeführer aus einem sicheren Drittstaat stammt (§ 1 Z 9 Herkunftsstaaten-Verordnung) und daher die Entscheidung auch in Marokko hätte abwarten können.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Der maßgebliche Sachverhalt war aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl § 27 VwGVG). Eine mündliche Erörterung hätte auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.
Zu B) Zulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im vorliegenden Fall fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Pflicht des BFA, ein Ersatzreisedokument bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde einzuholen und zur Frage der Reichweite des Mitwirkungsrechts des Fremden nach § 46 Abs 2a FPG im Zusammenhang mit der Pflicht des BFA, ein Ersatzreisedokument bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde einzuholen.
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