Erhöhte Familienbeihilfe bei Vorliegen einer erheblichen Behinderung und voraussichtlch dauernder Erwerbsunfähigkeit
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.7102287.2018
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Ri in der Beschwerdesache VN VN2 NN, Straße-Hausnr-Stg-Top, 1220 Wien, vertreten durch Mag. SACHWALTER, als Sachwalterin für VN NN, Adresse-SW, 1060 Wien, über die Beschwerde vom 16.08.2017 gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 2/20/21/22 vom 17.07.2017, betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe ab 07.2016 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen wurde VN NN, in der Folge mit Bf. bezeichnet, auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 12.6.2013 ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ab Juli 1999 bescheinigt.
Aufgrund dieses Gutachtens bezog die am GebDat geborene Bf. zuletzt im Jahr 2016 die erhöhte Familienbeihilfe.
Mit Bescheinigung des Sozialministeriumservice wurde der Bf. auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom 17.5.2016 ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 vH bescheinigt. Der Bf. wurde eine emotional instabile Persönlichkeit, ORS da leichte Beeinträchtigung im Alltag bei weitgehender Selbständigkeit attestiert. Als Positionsnummer der Behinderung war 03.04.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung angeführt. Der Grad der Behinderung liege vor seit 05/2016. Die Bf. sei voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dass die Erwerbsunfähigkeit nun nicht mehr gegeben sei wurde damit begründet, dass keine Befunde vorlägen bzw. keine fachspezifische Therapie stattfinde.
Der Bf. wurde mit 9.6.2016 in Form einer Mitteilung des Finanzamtes über den Wegfall des Anspruches auf Familienbeihilfe ab 1.7.2016 informiert.
Gegen den „Bescheid vom 17.5.2016“ (gemeint die Bescheinigung des Sozialministeriumservice) erhob die Bf., vertreten durch ihre Sachwalterin, Dr. SACHWALTER, Beschwerde, legte ein Neurologisch-Psychiatrisches Gutachten vom 13.1.2013 vor, welches aus Anlass eines Verfahrens beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien betreffend die Bestellung der Sachwalterin erstellt worden war, und beantragte die Weiterzahlung der Familienbeihilfe. Vorgelegt wurde ein Schreiben vom 27.5.2016 der Wiener Gebietskrankenkasse an die Bf., mit welchem dieser die Höhe des von ihr ab 1.3.2014 bezogenen Rehabilitationsgeldes mitgeteilt wurde.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 30.1.2017 wies das Finanzamt die Beschwerde zurück und führte begründend aus, dass es sich bei dem Gutachten des Sozialminsteriumservice um keinen Bescheid einer Abgabenbehörde in erster Instanz handle.
Mit Bescheid vom 17.7.2017 wies das Finanzamt den Antrag der Bf. auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Juli 2016 ab und führte begründend aus, laut amtsärztlichem Sachverständigengutachten vom 17.5.2016 sei der Grad der Behinderung der Bf. im Ausmaß von 40 vH und keine Erwerbsunfähigkeit festgestellt worden. Es bestehe daher ab Juli 2016 kein Anspruch auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe.
Dagegen erhob die Bf., vertreten durch ihre Sachwalterin, Beschwerde. Vorgelegt wurde das bereits vorgelegte Gutachten sowie ein weiteres, in der Sachwalterschaftssache erstelltes Psychiatrisches Gutachten vom 11.4.2016. Die Beschwerde wurde damit begründet, dass laut psychiatrischem Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2013 bei der Antragstellerin eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu Impulsivität und selbstschädigenden Handlungen bestehe. Laut Sachverständigengutachten vom 11. April 2016 leide die Klägerin an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotionaler Instabilität, Unreife und dependenten Zügen. Anamnestisch finde sich auch eine Suchterkrankung. Dass laut amtsärztlichem Sachverständigengutachten vom 17. Mai 2016 der Grad der Behinderung der Antragstellerin im Ausmaß von 40 % festgestellt worden sei, könne nicht nachvollzogen werden. Laut „unserer Erfahrung mit ihr“ sei keine Verbesserung, sondern vielmehr eine Verschlechterung ihres psychischen Zustandes eingetreten. Die Antragstellerin leide nach wie vor an einer psychiatrischen Erkrankung und habe es bis dato nicht geschafft, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach Bericht der Bezugsbetreuerin, fühle sie (gemeint: die Bf.) sich schon seit längerer Zeit depressiv und könne nicht gut schlafen. Ihre Termine beim AMS habe sie mehrfach versäumt, bei einer vom AMS für diesen Monat verordneten Kursmaßnahme habe sie sich nach einem Tag krank gemeldet.
Das Finanzamt forderte die Bf. mit Schreiben vom 16.11.2017 auf, einen Nachweis für die Einbehaltung der Eigenleistung ab 22.5.2013 für vollbetreutes Wohnen zu erbringen, einen Einkommensnachweis sowie einen Pflegegeldbescheid vorzulegen.
Die Sachwalterin übermittelte eine Mitteilung des Arbeitsmarktservice vom 16.10.2017 betreffend Anspruch auf Gewährung der Notstandshilfe von 19,71 Euro täglich für die Zeit vom 3.10.2017 bis 1.10.2018 und erklärte, die Bf. beziehe kein Pflegegeld. Die Bf. sei mit 22.5.2013 als Untermieterin der ORGANISATION in ihre Wohnung in 1220 Wien, Straße-Hausnr-Stg-Top eingezogen und sei seither in keiner vollbetreuten Einrichtung. Weiters wurde ein Nutzungsvertrag vorgelegt, in welcher die ORG als Hauptmieterin der Bf. als Wohnungsnutzerin entgeltlich eine Wohnung überließ. Als Vertragsdauer wurde der Zeitraum vom 22.5.2013 bis 31.5.2014 angeführt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 1.3.2018 wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend verwies das Finanzamt auf die Sachverständigengutachten vom 17.5.2016 und vom 10.2.2018. Diesen sei zu entnehmen, dass das Unvermögen der Bf., sich den Unterhalt selbst zu verschaffen, seit Mai 2016 nicht mehr vorliege. Da die amtsärztlichen Gutachten in schlüssiger und nachvollziehbarer Art zum gleichen Ergebnis führten, sei das Finanzamt daran gebunden.
Das Gutachten vom 10.2.2018 kam im Wesentlichen zur selben Einschätzung wie das Gutachten vom 17.5.2016. Die Verneinung einer voraussichtlich dauernden Unfähigkeit der Bf., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wurde im Gutachten vom 10.2.2018 damit begründet, dass keine höhergradigen psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen vorlägen, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen würden.
Die Bf. stellte einen Vorlageantrag.
Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht wurde der Sachwalterin mit Schreiben vom 25.5.2018 Folgendes vorgehalten:
„Sie haben in o.a. Beschwerdesache den Bescheid des Finanzamtes mit der Begründung bekämpft, es sei keine Verbesserung des psychischen Zustandes der Beschwerdeführerin (Bf.) eingetreten. Dies ist insofern unzutreffend, als die Bf. zum Zeitpunkt der letzten Begutachtung noch befristet pensioniert war, während sie nunmehr Leistungen des AMS bezieht, was voraussetzt, dass sie auch arbeitsfähig ist. Die geringen Bezüge des AMS sind Folge der Einkünfte, welche die Bf. zuletzt erzielt hat.
Es wird daher davon ausgegangen, dass die Bf. Leistungen aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung erhält, welche ihr die Bestreitung des Lebensunterhaltes ermöglichen. Dies betrifft auch andere Personen, welche nicht an irgendeiner Behinderung leiden und ist per se noch kein Nachweis, dass die Bf. aufgrund ihrer Behinderung voraussichtlich auf Dauer erwerbsunfähig ist.
Die Bf. hat bei der psychiatrischen Einvernahme am 11.4.2016 angegeben, dass sie aufgrund von Bauchschmerzen keiner Arbeit nachgehen könne. Ein ärztliches Attest, welches der Bf. aus diesem Grund eine Behinderung bescheinigen würde, wurde jedoch noch nicht vorgelegt. Es wurde offenbar auch nicht als Grund für die Zuerkennung einer Pensionsleistung aufgrund geminderter Erwerbsunfähigkeit angesehen.
Bei der letzten Begutachtung durch das Sozialministeriumservice hat die Bf. angegeben, sie leide an Depressionen und Schlafstörungen. Diesbezügliche aktuelle Befunde wurden jedoch nicht vorgelegt.
Denkbar ist auch, dass die Bf. an einer Intelligenzminderung leidet. Diese wurde jedoch nicht aufgrund entsprechender Befunde nachgewiesen. Schul- und Arbeitszeugnisse wurden bis dato ebenfalls nicht vorgelegt.
Seitens der Richterin wurde zur Vervollständigung des Eindruckes mit heutigem Datum ein Ausdruck der Sozialversicherungsdaten seitens des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger angefordert.
Hat die Bf. eine Weitergewährung des Rehabilitationsgeldes beantragt und wurde aus diesem Anlass ein neues Gutachten erstellt? Wenn ja, wird ersucht um Vorlage des Gutachtens.
Wovon lebt die Bf. aktuell? Bezieht sie Einkünfte aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung und wenn ja in welcher Höhe?
Die Bf. hat von August 2006 bis Juli 2012 für ihren Sohn Familienbeihilfe bezogen, danach nicht mehr, weil dieser ab September 2011 vom Kindesvater versorgt wurde und aktuell nach Angaben der Bf. bei den Großeltern untergebracht ist.
In welchem Ausmaß wird die Bf. abgesehen von der Sachwalterschaft aktuell unterstützt und betreut? Benötigt sie Arbeitsassistenzleistungen, Betreuungsleistungen, Hilfe im Haushalt und wenn ja in welchem Ausmaß? Befindet sie sich in einer Lebensgemeinschaft? Hat sie sonst noch soziale Kontakte? Es wird ersucht um Vorlage der entsprechenden Belege bzw. Bekanntgabe des Lebensgefährten und der sozialen Kontakte.
Es wird ersucht um Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen und Vorlage ergänzender Unterlagen bzw. Namhaftmachung allfälliger Zeugen unter Angabe von deren Namen, Adressen und der Beweisthemen, zu denen diese aussagen könnten
innerhalb einer Frist bis zum 29.6.2018.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Einholung eines neuen Gutachtens seitens des Sozialministeriumservice nur sinnvoll ist, wenn aktuelle Befunde vorgelegt werden, welche die von der Bf. angeführten Beschwerden entsprechend belegen.“
Einem angeforderten Auszug der Sozialversicherungsdaten vom 30.5.2018 ist zu entnehmen, dass die Bf. im Jahr 2016 nur tageweise an fünf Tagen im August als geringfügig beschäftigt gemeldet war. Sie bezog von Jänner bis August 2016 Rehabilitationsgeld von der Wiener Gebietskrankenkasse und während des restlichen Jahres Leistungen des Arbeitsmarktservice. Im Jahr 2017 und bis zum Zeitpunkt der Abfrage am 24.4.2018 war die Bf. nicht als Arbeitnehmer gemeldet. Sie bezog mit Unterbrechungen Leistungen des Arbeitsmarktservice.
Der Auszug der Sozialversicherungsdaten wurde der Sachwalterin mit folgendem Bemerken seitens der Richterin übermittelt:
„Anbei übermittle ich Ihnen den vom Hauptverband angeforderten Sozialversicherungs-datenauszug. Diesem ist tatsächlich zu entnehmen, dass Frau NN im verfahrens-gegenständlichen Zeitraum außer ein paar Tagen, an denen sie geringfügig bei der Gemeinde Wien beschäftigt war, nicht gearbeitet hat. Sie hat vielmehr Notstandshilfe bezogen. Aus dem Versicherungsdatenauszug lässt sich daher keine erfolgreiche Integration am Arbeitsmarkt entnehmen, die für eine voraussichtlich dauernde Fähigkeit sprechen würde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Es wird jedoch trotzdem ersucht, entsprechende Befunde nachzureichen, welche eine neuerliche Einschätzung durch das Sozialministeriumservice ermöglichen würden. Es können auch Aufzeichnungen von Betreuungspersonen vorgelegt oder Zeugen namhaft gemacht werden. Mit der Namhaftmachung der Zeugen wären auch jeweils das Beweisthema und eine ladungsfähige Adresse bekannt anzugeben.“
Mit Eingabe vom 27.6.2018 beantwortete die Sachwalterin den Vorhalt wie folgt:
„... in Beantwortung Ihres Schreibens vom 25. Mai 2018 bitte ich Sie um Fristerstreckung für die Vorlage von aktuellen Befunden sowie Schul- und Arbeitszeugnissen um sechs Wochen bis zum 9. August 2018.
Das Rehabilitationsgeld wurde mit 31. August 2016 entzogen. Frau NN war damals der Ansicht, ohne Sachwalter leben und vor allem auch arbeiten zu wollen. So ist sie auch vor den Gerichten und den Sachverständigen aufgetreten. Die Sachwalterschaft wurde nicht aufgehoben. Hingegen wurde im Gerichtsverfahren vor dem ASG die Arbeitsfähigkeit von Frau NN durch Sachverständigengutachten bestätigt. Wir haben daher die Klage zurückgezogen.
Frau NN bezieht seit September 2016 Notstandshilfe vom AMS in der Höhe von EUR 611,01 sowie seit Jänner 2018 Mindestsicherung von der MA 40 in der Höhe von EUR 252,03 für jeweils 30 Tage.
Die Anforderungen des AMS und die verordneten Kursmaßnahmen überfordern Frau NN jedoch. Sie fühlt sich depressiv, kommt mit ihren Erledigungen nicht gut zurecht und hält Termine nicht ein, was immer wieder zur Einstellung der AMS-Leistung führt.
lm Alltag wird sie von einem privaten Personenbetreuer unterstützt, der versucht, sie zu AMS- und Arztterminen zu begleiten bzw. sie zu erinnern und zu motivieren. Die Zusammenarbeit ist schwierig. Frau NN ist telefonisch oft nicht erreichbar ist und hält Termine nicht ein.
Seit Monaten lehnt sie Psychiaterbesuche ab. Die äußeren Umstande müssten sich ändern, nicht sie selbst zum Psychiater gehen. Tatsächlich ist ein Nachbar von Frau NN laut und bedrohlich, wir bemühen uns zwar, auf ihn einzuwirken und den Vermieter zu Maßnahmen zu veranlassen, Frau NN ist jedoch - nun zusätzlich zu ihrer eigenen psychischen Problematik - nachhaltig gestört.
Dennoch, die Vereinbarung eines Termins bei ihrem Psychiater zur Einholung des vom Bundesfinanzgericht geforderten aktuellen Befundes, war. bisher nicht möglich. Ein Termin ist für den 20. Juli geplant.
Frau NN zieht sich immer wieder für längere Zeit in ihre Wohnung zurück und ist nicht erreichbar. Eine bewilligte Rehamaßnahme im Rehazentrum XXX hat sie dann doch abgelehnt. Wir bemühen uns; sie einmal in der Woche zu Besuchen in dem von ihrem Bezugsbetreuer und anderen Personenbetreuern/Krankenpflegern geführten Tageszentrum zu motivieren. Alles scheitert an der fehlenden Mitwirkung von Frau NN.
Sie lebt alleine in ihrer Wohnung im 22. Bezirk und hat keinen Lebensgefährten. Sie hat regelmäßig Kontakt zu ihrem Sohn. Wenn die Großeltern ihres Sohnes mit ihm auf Urlaub fahren, passt sie auf deren Hund auf.
Die Heimhilfeleistungen der Wiener Sozialdienste wurden im November 2016 beendet, da Frau NN die Mitarbeiter nicht hineingelassen hat.“
Mit E-Mail vom 22.8.2018 übermittelte die Sachwalterin folgende Unterlagen:
Ein ärztliches Gutachten der Pensionsversicherungsanastalt vom 22.7.2018, in welchem der Bf. bescheinigt wurde, dass laut Gutachten Dris PSY, Facharzt für Psychiatrie, die psychische Belastbarkeit der Bf. derzeit nicht ausreichend sei, um einer geregelten Tätigkeit am Allgemeinen Arbeitsmarkt nachzukommen. Eine Gewährung des Rehageldes wurde empfohlen, eine neuerliche Evaluierung des Gesundheitszustandes sollte nach einem Jahr erfolgen.
Das ärztliche Gutachten Dris PSY, Facharzt für Psychiatrie, vom 11.7.2018, in welchem die Gewährung eines auf 12 Monate befristeten Rehabilitationsgeldes empfohlen wurde. Die Leistungsfähigkeit wurde ärztlich wie folgt beurteilt:
„Die BW leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und unreifen Anteilen. Der Antrieb ist vermindert, die Stimmung mäßiggradig ängstlich depressiv. Konzentration und Aufmerksamkeit sind deutlich reduziert. Der Schlaf ist erheblich gestört mit auch teilweiser Tag-Nacht-Umkehr. Es besteht eine traumatische Genese durch sexuellen Missbrauch im Kindesalter durch den Großvater. Vor zwei Jahren hat die PW die antivirale Medikation bei HIV-Infektion abgesetzt. Als Grund wurden Nebenwirkungen der Medikation angegeben. Ich habe ein diesbezügliches Aufklärungsgespräch durchgeführt und der PW dringlich angeraten, die Immunambulanz des OWS neuerlich aufzusuchen. Auch habe ich sie über das Ansteckungsrisiko informiert. ... Aus fachärztlicher, psychiatrischer Sicht ist die psychische Belastbarkeit derzeit nicht ausreichend für geregelte Tätigkeiten am freien Arbeitsmarkt.“
Laut Chefärztlicher Stellungnahme vom 24.7.2018 wurde der Bf. eine Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und unreifen Anteilen bescheinigt. Das Gesamtkalkül reiche für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorübergehend mehr als 6 Monate ab Antragstellung 29.6.2018 nicht aus. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht ausgeschlossen. Der Krankheitsverlauf bleibe abzuwarten.
Mit Schreiben vom 18.9.2018 wurde der Sachwalterin Folgendes vorgehalten:
„Mit Schreiben vom 25.5.2018 habe ich Ihnen einen Vorhalt geschickt und Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme, zur Vorlage von Unterlagen und zur Namhaftmachung von Zeugen in o.a. Beschwerdesache eingeräumt.
Sie haben eine Stellungnahme abgegeben und verschiedene Unterlagen nachgereicht. In der Mail vom 22. August 2018 haben Sie die Nachreichung einer angeforderten Krankengeschichte des OWS und die Namhaftmachung von Zeugen angekündigt. Dies ist bis dato nicht erfolgt.
Es wird ersucht, die Unterlagen ehestmöglich nachzureichen bzw. Zeugen namhaft zu machen (bitte unter Angabe einer ladungsfähigen Adresse und des Beweisthemas). Allenfalls könnte es auch beim Jugendamt noch Unterlagen dazu geben. Wenn Sie keine Unterlagen mehr vorlegen bzw. keine Zeugen mehr namhaft machen können, wird ersucht um Bekanntgabe, ob unter diesen Umständen (aufgrund des Gutachtens der PVA) ein neues Gutachten angefordert werden soll. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen sind Eingaben mit der Post oder per Fax zu schicken.“
Das Schreiben wurde zunächst mit Eingabe vom 4.10.2018 wie folgt beantwortet:
„ ... anbei übersende ich Ihnen nun die alten Unterlagen vom OWS sowie einen weiteren Befund der ÖAGG. Ein aktueller Befund des behandelnden Psychiaters liegt uns leider noch immer nicht vor, da der Termin Anfang September mit Frau NN aufgrund ihrer psychischen Erkrankung leider nicht geklappt hat. Der nächste Termin ist für den 11. Oktober geplant. Sobald wir den Befund erhalten haben, leite ich ihn sofort an sie weiter.“
Vorgelegt wurde ein Psychologischer Testbefund vom 14.1.2011, des Otto Wagner-Spitals, in welchem der Bf. hinsichtlich des Intelligenzniveaus eine Grenzbegabung attestiert wurde. Vor allem die visuelle Wahrnehmungsgenauigkeit erweise sich als reduziert. In der Testung der kognitiven Leistungsfähigkeit fänden sich uneinheitliche Ergebnisse. Es zeigten sich einerseits deutliche Konzentrationsschwankungen unter Dauerbelastung, als auch Einbußen hinsichtlich der visuell-räumlichen und verbalen Merkfähigkeit. Als weitreichend unbeeinträchtigt stellten sich die kognitive Flexibilität als auch die visuell-figurale Gedächtnisleistung dar. Ein Training der sozialen Fertigkeiten („social-skills“) bzw. ein kognitives Training zur Stärkung der Konzentrations- und Gedächtnisleistung sei anzuraten.
Ein vorläufiger Patientenbrief des Sozialmedizinischen Zentrums Otto Wagner-Spital vom 15.3.2012 attestierte der Bf. u.a. eine Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend Borderline- und ängstlich-dependenten Zügen.
Vorgelegt wurde ein Klinisch-Psychologischer Befund der ÖAGG - psychotherapeutische Ambulanz GmbH, vom 11.6.2015. In dieser wurde der Bf. eine Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, borderline Typus, ICD-10: F 60.31 attestiert, sowie eine Rezidivierende depressive Störung ggw. mittelschwer ohne somatisches Syndrom, ICD-10: F 33.10.
Mit Eingabe vom 30.11.2018 legte die Sachwalterin die Krankengeschichte der Bf. vom Otto-Wagner-Spital sowie ein Konvolut an Unterlagen vom Jugendamt zur weiteren Bearbeitung vor. Der Termin am 11.10.2018 beim Psychiater sei aufgrund des schlechten psychischen Zustandes der Bf. nicht zustande gekommen. Die PVA habe das Rehabilitationsgeld ab 1.8.2018 bewilligt.
Vorgelegt wurden Kopien der Krankengeschichte der Bf., welche das Otto Wagner-Spital verfasst hatte. Laut Schreiben des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe Otto Wagner-Spital und Pflegezentrum vom 7.11.2018 befand sich die Bf. seit 2011 zweimal in stationärer und einmal in tagesklinischer Behandlung der 1. Psychiatrischen Abteilung mit Zentrum für Psychotherapie und Psychosomatik des Otto Wagner Spitals. Der Krankenakt umfasst Unterlagen aus den Jahren 2010 bis 2012.
Vorgelegt wurden weiters Kopien aus dem Akt des Jugendamtes, welche die familiäre Situation der Herkunftsfamilie der Bf., der Entwicklung der Bf. und deren Betreuung im HEIM-Heim bis zum 17.7.1996 dokumentierten.
Weiters wurden vorgelegt:
Ein Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vom 28.9.2018 über die Höhe des Rehabilitationsgeldes ab 1.8.2018, der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 5.9.2018 betreffend Ablehnung der Gewährung einer Invaliditätspension und Zuerkennung des Rehabilitationsgeldes sowie eine Bestätigung des Wohnaufwandes der ORG vom 20.9.2018, gemäß welchem die Bf. monatlich 335,00 Euro Pauschalzins inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer leiste und kein Mietenrückstand bestehe. Es liege ein befristetes Hauptmietverhältnis vom 15.12.2014 bis 14.12.2024 vor.
Der Sozialarbeiter, welcher die Bf. aktuell betreut, VN-Sozialarb NN-Sozialarb, wurde schriftlich wie folgt als Zeuge einvernommen:
„In dem oben angeführten, beim Bundesfinanzgericht anhängigen Beschwerdeverfahren ist strittig, ob Frau NN im Zeitraum ab Juli 2016 voraussichtlich dauernd unfähig war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es geht also darum, ob Frau NN in der Lage war, eine Beschäftigung anzunehmen bzw. arbeiten zu gehen.
Frau Sachwalter, die Sachwalterin von Frau NN hat Sie als Zeugen namhaft gemacht.
Bitte lesen Sie sich die beiliegende Belehrung genau durch. Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Zeugenaussage schriftlich machen (per Brief oder per Fax) oder auch vor dem Bundesfinanzgericht aussagen. In diesem Fall würde ich Sie bitten, einen Termin mit mir zu vereinbaren.
Es geht um folgende Fragen:
1. In welchem Zeitraum und in welcher Funktion sind Sie ab Juli 2016 für Frau NN tätig geworden?
2. Bei welchen Tätigkeiten bzw. Verrichtungen war Frau NN auf Ihre Hilfe angewiesen (bitte hier um eine etwas genauere Darstellung)?
3. Wie oft sind Sie für Frau NN tätig geworden?
4. Wie war Ihr persönlicher Eindruck von Frau NN?
5. In welchen Bereichen hatte Frau NN Defizite?
6. War Frau NN in der Lage, sich um Ihre Wohnung zu kümmern?
7. Welche sozialen Kontakte hatte Frau NN?
8. Hatte Sie Kontaktschwierigkeiten oder irgendwelche Probleme mit anderen Personen?
9. Welche Arbeit hätte Frau NN allenfalls annehmen können? In welchen Bereichen hatte Sie Stärken?
10. Woran sind Bewerbungen um Stellen gescheitert? Hat Ihnen Frau NN etwas von Ihren Bewerbungsgesprächen erzählt?
11. Wie hat sich Frau NN in der Zeit, als Sie für sie tätig wurden, entwickelt? Waren irgendwelche Fortschritte zu bemerken?
Wenn Sie irgendeine Frage nicht beantworten können oder sich nicht mehr an die konkrete Situation erinnern, bitte dies zu vermerken.
Wenn Sie noch Aufzeichnungen aus dieser Zeit haben, bitte ich Sie, diese der Aussage in Kopie beizulegen.“
Er hat diese Fragen wie folgt beantwortet:
„ ... ich habe im September 2017. im Auftrag der Kanzlei Sachwalter, die Betreuung von NN VN übernommen, und bin bis heute tätig.
Wichtigster Punkt war: Termine einhalten und die Klientin in alltäglichen Dingen zu begleiten, einen Bezug aufzubauen, dies mit mindestens 2-mal monatlichen Kontakten. Wenn es Termine gab, sah ich sie öfter, Telefonate werden auch geführt.
Begleitung AMS, WGKK und dazugehörige Einrichtungen hat Priorität.
Frau NN ist und war nicht in der Lage Termine einzuhalten, es war ihr nie bewusst, wie wichtig AMS und WGKK Termine für ihre finanzielle Versorgung sind. Bis heute fällt es Frau NN schwer, sich zu motivieren aus Ihrer Wohnung zu gehen. Sie bleibt oft wochenlang in der Wohnung und geht vielleicht einmal einkaufen. Besuchern macht sie nicht auf, es war anfangs schwer Ihr Vertrauen zu gewinnen. Jetzt haben wir einen Konsens, der eine gemeinsame Kommunikation und Absprachen möglich macht. Termine werden immer noch oft verschoben.
Sie schafft es auch nicht regelmäßig zu ihrem Psychiater.
Ihre Wohnung sauber zu halten gelingt eher schlecht als recht. Frau NN fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut.
Sie hat ihre Jugend und Kindheit nicht verarbeiten können, fühlt sich nur zu Hause halbwegs sicher, aber auch dort fühlt sie sich verfolgt und von Nachbarn belästigt.
Beim AMS haben wir viele Termine verschieben müssen und sind mehrmals hingehen. Dann kam Frau NN in die Reha bei der WGKK.
Termine beim Reha Team WGKK, haben wir mehrmals verschoben, die Reha hat Sie nicht angetreten, weil Sie sich schlecht fühlte, nächster Versuch ist im Mai.
Soziale Kontakte hat sie sehr wenig. Zu den Großeltern ihres Sohnes hat sie unregelmäßig Kontakt, meistens wenn Sie ihren Sohn sieht, es gibt jedoch keine regelmäßigen Besuche, da die Großeltern viel verreisen.
Dann hat Frau NN den Hund der Familie und fühlt sich sicherer in der Wohnung.
Frau NN sucht wenig Kontakt, auch in unserem Tageszentrum, wo Sie sehr selten vorbeischaut, spricht Sie wenig mit anderen Menschen.
Probleme mit anderen Menschen hatte sie nach eigenen Erzählungen früher, jetzt hat sie meines Wissens nach kaum Kontakte.
Über konkrete Bewerbungen bin ich nicht informiert.
In der Zeit seit Herbst 2017 hat sich unser Kontakt und Bezug verbessert, sie vertraut mir soweit.
Ihr Allgemeinzustand ist jedoch gleichgeblieben.
Ich habe keine Belege, die Terminverschiebungen liegen bei AMS und WGKK auf.“
Mit Beschluss vom 8.5.2019 wurde dem Finanzamt die Anforderung eines neuen Gutachtens des Sozialministeriumservice aufgetragen, wobei der Beschluss u.a. wie folgt begründet war:
„Das Bundesfinanzgericht hat u.a. ergänzende Ermittlungen durchgeführt, welche Zweifel am festgestellten Grad der Behinderung und der Fähigkeit der Bf., sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wecken.
Nach Angaben der Sachwalterin im Schreiben vom 27.6.2018 war das Rehabillitationsgeld seinerzeit mit 31.8.2016 entzogen worden. Die Bf. sei der Ansicht gewesen, ohne Sachwalter leben und vor allem auch arbeiten zu wollen. So sei sie auch vor den Gerichten und den Sachverständigen aufgetreten. Die Sachwalterschaft sei nicht aufgehoben worden. Im Gerichtsverfahren vor dem ASG sei die Arbeitsfähigkeit der Bf. durch Sachverständigengutachten bestätigt worden, die Klage sei daher zurückgezogen worden. Die Bf. habe ab September 2016 Notstandshilfe vom AMS in Höhe von
611,01 Euro und seit Jänner 2018 Mindestsicherung von der MA 40 in Höhe von
252,03 Euro, jeweils für 30 Tage, bezogen. Die Anforderungen des AMS und die verordneten Kursmaßnahmen hätten die Bf. jedoch überfordert. Sie hätte sich depressiv gefühlt und sei mit ihren Erledigungen nicht gut zurecht gekommen. Sie habe Termine nicht eingehalten, was immer wieder zur Einstellung der AMS-Leistungen geführt habe. Im Alltag werde sie von einem privaten Personenbetreuer untersützt, der versuche, sie zu AMS- und Arztterminen zu begleiten bzw. sie zu erinnern und zu motivieren. Die Zusammenarbeit sei schwierig. Die Bf. sei telefonisch oft nicht erreichbar und halte Termine nicht ein. Seit Monaten lehne sie Psychiaterbesuche ab. Einer der Nachbarn der Bf. sei laut und bedrohlich. Die Bf. ziehe sich immer wieder für längere Zeit in ihre Wohnung zurück und sei nicht erreichbar. Eine bewilligte Rehamaßnahme im Rehazentrum XXX habe sie abgelehnt. Die Bf. lebe alleine in ihrer Wohnung im
22. Bezirk und habe keinen Lebensgefährten. Sie habe regelmäßig Kontakt zu ihrem Sohn. Wenn die Großeltern mit diesem auf Urlaub fahren, passe sie auf deren Hund auf. Die Heimhilfeleistungen der Wiener Sozialdienste seien im November 2016 beendet worden, weil die Bf. die Mitarbeiter nicht hineingelassen habe.
Schul- und Arbeitszeugnisse wurden trotz Aufforderung nicht vorgelegt.
Den vorliegenden Unterlagen ist Folgendes zu entnehmen:
•Der Versicherungsdatenauszug weist nach einer ohne Abschluss beendeten Lehre im Jänner 2002 einen Versicherungsverlauf mit mehreren kurzfristigen Arbeitsverhältnissen (das längste hat drei Monate gedauert) und längeren Unterbrechungen durch Arbeitslosengeld- bzw. Notstandshilfebezüge auf. Nach der Geburt ihres Sohnes am 30.8.2006 hat sich die Bf. zunächst um ihr Kind gekümmert. Obwohl sie damals keiner Beschäftigung nachgegangen ist, war sie mit der Versorgung des Kindes überfordert, welches in der Folge vom Kindesvater, dem die Bf. ihre damalige Wohnung überlassen hat, und dann ab dem 2.9.2013 von dessen Eltern versorgt wurde. Vom 24.12.2010 bis 5.9.2011 war die Bf. im Otto Wagner-Spital stationär aufgenommen. Danach war sie vom 9.9.2011 bis 15.10.2012 in der Erste-Adresse, 1050 Wien untergebracht, Unterkunftgeber war GESELLSCHAFT. Seit 22.5.2013 wohnt die Bf. in einer eigenen Wohnung, welche sie von VERMIETER angemietet hat. Nach der Geburt des Kindes war die Bf. nur einmal geringfügig beschäftigt vom 6.5.2007 bis 5.7.2007, sowie als Tagelöhnerin bei der MA 48 an einzelnen Tagen von 24.9.2012 bis 4.1.2013.
•Vorgelegten psychologischen Testbefunden aus dem Jahr 2011 ist zu entnehmen, dass die Bf. wegen Depressionen und sozialem Rückzug in Behandlung war. Sie hätte sich zuhause eingesperrt und nichts mehr gemacht, die Wohnung wäre verwahrlost, auch mit der Betreuung des vierjährigen Sohnes sei sie überfordert gewesen. In der Zusammenfassung der Untersuchung vom 13.1.2011 wurde in intellektueller Hinsicht eine Grenzbegabung angesprochen (laut Bericht des HEIM-Heims vom Jänner 1996 besuchte die Bf. damals die 2. Klasse der Integrationsklasse "SCHULE". Zum äußeren Erscheinungsbild wurde vermerkt: körperlich stark entwickelt, übergewichtig, sportlich nicht geschickt aber versucht alles mitzumachen, Sprache: Dysgrammatismus, optisches Erscheinungsbild meist etwas chaotisch; sie sei gut integriert, sozial; sie habe eine gute Beziehung zu den Sozialpädagogen, pflege Freundschaften; die Leistungsmotivation sei schwankend, sie versuche, ihr Chaos zu beherrschen; sie mache bei Gruppenaktivitäten gerne mit, treffe sich mit Freundinnen, lese, höre Musik; sie sei meist fröhlich und kumpelhaft, in Konfliktsituationen stur und erst wieder etwas später zugänglich; im Umgang mit persönlichem oder fremden Eigentum chaotisch; muss zur Körperpflege angehalten werden; sie halte sich meist an Abmachungen, sei über eine gute Beziehung lenkbar und zugänglich, eine Vertrauensbasis sei Voraussetzung). Weiters wurden Mängel hinsichtlich der Konzentrationsfähigkeit unter Dauerbelastung festgehalten. Im Psychologischen Testbefund vom 17.5.2011 wurde ein Bedürfnis nach sozialem Rückzug bei gleichzeitig vorliegenden dependenten Zügen bzw. einem Bedürfnis nach Rückhalt und Umsorgung festgehalten. Im Klinisch-Psychologischen Befund vom 11.6.2015 wurde erklärt, das äußere Erscheinungsbild der Bf. wirke adäquat gepflegt. Sie präsentiere sich als gut kontaktfähig, kooperativ, leicht affizierbar, bemüht. Bezogen auf die Arbeitsleistung wurde eine unterdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit festgestellt. Damals wurde eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung borderline Typus sowie eine rezidivierende Störung, gegenwärtig mittelschwer ohne somatisches Syndrom, diagnostiziert.
•Bei einem neuerlich gestellten Antrag auf Gewährung einer Invaliditätspension erschien die Bf. bei Dr. PSY, einem Facharzt für Psychiatrie, in Begleitung von Herrn NN-Sozialarb. Dr. PSY attestierte der Bf., aus fachärztlich psychiatrischer Sicht sei die psychische Belastbarkeit derzeit nicht ausreichend für geregelte Tätigkeiten am freien Arbeitsmarkt gegeben. Er empfahl die Gewährung eines auf 12 Monaten befristeten Rehabilitationsgeldes. Der Krankheitsverlauf bleibe abzuwarten. Prognostisch hielt der Arzt eine Besserung des Gesundheitszustandes für möglich. Eine Begründung für diese Einschätzung ist dem Gutachten nicht zu entnehmen. Dem beiliegenden Blatt betreffend Einschätzung des psychisch-geistigen Leistungsvermögens nach MELBA sind niedrige Leistungen in fast allen Bereichen zu entnehmen, in einzelnen Bereichen wurden sogar sehr niedrige Profilwerte angegeben. Nur das Sprechen wurde als durchschnittlich bewertet. Laut chefärztlicher Stellungnahme wurde eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit für sechs Monate angenommen. Eine Begründung enthält die Stellungnahme nicht.
•Nach Schilderungen des Personenbetreuers der Bf., des Herrn VN-Sozialarb NN-Sozialarb, hat er im Auftrag der Sachwalterin ab September 2017 die Betreuung der Bf. übernommen. Die mindestens zweimaligen monatlichen Kontakte dienten hauptsächlich der Begleitung der Bf. zu Terminen beim AMS und der WGKK. Die Bf. sei nicht in der Lage, Termine einzuhalten. Es sei ihr nie bewusst gewesen, wie wichtig Termine beim AMS und der WGKK für ihre finanzielle Versorgung sind. Es falle der Bf. schwer, sich zu motivieren, aus der Wohnung zu gehen. Sie bleibe oft wochenlang in der Wohnung und gehe vielleicht einmal einkaufen. Besuchern mache sie nicht auf. Es sei schwer gewesen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Termine würden oft verschoben. Sie schaffe es auch nicht regelmäßig zu ihrem Psychiater. Es gelinge ihr eher schlecht als recht, die Wohnung sauber zu halten. Die Bf. fühle sich nur zu Hause halbwegs sicher, aber auch dort fühle sie sich verfolgt und von Nachbarn belästigt. Termine beim Reha Team WGKK seien mehrmals verschoben worden, die Reha habe sie nicht angetreten, weil sie sich schlecht gefühlt habe. Soziale Kontakte habe sie sehr wenig. Zu den Großeltern ihres Sohnes habe sie unregelmäßig Kontakt. Wenn die Großeltern verreisten, habe die Bf. den Hund der Familie und fühle sich sicherer in der Wohnung. Sie suche wenig Kontakt. Im Tageszentrum schaue sie sehr selten vorbei und spreche wenig mit anderen Menschen.
Den vorgelegten Unterlagen ist zusammengefasst zu entnehmen, dass die Bf. nicht in der Lage war, sich eine berufliche Existenz aufzubauen. Am Arbeitsmarkt ist es für Personen ohne Schulabschluss bzw. ohne abgeschlossene Lehre am schwierigsten, eine Stelle zu finden. Personen, die längere Zeit arbeitslos sind bzw. waren, fällt es schwer, wieder einen Rhythmus zu finden. Eine hohe Frustrationstoleranz und Eigenmotivation sowie Beharrlichkeit bei der Stellensuche sind in einem solchen Fall unabdingbar. Im Hinblick auf die bisherigen beruflichen und privaten Erfahrungen der Bf. und deren mangelnde psychische Stabilität ist aufgrund des beobachteten Verhaltens zu vermuten, dass Absagen im Fall von Bewerbungen als persönliche Kränkungen verstanden wurden und eine depressive Phase mit entsprechendem sozialem Rückzug ausgelöst haben. Diese Reaktion der Bf. könnte Folge ihrer festgestellten Behinderung sein. Die Bf. ist offenbar auch seit längerem nicht einmal in der Lage, Termine, die für ihre finanzielle und gesundheitliche Versorgung wichtig sind, alleine wahrzunehmen. Sollte dennoch die Fähigkeit der Bf. als gegeben angesehen werden, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und die Behinderung nach Ansicht der Gutachter nicht als erheblich zu betrachten sein, so wird ersucht, dies zu begründen.
Das Bundesfinanzgericht hält daher die Anforderung eines weiteren Gutachtens für notwendig.“
Dem Sozialminsteriumservice wurden folgende Unterlagen übermittelt:
Versicherungsdatenauszug vom 30.05.2018
psychologischer Testbefund vom 13.1.2011
psychologischer Testbefund vom 17.05.2011
Patientenbrief vom 05.09.2011
Patientenbrief vorläufig vom 15.03.2012
Patientenbrief vom 18.03.2012
Klinisch-Psychologischer Befund vom 11.06.2015
Pensionsantrag vom 10.08.2018
Gutachten Dris PSY vom 11.07.2018
Chefärztliche Stellungnahme vom 24.07.2018
Ärztliches Gutachten § 8 AlVG vom 09.07.2018
Aussage VN-Sozialarb NN-Sozialarb vom 07.04.2019.
Am 23.7.2019 langte beim Bundesfinanzgericht das Gutachten des Sozialminsteriumservice vom 11.07.2019 ein.
Die Begutachtung wurde am 08.07.2019 von Dr. S vorgenommen wie folgt:
„Anamnese:
Vorgutachten Dr. B (03/2013): Ein GdB von 50 v. H. sowie EU ab 12/2010 bei emotional labiler Persönlichkeit und Zustand nach Polytoxikomanie wird bestätigt.
Vorgutachten Dr. Sc (06/2013): Ein GdB von 50 v. H. bei emotional instabiler Persönlichkeit und Zustand nach Polytoxikomanie wird bestätigt. Aufgrund neu vorgelegter Befunde rückwirkende Einschätzung des GdBs sowie der EU ab 07/1999 (1. stationäre Aufnahme).
Vorgutachten Dr. S (05/2016): Aufgrund von Stabilisierung bei fehlenden Befunden sowie fehlender fachspezifischer Therapie wird der GdB auf 40 v. H. herabgesetzt. Keine EU mehr vorliegend.
Vorgutachten Dr. Silvia B (02/2018): GdB 40 v. H. bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung, keine EU, keine Veränderung gegenüber dem Vorgutachten.
Die Antragstellerin berichtet, in einem von Gewalt geprägten Umfeld bei ihrer Großmutter aufgewachsen zu sein. Zw. dem 9. und 19. Lj. sei sie in einem Heim untergebracht gewesen. 1999, im Alter von ca. 16 J.‚ sei sie erstmals aufgrund von Lebensüberdruss und parasuizidaler Handlung stationär-psychiatrisch am Rosenhügel aufgenommen gewesen. Ambulante psychotherapeutische Behandlung sei bei Dr. XXX während ihres Heimaufenthalts erfolgt. Bis zum Alter von 19 J. wurde eine Kochlehre absolviert (kein Abschluss). In weiterer Folge mehrere kurzzeitige Anstellungen an unterschiedlichen Stellen (Küchenhilfe‚ Tankstelle, Lebensmittelhandel) mit max. Dauer von 6 Monaten. Zw. dem 15. und ca. 23. Lj. polytoxikomaner Drogenkonsum mit Cannabis und Heroin, seit ca. 2005 abstinent im Bezug auf Heroin sowie aktuell auch im Bezug auf Cannabis. Zw. 19. Und 21. Lj. obdachlos. Seit 2005 HIV pos. Im Alter von 24 J. Geburt des heute 12-jährigen Sohnes. In den Jahren nach der Geburt im Rahmen von Überforderungssituationen weitere psychische Detoriation mit neuerlicher psychiatrischer Aufnahme, diesmal am OWS. 2011 aufgrund von Mietrückständen besachwaltet und Einzug in betreutes Wohnen (Ges WG). Der Sohn der Antragstellerin wurde fremduntergebracht und lebt derzeit bei den Eltern des Kindesvaters. Nach 4-monatiger Stabilisierungsphase in Ges WG, Umzug in eigene Wohnung. Initial unter teilbetreuten Bedingungen seit ca. 2 J. ohne Betreuung. Derzeit befindet sich die Antragstellerin in ambulanter FÄ psychiatrischer Behandlung. Psychotherapeutische Behandlung aufgrund von Misstrauenshaltung und interaktionalen Ängsten nicht begonnen.
Derzeitige Beschwerden:
Die Antragstellerin berichtet über ausgeprägte Stimmungsschwankungen sowie überschießende emotionale Angreifbarkeit in Kombination mit ausgeprägten Selbstzweifeln. In ihrem Leben fühle sie sich orientierungslos und ohne Ziel. Immer wieder komme es zu Stimmungsschwankungen und Antriebsstörungen, welche zum Versäumen von teils wichtigen Terminen führen würden. Es bestehe ein Strukturierungs- und Organisationsdefizit mit teilweisen Schwierigkeiten in der Selbstversorgung (zB. Ordnung in der Wohnung).
Behandlung(en) l Medikamente / Hilfsmittel:
Regelmäßige FÄ psychiatrische Kontrollen bei Dr. ARZT.
Keine psychopharmakologische Medikation.
Keine Psychotherapie.
Sozialanamnese:
Die Antragstellerin lebt selbstständig in eigener Wohnung, dies seit ca. 2 J. ohne zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen. Seit ca. 2011 besachwaltet. Derzeit in befristeter I-Pension. Ein 12-jähriger Sohn, welcher fremduntergebracht bei den Eltern des Kindesvaters ist. 1x pro Monat Kontakt.
Ausbildung: Unabgeschlossene Lehre zur Köchin. In weiterer Folge nur kurzfristige Arbeitsverhältnisse (Lebensmittelhandel, Küchenhilfe, Tankstelle, etc.), zuletzt, bis vor ca. 2 J., Teilzeit als Straßenkehrerin gearbeitet.
Derzeit HIV unbehandelt, da Medikamente nicht vertragen.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Psychologischer Testbefund SMZ-Ost (13.01.2011):
Hinsichtlich des Intelligenzniveaus zeichnet sich Grenzbegabung ab. Deutliche Konzentrationsschwankungen und Dauerbelastung. Einbußen hinsichtlich der visuell-räumlichen und verbalen Merkfähigkeit.
Psychologischer Testbefund OWS (12. und 17.05.2011):
Hinweise auf emotional instabile Persönlichkeitsstruktur. Neigung zu depressiven Stimmungsschwankungen und Impulsivität. Schwierigkeiten der Emotionsregulation. Starke Spannungszustände. Selbstschädigende Handlungen (Kopf schlagen). Wiederkehrende Intrusionen mit sich aufdrängenden gewaltbesetzten Bildern. lm sozialen Kontakt selbstunsichere Haltung. Zwischenmenschliche Nähe stellt einen Stressor dar. Körperliche Berührungen oft als unangenehm erlebt. Bedürfnis nach sozialem Rückzug. Stimmungslage weiterhin deutlich ängstlich depressiv. Wiederkehrende Suizidgedanken.
Stationärer Befundbericht SMZ-Ost (05.09.2011):
D: Kombinierte Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ und ängstlich-dependenten Zügen. Alkoholabhängigkeit derzeit abstinent. Cannabisabhängigkeit. Opiatabhängigkeit derzeit abstinent. Nikotinabhängigkeit. Asymptomatische HlV Infektion. Adipositas.
Zahnkaries.
M: Efectin, Trittico, Lamictal, Truxal, Truvada, Kaletra, Antibiophilus, Pantoloc.
Stationärer Patientenbrief OWS (15.03.2012):
Psychiatrische Diagnosen: ldem zum Vorbefund
M: Efectin
Befundbericht tagesklinischer Aufenthalt OWS (18.03.2012):
Von 12.09.2011-09.03.2012 tagesklinischer Aufenthalt.
Psychiatrische Diagnosen: Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend Borderline und ängstlich-dependenten Zügen. Alkoholabhängigkeit derzeit abstinent. Cannabisabhängigkeit, Opiatabhängigkeit derzeit abtinent. Nikotinabhängigkeit.
Med: Efectin, Trittico, Lamictal, Truxal, Truvada, Kaletra, Bioflorin, Pantoloc, Zofran.
Neurologisch-psychiatrisches Gutachten (Sachwalterschaftsgutachten, 13.01.2013):
Es liegt eine emotional instabile Persönlichkeitsstrukur mit Neigung zur Impulsivität und selbstschädigenden Handlungen vor. Derzeit obdachlos. Schulden, bemüht ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Derzeit in befristeter Pension.
Neurolog. Status ergibt regelrechten Befund.
Klinisch psychologischer Befund PTA (11.06.2015):
D: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ, rez. depressive Störung gegenwärtig mittelschwer ohne somatisches Syndrom.
Ärztliches Gutachten PVA (22.07.2018):
Arbeitslos seit 2007.
Hauptdiagnose: Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und unreifen Anteilen.
Nebendiagnosen: Zustand nach Polytoxikomanie, Asymptomatische HlV Infektion.
FÄ psychiatrisches Gutachten für die PVA (15.07.2018, Dr. PSY):
D: Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und unreifen Anteilen, Zustand nach Polytoxikomanie abstinent.
Pat. leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und unreifen Anteilen, Antrieb vermindert, Stimmung mäßiggradig ängstlich-depressiv, Konzentration und Aufmerksamkeit deutlich reduziert, Schlaf gestört mit teilweise Tag/Nacht Umkehr, es besteht eine traumatische Genese durch sexuellen Missbrauch im Kindesalter durch den Großvater. Vor 2 J. hat die Pat. die antivirale Medikation bei HIV Infektion abgesetzt aufgrund von Nebenwirkungen der Medikation, psychische Belastbarkeit derzeit nicht ausreichend für geregelte Tätigkeiten am freien Arbeitsmarkt.
FA psychiatrischer Befundbericht Dr. ARZT (23.07.2018):
D: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Angst und Depression, HIV pos.
Nimmt derzeit keine antidepressive Medikation ein. HlV Infektion derzeit ohne Behandlung.
Antrag auf Reha in ORT Ges INSTITUTION gestellt.
Von Suizidgedanken distanziert.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
altersentsprechend
Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:
Gesamtmobilität - Gangbild:
Psycho(patho)logischer Status:
Wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Konzentration deutlich, Mnestik und Aufmerksamkeit mäßiggradig reduziert. Auffassung intakt. Duktus im Tempo etwas verlangsamt und weitschweifig, unter Strukturierung jedoch zum Denkziel führend. Keine produktiv-psychotische Symptomatik explorierbar. Affekt labil. Rez. effektive Durchbrüche. Im Kontakt freundlich und zugewandt. Ausgeprägte Stimmungsschwankungen.
Strukturierungsdefizit. Niedriger Selbstwert. Emotionsregulationsstörung. Wunsch nach sozialem Rückzug bei ängstlich-misstrauischer Grundstimmung. Rez. Panikattacken. ln Bezug auf Drogen und Alkohol abstinent. Kein selbstverletzendes Verhalten. Gefühle des Lebensüberdrusses, jedoch von suizidalen Umsetzungsplänen distanziert. Keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
HIV Infektion, da keine aussagekräftigen Befunde eingebracht wurden.
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Aufgrund der neu vorgelegten Befunde, dem Längsschnitt des Krankheitsverlaufes sowie der befunddokumentierten Grenzbegabung erhöht sich der GdB im Vergleich zum Vorgutachten auf 50 v.H.
Aufgrund des Längsverlaufs der Erkrankung ist, wie im Gutachten von Dr. Sc (6/2013) bestätigt, von EU beginnend mit der ersten stationären Aufnahme (07/1999) auszugehen.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
GdB liegt vor seit: 07/1999
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Aufgrund des anamnestischen Krankheitsverlaufs und der vorgelegten Befunde ist von einem GdB von mind. 50 v. H. ab dem ersten stationär-psychiatrischen Aufenthalt (07/1999) auszugehen.
Frau VN VN2 NN ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Aufgrund des Längsschnitts des Krankheitsverlaufs sowie den vorgelegten Befunden ist von dauerhafter EU ab 07/1999 auszugehen. Im Rahmen der bestehenden Persönlichkeitsstörung in Kombination mit der dokumentierten Grenzbegabung wird eine längerfristige Integrierbarkeit am 1. Arbeitsmarkt allenfalls unter erheblichen psychosozialen Unterstützungsmaßnahmen möglich sein.
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Verlaufskontrolle, da Besserung möglich.“
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Strittig ist, ob die Bf. ab 1.7.2016 aufgrund einer erheblichen Behinderung voraussichtlich auf Dauer außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Dies wurde der Bf. durch das zuletzt angeforderte und vom Sozialministeriumservice erstellte Gutachten bestätigt. Es ist auch schlüssig, weil die Bf. trotz mehrerer Versuche keine Integration in den ersten Arbeitsmarkt gelungen ist. Sie hat noch bis 31.8.2016 Rehabilitationsgeld bezogen und war im Beschwerdezeitraum nur an fünf Tagen im August geringfügig beschäftigt. Der anschließende Bezug von Leistungen des Arbeitsmarktservice erfolgte mit Unterbrechungen, weil die Bf. es nach Angaben ihrer Betreuungsperson nicht geschafft hat, Termine entsprechend wahrzunehmen. In der Folge hatte die Bf. wieder Anspruch auf Leistung von Rehabilitationsgeld, wobei dem Bundesfinanzgericht nicht bekannt ist, ob aktuell Rehabilitationsgeld bezogen wird.
Rechtlich ist der Sachverhalt wie folgt zu beurteilen:
Gemäß § 10 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ein Zeitraum bezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. VwGH vom 30.01.2014,
Zl. 2012/16/0052).
Vom Bundesfinanzgericht zu beurteilen war daher der Zeitraum, über welchen der Bescheid des Finanzamtes abgesprochen hat, d.h. der Zeitraum von Juli 2016 bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung, also bis Juli 2017.
Gemäß § 6 FLAG gilt Folgendes:
(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie
... d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden, ...
(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 10.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 10.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die der Vollwaise nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise bleiben außer Betracht:
a) das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,
b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,
c) Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse.
(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.
(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).
Gemäß § 8 FLAG gilt Folgendes:
(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens
50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
...
(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Das zuletzt im Auftrag des Sozialministeriumservice erstellte Gutachten bescheinigt der Bf. das Vorliegen einer erheblichen Behinderung aufgrund eines Gesamtgrades der Behinderung von 50 % seit 07/1999 sowie eine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wobei diese vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr eingetreten ist.
Die Grenze des § 6 Abs. 3 FLAG in Höhe von 10.000,00 Euro wurde in den Jahren 2016 und 2017 laut AIS-DB2 (Abgabeninformationssystem) nicht überschritten.
Der Beschwerde konnte daher Folge gegeben werden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Verfahren waren keine Rechtsfragen strittig. Strittig war ausschließlich, ob die Bf. im Beschwerdezeitraum aufgrund einer erheblichen Behinderung voraussichtlich auf Dauer erwerbsunfähig war.
Hinweis:
Ob die nachträgliche Zuerkennung der Familienbeihilfe zu Anpassungen des Bezuges der bedarfsorientierten Mindestsicherung für die Vergangenheit oder die Gegenwart führt bzw. welche Meldepflichten in diesem Zusammenhang bestehen, war im gegenständlichen Verfahren nicht zu prüfen.
Wien, am 26. Juli 2019
Zusatzinformationen | |
|---|---|
Materie: | Steuer, FLAG |
betroffene Normen: | § 10 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte: | erhöhte Familienbeihilfe, voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen |
Verweise: | |
