BFG RV/5100717/2018

BFGRV/5100717/20187.9.2021

Keine Berücksichtigung von Zu- und Abschlägen nach § 4 Abs. 2 EStG 1988 im Feststellungsverfahren nach § 188 BAO

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100717.2018

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ansgar Unterberger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Gstöttner & Partner Steuerberatung Gesellschaft m.b.H. & Co. KG, Linzerstraße 10, 4320 Perg, über die Beschwerde vom 26. Februar 2018 gegen den Bescheid des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom 22. Jänner 2018 betreffend Feststellung der Einkünfte § 188 BAO 2011 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach

Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Vorbemerkung

Da das BFG aus den unten angeführten Gründen zu dem Ergebnis kam, dass die Berücksichtigung der Zu- und Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 nicht im Feststellungsverfahren gem. § 188 BAO für die ***Bf1*** (in der Folge: die Beschwerdeführerin: Bf) sondern in den ESt-Verfahren der Miteigentümerinnen zu erfolgen hat, wird in diesem Erkenntnis auf die materiellrechtliche Frage der Zulässigkeit der beantragten Abschläge nicht eingegangen. Nachdem dem steuerlichen Vertreter der Bf die für dieses Erkenntnis wesentlichen rechtlichen Grundlagen und Überlegungen mitgeteilt worden waren, wurden die ursprünglich gestellten Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Entscheidung durch den Senat mit Schreiben vom 30.8.2021 zurückgenommen.

Bisheriges Verfahren und unstrittiger Sachverhalt

Angefochten ist der Bescheid über die Feststellung von Einkünften gem. § 188 BAO für die Bf betreffend das Jahr 2011 vom 22.1.2018, weil bei dieser Feststellung der Einkünfte steuerliche Abschläge gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 nicht berücksichtigt worden seien. Die Höhe der Beträge sowie die steuerlich in den Jahren 1999 bis 2015 erfolgte Nichtberücksichtigung der AfA sind unstrittig.

Der bekämpfte Bescheid erging offensichtlich in einem aufgrund eines Wiederaufnahmeantrages vom 15.9.2017 wiederaufgenommenen Verfahren (Erstbescheid 2011 vom 29.11.2012). Der Wiederaufnahmeantrag betraf die noch nicht verjährten Jahre 2011 bis 2015 und stützte sich darauf, dass aufgrund eines Fehlers früherer Berater die Herstellkosten zweier vermieteter Gebäude nicht aktiviert und somit auch keine AfA für die Jahre 1999 bis 2015 geltend gemacht worden seien. Anlässlich einer Schenkung eines der beiden Gebäude und der damit verbundenen Aufteilung der historischen Anschaffungskosten der Gebäude sei dies neu hervorgekommen. Mit dem nun bekämpften Bescheid wurde die AfA (1,5% der Errichtungskosten: € 7.600,80) für das Jahr 2011 (mit weiteren Bescheiden auch jeweils für die Jahre 2012 bis 2015) berücksichtigt.

Dem weiteren Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren der beiden an der Bf beteiligten Personen und Berücksichtigung eines Abschlages gem. § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 in Folge der in den Jahren 2003 bis 2010 nicht geltend gemachten AfA-Beträge im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2011 bei den beiden Mitgliedern der Bf kam das zuständige Finanzamt nicht nach. Nach Ansicht der beiden Antragstellerinnen wäre dieser Abschlag im Zuge ihrer Einkommensteuerbescheide zu berücksichtigen gewesen und zwar gemäß § 124b Z 255 EStG 1988 ab dem Veranlagungsjahr 2003 im ersten noch nicht verjährten Jahr. Diese beantragten Wiederaufnahmen wurden vom Finanzamt nicht durchgeführt. Für 2011 ergingen am 24.1.2018 gemäß § 295 BAO geänderte und vom nun bekämpften Feststellungsbescheid abgeleitete Einkommensteuerbescheide für das Jahr 2011 ohne Berücksichtigung des Abschlages. Die dagegen am 26.2.2018 eingebrachten Beschwerden wurden mit Beschwerdevorentscheidungen vom 9. bzw. 16. März 2018 als unbegründet abgewiesen. Begründet wurden die Abweisungen damit, dass gem. § 252 BAO die von einem Feststellungsbescheid abgeleiteten Bescheide nicht mit der Begründung angefochten werden können, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unrichtig seien. Damit brachte das Finanzamt zum Ausdruck, dass nach Ansicht der Behörde der Abschlag allenfalls im Feststellungsverfahren, keinesfalls aber bei den davon abgeleiteten Bescheiden für die an der Bf beteiligten Personen, zu berücksichtigen sei.

Mit der gegenständlichen Beschwerde vom 23.2.2018 (eingelangt beim Finanzamt am 27.2.2018 mit Begleitschreiben vom 26.2.2018) wurde nun die Nichtberücksichtigung des Abschlages gem. § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 im Bescheid über die Feststellung von Einkünften gem. § 188 BAO vom 22.1.2018 für 2011 bekämpft.

Beantragt wurde die Berücksichtigung eines Abschlages von € 53.205,59 (Beteiligte 1 für 2005 bis 2010 mit € 22.802,40 und Beteiligte 2 für 2003 bis 2010 mit € 30.403,19 jeweils für den Zeitraum der Miteigentümerstellung).

Das Finanzamt hat in der die Bf betreffenden abweisenden Beschwerdevorentscheidung (BVE) ausgeführt:

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass nach Dafürhalten des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr ein Zu- bzw. Abschlag gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 im Feststellungsverfahren gemäß § 188 BAO nicht zulässig ist. Die Erlassung von Feststellungsbescheiden sowie deren Abänderung ist nämlich nicht durch die Verjährung begrenzt (vgl. Ritz, BAO6, Tz 8 zu § 207 mwN). Zudem tritt die Verjährung für die Beteiligten eines Feststellungsverfahrens nicht zwangsläufig zum selben Zeitpunkt ein (vgl. Zorn/Varro, aaO, Tz 156 zu § 4). Vielmehr sind die Zu- bzw. Abschläge im Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerverfahren der jeweiligen Beteiligten zu erfassen.

Unter Punkt 3. im Vorlageantrag vom 6.4.2018 vertritt die Bf iZm der Beschwerde gegen die Nichtberücksichtigung der beantragten Abschläge in den beiden ESt-Verfahren dieselbe Ansicht.

Diese Darstellungen beruhen auf dem unstrittigen Parteienvorbringen. Strittig ist alleine die Rechtsfrage, ob Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1998 zustehen und ob diese im Feststellungsverfahren nach § 188 BAO bei der Bf oder im ESt-Verfahren der Miteigentümerinnen zu berücksichtigen sind.

Rechtsgrundlagen und rechtliche Erwägungen

§ 4 Abs. 2 EStG 1988 idF des AbgÄG 2012 lautet:
Die Vermögensübersicht (Jahresabschluss, Bilanz) ist nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu erstellen. Nach Einreichung der Vermögensübersicht beim Finanzamt gilt Folgendes:

1. Eine Änderung der Vermögensübersicht ist nur mit Zustimmung des Finanzamts zulässig (Bilanzänderung). Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Änderung wirtschaftlich begründet ist.

2. Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung). Kann ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt Folgendes:

- Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amts wegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden.

- Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann.

- Die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen gilt als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung

 

§ 124b Z 225 EStG 1988 lautet:
§ 4 Abs. 2 und 3 und § 28 Abs. 7, jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 112/2012, treten mit 1. Jänner 2013 in Kraft und sind erstmals bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 2004 auf Fehler anzuwenden, die Veranlagungszeiträume ab 2003 betreffen.

Aufgrund gesonderter Feststellungen sind u.a. gem § 188 BAO festzusetzen:
(1) Festgestellt werden die Einkünfte (der Gewinn oder der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten)
a) aus Land- und Forstwirtschaft,
b) aus Gewerbebetrieb,
c) aus selbständiger Arbeit,
d) aus Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens,
wenn an den Einkünften derselben Einkunftsart mehrere Personen beteiligt sind.

Der VwGH hat iZm den gegenständlichen Bestimmungen im Erkenntnis VwGH vom 24.10.2019, Ra 2018/15/0072, Rz 29, ausgesprochen: § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 lässt die Vornahme von Zu- und Abschlägen zudem bloß für den ersten im Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum zu, also nur für das älteste noch nicht verjährte Veranlagungsjahr. Im Bericht über die Außenprüfung, der mit 27. Mai 2013 datiert ist, setzt der Prüfer für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 den Zuschlag (für Bilanzberichtigungen der beiden Vorjahre) an und unterlässt dabei Ausführungen zur Verjährung. Das Finanzamt schloss sich den Prüfungsfeststellungen an und erließ (nach Wiederaufnahme des Verfahrens) einen entsprechenden, auch den Gewinnzuschlag nach § 4 Abs. 2 beinhaltenden Feststellungsbescheid nach § 188 BAO für das Jahr 2005, allerdings - wegen besonderer Umstände bei der Bescheidzustellung - erst im Februar 2014. Ob im Zeitraum von der Berichtsverfassung bis zur Bescheiderlassung (Mai 2013 bis Februar 2014) die Verjährungssituation unverändert geblieben ist, führt das Finanzamt nicht aus. Der Bescheid des Finanzamtes wie auch das angefochtene Erkenntnis enthalten sich jeglicher Begründung zur Verjährung. Freilich kann bei einer Mitunternehmerschaft für jeden Mitunternehmer ein anderes Jahr der "erste zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährte Veranlagungszeitraum" sein. Ob die Möglichkeit unterschiedlicher Verjährungssituationen bei den Mitunternehmern zur Folge hat, dass Zu- und Abschläge nach § 4 Abs. 2 EStG 1988 überhaupt nicht im Feststellungsbescheid nach § 188 BAO, sondern erst im Einkommen bzw. Körperschaftsteuerverfahren der Mitunternehmer vorgenommen werden dürfen (vgl. hiezu Doralt et al, EStG17, § 4 Tz 156), kann im gegenständlichen Fall, weil das angefochtene Erkenntnis ohnedies als inhaltlich rechtswidrig aufzuheben war, dahingestellt bleiben.

Senatspräsident Dr. Zorn kam in seiner Kommentierung dieses Erkenntnisses in der RdW 2019, 862 zu dem Schluss, dass Ab- und Zuschläge nicht im Feststellungsbescheid nach § 188 BAO zu berücksichtigen sind, weil diese von der Frage der Verjährung der Einkommen- bzw Körperschaftsteuer abhängen und somit bei Mitunternehmerschaften die Verjährung dieser Abgaben für jeden Mitunternehmer zu einem anderen Zeitpunkt eintreten kann.

Auch das BFG vertrat im Erkenntnis BFG vom 10.5.2021, RV/1100016/2019 jüngst diese Ansicht: "Gemäß § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 ist die Fehlerberichtigung durch den Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorzunehmen, wenn ein Fehler nur aufgrund der eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden kann.

Gemäß § 207 Abs. 1 BAO beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchssteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetztes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre.

Die Bemessungsverjährung betrifft somit nur das Recht auf Festsetzung von Abgaben. Die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO ist hingegen keine Festsetzung von Abgaben und unterliegt daher nicht der Verjährung. Feststellungsbescheide können daher ohne Rücksicht auf die Verjährungsfristen erlassen werden (vgl. Ritz, BAO6, § 207 Rz 8, mit der dort zitierten hg. Rechtsprechung).

Beim Feststellungsverfahren ist ferner zu berücksichtigen, dass sich die steuerlichen Feststellungen erst in den abgeleiteten Bescheiden auswirken und auch nur dann, wenn die jeweiligen Abgabenverfahren nicht bereits verjährt sind. Dabei ist aber zu beachten, dass für jeden Gesellschafter die Verjährung der Abgabe in einem anderen Jahr eintreten kann.

Zorn/Varro in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG17, § 4 Rz 156, vertreten daher die Auffassung, dass die Zu- und Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG nicht im Feststellungsbescheid nach § 188 BAO zu erfassen, sondern nach den Verjährungsverhältnissen der einzelnen Gesellschafter in deren Einkommensteuerbescheid anzusetzen sind. Dem folgen auch Marschner in Jakom/Marschner, EStG 2002, § 4 Rz 222, und die Einkommensteuerrichtlinien in Rz 652l.

Das Bundesfinanzgericht schließt sich diesen Meinungen an. Daher wären in den (nichtverjährbaren) Feststellungsbescheiden 2006 bis 2009 die Gewinne nach der Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG festzustellen gewesen. Die Zuschläge für diese Jahre sind aber erst auf der Ebene der Gesellschafter in den ersten noch nicht verjährten Einkommensteuerscheiden anzusetzen."

Auch in diesem Fall sieht das BFG keine Veranlassung von dieser Rechtsansicht abzugehen, sodass die Beschwerde als unbegründet abzuweisen war.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage, ob Zu- oder Abschläge nach § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 schon im Rahmen der Feststellung von Einkünften oder erst im abgeleiteten ESt-Bescheid der Mitunternehmer angesetzt werden kann besteht noch keine gesicherte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die (ordentliche) Revision ist daher zulässig.

 

 

Linz, am 7. September 2021

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 188 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Verweise:

VwGH 24.10.2019, Ra 2018/15/0072
BFG 10.05.2021, RV/1100016/2019

Stichworte