Keine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn das Recht, eine Abgabe festzusetzen, bereits verjährt ist
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.4100469.2018
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache der BF, über die Beschwerde vom 30.05.2018 gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Spittal Villach vom 30.04.2018 mit denen Anträge auf Wiederaufnahme der mit Bescheiden vom 14.07.2015 abgeschlossenen Verfahren betreffend Unsatzsteuer für die Jahre 2008, 2009, 2010, 2011 und 2012 abgewiesen worden sind, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Am 20. März 2018 reichte die Beschwerdeführerin (BF) beim Finanzamt Spittal Villach ein Schreiben folgenden Inhaltes ein:
“ An die
betriebliche Veranlagung und Abgabensicherung
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wiederaufnahme
In der Anlage übergeben wir Ihnen die Einkommensteuererklärung zur Berichtigung.
Vom Landesgericht B haben wir per RSB - die Mitteilung erhalten, dass das angedrohte Insolvenzverfahren zur Steuernummer 1 L abgewiesen worden ist, die Berichtigungen der E1, E1a und E1b haben bereits eine Gutschrift von Euro 2498,39 ergeben.
Die Erklärungen 2008-2012 legen wir bei, wir ersuchen auch diese, wie mit Frau C von der betrieblichen Veranlagung durchbesprochen zu berichtigen.
Das Guthaben aus den Berichtigungen der Einkommensteuer wurde vorerst zur Vollstreckung gemäß Schreiben vom 14. März Umsatzsteuer umgebucht.
Einkommensteuererklärung 2008 bis 2012
- E1 2008, 2009, 2010, 2011 ,2012
- E1a 2008, 2009, 2010, 2011, 2012
- E1b 2008, 2009, 2010, 2011, 2012
Umsatzsteuererklärungen 2007 bis 2017 - Wiederaufnahme
- USt, Umsatzsteuererklärung 2007, gemäß Beilagen aus den tatsächlich erhaltenen Erlösen und Zahlungen
- USt 2008
- USt 2009
- USt 2010
- USt 2011
- USt 2012
- USt 2013
- USt 2014
- USt 2015
- USt 2016
- USt 2017
In Bezug auf die Vollstreckung gemäß Schreiben vom 14. März 2018 über Euro 11.535,72, wurde im Gespräch mitgeteilt, dass vorerst das Guthaben von Euro 2.498,39 aus der Einkommensteuer auf das Betriebskonto umgebucht wird.
Die Berichtigungen der Umsatzsteuererklärungen gemäß der besprochenen Wiederaufnahme 2007 - 2013 und der Berichtigungen 2014 bis 2017 liegt bei.
Körperschaftsteuer 2008-2017 , dieses ist noch in der Aufarbeitung voraussichtlicher Abgabetermin 2008 - 2017 am 27.3.2018.
Bilanzberichtigung 2008 - 2013 und die Anpassung der Bilanzen 2014 bis 2017 können erst nach den Berichtigungen der Einkommenssteuer, Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer erfolgen.
Wir ersuchen um Berichtigung der EK 2008 bis 2012, die Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß den Beilagen und Erklärungen, damit wir die gesamte Thematik EK, Ust, KÖSt, Bilanzen in den nächsten Monaten bis 2017 abschließen können, und verbleiben
Hochachtungsvoll“
Das Finanzamt wertete die Ausführungen im wiedergegebenen Schriftsatz als Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO u.a. betreffend Umsatzsteuer.
Für die Jahre ab 2013 wurde dem Begehren der BF entsprochen. Betreffend die Jahre 2008 bis 2012 wurden die Anträge jedoch abgewiesen.
Zur Begründung führte das Finanzamt hinsichtlich der Jahre 2008 bis 2011 aus, dass der Wiederaufnahme der Verfahren die bereits eingetretene Verjährung des Rechtes, die Abgaben festzusetzen, entgegenstehe.
Betreffend das Jahr 2012 führte das Finanzamt aus, dass mit dem FVwGG 2012 eine Harmonisierung der Wiederaufnahme von Amts wegen mit jener auf Antrag erfolgt sei. Nicht geändert habe sich jedoch insbesondere, dass im Wiederaufnahmeantrag u. a. die Umstände, auf die dieser Antrag gestützt werde, bezeichnet werden müssten (§ 393a lit. b BAO idF vor FVwGG 2012, § 302 Abs. 2 lit. b BAO idF FVwGG 2012).
Der Antrag auf Wiederaufnahme habe sohin - bei Geltendmachung neu hervorgekommene Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, das Tatsachen oder Beweismittel “neu hervorgekommen sind“. Damit setze aber diese Bestimmung voraus, dass diese Tatsachen im Zeitpunkt der Antragstellung bereits bekannt geworden seien. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 lit. b BAO müsse somit abgeleitet werden, dass im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei. Als Wiederaufnahmegründe kämen nur jene Tatsachen in Betracht, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existierten, später entstandenen Umstände seien keine Wiederaufnahmegründe.
Gegen die Abweisungsbescheide erhob die BF Beschwerde (bezeichnet als „Einspruch“).
Die BF führte aus, dass sich die Anträge auf Wiederaufnahme auf die Außenprüfung gemäß § 150 BAO vom 30.6.2015 (! Anm. BFG: Gegenstand der Prüfung war u. a. die Umsatzsteuer für die Jahre 2008 - 2013) gründe. Die BF hob ausdrücklich hervor, dass sie das Ergebnis der Außenprüfung akzeptiere. Ausdrücklich wurde ausgeführt:
„ Die Thematik, dass die getätigten Zahlungen in den Bescheiden und Vorschreibungen nicht durch die Finanzverwaltung berichtigt wurden, ergeben die Differenzen am Steuerkonto 61 2. Auf diesen Umstand wurde mehrfach schriftlich hingewiesen, dass zu den berichtigten Bescheiden auch die getätigten Zahlungen zu berichtigen sind, wer in der Finanzverwaltung für diese Buchungen am Steuerkonto 61 2 zuständig ist, entzieht sich unserer Kenntnis.
Als Beweis gegen das Steuerkonto 61 2 mit den getätigten Überweisungen aus UVA unter Nachforderungen bezogen auf die Kennzeichnung Abgaben U – (Umsatzsteuer), das neu hervorgekommene Beweismittel zu Punkt b.) § 303 Abs. 1 BAO begründet die weitere Berufung.
Beilage : Übersicht Außenprüfung 30.5.2015: Zahlungen Steuerkonto“
Es folgt eine Aufstellung der Umsatzsteuerzahllasten laut den im Anschluss an die angesprochene Außenprüfung ergangen Bescheide, denen Zahlungen gegenübergestellt wurden. Dieser Aufstellung zufolge ergeben sich aufgrund der Zahlungen gegenüber den festgesetzten Zahllasten Gutschriften (2008: Euro 681,71, 2009: Euro 412,20, 2011: 3.968,32) bzw. Nachforderungen (2010: Euro 1.434,40, 2012: Euro 1.593,17), somit insgesamt eine Gutschrift von Euro 2.036,66.
Das Finanzamt wies die Beschwerden mit Beschwerdevorentscheidungen ab. Betreffend die Jahre 2008 bis 2011 wurde zur Begründung ebenso wie in den angefochtenen Bescheiden auf die bereits eingetretene Verjährung hingewiesen. In der Beschwerdevorentscheidung hinsichtlich des Jahres 2012 wurde die Begründung des Erstbescheides wiederholt.
Im Vorlageantrag wurde Folgendes ausgeführt:
„ In vorangegangenen Schriftstücken haben wir sie mehrfach über die Beweggründe und deren Beweisen schriftlich in Kenntnis gesetzt, dass durch unsere Steuerberater fehlerhafte Umsatzsteuererklärungen, Körperschaftsteuererklärungen, Einkommensteuererklärungen und daraus resultierend auch die Bilanzen im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen des Unternehmensgesetzbuches falsch erstellt wurden.
Als Beweis gilt das Steuerkonto 61 2 mit den getätigten Überweisungen aus UVA und den Nachforderungen bezogen auf die Kennzeichnung Abgaben Art U-(Umsatzsteuer), das neu hervorgekommene Beweismittel zu Punkt b.) § 303 Abs. 1 BAO begründete die weitere Berufung.
Wir ersuchen die Finanzverwaltung in tatsächlicher getätigten Zahlungen am Steuerkonto 61 2 zu berichtigen, wir halten nochmals fest, dass aufgrund der fehlerhaften Wiederaufnahme der Jahre 2008 bis 2013 eine Verjährung rechtlich nicht möglich ist. “
Dem Vorlageantrag angeschlossen wurde bereits der Beschwerde beigefügte Aufstellung festgesetzter Umsatzsteuerzahllasten und geleisteter Zahlungen.
In weiterer Folge übermittelte die BF dem BFG Unterlagen. Auch in diesen ist von Zahlungen (E-Mail vom 4.4.2019: „zu viel geleistete Zahlungen“; E-Mail vom 8.5.2019: „Lösungsvorschlag an das Finanzamt: Berichtigung des Steuerkontos) die Rede.
In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ist noch festzuhalten, dass die BF die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet (Istbesteuerung), und dass – wie in der Beschwerde anklingt - bei der BF im Jahr 2015 eine die Streitjahre umfassende Außenprüfung abgeführt wurde. Im Anschluss an dieselbe wurden am 14. Juli 2015 Bescheide über die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre erlassen. Diese Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 207 Abs. 1 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen der Verjährung.
Nach § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist (bei der Umsatzsteuer) 5 Jahre.
Gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO beginnt die Verjährung im Falle des §§ 207 Abs. 2 mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
Da die BF ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten berechnet, entsteht nach § 19 Abs. 2 lit. b) UStG 1994 die Umsatzsteuerschuld mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (Istbesteuerung).
Werden innerhalb der Verjährungsfrist (§ 207) nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruchs von der Abgabenbehörde unternommen, so verlängert sich die gemäß § 209 Abs. 1 BAO Verjährungsfrist um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängert sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.
Umgelegt auf den gegenständlichen Beschwerdefall ergibt sich in Bezug auf die vom Finanzamt als Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren gewerteten, am 20.03.2018 eingelangten Schriftsatz was die Verjährungsfrist anlangt folgendes Bild:
| Beginn Verjährung | Erstbescheid (1.Unterbrechung) | Ablauf Verjährungsfrist | Prüfungsauftrag Außenprüfung (2. Unterbrechung) | Endgültiger Ablauf Verjährungsfrist |
2008 | 2009 | 23.12.2009 | 2014 (5+1) | 19.11.2014 (+1)(USt 04/2014-09/2014) | 2015 |
2009 | 2010 | 19.01.2011 | 2015 (5+1) | 22.01.2015 (+1)(USt 2008-2013) | 2016 |
2010 | 2011 | 07.10.2011 | 2016 (5+1) |
| 2016 |
2011 | 2012 | 03.10.2012 | 2017 (5+1) |
| 2017 |
2012 | 2013 | 18.10.2013 | 2018 (5+1) |
| 2018 |
Aus obiger Tabelle ergibt sich, dass das Recht des Finanzamtes Umsatzsteuer für die Jahre 2008 - 2011 festzusetzen, bereits verjährt ist. Es ist demnach sowohl dem Finanzamt als auch dem Bundesfinanzgericht verwehrt, die Verfahren betreffend Umsatzsteuer für die genannten Jahre gemäß § 303 Abs. 1 lit. b) BAO wieder aufzunehmen und Abgaben neu festzusetzen, und geht daher der Hinweis der BF im Vorlageantrag darauf, dass „aufgrund der fehlerhaften Wiederaufnahme der Jahre 2000-2013 eine Verjährung rechtlich nicht möglich ist“ ins Leere.
Betreffend das Jahr 2011 ist laut obiger Tabelle und auch den Ausführungen des Finanzamtes zufolge Verjährung zwar noch nicht eingetreten. Der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer für das genannte Jahr steht jedoch der Umstand entgegen, dass die BF keinerlei Umstände im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b) BAO bezeichnet (neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel) hat, deren Kenntnis allein oder i.V.m. dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Im gegenständlichen Fall ist das Vorbringen der BF nicht dazu geeignet, im Spruch anderslautende Bescheide herbeizuführen: Hob doch die BF ausdrücklich hervor, dass sie das Ergebnis der Außenprüfung akzeptiere (Vorlageantrag) und begehrt nur, die „tatsächlich getätigten Zahlungen am Steuerkonto 61 2 zu berichtigen“ (Beschwerdeschriftsatz), spricht von „zu viel geleisteten Zahlungen“ (E-Mail vom 4.4.2019) oder regt als Lösungsvorschlag an das Finanzamt die „Berichtigung des Steuerkontos“ an (E-Mail vom 8.5.2019).
Über die Richtigkeit der Verbuchung von Zahlungen am Abgabenkonto abzusprechen, ist auch nicht Gegenstand des Verfahrens über die Veranlagung der Umsatzsteuer (siehe § 216 BAO).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Klagenfurt am Wörthersee, am 17. Mai 2019
Zusatzinformationen | |
|---|---|
Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 207 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Wiederaufnahme, Verjährung |
