Diebstähle durch Angestellte einer Trafik als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2015:RV.2100082.2013
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., Adr., vertreten durch Dr. Erich Moser, Schwarzenbergsiedlung 114, 8850 Murau gegen die Bescheide des Finanzamtes Judenburg Liezen vom 25.10.2012 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2007 und 2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen integrierenden Bestandteil dieses Spruches.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Einkommensteuerbescheide der Frau Bf. (in der Folge auch Beschwerdeführerin / Bf. genannt) für die Jahre 2007 und 2008 ergingen am 11. März 2008 bzw. am 18. Februar 2009 auf Grund der eingereichten Steuererklärungen.
In der Folge wurde die Arbeitnehmerveranlagung des Finanzamtes darüber informiert, dass im Zuge einer Betriebsprüfung bei der Trafik X in den Jahren 2007 und 2008 Kassenfehlbeträge festgestellt worden seien und Sicherheitszuschläge in Höhe von 25.000 € netto für 2007 bzw. 10.000 € netto für 2008 festgesetzt worden seien. Durch Recherchen des Trafikanten und Ermittlungen durch die Polizei habe festgestellt werden können, dass sich die Kassenfehlbeträge auf Grund von Diebstählen der Bf., die Dienstnehmerin in der Trafik gewesen sei, ergeben hätten. Die Bf. wurde lt. Urteil vom 6.9.2012 vom Landesgericht Z wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls bedingt zu 10 Monaten Freiheitsstrafe bestraft, da sie im Zeitraum 1.1.2007 bis 17.3.2012 in unzähligen Angriffen ihrem Dienstgeber Bargeld und Zigaretten in einem nicht bekannten, 3.000 €, nicht jedoch 50.000 € übersteigenden Gesamtwert mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie die Tathandlungen in der Absicht vornahm, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Mit Bescheiden vom 25.10.2012 wurden die Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 2007 und 2008 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder aufgenommen, da auf Grund der Feststellungen im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung beim Dienstgeber der Bf. Tatsachen und/oder Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im abgeschlossenen Verfahren zur Einkommensteuer nicht berücksichtigt worden seien. Die Kenntnis dieser Umstände allein bzw. in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens würden zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid führen. Dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit sei der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit einzuräumen, wobei sich nicht bloß eine geringfügige steuerliche Gesamtauswirkung ergebe. Bezüglich der Rechtswidrigkeiten werde auf die Begründung des neuen Sachbescheides verwiesen.
Mit demselben Datum wurden die neuen Sachbescheide für die Einkommensteuer 2007 und 2008 erlassen. Das Finanzamt setzte als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zusätzlich 30.000 € für 2007 und 12.000 € für 2008 an. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die im Zuge der Betriebsführung (gemeint: Betriebsprüfung) beim Dienstgeber der Bf. ermittelten Kassenfehlbeträge hätten sich als von der Bf. veruntreute Beträge herausgestellt, wobei ein entsprechendes Urteil über das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls ergangen sei. Dadurch habe sich die Bf. als Arbeitnehmerin Vorteile aus diesem Dienstverhältnis ohne Willenszustimmung des Arbeitgebers verschaffen, somit seien die derartig erzielten Einnahmen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a erster Satz EStG 1988 im Veranlagungsweg gemäß § 41 EStG 1988 unter Berücksichtigung der Bestimmungen über den Zeitpunkt des Zuflusses von Einnahmen gemäß § 19 Abs. 1 EStG 1988 zu erfassen gewesen.
Gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 und die Bescheide über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2007 und 2008, jeweils vom 25.10.2012, erhob die Beschwerdeführerin die Berufung (nach der nunmehr geltenden Rechtslage Beschwerde genannt) mit der Begründung, dass sie ihrem Arbeitgeber durch Diebstahlshandlungen einen Gesamtschaden in der Höhe von 3.288 € zugefügt habe, welchen sie durch entsprechend hohe Schadenersatzzahlung abgedeckt habe. Sie verweist auf ihren Beweisantrag an das Landesgericht Z vom 6.8.2012. Der Versuch ihres Arbeitgebers der Bf. im Strafverfahren einen Gesamtschaden von 28.000 € (mehr oder weniger) nachzuweisen sei gescheitert, deshalb sei der Arbeitgeber mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Stattdessen sei das Gericht lediglich davon ausgegangen, dass der zu beurteilende Schaden (jedenfalls) 3.000 € überstiegen habe, sodass § 130 StGB zur Anwendung gelangen habe müssen. Der Arbeitgeber habe im Strafverfahren ausgesagt, dass in der Trafikbranche von einem jährlichen Schwund von 1% des Gesamtjahresumsatzes auszugehen sei und in einer Trafik punktgenau gar nichts verbucht werden könne, wie überhaupt Diebstähle (gemeint: von Kunden) in einer Trafik immer wieder vorkommen. Im Ergebnis verwahre sich die Bf., dass ihr durch die beiden Einkommensteuerbescheide sämtliche Abgänge, die die finanzbehördliche Betriebsprüfung in der Sphäre des Arbeitgebers ergeben habe, angelastet werde. Eine Folge der unrichtigen (nachträglichen) Einkommensteuerermittlung sei, dass die Festsetzung der Anspruchszinsen ebenso unrichtig sei. Die Beischaffung des Strafaktes des Landesgerichtes Z wird beantragt.
Bei der Beschuldigtenvernehmung vor der Polizei am 19.3.2012 gab die Bf. an, dass sich vor ca. fünf bis sechs Jahren für sie eine Gelegenheit ergeben habe, Bargeld des Arbeitgebers zu nehmen und dieses für Anschaffungen für ihre Wohnung zu verwenden. Da diese Zugriffe anfangs nicht bemerkt worden seien, habe sie diese in nicht mehr bekannten zeitlichen Abständen wiederholt. In den folgenden Jahren habe sie immer wieder Bargeld des Arbeitgebers genommen, es habe sich um 10 €- bis 20 €-Geldscheine und um Münzen gehandelt, sie habe aber auch Zigarettenpackungen zum täglichen Gebrauch genommen. Die Bf. könne nicht sagen, wie viel Geld sie in den vergangenen Jahren widerrechtlich an sich genommen habe, es dürften mehrere Tausend Euro (3.000 €) gewesen sein. Lt. Verhandlungsmitschriften des Landesgerichts Z vom 9.8.2012 bzw. 6.9.2012 legte der Arbeitgeber der Bf. eine Schadensaufstellung für die Jahre 2007 bis 2012 vor, wobei die Schadenssumme für 2007 4.910,40 € und für 2008 5.025 € betrage. Der Arbeitgeber gab an, dass die Schadensaufstellung von seinem Steuerberater gemeinsam mit dem Finanzprüfer erstellt worden sei. Die Schadenssummen seien berechnet worden, indem nach Abzug der Urlaubstage und Feiertage, pro Arbeitstag ein Betrag von 20 €, eine Packung Zigaretten und 1 € pro Arbeitstag für Billets, Papier und Getränke angesetzt worden seien. Der branchenübliche Schwund werde mit ca. 1% vom Jahresumsatz, der knapp 2 Millionen Euro betrage, einkalkuliert., den Eigenverbrauch habe er immer im Nachhinein verbucht, Diebstähle kämen in der Trafik immer wieder vor.
Die Bf. gab an, dass sie sowohl Papiergeld als auch Münzen genommen habe, es seien 10 € bis 30 € pro Zugriff gewesen, sie habe an einem Tag nicht mehrmals, sondern nur einmal zugegriffen. Die Münzen habe sie zu Hause gesammelt und diese im Betrag von 478 € bereits zurückgegeben, weiters habe die Bf. zusätzlich 2.810 € Schadenersatz an ihren Arbeitgeber bezahlt.
Gemäß § 366 Abs. 2 StPO wurde der Privatbeteiligte (der Arbeitgeber) mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Das Finanzamt legte die Berufung ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.
Ab 1.1.2014 wurde der Unabhängige Finanzsenat durch das Bundesfinanzgericht abgelöst.
Der Arbeitgeber der Bf. teilte über Befragen durch die Richterin telefonisch mit, dass er keine Zivilrechtsklage über seine Schadenersatzforderung gegen die Bf. eingebracht habe.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1) Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008
Gemäß § 15 Abs. 1 EStG 1988 idgF liegen Einnahmen vor, wenn dem Steuerpflichtigen Geld oder geldwerte Vorteile im Rahmen der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 Z 4 bis 7 EStG 1988 zufließen. Der Einkommensteuer unterliegen gemäß § 2 Abs. 3 Z 4 EStG 1988 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, zu denen gemäß der Regelung des § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a erster Satz EStG 1988 die Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis zählen.
Zu den Vorteilen aus einem Dienstverhältnis im Sinne des § 25 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 gehören nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch solche, die sich ein Arbeitnehmer ohne Willensübereinstimmung mit dem Arbeitgeber aneignet, zB. Bestechungsgelder oder Warendiebstähle (vgl. VwGH 25.02.1997, 95/14/0112 und VwGH 16.01.1991, 90/13/0285). Vorteile, die sich der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers verschafft, unterliegen nicht dem Lohnsteuerabzug, sondern sind im Veranlagungsweg zu erfassen. Nicht nur das im Rahmen des Dienstvertrages vereinbarte Entgelt zählt zu den Einkünften iSd § 25 Abs. 1 Z 1 EStG 1988, sondern ebenso alle anderen Vorteile, zu denen auch solche gehören, auf die kein Rechtsanspruch besteht oder die sich ein Arbeitnehmer selbst gegen den Willen des Arbeitgebers verschafft. Wenn der Dienstnehmer eine ihm durch das Dienstverhältnis gebotene Gelegenheit nutzt, um sich zu bereichern, und solcherart Vorteile erzielt, liegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor. Das durch ein strafgesetzwidriges Tun oder Unterlassen aus dem allgemeinen Wirtschaftsverkehr entsprechenden Rechtsgeschäften gewonnene Einkommen löst, sofern es den Kriterien der §§ 2, 21 ff EStG 1988 entspricht, eine Einkommensteuerpflicht aus (vgl. VwGH 26.11.2002, 99/15/0154; auch OGH 11 Os 194/97). Im Falle von Rückzahlungen der ungerechtfertigt erlangten Beträge kommt die Geltendmachung als Werbungskosten im Sinne des § 16 Abs. 2 EStG 1988 in Betracht (vgl. VwGH 25.02.1997, 95/14/0112).
Zu den Werbungskosten zählt nämlich nach § 16 Abs. 2 EStG 1988 auch die Erstattung (Rückzahlung) von Einnahmen, sofern weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurde. Der Begriff "willkürlich" ist im § 16 Abs. 2 EStG 1988 nicht definiert. Eine willkürliche Festsetzung liegt vor, wenn außer einer Steuerersparnis keine sachlichen Gründe für die Festsetzung des Zeitpunktes des Zufließens der Einnahme oder des Zeitpunktes der Rückzahlung gegeben sind. Es müssen zwingende wirtschaftliche Gründe eine andere Auszahlung oder Rückzahlung verhindert haben. Durch den Ausschluss des Werbungskostenabzugs soll Missbrauch verhindert werden (vgl. Zorn in Hofstätter/Reichel, EStG, § 16 Abs. 2, Tz 1).
Gemäß § 19 Abs. 1 EStG 1988 sind Einnahmen in jenem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nach § 19 Abs. 2 EStG 1988 sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind.
Ein Zufluss im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG 1988 muss sich wirtschaftlich in einer Vermehrung des Vermögens des Steuerpflichtigen auswirken. Das bedeutet aber, dass von einem steuerlich beachtlichen Zufluss nur dann gesprochen werden kann, wenn der Steuerpflichtige rechtlich und wirtschaftlich über Einnahmen verfügen kann, sobald er also die volle Verfügungsmacht über sie erhält (vgl. VwGH 5.3.1986, 85/13/0085, VwGH 17.10.1984, 82/13/0266 und VwGH 22.2.1993, 92/15/0048). Der Verwaltungsgerichtshof setzt zwar die rechtliche Verfügungsmöglichkeit voraus, doch begründen auch widerrechtlich bezogene geldwerte Vorteile Einnahmen (VwGH 17.1.1989, 88/14/0010).
Gemäß § 116 Abs. 2 BAO sind Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, von der Abgabenbehörde im Sinne des Abs. 1 zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Abgabenbehörde an die im Spruch des die Partei betreffenden rechtskräftigen Strafurteiles (erster Instanz) festgestellten Tatsachen bzw. an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen dieser Spruch beruht, gebunden. Die Judikatur betrifft verurteilende Entscheidungen (vgl. Ritz, BAO Kommentar 5 , § 116 Rz 14 mit weiteren Judikaturverweisen).
Ausgehend von der gegebenen Bindung an den vom Strafgericht festgestellten Sachverhalt ist die steuerrechtliche Beurteilung zunächst dahingehend zu treffen, dass die Bf. aus ihren strafbaren Handlungen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die zwar nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegen, jedoch im Veranlagungswege zu erfassen sind, erzielt hat.
Auf Grund der Tatsache, dass im Strafverfahren keine zeitraumbezogenen und betragsmäßigen Feststellungen getroffen wurden, in welchem sich die Bf. in welcher Höhe („ ... in einem nicht bekannten, 3.000 € nicht jedoch 50.000 € übersteigenden, Gesamtwert ...") bereichert hat, sind die Besteuerungsgrundlagen für den vom Strafurteil umfassten Zeitraum 1.1.2007 bis 17.3.2012 im Schätzungswege zu ermitteln.
Nach § 366 Abs. 2 StPO ist der Privatbeteiligte nämlich auf den Zivilrechtsweg zu verweisen, wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens keine ausreichende Grundlage für eine auch nur teilweise Beurteilung des geltend gemachten privatrechtlichen Anspruchs bieten, es sei denn, dass die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen durch eine die Entscheidung in der Schuld- und Straffrage nicht erheblich verzögernde Beweisaufnahme ermittelt werden können.
Der Arbeitgeber der Bf. gab an, dass er seine Ansprüche beim Zivilgericht nicht geltend machte.
Das Finanzamt vertrat in den bekämpften Einkommensteuerbescheiden die Ansicht, dass die von der Betriebsprüfung festgestellten Kassenfehlbeträge im Unternehmen des Arbeitgebers der Bf. zuzurechnen seien und hat die zuerst dem Arbeitgeber vorgeschriebenen Sicherheitszuschläge von brutto 30.000 € für 2007 und 12.000 € für 2008 der Einkommensteuer der Bf. unterzogen.
Die Bf. bringt dagegen in der Berufung ohne Vorlage von nachvollziehbaren Unterlagen vor, dass sie ihrem Arbeitgeber durch Diebstahlshandlungen einen Gesamtschaden in der Höhe von 3.288 € zugefügt habe, welchen sie durch entsprechend hohe Schadenersatzzahlung abgedeckt habe. Der Verweis auf den Beweisantrag im Strafverfahren ist für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nicht zielführend, da die Abgabenbehörde nicht an derartige Beweisanträge gebunden ist und vom Strafgericht keine Feststellungen dazu getroffen wurden.
Dem § 184 Abs. 1 BAO zufolge hat die Abgabenbehörde die Besteuerungsgrundlagen dann zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann.
Sinn der Schätzung im Abgabenverfahren ist es, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, somit ein Ergebnis zu erreichen, von dem anzunehmen ist, dass es die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat; eine Schätzung darf daher nicht den Charakter einer Strafbesteuerung haben.
"Schätzen" bedeutet, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsschlüsse sowie durch begründetes Einbeziehen und Ausschließen von Möglichkeiten zu ermitteln. Das Ziel muss die sachliche Richtigkeit des gewonnenen Ergebnisses sein. Je geringer die Anhaltspunkte, von denen auch schlüssige Folgerungen gezogen werden können, desto größer sind naturgemäß die Unsicherheiten, desto weiter kann sich das Schätzungsergebnis vom tatsächlichen Geschehen entfernen. Wer zur Schätzung begründeten Anlass gibt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Unsicherheit hinnehmen. Eine Fehlertoleranz - im Ergebnis, nicht im Verfahren und Denkvorgang - muss als der Schätzung immanent angenommen werden (VwGH 21.5.1980, 0779/79)
Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ist die Einbeziehung von Sicherheitszuschlägen, in der Höhe wie sie zuerst beim Arbeitgeber der Bf. auf Grund der Kassenfehlbeträge angesetzt wurden, bei der Arbeitnehmerveranlagung der Bf. nicht gerechtfertigt, da die Kassenfehlbeträge neben dem Diebstahl durch die Bf. auch andere Ursachen haben könnten. In der Zeugeneinvernahme gab der Trafikant zu Protokoll, dass auch Diebstähle von Kunden branchenüblich seien und der Schwund ca. 1% des Jahresumsatzes ausmache, darüber hinaus werde der Eigenverbrauch erst im Nachhinein verbucht, was eine Fehlerquelle bedeuten könnte, und außerdem könne ohnehin nicht alles „punktgenau“ verbucht werden.
Auch das Vorbringen der Bf. die Gesamtschadenshöhe für den vom Strafgericht festgestellten Zeitraum 1.1.2007 bis 17.3.2012 entspreche dem Betrag, den sie ersetzt habe, nämlich 3.288 €, erscheint dem Bundesfinanzgericht nicht glaubwürdig, da die Bf. mit den Diebstählen nach eigenen Angaben über mehr als fünf Jahre immer wieder widerrechtlich 10 €- bis 30 €-Geldbeträge an sich nahm. Das Strafgericht stellte auch fest, dass die Bf. die Absicht hatte durch die wiederkehrende Begehung sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.
Da weder die Bf. noch der Arbeitgeber die genaue Höhe des durch die Diebstähle verursachten Schadens vor dem Strafgericht angeben konnten, erscheint dem Bundesfinanzgericht am wahrscheinlichsten die Summe der Diebstähle aus der Schadensaufstellung des Arbeitgebers der Bf. zu übernehmen und für eine Schätzung nach § 184 BAO heranzuziehen. Diese Aufstellung wurde nach Angaben des Geschädigten von dessen Steuerberater mit Hilfe des Betriebsprüfers erstellt, und es geht daraus hervor, dass die Bf. im Jahr 2007 4.910,40 € und im Jahr 2008 5.025 € Schaden durch die Diebstähle verursacht hat. Die Schadenssummen wurden berechnet, indem nach Abzug der Urlaubstage der Bf. und Feiertage, pro Arbeitstag ein Betrag von 20 €, eine Packung Zigaretten und 1 € pro Arbeitstag für Billets, Papier und Getränke angesetzt wurden. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes entspricht es auch nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens, dass ein Geschädigter vor Gericht eine geringere Schadenssumme angibt als sein tatsächlicher Schaden ausmacht, auch wenn die Ermittlung der Schadenshöhe auf einer Schätzung beruht.
Auf Grund des im gegenständlichen Fall vorliegenden Sachverhaltes, der gesetzlichen Bestimmungen und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war deshalb der Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 teilweise stattzugeben.
2) Anspruchszinsenbescheide 2007 und 2008
Gemäß § 205 Abs. 1 erster Satz BAO sind Differenzbeträge an Einkommen- und Körperschaftsteuer, die sich aus Abgabenbescheiden unter Außerachtlassung von Anzahlungen, nach Gegenüberstellung mit Vorauszahlungen oder mit der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben, für den Zeitraum ab 1. Oktober des dem Jahr des Entstehens des Abgabenanspruches folgenden Jahres bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Bescheide zu verzinsen (Anspruchszinsen).
Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung betragen die Anspruchszinsen pro Jahr 2% über dem Basiszinssatz und sind für einen Zeitraum von höchstens 48 Monaten festzusetzen. Anspruchszinsen, die den Betrag von 50 € nicht erreichen, sind nicht festzusetzen.
Nach dem Normzweck des § 205 BAO gleichen Anspruchszinsen die Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile aus, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzung ergeben (siehe dazu auch die Ausführungen in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der oben zitierten Gesetzesbestimmung, RV 311 BlgNR 21. GP , 196 und VwGH 24.9.2008, 2007/15/0175). Dabei löst jede Nachforderung bzw. Gutschrift gegebenenfalls einen (neuen) Anspruchszinsenbescheid aus. Anspruchszinsenbescheide sind damit an die Höhe der im Bescheidspruch des Einkommen- oder Körperschaftsteuerbescheides ausgewiesenen Nachforderung oder Gutschrift gebunden (Ritz, SWK 2001, Seiten 27 ff). Erweist sich der Stammabgabenbescheid nachträglich als rechtswidrig und wird er entsprechend abgeändert (oder aufgehoben), so wird diesem Umstand mit einem an den Abänderungsbescheid (Aufhebungsbescheid) gebundenen Zinsenbescheid Rechnung getragen. Es ergeht ein weiterer Zinsenbescheid (es erfolgt daher keine Abänderung des ursprünglichen Zinsenbescheides).
Der Zinsenbescheid ist an die im Spruch des zur Nachforderung oder Gutschrift führenden Bescheides ausgewiesene Nachforderung bzw. Gutschrift gebunden (VwGH 27.2.2008, 2005/13/0039, VwGH 27.3.2008, 2008/13/0036 und VwGH 29.7.2010, 2008/15/0107).
Der Zinsenbescheid ist mit Bescheidbeschwerde anfechtbar etwa mit der Begründung, der maßgebende Einkommensteuerbescheid sei nicht zugestellt worden oder der im Zinsenbescheid angenommene Zeitpunkt seiner Zustellung sei unzutreffend. Wegen der genannten Bindung ist der Zinsenbescheid allerdings nicht (mit Aussicht auf Erfolg) mit der Begründung anfechtbar, der maßgebende Einkommensteuerbescheid sei inhaltlich rechtswidrig (vgl. Ritz, BAO Kommentar 5 , § 205 Rz 34).
Im vorliegenden Fall werden durch die teilweise Stattgabe der Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 neue Anspruchszinsenbescheide ergehen.
Die Beschwerde gegen die Anspruchszinsenbescheide 2007 und 2008 war daher als unbegründet abzuweisen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliegt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht (siehe zitierte VwGH-Judikatur), ist eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.
Graz, am 20. April 2015
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 15 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: | VwGH 29.07.2010, 2008/15/0107 |