BFG RV/1100662/2016

BFGRV/1100662/201615.3.2017

Ist der Ausschluss von Erledigungsentwürfen von der Akteneinsicht unbedingt?

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2017:RV.1100662.2016

 

Beachte:
Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2017/15/0021. Mit Erk. v. 29.05.2018 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss zur Zl. RV/1100304/2018 erledigt.

Anmerkungen:
Zum Umfang des Rechts auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO gibt es keine höchstgerichtliche Judikatur, die auf die Novellierung des Art. 20 Abs. 3 B-VG durch BGBl 285/1987 Bezug nimmt. Auch wenn das Gericht die restriktive Auslegung durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht teilt und als überholt erachtet, so vermag sich dieser Standpunkt doch auf höchstgerichtliche Judikatur, ergangen nach der Novellierung von Art. 20 Abs. 3 B-VG (VwGH 25.6.1992, 91/16/0057), auf eine Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS 2.2.2010, RV/1371-L/09), auf Fischerlehner (Abgabenverfahren2 2016) § 90 Anm.3) und nicht zuletzt auf den aktuell gültigen Wortlaut des § 90 Abs. 2 BAO zu berufen. Im Hinblick darauf kann der entschiedenen Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung nicht abgesprochen werden.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Romuald Kopf in der Beschwerdesache der MW AG, Adr1, als Rechtsnachfolgerin der  MW GmbH, ehemals Adr2, vertreten durch WTG, über die Beschwerde vom 03.11.2016 gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch vom 30.09.2016, betreffend Abweisung eines Antrages auf Akteneinsichtnahme zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird – ersatzlos – aufgehoben.

Dem Antrag vom 2.12.2014 ist zu entsprechen. Die von der Akteneinsicht ausgenommenen, auf Seite 5 des angefochtenen Bescheides angeführten Aktenstücke sind für eine Akteneinsicht freizugeben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schriftsatz vom 2.12.2014 stellte die Beschwerdeführerin, nachfolgend Bf abgekürzt, einen Antrag auf Akteneinsicht. Sinngemäß begründete sie ihren Antrag wie folgt: Nachdem seit der letzten Akteneinsicht am 26.5.2014 fast ein halbes Jahr verstrichen und der im Akt erliegende Entwurf der Beschwerdevorentscheidung vom 31.3.2014 bislang nicht versendet worden sei, werde ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Gegenstand der Akteneinsicht seien alle abgabenrechtlich bedeutsamen Aktenteile. Beratungsprotokolle, Amtsvorträge, Erledigungsentwürfe und sonstige Schriftstücke seien von der Akteneinsicht nur dann ausgeschlossen, wenn deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen herbeiführen würde (Ritz, BAO5, § 90 Tz 8; BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03). Ausgehend von dieser Rechtslage sei daher uneingeschränkte Akteneinsicht in sämtliche Korrespondenz sowie Aktenvermerke et cetera zu gewähren, welche im Zusammenhang mit der bis dato nicht erfolgten Erledigung des Verfahrens entsprechend dem im Akt erliegenden Entwurf einer Beschwerdevorentscheidung stünden.

Im Schreiben vom 20.1.2015, gerichtet an den Vorstand des Finanzamtes, wiederholte die Bf präzisierend ihr Begehren. Da dieser Schriftsatz dem Gericht nicht vorgelegt worden ist, wurde er über Ersuchen des Gerichts und Vermittlung des Finanzamtes vom Vertreter der Bf mit E-Mail vom 9.3.2017 dem Gericht nachgereicht (ON 35). Im Schreiben vom 20.1.2015 stützt sich die Bf in ihrer Rechtsmeinung neuerlich auf übereinstimmende Lehre (Ritz, BAO5, § 90 Tz 8), Rechtsprechung (UFS 25.8.2004, FSRV/0078-L/04) und Verwaltungspraxis (BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03). Weiters wiederholte die Bf, die begehrte Akteneinsicht bezwecke ua die Stoffsammlung für Amtshaftungsansprüche. Mangels konkreter Kenntnis des Inhalts von im Akt vermuteter Schriftstücke, könne das Begehren auf Akteneinsicht freilich nicht näher präzisiert werden. Allerdings genüge im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 30.3.1998, 97/16/0471) bereits die Behauptung, in Vollziehung abgabenrechtlicher Vorschriften im Sinne von § 1 AHG geschädigt worden zu sein. Konkret gehe es ihr darum festzustellen, ob und gegebenenfalls von wem Rechtsmeinungen aufgrund des festgestellten Sachverhaltes oder aufgrund eines nicht festgestellten Sachverhaltes geäußert würden, ob jemand Kompetenzen überschreite oder nicht, ob willkürlich der Sachverhalt geändert werde oder ob denkunmögliche Rechtsmeinungen vertreten würden.

in der Folge sprach ein Vertreter der Bf nach terminlicher Vereinbarung beim Finanzamt vor. Dies wurde in der Niederschrift vom 4.2.2015 festgehalten. In der Niederschrift sind jene Schriftstücke unter Angabe von Absender, Empfänger und Sendedatum angeführt, die im Wege der elektronischen Post behördenintern versendet worden sind und die nun behördlicherseits von der Akteneinsicht ausgenommen wurden. Die Schriftstücke sind in drei verschieden Gruppen zusammengefasst:

Begründend wird in der Niederschrift ausgeführt, die von der Akteneinsicht ausgenommenen Aktenstücke beträfen lediglich innerbehördliche Vorgänge. Somit sei ein abgabenrechtliches Interesse der Antragstellerin am Inhalt dieser Schriftstücke nicht unmittelbar erkennbar.

Mit Bescheid vom 30.9.2016 wies das Finanzamt den Antrag vom 2.12.2014 als unbegründet ab (ON 2). Nach ausführlicher Schilderung des Verwaltungsgeschehens und weitgehender Wiedergabe des Inhalts der im gegebenen Zusammenhang wichtigsten Aktenstücke (ON 4/2, Antrag vom 2.12.2014; ON 35/2, Schreiben vom 20.1.2015; ON 30, Stellungnahme des bundesweiten Fachbereichs vom 13.1.2015; ON 5, Niederschrift vom 4.2.2015; ON 32, Anfrage vom 13.3.2015 an den bundesweiten Fachbereich; ON 33, Antwort des bundesweiten Fachbereichs vom 16.3.2015) begründete das Finanzamt den Ausschluss der im einzelnen wie in der Niederschrift vom 4.2.2015 angeführten Schriftstücke von der Akteneinsicht sinngemäß wie folgt: Vorweg sei festzustellen, dass zwischenzeitlich im bezughabenden Abgabenverfahren die vom 14.4.2015 datierende Beschwerdevorentscheidung erlassen worden sei. Aufgrund des Vorlageantrages vom 6.5.2015 und der Beschwerdevorlage vom 3.6.2016 behänge die Rechtssache nun nicht mehr beim Finanzamt, sondern beim BFG. Dies habe zur Folge, dass nunmehr über den Antrag auf Akteneinsicht außerhalb des Abgabenverfahrens bescheidmäßig entschieden werde. Dabei schließe sich das Finanzamt der Rechtsmeinung des Unabhängigen Finanzsenates an (UFS 2.2.2010, RV/1371-L/09). Nach der zitierten Berufungsentscheidung seien im Hinblick auf § 90 Abs. 2 BAO Schriftstücke, mit denen innerbehördliche Amtsvorträge aufgezeichnet und festgehalten werden, von der Einsicht- und Abschriftnahme unbedingt ausgenommen.  

Die Bf erhob mit Schriftsatz vom 3.11.2016 Beschwerde (ON 1). Nach einleitenden Vorbemerkungen und Ausführungen zur Zulässigkeit der Beschwerde wiederholte die Bf ihr Vorbringen vom 20.1.2015. Danach sei die vom Finanzamt ins Treffen geführte Berufungsentscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS 2.2.2010, RV/1371-L/09) nicht geeignet, den angefochtenen Bescheid zu tragen. Vielmehr sei nach der Rechtsmeinung des Finanzministeriums (BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03), die sich mit dem Schrifttum (Ritz, BAO5, § 90 Tz 8) und (anderer) Rechtsprechung den Unabhängigen Finanzsenates (UFS 25.8.2004, FSRV/0078-L/04) decke, Akteneinsicht voll und ohne Beschränkung zu gewähren. In Unkenntnis des Inhalts der von der Akteneinsicht ausgenommenen Schriftstücke könne sie (die Bf) nur mutmaßen, dass in diesen Schriftstücken Rechtsmeinungen ausgetauscht würden und dass aufgrund dieses Schriftverkehrs Rückschlüsse auf die Gründe möglich seien, weshalb der Entwurf einer Beschwerdevorentscheidung vom 31.3.2014 über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren nicht versendet worden sei.

Abschließend beantragte die Bf ua, dieses (die Akteneinsicht betreffende) Verfahren mit dem (beim BFG damals bereits anhängigen) Abgabenverfahren der MWG zu verbinden.

Mit Erkenntnis vom 21.2.2017, RV/1100360/2016 (ON 36), entschied das BFG durch einen Senat über die Beschwerde der Bf betreffend Wiederaufnahme hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2005 bis 2008 sowie betreffend Körperschaftsteuer und Anspruchszinsen hinsichtlich der Jahre 2005 bis 2008. Der zuständige Berichterstatter und  Vorsitzende hatte dabei zwar Kenntnis von der ebenfalls in seine Zuständigkeit fallenden Beschwerde betreffend Akteneinsicht. Der Inhalt der zuletzt genannten Beschwerde war ihm jedoch nicht im Detail bekannt. Im Hinblick auf die Komplexität des abgabenrechtlichen Beschwerdefalles konzentrierte sich der Sachbearbeiter voll und ganz auf diese Rechtssache. Dies auch in der (wie sich noch herausstellen sollte) unzutreffenden, nämlich von einem zu engen Verständnis von § 90 BAO ausgehenden Rechtsmeinung, dass im Rahmen der Klärung aller materiell-rechtlich strittigen Fragen auch der Umfang des Einsichtsrechtes geklärt würde, dass also geklärt würde, in welche (behördeninterne) Aktenteile die Bf zur Geltendmachung ihrer abgabenrechtlichen Interessen berechtigt ist, Einsicht zu nehmen. 

Den im Beschwerdeverfahren betreffend Akteneinsicht gestellten Verbindungsantrag kannte und behandelte der sachbearbeitende Richter nicht. Wohl aber war er im Abgabenverfahren - unabhängig vom Beschwerdeverfahren betreffend Akteneinsicht - intensiv (durch Erstellung und Abgleich von Inhaltsverzeichnissen) sowohl um eine vollständige Aktenvorlage als auch darum besorgt, dass die Bf Kenntnis aller vorgelegten Aktenteile hatte. Im Abgabenverfahren blieb kein Begehren auf Übermittlung von Aktenstücken (in Kopie) unerfüllt.  

Der Beschwerdevorentscheidungs-Entwurf vom 31.3.2014 wurde nie rechtswirksam. Die vom Finanzamt statt dessen erlassene, der Beurteilung durch die GBP folgende Beschwerdevorentscheidung vom 14.4.2015 wirkte zunächst wie ein Erkenntnis über die Beschwerde (§§ 263 Abs. 3 und 264 Abs. 3 BAO).  Mit dem BFG-Erkenntnis vom 21.2.2017 wurde der Beschwerde gegen die Körperschaftsteuerbescheide teilweise stattgegeben und die angefochtenen Bescheide zu Gunsten der Bf abgeändert. Die Senatsentscheidung vom 21.2.2017 trat an die Stelle der angefochtenen Bescheide und beseitigte die erlassene Beschwerdevorentscheidung vom 14.4.2015 aus dem Rechtsbestand.

Die im nunmehrigen Beschwerdeverfahren streitgegenständlichen Aktenteile waren im Verfahren, das mit dem Erkenntnis vom 21.2.2017, RV/1100360/2016, auf Ebene des BFG abgeschlossenen worden ist, nicht bekannt. Die Bf wurde seitens des Gerichtes in der Besprechung am 26.9.2016 dahingehend unterrichtet (MWG-Akt, BFG 155), dass das BFG die (materiellrechtliche) Rechtssache in eigener Verantwortung zu beurteilen hat, dabei uneingeschränkte Änderungsbefugnis hat (und somit an keinerlei behördeninterne Vorbeurteilungen gebunden ist). Eine nunmehrige gerichtliche Einsichtnahme in diese Aktenteile förderte keinerlei Gründe zu Tage, wonach diese Aktenteile für die Geltendmachung der abgabenrechtlichen Interesse der Bf im engeren Sinne erforderlich waren bzw. sind, wobei sich das Gericht in der Senatsentscheidung mit allen Argumenten ausführlich auseinander gesetzt hat, die von der GBP auf der einen Seite und vom Fachvorstand im BVE-Entwurf vom 31.3.2014 auf der anderen Seite ins Treffen geführt worden sind. 

Im Zuge der Bearbeitung der gegenständlichen Beschwerde stellte sich allerdings heraus, dass das abgabenrechtliche Interesse im Sinn von § 90 BAO auch in der  Stoffsammlung zur Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens bestehen kann. Das Gericht gab der Bf seinen Standpunkt mit Schriftsatz vom 10.2.2014 (ON 37) unter Anschluss eines Inhaltsverzeichnisses der vorgelegten, von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Aktenstücke mit der Einladung zur Stellungnahme wie folgt bekannt:

"Stoll (BAO-Kommentar 897) spricht sich mit überzeugenden Argumenten dafür aus, dass in verfassungskonformer Interpretation die Strenge der absoluten Ausgeschlossenheit von vorbereitenden Schriftsätzen bzw von Entscheidungsentwürfen nicht allein am einfachgesetzlichen Gesetzeswortlaut gemessen werden dürfe. Ein allein auf den Wortlaut gestütztes Verbot der Versagung der Einsichtnahme in Erledigungsentwürfe wäre nach Stoll auch deshalb verfehlt, weil dann, wenn eine abschließende Erledigung ergangen ist, das Argument der Geheimhaltung nicht mehr wirksam ist. Denn idR wird die abschließende Erledigung auch die wichtigsten Überlegungen von Entwürfen spiegeln, sei es, dass diese in die abschließende Entscheidung bestätigend oder verwerfend eingeflossen sind. Diesem pragmatischen, am Normzweck (Rechtsschutz) orientierten Auslegungsansatz hat sich Fischerlehner (UFSaktuell 1/2004, 7) angeschlossen. Auch der gefertigte Richter folgt der Auslegung Stolls und Fischerlehners.

Die von Ihnen zitierte Rechtsauffassung von Ritz (Ritz, BAO 5 , § 90 Tz 8), des BMF vom 5.11.2003 (AÖF 2004/14; FJ 2003, 420) und von Ellinger (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz , BAO 3 § 90 Anm 16) überzeugt nicht, da sie den Gesetzesvorbehalt in Art. 20 Abs. 3 B-VG ('soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist ') und damit die weiterhin in Wirksamkeit stehende Regelung des § 90 Abs. 2 BAO im Verständnis höchstgerichtlicher Auslegung (VwGH 25.6.1992, 91/16/0057) fast gänzlich unberücksichtigt lässt bzw ausblendet. Nach Überzeugung des Gefertigten verlangt § 90 BAO in verfassungskonformer Interpretation, aber auch unter Bedachtnahme auf den Gesetzeswortlaut eine Interessenabwägung.

Ausgangspunkt ist im gegebenen Zusammenhang die Überlegung, dass (auch) gerichts- bzw behördeninterne Vorgänge von vorbereitendem Charakter idR geschützt sind, da es auch einem Amt (insbesondere einer hierarchisch strukturierten, letztlich in Ministerverantwortung geführten Behörde) erlaubt sein soll, vorbereitende Gedanken und Meinungen im Sinne eines Brainstormings frei, ohne Wertung und Prüfung durch die Partei, ohne Pflicht zur Dokumentation bzw späteren Offenlegung, sowohl horizontal als auch vertikal auszutauschen. Dies gilt umso mehr, wenn sich die Behörde dabei einer Technik bedient, deren Ausstoß in anderem Zusammenhang lediglich als ein rechtliches Nichts zu qualifizieren ist. 

In weiterer Folge ist zu bedenken, dass dann, wenn Entwürfe und vorbereitender Gedankenaustausch in abschließende Erledigungen einfließen, sich (insoweit) das behördliche Schutzbedürfnis mit der Bekanntgabe an den Empfänger der Erledigung entsprechend reduziert. Korrespondierend reduziert sich allerdings idR auch das Potential an abgabenrechtlichem Interesse an einer Einsichtnahme.

Stehen (wie gegenständlich) keine berechtigten Interessen Dritter einer Akteneinsichtnahme entgegen und ist das behördliche Schutzbedürfnis gering, da sich eine abschließende Erledigung mit dem wesentlichen Teil jener Aktenstücke auseinandersetzt, deren Einsichtnahme begehrt wird, dann ist dem Antrag auf Akteneinsichtnahme stattzugeben, wenn vom Antragsteller ein konkretes abgabenrechtliches Interesse dargelegt wird.

c.) Bezogen auf den konkreten Fall ist von Bedeutung:

Die abschließenden materiellrechtlichen Entscheidungen (RV/1100360/2016 – RV/1100373/2016 sowie RV/1100644/2016 – RV/1100652/2016) durch den zuständigen Senat wurden nach zweitägiger Verhandlung getroffen. Die Entscheidungen wurden vom Senatsvorsitzenden verkündet, Ihre schriftliche Ausfertigung ist für 8. Kalenderwoche geplant.

In den Entscheidungen wird der Verfahrensgang dargestellt und auf eine Vorbesprechung vom 26.9.2016 Bezug genommen werden. Im Anschluss an diese Besprechung wurde den Vertretern der Parteien ein aktualisiertes Inhaltsverzeichnis mit der Einladung übermittelt zu prüfen, ob die entscheidungswesentlichen Aktenteile vollständig vorgelegt worden seien. Seitens der Bf wurde im Laufe des beim BFG anhängigen Verfahrens das Ersuchen um Übermittlung von Aktenstücken gestellt. Diesen Ersuchen ist das Gericht jeweils vollinhaltlich nachgekommen.

Mit dem gegenständlichen Beschwerdevorbringen hat sich das Gericht erst nach Verkündigung der Entscheidung in der Hauptsache befasst. Die Hauptsache war derart komplex, umfangreich und vielschichtig, dass eine Fokussierung auf sie angebracht erachtet wurde.

Bei der Besprechung am 26.9.2016 wurden die strittigen Kernfragen dargelegt, wonach es insbesondere zu klären gelte, ob und inwieweit der zwischen der österreichischen MW GmbH und der liechtensteinischen MWG abgeschlossene Kooperationsvertrag steuerlich anzuerkennen sei, Missbrauch darstelle bzw auch tatsächlich gelebt worden sei. Weiters wurde den Parteien die Auffassung zur Kenntnis gebracht, dass als entscheidungswesentlich vor allem Tatfragen und Fragen der Beweiswürdigung sowie Fragen der Angemessenheit und Ausgewogenheit von Leistungsbeziehungen erachtet würden. Ferner wurden die Parteien dahingehend informiert, dass das BFG die Rechtssache in eigener Verantwortung ohne Bindung an vorausgegangene Beurteilungen vorzunehmen habe.

Daran hat sich bis zu Verkündigung der Senatsentscheidung nicht geändert. Auch die nunmehr vorgelegten Akten bieten keinen Anlass für eine geänderte Sichtweise. Die nunmehr bekannt gewordenen E-Mails entfalten insbesondere keine Bindungswirkung. Sie hatten keinen Einfluss auf die abschließende Entscheidung in der Hauptsache und sie sind auch nicht geeignet, eine geänderte Sichtweise herbeizuführen. Die Meinungsverschiedenheit zwischen der GBP und dem Fachvorstand des Finanzamtes war dem Senat bekannt, sie wurde in der mündlichen Verhandlung offengelegt und thematisiert (vgl. Protokoll, Präsentationen, Flip-Chart-Seiten). Sie war Gegenstand eingehender Beratungen. Die schriftliche Ausfertigung wird sich ausführlich argumentierend mit den unterschiedlichen Meinungen auseinandersetzen.

In dem die Gesellschaftsebene betreffenden Erkenntnis in der Sache selbst wird bei der Darstellung des Verfahrensganges Bezug genommen sowohl auf den BVE-Entwurf vom 31.3.2014 (Entwurf, ON 49) als auch auf die BMF- E-Mail vom 21.5.2014 (ON 122). Während der Fachvorstand im BVE-Entwurf Missbrauch verneint und eine Verrechnungspreiskorrektur für angebracht erachtet hat, teilte das BMF in der zitierten E-Mail mit, dass das Finanzamt bei Erlassung der noch offenen Beschwerdevorentscheidung der rechtlichen Beurteilung der GBP zu folgen und damit vom Vorliegen von Missbrauch bzw von verdeckten Gewinnausschüttungen auszugehen habe. Sowohl der BVE-Entwurf vom 31.3.2014 als auch die BMF-Mail vom 21.5.2014 sind der Bf bekannt. Die E-Mails, die Gegenstand des Antrags auf Akteneinsichtnahme sind, geben im Wesentlichen nur die ressortinterne Meinungsverschiedenheit, den ressortintern gepflogenen Meinungsaustausch und die ressortinternen Schritte wieder, wie die Meinungsverschiedenheit zwischen GBP und Fachvorstand gelöst und die Entscheidung des BMF umgesetzt wurde.

Die beiden unterschiedlichen Standpunkte wurden von beiden Seiten ausführlich begründet. Die steuerlichen Auswirkungen der unterschiedlichen Beurteilung sind beträchtlich, während der wesentliche Unterschied der beiden Standpunkte an sich relativ gering ist und in einem Bereich liegt, der der Beweiswürdigung und dem Fremdvergleich bzw der Angemessenheitsprüfung zuzuordnen ist. Deshalb ist der Senat zur Überzeugung gelangt, dass eine (ordentliche) Revision unzulässig ist. "

Mit Vorhaltsbeantwortung vom 28.2.2017 (ON 38) äußerte sich die Bf zusammengefasst unter Aufrechterhaltung ihres Standpunktes und Anschlusssinngemäß wie folgt: Der Verwaltungsgerichtshof setze sich in seiner Entscheidung vom 25.6.1992, 91/16/0057, mit der Novellierung von Art. 20 Abs. 3 B-VG anders als das von ihr zitierte Schrifttum (Ritz, BAO 5 , § 90 Tz 8; Mayer/Muzak, B-VG5 Art 20 B-VG I.3.) nicht auseinander, sondern schreibe die Erst-Interpretation lediglich fort. Auch Fischerlehner (Abgabenverfahren2 § 90 Anm. 3, nach dem der Einsichts-Ausschluss von Erledigungsentwürfen unbedingt ist) begründe seine Ansicht nicht, sondern verweise lediglich auf das zitierte, die Novellierung von Art. 20 Abs. 3 B-VG unberücksichtigt lassende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes. Art. 20 Abs. 3 B-VG sehe (nach ihrer Meinung) ausdrücklich vor, dass der einfache Gesetzgeber die Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit einschränken, aber nicht ausdehnen dürfe. Für das Bestehen einer Verschwiegenheitspflicht sei stets das Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses erforderlich, das auch in einem öffentlichen Interesse bestehen könne. Liege ein solches öffentliches Interesse vor, dann sei durch eine Interessenabwägung zu prüfen, ob das Interesse an der Geheimhaltung dasjenige an Information überwiege. Das Recht auf Akteneinsicht zähle zu den Grundrechten einer jeden Partei und diene nicht bloß der Durchsetzung subjektiver Ansprüche, sondern auch der Sicherung einer gesetzmäßigen Verwaltung (vgl. Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB (2016) § 90, 280). Aus all dem sei zu folgern, dass die bundesverfassungsgesetzliche Regelung zur Amtsverschwiegenheit einschränkend zu interpretieren sei. Es sei daher konsequent, wenn von Schrifttum (Ritz, BAO 5 , § 90 Tz 8; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz , BAO 3 § 90 Anm. 16) und BMF (BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03) die Beschränkung des Relativsatzes in § 90 Abs. 2 BAO nicht nur auf die zuletzt genannten sonstigen Schriftstücke, sondern auf alle erwähnten beziehe.

Wie bereits im Antrag vom 2.2.2014 und im Schriftsatz vom 20.1.2015 weise sie unter Hinweis auf höchstgerichtliche Rechtsprechung (VwGH 30.3.1998, 97/16/0471) neuerlich darauf hin, dass ein abgabenrechtliches Interesse auch dann bestehe, wenn es um die Stoffsammlung zur Vorbereitung eines Amtshaftungsverfahrens gehe. Auf eben diesen Grund stütze sie auch ua ihren Antrag auf Akteneinsicht.

Dem Finanzamt wurde die Stellungnahme der Bf vom 28.2.2017 bekannt gegeben (ON 39). Das Finanzamt reagierte innerhalt der ihm gesetzten Frist nicht.

Erwägungen

Das Gericht schließt sich im Ergebnis bezogen auf den Beschwerdefall dem Standpunkt der Bf vollinhaltlich an. Dies bedeutet, dass es im konkreten Fall dahin gestellt bleiben kann, ob § 90 BAO im Sinne der von der Bf zitierten Rechtmeinungen (Ritz, BAO 5 , § 90 Tz 8; BMF 5.11.2003, Gz. 05 0701/1-IV/5/03; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz , BAO 3 § 90 Anm. 16) eher weit oder im Sinne von Stoll (BAO-Kommentar 897) bzw. des BFG-Vorhaltes vom 10.2.2017 ein wenig enger auszulegen ist. Denn auch bei etwas engerer Auslegung von § 90 BAO und selbst unter der Annahme, dass es auch einem Amt (insbesondere einer hierarchisch strukturierten, letztlich in Ministerverantwortung geführten Behörde) erlaubt sein soll, vorbereitende Gedanken und Meinungen im Sinne eines Brainstormings frei, ohne Wertung und Prüfung durch die Partei, ohne Pflicht zur Dokumentation bzw. späteren Offenlegung, sowohl horizontal als auch vertikal, auszutauschen, soll § 90 BAO nach Überzeugung des Gerichts zumindest nach Beendigung des Abgabenverfahrens einem Abgabepflichtigen die Möglichkeit bieten, alle bezughabenden Aktenteile einzusehen und im Hinblick auf deren Relevanz (somit auch im Hinblick auf deren Irrelevanz) für ein Amtshaftungsverfahren zu prüfen. 

Ebendieses Anliegen hat die Bf mehrfach vorgetragen. Aus dem von Ritz5 der Kommentierung von § 85a BAO vorangestellten Literaturliste ist zu entnehmen, dass ein Zusammenhang zwischen "Verfahrensverzögerungen" und Amtshaftungsansprüchen grundsätzlich möglich ist. Dies muss umso mehr auch für alle inhaltlichen amtlichen Verfahrensbeeinflussungen gelten. Das Begehren der Bf kann deshalb nicht zuletzt im Hinblick auf den hier und im Erkenntnis vom 21.2.2017, RV/1100360/2016, dargestellten Verfahrensgang nicht als von Vornherein abwegig bezeichnet werden.

Aus den angeführten Gründen kommt dem Antrag der Bf vom 2.12.2014 auf Akteneinsicht Berechtigung zu.

Die konkrete Prüfung allfälliger Amtshaftunsansprüche ist allerdings dem dafür zuständigen Zivilgericht vorbehalten. Ob die allfällige Verletzung von Organisationsvorschriften, die sich ja lediglich nach innen richten und nur den internen Verfahrensablauf regeln, Ansprüche nach dem AHG (bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen) begründen können, wird allerdings eher bezweifelt. Auch ist zu bedenken, dass das BMF im Hinblick auf die in Art. 20 Abs. 1 B-VG verankerte Ministerverantwortlichkeit (Mayer, B-VG4 (2007) Art. 20 B-VG I.2.; VfGH 10.10.2003, G 222/02) befugt und gegebenenfalls berufen ist, diese Verantwortung im Einzelfall auch abweichend von generellen organisatorischen Vorgaben wahrzunehmen. Ausdruck der Ministerverantwortlichkeit ist es letztlich auch, dass sich das Finanzamt (sei es im eigenen Interesse, sei es auf Anregung des BMF) im Verfahren vor dem BFG durch die GBP vertreten lassen kann. Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass die Grenzziehung zwischen Sachverhalt und rechtlicher Beurteilung in komplexen Fällen nicht immer, schon gar nicht ex ante wie konkret bei der Erledigungs-Vorbereitung in einem besonders komplexen Fall, scharf bzw. leicht gezogen werden kann.   

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zum Umfang des Rechtes auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO gibt es keine höchstgerichtliche Judikatur, die auf die Novellierung des Art. 20 Abs. 3 B-VG durch BGBl 285/1987 Bezug nimmt. Auch wenn das Gericht die restriktive Auslegung durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht teilt und als überholt erachtet, so vermag sich der Standpunkt der belangten Behörde doch auf nach der Novellierung von Art. 20 Abs. 3 B-VG ergangene höchstgerichtliche Judikatur (VwGH 25.6.1992, 91/16/0057), auf eine Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates (UFS 2.2.2010, RV/1371-L/09), auf Fischerlehner (Abgabenverfahren2 (2016) § 90 Anm.3) und nicht zuletzt auf den aktuell gültigen Wortlaut des § 90 Abs. 2 BAO zu berufen.

Im Hinblick darauf kann der entschiedenen Rechtsfrage eine grundsätzliche Bedeutung nicht abgesprochen werden.

 

Feldkirch, am 15. März 2017

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 90 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Verweise:

VfGH 10.10.2003, G 222/02
VwGH 25.06.1992, 91/16/0057
UFS 02.02.2010, RV/1371-L/09

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