79. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Förderung von Gewaltambulanzen (Gewaltambulanzenförderungs-Gesetz – GewaltAFG) erlassen wird
Der Nationalrat hat beschlossen:
Bundesgesetz über die Förderung von Gewaltambulanzen (Gewaltambulanzenförderungs-Gesetz – GewaltAFG)
Ziele
§ 1. Gewaltambulanzen sollen zur Erkennung von Gewalt und zur Aufklärung gewalttätiger Übergriffe beitragen, eine qualitätsvolle Befundung und Unterstützung der von Gewalt betroffenen Personen sicherstellen und dem Schutz der von Gewalt betroffenen Personen vor weiteren gewaltsamen Übergriffen dienen. Spuren und andere Beweise sollen gesichert, aufbewahrt und möglichst so aufbereitet werden, dass sie in allfälligen Verfahren als Beweismittel verwertbar sind.
Förderung und Aufgaben
§ 2. (1) Der Bund, vertreten durch die Bundesministerin beziehungsweise den Bundesminister für Justiz, gemeinsam mit den für Frauen, für Familie, für Inneres, für Gesundheit und/oder Wissenschaft zuständigen Bundesministerinnen beziehungsweise Bundesministern, ist ermächtigt, geeignete Betreiber, die eine Gewaltambulanz eingerichtet haben oder eine solche einrichten, zu fördern, wenn sich diese verpflichten, zumindest folgende Leistungen zu erbringen:
- 1. Personen, die von körperlicher Gewalt oder strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung betroffen sein können, gerichtsmedizinisch zu untersuchen und deren Verletzungen und bezughabende Spuren am sowie im Körper und an Gegenständen, wie etwa der Bekleidung, ausführlich zu dokumentieren,
- 2. die Spuren und andere Beweise zu sichern, aufzubewahren und möglichst so aufzubereiten, dass sie in allfälligen Verfahren als Beweismittel verwertbar sind,
- 3. die von Gewalt betroffenen Personen über Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten zu informieren, insbesondere über notwendige medizinische Abklärung und Behandlung sowie die Betreuung durch Opferhilfe- und Gewaltschutzeinrichtungen sowie psychologische, psychotherapeutische und rechtliche Beratung,
- 4. Ansprechstelle für Ärztinnen und Ärzte sowie medizinisches Personal zu sein sowie die nach § 8e Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG), BGBl. Nr. 1/1957, eingerichteten Kinder- und Opferschutzgruppen zu unterstützen,
- 5. ihre Tätigkeit nachvollziehbar zu dokumentieren und
- 6. an einer Evaluierung mitzuwirken.
Zum Zwecke der Erreichung der in § 1 angeführten Ziele hat die nähere Determinierung dieser Aufgaben im Fördervertrag zu erfolgen.
(2) Die genannten ärztlichen Leistungen sind durch Fachärztinnen bzw. Fachärzte für Gerichtsmedizin und, nur wenn solche vorerst nicht zur Verfügung stehen, durch speziell geschulte Ärztinnen bzw. Ärzte unter gerichtsmedizinischer Aufsicht zu erbringen. Alle anderen in der Gewaltambulanz tätigen Personen gelten im Hinblick auf die Verschwiegenheitspflicht als ärztliche Hilfspersonen. Alle Leistungen der Gewaltambulanzen sind den betroffenen Personen unentgeltlich sowie unabhängig von einer Anzeige oder einem behördlichen Verfahren zur Verfügung zu stellen.
Datenverarbeitung
§ 3. (1) Die Fördernehmer sind ermächtigt, die unter Abs. 2 genannten personenbezogene Daten zu verarbeiten, um von Gewalt betroffene Personen, die Leistungen der Fördernehmer in Anspruch nehmen, durch Informationsbereitstellung vor weiteren gewaltsamen Übergriffen zu schützen, sowie durch Spuren- und Beweissicherung zur gerichtlichen Aufklärung gewalttätiger Übergriffe beizutragen.
(2) Die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten nach diesem Bundesgesetz umfasst die mit einem gewalttätigen Übergriff in Zusammenhang stehende Verarbeitung personenbezogener Daten der
- 1. von Gewalt betroffenen Personen,
- 2. Personen, die für einen gewalttätigen Übergriff ursächlich waren.
(3) Folgende personenbezogene Daten der unter Abs. 2 genannten Personen dürfen zu den in Abs. 1 genannten Zwecken verarbeitet werden:
- 1. Name, Geburtsdatum, Geschlecht, Kontaktdaten, Erstsprache und weitere gebrauchte Sprachen sowie
- 2. Informationen über gewalttätige Übergriffe, aufgrund derer von Gewalt betroffene Personen die Leistungen der Fördernehmer in Anspruch nehmen, einschließlich Gesundheitsdaten, Daten zum Sexualleben, genetische Daten und biometrische Daten nach Art. 9 sowie Daten über Straftaten nach Art. 10 der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 04.05.2016 S. 1, zuletzt berichtigt durch ABl. Nr. L 74 vom 04.03.2021 S. 35.
(4) Die Verarbeitung muss
- 1. im öffentlichen Interesse liegen, gewaltsame Übergriffe zu verhindern oder zu ahnden und zu diesem Zweck Spuren und Beweise zu sichern und
- 2. auf Daten eingeschränkt werden, die zur Information der Betroffenen, sowie zur Feststellung und Ahndung eines gewaltsamen Übergriffs benötigt werden.
(5) Die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist zulässig, wenn
- 1. die Verarbeitung zur Erreichung der in Abs. 1 genannten Zwecke unbedingt erforderlich ist und
- 2. das öffentliche Interesse an der Verarbeitung zur Erreichung der in Abs. 1 genannten Zwecke erheblich ist und
- 3. wirksame Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen getroffen werden.
(6) Die Ermächtigung nach Abs. 1 bezieht sich auch auf personenbezogene Daten über gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbare Handlungen oder Unterlassungen, insbesondere auch über den Verdacht der Begehung von Straftaten, gemäß Art. 10 DSGVO. Die Verarbeitung solcher Daten darf nur im Fall unbedingter Erforderlichkeit erfolgen und ist schriftlich zu dokumentieren.
(7) Die Fördernehmer sind für die Datenverarbeitung Verantwortliche gemäß Art. 4 Z 7 DSGVO.
(8) Nach Abs. 1 verarbeitete personenbezogene Daten sind unverzüglich zu löschen, sofern sie zur Wahrnehmung der in Abs. 1 genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind. Gesicherte Spuren sind jedenfalls nach zehn Jahren zu vernichten, alle anderen personenbezogenen Daten sind jedenfalls nach maximal 20 Jahren ab Erhebung zu vernichten. Bei Opfern, die zur Zeit der von ihnen angegebenen Tatbegehung minderjährig waren und die zum Untersuchungszeitpunkt das 28 Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 58 Abs. 3 Z 3 StGB), beginnen die angeführten Fristen zur Vernichtung gesicherter Spuren bzw. anderer personenbezogener Daten erst mit Vollendung des 28. Lebensjahres zu laufen.
(9) Die Fördernehmer sind ermächtigt, die unter Abs. 2 Z 2 genannten Daten in anonymisierter Form zu Zwecken der Begleitforschung zu verarbeiten und diese für die in § 4 vorgesehenen Berichte sowie die Evaluierung den Fördergebern bzw. von diesen hierzu beauftragten Dritten zu übermitteln.
(10) Solange und insoweit dies zum Schutz einer Person im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder zur Erreichung der in Abs. 1 genannten Zwecke erforderlich ist, insbesondere für die Dauer der Durchführung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens oder eines Ermittlungsverfahrens nach der StPO, finden die in den Z 1 bis 7 aufgezählten Rechte einer Person im Sinne des Abs. 2 Z 2 keine Anwendung:
- 1. Recht auf Information (§ 43 DSG, Art. 13 und 14 DSGVO),
- 2. Recht auf Auskunft (§ 1 Abs. 3 Z 1 und § 44 DSG, Art. 15 DSGVO),
- 3. Recht auf Berichtigung (§ 1 Abs. 3 Z 2 und § 45 DSG, Art. 16 DSGVO),
- 4. Recht auf Löschung (§ 1 Abs. 3 Z 2 und § 45 DSG, Art. 17 DSGVO),
- 5. Recht auf Einschränkung der Verarbeitung (§ 45 DSG, Art. 18 DSGVO),
- 6. Widerspruchsrecht (Art. 21 DSGVO) sowie
- 7. Recht auf Benachrichtigung von einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten (§ 56 DSG und Art. 34 DSGVO).
Berichte und Evaluierung
§ 4. (1) Die Fördernehmer haben den fördergebenden Bundesministerinnen beziehungsweise Bundesministern jährlich über ihre Tätigkeit, ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen im vergangenen Kalenderjahr einen schriftlichen Bericht zu übermitteln.
(2) Zur Überprüfung der Zielerreichung nach § 1 soll die Tätigkeit jedes Fördernehmers im Sinn dieses Gesetzes evaluiert werden.
Inkrafttreten
§ 5. Dieses Bundesgesetz tritt mit 01.09.2024 in Kraft.
Vollziehung
§ 6. Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes sind die für Justiz, für Frauen, für Familie, für Inneres, für Gesundheit und/oder Wissenschaft zuständigen Bundesministerinnen beziehungsweise Bundesminister betraut.
Van der Bellen
Nehammer
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)