487. Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über die Anwendung der Kronzeugenregelung des Wettbewerbsgesetzes
Auf Grund des § 11b Abs. 4 des Wettbewerbsgesetzes - WettbG, BGBl. I Nr. 62/2002, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 176/2021, wird nach Anhörung der Bundeswettbewerbsbehörde, des Bundeskartellanwaltes und der Wettbewerbskommission verordnet:
Geltungsbereich
§ 1. Diese Verordnung gilt für Unternehmer und Unternehmervereinigungen, die von der Möglichkeit nach § 11b Abs. 1 oder Abs. 2 des Wettbewerbsgesetzes - WettbG, BGBl. I Nr. 62/2002, Gebrauch machen.
Ersuchen um Kronzeugenbehandlung
§ 2. (1) Ersuchen um ein Vorgehen nach § 11b Abs. 1 oder Abs. 2 WettbG sind bei der Bundeswettbewerbsbehörde einzureichen.
(2) Ersuchen im Sinne des Abs. 1 haben folgende Informationen und Beweismittel zu beinhalten:
- 1. Name und Anschrift des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung,
- 2. Name und Anschrift aller anderen Unternehmer oder Unternehmervereinigungen, die an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt waren oder sind,
- 3. eine detaillierte Beschreibung der mutmaßlichen Zuwiderhandlung, einschließlich der betroffenen Produkte, der betroffenen Gebiete, der Dauer und Art der mutmaßlichen Zuwiderhandlung sowie eine Schätzung des davon betroffenen Marktvolumens,
- 4. genaue Angaben über die mutmaßlichen Kartellkontakte (jeweils Datum, Art und Weise, Orte, beteiligte Personen),
- 5. Name, Funktion und Anschrift aller natürlichen Personen, die nach Wissen des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt waren oder sind,
- 6. sämtliche weitere Beweismittel für die mutmaßliche Zuwiderhandlung, die sich im Besitz des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung befinden oder zu denen sie Zugriff haben,
- 7. detaillierte Erläuterungen zu den im Rahmen des Einbringens beigebrachten Beweismitteln und
- 8. Informationen über bisherige oder etwaige künftige Ersuchen um Kronzeugenbehandlung im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Zuwiderhandlung bei anderen europäischen Wettbewerbsbehörden oder Wettbewerbsbehörden von Drittländern.
Marker
§ 3. (1) Zur Sicherung des Rangs in der Eingangsreihenfolge kann ein Ersuchen um Setzen eines Markers bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingereicht werden.
(2) Ein Ersuchen nach Abs. 1 hat zumindest folgende Informationen zu enthalten:
- 1. Name und Anschrift des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung,
- 2. Name und Anschrift aller anderen Unternehmer oder Unternehmervereinigungen, die an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt waren oder sind,
- 3. Anlass für Bedenken, die zum Ersuchen um Setzen eines Markers geführt haben,
- 4. die von der mutmaßlichen Zuwiderhandlung betroffenen Produkte und Gebiete,
- 5. die Dauer und die Art der mutmaßlichen Zuwiderhandlung und
- 6. Informationen über bisherige oder etwaige künftige Ersuchen um Kronzeugenbehandlung im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Zuwiderhandlung bei anderen europäischen Wettbewerbsbehörden oder Wettbewerbsbehörden von Drittländern.
(3) Hat der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung das Ersuchen um Setzen eines Markers innerhalb der von der Bundeswettbewerbsbehörde zu setzenden angemessenen Frist nach Maßgabe der jeweils maßgeblichen Beweisschwellen unter Vorlage der Informationen und Beweismittel im Sinne des § 2 Abs. 2 vervollständigt, gelten sämtliche beigebrachten Informationen und Beweismittel als Ersuchen im Sinne des § 2 Abs. 1 und als zu dem Zeitpunkt eingebracht, zu dem das Ersuchen um Setzen eines Markers nach Abs. 1 ursprünglich eingebracht wurde.
Kurzantrag
§ 4. (1) Sofern der Unternehmer oder die Unternehmervereinigung bereits hinsichtlich derselben mutmaßlichen Zuwiderhandlung ein Ersuchen um Kronzeugenbehandlung oder um Setzen eines Markers bei der Europäischen Kommission gestellt hat und sich dieses auf mehr als drei Mitgliedstaaten als betroffene Gebiete bezieht, können Unternehmer oder Unternehmervereinigungen Kurzanträge bei der Bundeswettbewerbsbehörde einreichen.
(2) Ein Kurzantrag hat zumindest folgende Informationen in Kurzform zu enthalten:
- 1. Name und Anschrift des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung,
- 2. Name und Anschrift aller anderen Unternehmer oder Unternehmervereinigungen, die an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt waren oder sind,
- 3. die von der mutmaßlichen Zuwiderhandlung betroffenen Produkte und Gebiete,
- 4. die Dauer und die Art der mutmaßlichen Zuwiderhandlung,
- 5. den Mitgliedstaat oder die Mitgliedstaaten, in dem/denen sich die Beweismittel für die mutmaßliche Zuwiderhandlung wahrscheinlich befinden und
- 6. Informationen über bisherige oder etwaige künftige Ersuchen um Kronzeugenbehandlung im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Zuwiderhandlung bei anderen europäischen Wettbewerbsbehörden oder Wettbewerbsbehörden von Drittländern.
(3) Die Bundeswettbewerbsbehörde prüft, ob sie von einem anderen Unternehmer oder einer anderen Unternehmervereinigung im Zusammenhang mit derselben mutmaßlichen Zuwiderhandlung bereits einen Kurzantrag oder ein Ersuchen um ein Vorgehen nach § 11b WettbG erhalten hat. Ist dies nicht der Fall und sind die Angaben im Sinne des Abs. 2 vollständig, so teilt dies die Bundeswettbewerbsbehörde dem ersuchenden Unternehmer oder der ersuchenden Unternehmervereinigung mit.
(4) Sofern die Europäische Kommission mitteilt, dass sie den Fall weder insgesamt noch in Teilen weiterzuverfolgen beabsichtigt, hat die Bundeswettbewerbsbehörde eine angemessene Frist zu setzen, vor deren Ablauf der Kurzantrag um die zur Erfüllung der Beweisanforderungen des § 11b Abs. 1 oder 2 WettbG erforderlichen Informationen und Beweismittel zu ergänzen ist. Vor diesem Zeitpunkt kann die Bundeswettbewerbsbehörde Klarstellungen nur zu den im Kurzantrag eingebrachten Informationen verlangen. Nur sofern dies zur Abgrenzung oder Zuweisung des Falls unbedingt erforderlich ist, kann die Bundeswettbewerbsbehörde bereits vorzeitig jene Informationen und Beweismittel anfordern, welche für ein Ersuchen um ein Vorgehen nach § 11b Abs. 1 oder 2 WettbG von dem Unternehmer oder der Unternehmervereinigung vorzulegen sind.
(5) Hat der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung den Kurzantrag innerhalb der Frist gemäß Abs. 4 unter Vorlage der Informationen und Beweismittel im Sinne des § 2 Abs. 2 vervollständigt und erfasst dieser dieselben betroffenen Produkte und Gebiete sowie dieselbe Dauer der mutmaßlichen Zuwiderhandlung wie das bei der Kommission gestellte, allenfalls aktualisierte Ersuchen um Kronzeugenbehandlung, so gelten sämtliche beigebrachten Informationen und Beweismittel als zu dem Zeitpunkt eingebracht, zu dem der Kurzantrag gestellt wurde.
Form der Ersuchen
§ 5. (1) Ersuchen um ein Vorgehen der Bundeswettbewerbsbehörde nach § 11b Abs. 1 oder Abs. 2 WettbG, Ersuchen um Setzen eines Markers und Kurzanträge können in deutscher oder englischer Sprache schriftlich oder mündlich oder in anderer Weise, sodass der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung die eingereichten Erklärungen nicht in Besitz, in Verwahrung oder unter ihre Kontrolle nehmen muss, eingebracht werden. Die Bundeswettbewerbsbehörde kann eine Übersetzung ins Deutsche verlangen.
(2) Die Bundeswettbewerbsbehörde bestätigt ehestmöglich dem ersuchenden Unternehmer oder der ersuchenden Unternehmervereinigung den Empfang des Ersuchens um ein Vorgehen nach § 11b WettbG oder des Ersuchens um Setzen eines Markers oder des Kurzantrags schriftlich unter Angabe des Datums und der Uhrzeit. Die Bundeswettbewerbsbehörde übermittelt eine Abschrift dieser Bestätigung unverzüglich an den Bundeskartellanwalt.
Kooperationsverpflichtung
§ 6. Die Kooperationsverpflichtung im Sinne des § 11b Abs. 1 Z 2 WettbG umfasst über den Inhalt des Ersuchens im Sinne des § 2 Abs. 2 hinausgehend insbesondere Folgendes:
- 1. Zurverfügungstehen für die Bundeswettbewerbsbehörde, insbesondere durch die Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes durch unter anderem unverzügliche, vollständige und wahrheitsgemäße Beantwortung von Anfragen der Bundeswettbewerbsbehörde;
- 2. Vorlage aller Informationen und Beweismittel für die vermutete Zuwiderhandlung, die sich im Besitz des ersuchenden Unternehmers oder der ersuchenden Unternehmervereinigung befinden oder auf die sie Zugriff haben, sowie Unterlassung der Unterdrückung, Verfälschung oder Vernichtung derartiger Informationen und Beweismittel, dies auch bereits während der Erwägung eines Ersuchens nach § 11b Abs. 1 oder Abs. 2 WettbG;
- 3. Hinwirken darauf, dass Unternehmensmitarbeiter unabhängig von ihren Funktionen und Aufgaben und - soweit möglich und tunlich - auch frühere Mitarbeiter, von denen Informationen und Beweismittel erlangt werden können, mit der Bundeswettbewerbsbehörde zusammenarbeiten und dieser zur Verfügung stehen; zudem hat der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung sämtliche relevanten Informationen und Beweismittel, die sich im Besitz eines Mitarbeiters befinden, zu erlangen bzw. zu sichern, bevor dieser aus dem Unternehmen ausscheidet. Der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung informiert die Bundeswettbewerbsbehörde unverzüglich über das geplante Ausscheiden von Mitarbeitern, die im Besitz von relevanten Informationen und Beweismitteln sein könnten;
- 4. Geheimhaltung der Tatsache des Ersuchens um Kronzeugenbehandlung, des Ersuchens um Setzen eines Markers oder Kurzantrags, des Inhalts des Ersuchens sowie Kurzantrags, der Erwägung eines Ersuchens und der Zusammenarbeit mit der Bundeswettbewerbsbehörde vor den anderen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmern oder Unternehmervereinigungen sowie vor Dritten, mit Ausnahme der Offenlegung gegenüber anderen europäischen Wettbewerbsbehörden oder Wettbewerbsbehörden von Drittländern, bis und insoweit die Bundeswettbewerbsbehörde den ersuchenden Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung von dieser Verpflichtung entbindet;
- 5. Vorlage eidesstattlicher Erklärungen von allen aktuellen Mitarbeitern und soweit möglich und tunlich auch von früheren Mitarbeitern, die an den kartellrechtlichen Zuwiderhandlungen beteiligt waren, hinsichtlich ihres Wissens über das Kartell und ihrer spezifischen Rolle im Kartell und
- 6. Abgabe einer Einverständniserklärung für die Kontaktaufnahme zu anderen Wettbewerbsbehörden, sofern der ersuchende Unternehmer oder die ersuchende Unternehmervereinigung Kronzeugenersuchen in anderen Jurisdiktionen außerhalb der Europäischen Union gestellt haben.
Geldbußenermäßigung
§ 7. (1) Erfüllt ein Unternehmer oder eine Unternehmervereinigung die Voraussetzung des § 11b Abs. 1 Z 3 lit. a oder b WettbG nicht, kann die Bundeswettbewerbsbehörde eine geminderte Geldbuße nach § 11b Abs. 2 WettbG beantragen, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 11b Abs. 1 WettbG kumulativ vorliegen, wobei die beigebrachten Informationen und Beweismittel einen erheblichen Mehrwert gegenüber den bereits bekannten Informationen darstellen müssen.
(2) Der Umfang der Reduktion der Geldbuße innerhalb der jeweilig anzuwendenden Bandbreite bestimmt sich nach dem Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren, zu dem die Informationen und Beweismittel, die die Voraussetzung des erheblichen Mehrwerts nach Abs. 1 erfüllen, vorgelegt wurden, sowie dem Ausmaß des mit den Informationen und Beweismitteln verbundenen Mehrwerts.
(3) Werden der Bundeswettbewerbsbehörde von Unternehmern oder Unternehmervereinigungen in diesem Zusammenhang Informationen und Beweismittel vorgelegt, die es ermöglichen, zusätzliche Tatsachen festzustellen, um höhere Geldbußen zu beantragen, so werden diese zusätzlichen Tatsachen dem vorlegenden Unternehmer oder der vorlegenden Unternehmervereinigung gegenüber bei der Beantragung der geminderten Geldbuße nicht berücksichtigt.
(4) In einem auf ihrer Website zu veröffentlichenden Handbuch informiert die Bundeswettbewerbsbehörde über die technische Abwicklung und die Geldbußenreduktionen, die sie bei der Beantragung einer geminderten Geldbuße im Hinblick auf die Reihenfolge der ersuchenden Unternehmer oder ersuchenden Unternehmervereinigungen anzuwenden beabsichtigt.
Mitteilung über Kronzeugenstatus
§ 8. (1) Ehestmöglich nach Erhalt der vollständigen Erklärung im Sinne des § 2 Abs. 1 gibt die Bundeswettbewerbsbehörde dem ersuchenden Unternehmer oder der ersuchenden Unternehmervereinigung in einer rechtsunverbindlichen schriftlichen Mitteilung vorbehaltlich der Kooperationsverpflichtung nach § 6 bekannt, ob der Kronzeugenstatus zuerkannt wird und damit die Bundeswettbewerbsbehörde von § 11b Abs. 1 oder Abs. 2 WettbG Gebrauch machen wird. Sie macht im Falle des § 11b Abs. 2 WettbG zudem Angaben im Sinne des § 7.
(2) Bei einem Ersuchen im Sinne des § 3 gibt die Bundeswettbewerbsbehörde ihre Mitteilung im Sinne des Abs. 1 nach Vervollständigung des Ersuchens auf Setzen eines Markers ehestmöglich ab.
(3) Bei einem Kurzantrag im Sinne des § 4 und nach Klärung der Zuständigkeit durch die Europäische Kommission gibt die Bundeswettbewerbsbehörde ihre Mitteilung im Sinne des Abs. 1 nach Vervollständigung des Kurzantrags ehestmöglich ab.
(4) Die Bundeswettbewerbsbehörde übermittelt ihre Mitteilung unverzüglich dem Bundeskartellanwalt.
Personenbezogene Bezeichnungen
§ 9. Personenbezogene Bezeichnungen in dieser Verordnung beziehen sich auf alle Geschlechtsformen in gleicher Weise.
Verweisungen
§ 10. Soweit in dieser Verordnung auf Bundesgesetze verwiesen wird, sind diese in ihrer jeweils geltenden Fassung anzuwenden.
Inkrafttreten
§ 11. Diese Verordnung in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. II Nr. 487/2021 tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
Schramböck
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