Der Ausdruck „rechtswidriges Recht“ ist ein Oxymoron – einerseits. Die Anführungszeichen im Titel des Buches, das Rodrigo Cadore diesem Thema gewidmet hat, sind bewusst gesetzt. Andererseits ist die damit bezeichnete Erscheinung eine Normalität des Rechtslebens. Was zu diesem Einerseits/Andererseits zu sagen ist, hat Cadore in seiner im Wintersemester 2021/22 in Freiburg verteidigten, für die Drucklegung aktualisierten Dissertation aufgeschrieben. Diesen Schreibprozess muss man wohl als Produkt einer mittlerweile expansiven, reichhaltigen Forschung zur Reinen Rechtslehre von und um Hans Kelsen ansehen, die seit einigen Jahren an der Hans-Kelsen-Forschungsstelle in Freiburg unter der Leitung von Matthias Jestaedt betrieben wird. Offensichtlich ist dort ein außerordentlich fruchtbarer Arbeitszusammenhang entstanden, der – dies zu sagen, wird an dieser Stelle hoffentlich nicht als unhöflich empfunden – in Quantität wie Qualität der österreichischen Forschung zu Hans Kelsen nicht nachsteht. Aber „deutsch“ oder „österreichisch“, was sind das schon für Kategorien, wenn sich ein aus Brasilien stammender Autor mit einer global – weltösterreichisch (Robert Musil)1 – angelegten Rechtstheorie befasst, deren Begründer zudem in den 1920er-Jahren der großdeutschen Lösung einer staatlichen Verbindung von Deutschland und Österreich noch nahestand?2 Beiläufig erfährt der Leser in eingestreuten Hinweisen in den Fußnoten des Buches, an welchen Themen derzeit in Freiburg im Rahmen von Dissertations- oder Habilitationsprojekten gearbeitet wird. Man darf gespannt sein.

