Frank Schorkopf erzählt in seinem neuen Buch „Die unentschiedene Macht“ die „Verfassungsgeschichte der Europäischen Union“. Der Untertitel des Werks belegt allerdings keineswegs, dass er sich der Gruppe der Konstitutionalisten zugehörig fühlt, die die Union als eine verfasste politische Gemeinschaft betrachten und ihr Handeln an verfassungsrechtlichen Parametern messen. Im Gegenteil, Schorkopf steht dieser Denkweise kritisch gegenüber, da für ihn die Verfassungseigenschaft grundsätzlich begrifflich und legitimatorisch an Staatlichkeit gebunden ist. Die aus dieser Perspektive scheinbar paradoxe Untersuchung einer eigenen Verfassungsgeschichte der Union erklärt er schlicht mit der Realität, nämlich der enormen Gestaltungskraft, welche die Herrschaft der Union gegenüber den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten sowie gegenüber den Unionsbürgern über Jahrzehnte hinweg entfaltet hat und die sich letztlich nur mit einem funktionalen Verfassungsbegriff angemessen beschreiben lässt (13 ff).