I. „Dulde und Liquidiere“ im Vergaberecht
Es ist kaum zu fassen: Jahr für Jahr erklären wir unseren Studentinnen und Studenten im Staatshaftungsrecht, dass „Dulde und liquidiere“, der alte, auf das Preußische Landrecht von 1794 zurückgehende Grundsatz des Obrigkeitsstaats,1 seit dem berühmten „Nassauskiesungsbeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 19812 nicht mehr gilt. Wer sich rechtswidrig behandelt fühlt, muss sich wehren; die Möglichkeit, stattdessen eine Entschädigung zu fordern, hat man nicht. Den Studierenden sagen wir immer, dass das gut so ist; denn der Vorrang des Primärrechtsschutzes schont nicht nur die Staatsfinanzen, sondern führt auch dazu, dass Unrecht gar nicht erst geschieht. Die Bürgerinnen und Bürger werden zur Durchsetzung der verfassungsrechtlichen Bindung an „Gesetz und Recht“ (Art 20 Abs 2 GG) mobilisiert, eine Überlegung, die auch das europäische Unionsrecht prägt.3