I. Anschluss an die Freiheitstradition des modernen Verfassungsstaats: Die Meinungsfreiheit als „Lebenselement“ einer freiheitlich-demokratischen Ordnung
Im KPD-Verbotsverfahren, das durch den Antrag der Bundesregierung vom 22.11.1951 ausgelöst und vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 17.08.1956 entschieden wurde, ging es um grundsätzliche Legitimationsfragen politischer Ordnung und die konsequente Westorientierung der noch jungen Bundesrepublik. Ihr mit dem Grundgesetz etabliertes System der freiheitlichen Demokratie grenzte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung scharf von freiheitsfeindlichen Ordnungsvorstellungen kommunistischer Provenienz ab. Das Gericht identifizierte dabei als maßgebliche Grundlage der freiheitlichen Demokratie und „geradezu eine Voraussetzung für das Funktionieren dieser Ordnung“ den „geistige(n) Kampf, die (freie) Auseinandersetzung der Ideen“,1 mit einem Wort die Geistesfreiheit. Ihre verfassungsmäßige Gewährleistung bewahre das politische System vor Erstarrung, erschließe ihm die „Fülle der Lösungsmöglichkeiten“, ermögliche es, in einem „process of trial and error“ und in Abkehr vom politischen Größenwahn absolut vorgegebener politischer Wahrheit zu einer „(relativ) richtige(n) politische(n) Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften“ zu kommen.2 Mit dem Bekenntnis zur Geistesfreiheit ordne sich die Bundesrepublik so „in die große verfassungsgeschichtliche Entwicklungslinie der liberalen rechtsstaatlichen Demokratie“ ein.3 Nur wenig später – in der Lüth-Entscheidung des Jahres 1958 – griff das Gericht diesen Gedanken erneut auf. Es erkannte in der Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 Satz 1 GG), die in dieser Entscheidung zur Debatte stand, eine der wichtigsten Ausprägungen jener Geistesfreiheit, „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, ,the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom‘ (Cardozo)“.4