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VfSlg 10.179/1984: Als der VfGH die Grundrechte vom Ballast der Geschichte befreite

AufsätzeBruno Binder**em.o.Univ.-Prof. Dr. Bruno Binder, em.RA, Wischerstraße 30, 4040 Linz, Österreich, <bruno.binder@jku.at >, <science@bruno-binder-gmbh.at >.ZÖR 2021, 17 Heft 1 v. 15.3.2021

1. Als die Provisorische Nationalversammlung nach Ende des Kriegs in den politischen Wirren des Umbruchs von der Monarchie zur Republik 1919/1920 den Staat als demokratische Republik neu einrichtete, reichte die politische Kraft des nun zur Gesetzgebung berufenen demokratisch vom Volk gewählten Parlaments nicht aus, sofort auch einen Katalog der Grund- und Freiheitsrechte, der in der Republik gelten sollte, neu zu formulieren. Der politische Konsens erlaubte gerade, aus der Dezemberverfassung 1867 die Texte des „Staatsgrundgesetzes vom 21. December 1867, R.G.Bl.Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder“, des „Gesetzes vom 27. Oktober 1862, R.G.Bl.Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit“ und des „Gesetzes vom 27. Oktober 1862, R.G.Bl.Nr. 88, zum Schutze des Hausrechtes“ wortgleich in die neue Verfassung zu übernehmen. Gemäß Art 149 Abs 1 B-VG 1920 sollten diese Gesetze als Verfassungsgesetze „neben“ dem Bundes-Verfassungsgesetz 1920, StGBl 1/1920, gelten. Fragen, die mit Grund- und Freiheitsrechten verbunden waren, blieben offen und ungelöst. Konfliktträchtig waren vor allem die wirtschaftlichen Rechte auf Eigentum und Erwerb, von denen die politischen Lager der Konservativen einerseits und der Progressiven anderseits diametral andere Auffassungen hatten. Politisch ging es um die Wirtschaftsordnung, das private Unternehmertum, die Sozialbindung und die Reichweite des Eigentums, dogmatisch um die materiellen Voraussetzungen für Eingriffe durch Verordnung und Gesetz in grundrechtlich geschützte Bereiche. Diese Gegensätze hatten die politischen Auseinandersetzungen schon in den letzten Jahrzehnten der Monarchie bestimmt, in der Judikatur der Gerichte fanden sie keinen Niederschlag, zu eindeutig lag die politische Macht bei den Konservativen. In den wenigen Jahren, die der ersten Republik bis zur ständischen „Verfassung des Bundesstaates Österreich vom 24.April/1.Mai 1934“, BGBl I 239/1934, vergönnt waren, blieb es dabei, die politischen Streitigkeiten fanden im Hintergrund über Aufgaben und Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs statt. 1945, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und Wiederherstellung der demokratischen Republik näherten sich die widerstrebenden politischen Lager zwar an, im von den

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