VwGG: § 46 Abs 1 (Wiedereinsetzung; minderer Grad des Versehens, keiner; Rechtsanwaltskanzlei; über rein technische Vorgänge hinausgehende Maßnahmen durch Kanzleiangestellte; erforderliche Überwachung)
VwGH 29. 4. 2011, 2008/02/0172
Zwar darf ein RA die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe seinen Kanzleiangestellten überlassen, und ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten RA stellt dann ein Ereignis iSd § 46 Abs 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom RA - wie hier zur Erfüllung eines Mängelbehebungsauftrages - einzubringenden Schriftsatzes. Diesbezüglich kann der RA nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes (besonders) verlässlicher Kanzleikräfte bedient. Da sich die von der Kanzleileiterin vorzunehmende Tätigkeit nicht bloß auf den rein technischen Vorgang beim Abfertigen von Schriftstücken beschränkte (es war vielmehr die Komplettierung des bereits vorab unterfertigten Schriftsatzes nach einer "Checkliste" durch Anschluss weiterer beizubringender Beilagen vorzunehmen), hätte sie auch einer verlässlichen Kanzleikraft nicht ohne nähere Beaufsichtigung überlassen werden dürfen. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfasst in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den VwGH in Befolgung des Verbesserungsauftrages zu übermittelnden Aktenstücke (VwGH 18. 1. 1989, 88/03/0251), sodass dem Rechtsvertreter des Antragstellers im vorliegenden Fall ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten ist. Nichtstattgabe.