1. Der kurze Traum vom Abschied des neoliberalen Paradigmas
Ein wesentlicher Zweck staatlichen Handelns wurde bis Anfang der 1970er-Jahre in vielen europäischen Ländern in der Reduktion von Unsicherheit bzw. in der Produktion von Sicherheit für soziale Situationen gesehen, die durch individuelles, gemeinschaftliches oder marktmäßiges Handeln nicht erreicht werden konnten. Beginnend mit den 1970er-Jahren setzte in der vorherrschenden Finanz- und Wirtschaftswissenschaft (mainstream economics) ein Paradigmenwechsel ein. Schrittweise wurde das Leitbild des modernen Wohlfahrtsstaates durch das Paradigma des "schlanken" (neoklassischen) Staates verdrängt. Im Mittelpunkt stand der Rückzug des Staates aus seinen öffentlichen Aufgaben, aus der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung für stabiles, ökologisch fundiertes Wirtschaftswachstum, für hohe Beschäftigung und für eine Absicherung gegen systembedingte soziale Risiken. Begründet wird dieses Zurückdrängen des Staates mit der These, dass der Markt dem Staat bei der Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen prinzipiell überlegen sei.

