Im Sommer 2018 habe ich in meinem Editorial unter anderem folgendes geschrieben: Der Wert des Rechtsstaats muss auch von Politikerinnen verteidigt und vermittelt werden. Sie tragen – wie wir – Verantwortung für das Vertrauen in die Justiz. Hoffentlich sind sie sich dieser Verantwortung auch bewusst. Knapp ein halbes Jahr später habe ich mehr denn je Zweifel an diesem Bewusstsein. Innenminister Kickl hat dieser Tage im ORF-Report die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage gestellt und die Politik über das Recht gestellt. Gottseidank hat der Justizminister rasch klare Worte gefunden und den Rechtsstaat und die Menschenrechte verteidigt. Auch der Bundespräsident hat deutlich gemacht, dass die Menschenrechtskonvention zum Grundkonsens der Zweiten Republik gehört, und der Bundeskanzler hat dem Innenminister "klar seine Meinung gesagt". Es gibt rote Linien, man darf nicht alles tolerieren. Es mag schon sein, dass es manchmal "unbequeme" Gesetze gibt, die nicht nur Vorteile bringen, und es hat schon immer Menschen und Unternehmen gegeben, die das Recht für ihre Zwecke missbrauchen. Das wird es leider immer geben, genauso wie Politiker, die ihren Einfluss missbrauchen. Selbstverständlich kann und muss der Gesetzgeber (!) geänderten Verhältnissen Rechnung tragen. Doch das ist noch lange kein Grund, Menschenrechte nicht zu beachten oder in Frage zu stellen. Gewaltentrennung und Menschenrechte sind in einem Rechtsstaat unantastbar.