Die prominenteste Rechtsquelle eines Verbots des Zwangs zur Selbstbezichtigung stellt in Österreich die für das gerichtliche Strafverfahren den Anklageprozess bestimmende Regelung des Art 90 Abs. 2 B-VG dar.2) Der VfGH leitet aus dieser an sich organisationsrechtlichen Bestimmung nicht ganz unproblematisch seit 1966 ein "nemo tenetur Prinzip" ab.3) Aus dem Grundsatz des Anklageprozesses wird die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Parteistellung des Beschuldigten proklamiert: "[…] der Beschuldigte [ist] nicht Objekt des Verfahrens, sondern Subjekt, also Prozesspartei."4) Daran anknüpfend - zur Gewährleistung der Parteistellung - wird ein impliziter "nemo tenetur Satz" postuliert: "Jeder gegen einen Beschuldigten gerichtete behördliche Eingriff, der diesen unter Strafsanktion verpflichtet, an der Wahrheitsfindung durch ein mündliches Geständnis mitzuwirken, widerspricht dem Anklageprinzip." Eine genaue Untersuchung des aus Art 90 Abs. 2 B-VG abgeleiteten Verbots des Zwangs zur Selbstbezichtigung kann allerdings in dieser Abhandlung nicht vorgenommen werden, da dies den Umfang der Untersuchung "sprengen" würde. Untersuchungsgegenstand des folgenden Aufsatzes bildet das "nemo tenetur Prinzip" des Art 6 EMRK. Das Recht zu schweigen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen gemäß Art 6 Abs. 1 EMRK, stellt einen Mindeststandard dar (Art 53 EMRK - Günstigkeitsprinzip) und beeinträchtigt in der österreichischen Rechtsordnung bestehende gleichartige Rechte -wie jenes, das aus Art 90 Abs. 2 B-VG abgeleitet wird - nicht.5) Art 90 Abs. 2 B-VG und Art 6 EMRK sind kumulativ anwendbar. Die weitere Betrachtung beschränkt sich auf Art 6 EMRK.