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Verfassungsreform in der Krise

EditorialGerhard ReissnerRZ 2005, 153 Heft 7 und 8 v. 1.7.2005

Im Rahmen einer Tagung zur künftigen Organisation der irakischen Gerichtsbarkeit erlebte ich in den Gesprächen mit den irakischen Kollegen Bewundernswertes. Der Präsident des irakischen Höchstgerichtes beeindruckte ob seines Erfahrungsschatzes und seiner Kenntnis der unterschiedlichen Verfassungsmodelle. Mit hohem Engagement wurde an den Details der Ausgestaltung des gewaltenteilenden Rechtsstaates in der Verfassung gefeilt. Dabei stand völlig außer Streit, dass anknüpfend an eine offenbar bewährte Rechtslage vor der Machtergreifung der Baath-Partei eine fast vollständige Loslösung von der Exekutive vorgesehen ist. Ein Hoher Richterrat, der mehrheitlich aus Richterinnen und Richtern besteht, verwaltet die Justiz, unterliegt finanziell keinem Regierungseinfluss und schlägt unter anderem dem Staatspräsidenten die zu ernennenden Richterinnen und Richter vor. Meine Frage, ob dies denn politisch durchsetzbar sein werde, stieß auf Unverständnis und den Hinweis, dass schon die provisorische Verfassung derartige Bestimmungen enthalte. Dies sei nicht nur Ausfluss der Ratschläge der zugezogenen internationalen Experten Für die Akzeptanz der Gerichtsbarkeit und für deren Funktionieren sei dieses Modell unverzichtbar. Die Unterscheidung von Justizangehörigen (Richtern und Staatsanwälten und Justizbeamten) und Beamten der Verwaltung sei der Bevölkerung ganz wesentlich. Ressourcenknappheit, vor allem aber Sicherheitsprobleme waren natürlich auch zentrale Themen der Konferenz, die dargestellten Eckpunkte der künftigen Gerichtsorganisation änderten sich bis zuletzt nicht. Die starke Unterordnung der Organisation und Verwaltung von Gerichten und Staatsanwaltschaften in Österreich unter die exekutive Staatsgewalt behielt ich für mich, nachdenklich kehrte ich in die österreichische Wirklichkeit zurück. Wieso stößt selbst ein in die richtige Richtung weisender Vorschlag im Verfassungsentwurf des Präsidenten des Verfassungskonvents nicht auf ungeteilte Zustimmung der verantwortlichen Politiker, obwohl er die nötige Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative ohnedies nur zum Teil erweitert, die Abhängigkeiten nur verringert, nicht gänzlich abschafft? Stimmt es, dass für mangelnde Bereitschaft des Ausbaus der Unabhängigkeit der Justizverwaltung ein Gemisch von mangelndem Problembewusstsein der Bevölkerung und Uninformiertheit gepaart mit Misstrauen bei den Politikerinnen und Politikern verantwortlich ist, wie dies die Thesen Schernthanners in seinem Erfahrungsbericht zum Österreichkonvent in diesem Heft der Richterzeitung nahe legen? Oder bestätigt sich bloß die Erkenntnis Max Webers, wonach Politik betreiben, Macht erstreben und Macht erhalten bedeutet? Kann die notwendige Herstellung der Balance zwischen den Staatsgewalten tatsächlich nur in Zeiten einer großen Krise oder eines Umbruchs erfolgen?

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