BVA, 03.04.2007, N/0018-BVA/10/2007-029
BVergG 2006 § 187, BVergG 2006 § 278 Abs 4
Anders als im BVergG 2002 unterscheiden sich im BVergG 2006 die Regelungen für den Widerruf im Sektorenbereich von jenen im Bereich der öffentlichen Auftraggeber. § 105 BVergG 2002 setzte schwerwiegende Gründe zur sachlichen Rechtfertigung voraus. Es bestand das Verbot, das Vergabeverfahren lediglich aus dem Grund zu widerrufen, um niedrigere Angebotspreise zu erhalten. In diesem Fall war der Widerruf sachlich nicht gerechtfertigt. Gegenüber dieser Rechtslage - wie die Materialien ausführen - trat durch das BVergG 2006 eine Änderung in Richtung der Mindestanforderungen der Rechtsprechung des EuGH ein. §§ 19 Abs 4 und 187 Abs 4 BVergG betonen, dass ein Auftraggeber oder ein Sektorenauftraggeber nicht verpflichtet ist, ein Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden (Schwartz, Die Neuerungen des BVergG 2006, RPA 2005, 214). § 139 Abs 2 Z 3 BVergG - offenbar der Auffangtatbestand der Widerrufsgründe im Bereich der öffentlichen Auftraggeber - lässt einen sachlichen Grund genügen. Nach § 279 BVergG (gemeint § 278) ist ebenfalls lediglich das Vorliegen eines sachlichen Grundes beim Widerruf durch Sektorenauftraggeber gefordert. Diese Entscheidung steht im Ermessen des Auftraggebers, wie sich aus dem Wort „kann“ ergibt. Die Materialien verweisen zum Verständnis des sachlichen Grundes für den Widerruf auf die Widerrufsgründe des „klassischen“ Bereichs. Dies bedeutet, dass die Widerrufsgründe für öffentliche Auftraggeber im Sektorenbereich sinngemäß, angepasst an die Systematik der Vergabe von Aufträgen durch Sektorenauftraggeber, anzuwenden sind. Zu berücksichtigen ist dabei auch die größere Freiheit von Sektorenauftraggebern bei der Führung von Vergabeverfahren. Diese Gründe sind als demonstrative, keinesfalls jedoch als taxative Aufzählung anzusehen. Sie vermögen jene Gründe aufzuzählen, aus denen ein Widerruf der Ausschreibung auch im Sektorenbereich jedenfalls sachlich gerechtfertigt ist. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass § 139 Abs 2 Z 3 BVergG § 279 BVergG entspricht. Dadurch bringt der Verweis der Materialien auf die Widerrufsgründe der §§ 138 f BVergG keine zusätzliche Erhellung der Sachlichkeit der Gründe, als sie den gleichen Widerrufsgrund des Vorliegens sachlicher Gründe enthalten. Auch sieht das BVergG im Sektorenbereich keine zwingenden, sondern nur im Ermessen des Auftraggebers liegende Widerrufsgründe vor. Dadurch räumt der Gesetzgeber dem Sektorenauftraggeber einen größeren Ermessenspielraum als einem öffentlichen Auftraggeber ein. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass ein Widerruf im Sektorenbereich jedenfalls dann zulässig ist, wenn sachliche Gründe bestehen, die einer Fortsetzung des Vergabeverfahrens entgegenstehen. Ob es dabei auch andere Handlungsalternativen gibt, ist nicht von Bedeutung. Es spielt keine Rolle, ob der Widerrufsgrund auf einen Fehler oder ein Verschulden des Auftraggebers zurückzuführen ist. Die Frage, ob ein den Widerruf der Ausschreibung rechtfertigender Grund vorliegt, ist einzig nach objektiven Gründen zu lösen.