Die dogmatische Einordnung der strafrechtlichen Verjährung ist strittig. Einige europäische Rechtsordnungen bestimmen ihre Rechtsnatur überwiegend prozessual (etwa Deutschland, England und Wales), andere fassen sie vornehmlich als materiell-rechtliches Institut auf (etwa Österreich, Italien, Frankreich). Praktische Auswirkungen dieser Diskussion ergeben sich etwa im Spannungsfeld zwischen Rückwirkungsverbot und Verjährungsverlängerungen. Die nachträgliche Verlängerung der laufenden Verjährungsfrist verstößt nur dann gegen das Rückwirkungsverbot, wenn die Verjährung materiell-rechtlicher Natur ist. Die Brisanz dieser Frage offenbarte sich jüngst in der Vorabentscheidung des EuGH zu Ivo Taricco ua/Italien (Urteil vom 8.9.2015, C-105/14 ): Dort wurde dem Tatgericht bei Finanzstraftaten ein Ermessensspielraum zur Nichtanwendung der absoluten Verjährungsfrist eingeräumt und damit der italienischen Rechtsordnung mit ihrem materiellem Verjährungsverständnis ein Bärendienst erwiesen.