Im Rechtsstaat spiegelt die Entwicklung der Gesetzgebung rechtspolitischen Gestaltungswillen, sozioökonomische und technologische Veränderungen, Wertewandel in der Gesellschaft und wachsende Rechtsangleichung in Europa wider. Das Strafrecht bildet dabei keine Ausnahme - im Gegenteil. Wer sich der Illusion hingab, die Strafrechtsreform der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hätte den Reformbedarf für lange Zeit abgedeckt, wurde bald eines Besseren belehrt. Strafrechtsänderungsgesetze folgten einander in immer kürzeren Abständen - von der überfälligen, noch immer nicht abgeschlossenen Reform des strafprozessualen Vorverfahrens ganz zu schweigen. Von neueren internationalen Rechtsinstrumenten und von der Rechtsentwicklung in der EU gehen Impulse zur Neufassung und Anpassung strafrechtlicher Bestimmungen, aber auch zu fundamentalen Änderungen aus: Wer hätte bis vor kurzem etwa an eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen (Unternehmen) oder an einen "Europäischen Haftbefehl" gedacht? Jetzt steht eine Umsetzung internationaler Verpflichtungen solcher Art unmittelbar bevor. Für Theoretiker wie Praktiker des Strafrechts und für die sonst in der Strafrechtspflege Tätigen oder an ihr Interessierten wirken diese sich anscheinend immer noch beschleunigenden und einander manchmal selbst überholenden Entwicklungen in der Rechtssetzung zuweilen geradezu bedrohlich. Ist es doch kaum noch möglich, neben der Verfolgung der legislativen Einzelheiten als solcher deren innere Entwicklungsrichtung und Einbettung in herkömmliche Systeme und Strukturen zu reflektieren, Umsetzungsvarianten zu internationalen Rechtsakten zu erörtern, Spannungsfelder zu registrieren und zu ordnen oder gar den sich abzeichnenden nächsten Schritten und kommenden Tendenzen vorzufühlen.