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Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht bei einwilligungsunfähigen Patienten - Anmerkungen zu OGH 7. 7. 2008, 6 Ob 286/07p*)*)Abgedruckt in diesem Heft der JBl 2009, 100; s zu OGH 7.7.2008, 6 Ob 286/07p auch Jud, EF-Z 2008, 230 f; Kletecka, Zak 2008, 333; Prohaska, Sterbehilfe gewünscht, Erbe verwirkt?, Die Presse vom 4.11.2008, 11.

Korrespondenza. Univ.-Prof. Dr. Erwin BernatJBl 2009, 129 Heft 2 v. 1.2.2009

A. In der vorliegenden Entscheidung musste sich der OGH erstmals mit der Frage auseinandersetzen, aus welchen Gründen der Arzt berechtigt oder gar verpflichtet ist, die lebenserhaltende Behandlung bei einem multimorbiden, irreversibel einwilligungsunfähigen Patienten, dessen Leben sich dem Ende zuneigt, einzustellen, so dass dieser Patient in Würde sterben kann (sog passive Sterbehilfe)1)1)Zur Abgrenzung der passiven von der a priori verboten (und nach hA auch strafbaren) direkten aktiven Sterbehilfe s nur Bernat, Einführung in das österreichische Medizinrecht, in: Wenzel (Hrsg), Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht (2007) 1437 (1483 ff); Fletcher, Prolonging life, Washington L Rev 42 (1967) 999 ff; Roxin, An der Grenze zwischen Begehung und Unterlassung, FS Engisch (1969) 380 ff; Samson, Begehung durch Unterlassung, FS Welzel (1974) 579 ff; Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung (1998); Spendel, Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen, FS Eberhard Schmidt (1961) 183 ff.. Diese Frage ist in Österreich ebenso heftig umstritten wie in Deutschland und in anderen Ländern2)2)Reiche Nachweise bei Bernat, Bioethische Entscheidungskonflikte im Spiegel der Judikatur. 50 Fälle mit Anmerkungen und Fragen (2003) 341 (386 ff); Bernat/Koch/Meisel, Das "Patiententestament" und der "Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten". Ein Vergleich des deutschen, amerikanischen und japanischen Rechts, JRE 4 (1996) 445 ff; Kadish, Letting patients die: Legal and moral reflections, Calif L Rev 80 (1992) 857 ff; Kennedy, The right to die, in: Mazzoni (Hrsg), A Legal Framework for Bioethics (1998) 181 ff; Schmidt-Recla, Voluntas et vita: Tertium non datur. Über Behandlungsabbruch, Patientenverfügung und artifizielle Ernährung, MedR 2008, 181 ff; Schumann, Patientenverfügung und Patienten ohne Verfügung, in: Albers (Hrsg), Patientenverfügungen (2008) 215 ff; Wunder, Medizinische Entscheidungen am Lebensende und der "mutmaßliche Wille", MedR 2004, 319 ff.. Zudem erscheint der Fall, den der OGH entscheiden musste, geradezu paradigmatisch3)3)Der Fall entspricht weitgehend dem vom OGH zitierten Kemptener Fall (BGHSt 40, 247), der einen bekannten amerikanischen Vorläufer hat (In Re Conroy, 486 A.2d 1209 [New Jersey 1985]). S zur Entscheidung im Kemptener Fall weiterführend Bernat, Behandeln oder sterben lassen? Rechtsdogmatische und rechtsvergleichende Überlegungen zum Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, FS Deutsch (1999) 443 ff; dens, Antizipierte Erklärungen und das Recht auf einen selbstbestimmten Tod (Medizinethische Materialien, H 104 [1996]); Bernsmann, Der Umgang mit irreversibel bewusstlosen Personen und das Strafrecht, ZRP 1996, 87 ff; Lilie, Hilfe zum Sterben, FS Steffen (1995) 273 ff; Merkel, Tödlicher Behandlungsabbruch und mutmaßliche Einwilligung bei Patienten im apallischen Syndrom, ZStW 107 (1995) 545 ff; Verrel, Selbstbestimmung contra Lebensschutz, JZ 1996, 224 ff; Weißauer/Opderbecke, Behandlungsabbruch bei unheilbarer Krankheit aus medikolegaler Sicht, MedR 1995, 456 ff.: Der Patient ist nicht oder kaum mehr kognitiv und muss künstlich ernährt werden, eine Verbesserung seines Zustandes kann ausgeschlossen werden; eine Patientenverfügung liegt dem Arzt nicht vor. Darf der Arzt unter diesen Umständen die Behandlung einstellen und den Patienten sterben lassen? Zwar wird der Arzt schon durch die faktische Aufnahme der Behandlung zum Garanten für Gesundheit und Leben seines Patienten (§ 2 StGB)4)4)Stree in Schönke/Schröder, StGB27 § 13 Rz 10; Hilf in WK-StGB2 § 2 Rz 95., allerdings bedeutet das nicht, dass ein Behandlungsabbruch immer erst dann in die Kategorie des rechtlich Erlaubten fällt, wenn es dem Arzt aus faktischen Gründen nicht mehr möglich ist, etwas zur Lebenserhaltung beizutragen.

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