I.
Da sich der Anlaß zur vorliegenden Arbeit aus der Rechtsprechung des VwGH ergab, möchte ich eine Erwägung über das Verhältnis der Praxis zur Lehre vorausschicken: Harbich hat in einem Aufsatz, dessen Titel „Der Beschluß im Strafprozeß und seine Begründung“2) für Öffentlichrechtler und Zivilisten ja nicht geradezu verlockend erscheinen mag, goldene Worte über Sinn und Methode richterlicher Entscheidungsbegründung gefunden. Jedem Praktiker kann schon aus diesem Grunde die Lektüre dieses Aufsatzes empfohlen werden. Einige Ausführungen darin über das Verhältnis von Praxis und Lehre scheinen mir aber einer näheren Prüfung würdig: Bei der Zitierung der Lehre, so meint Harbich, sei von der Erkenntnis auszugehen, daß die Aufgaben des Richters und die des Gelehrten grundverschieden seien. Der Richter habe einen Fall in angemessener Frist zu entscheiden; der Gelehrte habe die wissenschaftliche Wahrheit zu suchen und könne sich dazu u. U. Jahrzehnte Zeit lassen. Die Fallentscheidung müsse der Richter vor dem Gesetz und vor seinem Gewissen vertreten können, mag auch eine andere Entscheidung desselben Falles mit gleich guten Gründen vertretbar sein. Der Gelehrte hingegen könne sich mit bloßer Vertretbarkeit in der Regel nicht zufrieden geben, sein Ziel sei die Erkenntnis des Richtigen und des Wahren. Der Richter habe nicht zu forschen und zu lehren, sondern zu entscheiden. Sehe man diese Trennungslinie, dann erkenne man auch die Abwegigkeit, es in einer richterlichen Entscheidung den Gelehrten gleichtun, wissenschaftliche Forschung betreiben zu wollen. Darum sei es nicht Sache der Gerichte, auch nicht der Höchstgerichte, sich in Streitgespräche mit Vertretern von Lehrmeinungen einzulassen und theoretische Debatten in den Entscheidungsgründen auszutragen. Soweit Harbich3).