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Wurzeln und Wandel des Kollektivismus am Beispiel des Kündigungsschutzes

AbhandlungenBarbara TrostDRdA 2019, 301 Heft 4 v. 15.8.2019

Die politische Idee, AN vor einseitigen Beendigungen des Arbeitsverhältnisses durch AG zu schützen, geht in ihren ersten Ansätzen bereits in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, wobei am Beginn allerdings lediglich das Ansinnen stand, Beendigungen von dem einen auf den nächsten Tag hintanzuhalten.1)1)Als älteste Regelung dieser Art kann § 201 Allgemeines BergG 1854 (RGBl 1854/146) mit einer (mangels Vereinbarung) 14-tägigen Kündigungsfrist (bei BeamtInnen und AufseherInnen sogar dreimonatigen Frist) angesehen werden; vgl im Übrigen zur Geschichte zB Spielbüchler/Grillberger in Floretta/Spielbücher/Strasser, Arbeitsrecht I4 (1998) 7 ff. Der Bestandschutz im eigentlichen Sinn allerdings – und zwar zugleich iS eines kollektivrechtlich konstruierten Bestandschutzes – feierte am 15. Mai 2019 sein hundertjähriges Jubiläum! Grund genug, sich dieser Thematik wissenschaftlich zu widmen und dabei den Stellenwert des dem Betriebsrätegesetz (BRG) 1919 innewohnenden kollektivistischen Prinzips aus gegenwärtiger Perspektive (neu) zu bestimmen. Es erscheint die Notwendigkeit, den Bogen aus der Geschichte zur Gegenwart und Zukunft zu spannen umso dringlicher angesichts der Tatsache, dass im Dunst eines europaweit grassierenden neoliberalen (und ergo individualistischen) Trends Begriffe wie "Deregulierung" und "Rechtsbereinigung" erschreckend schnell zu Modewörtern geworden sind. Aus wissenschaftlicher Sicht beängstigt dies vor allem deshalb, weil man erfahren hat, welch intensive Durchdringung der vielschichtig vernetzten und verstrickten Normen erforderlich ist, um auf sinnvolle Weise an winzigen Schrauben drehen zu können, ohne damit die Errungenschaften eines Rechtssystems nachhaltig zugrunde zu richten. Wenn "speed kills", hat dies in den vergangenen hundert Jahren der Rechtsordnung selten gute Dienste erwiesen.2)2)Gemeint sind nicht nur radikale Systembrüche (Vernichtung demokratischer Systeme durch autoritäre Regime wie 1934 und 1938). Auch gut gemeinte Versuche positiver Änderungen im Rahmen des Rechtsstaates sind mitunter legistisch der Geschwindigkeit zum Opfer gefallen, wie etwa bereits Fehler bei der Rechtsüberleitung 1947 (vgl hierzu zB Trost, Führungskräfte im Betriebsrat? – Historisches und neue Perspektiven zum so genannten "leitenden Angestellten", in Felten/Trost [Hrsg], 50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der Johannes Kepler Universität Linz [2017] 183 ff [201 ff]); im ausgehenden 20. Jahrhundert etwa die Neuregelung des DN-Begriffs des ASVG zunächst im Zuge des StrukturAnpGesetzes 1996 (vgl dazu sehr kritisch Trost/Waldhör/Iljkic, Unselbstständig, Selbstständig, erwerbslos – Studie zu Problemen von Künstlern und Künstlerinnen in der sozialen Absicherung aus juristischer Sicht [2017] 40 ff); sowie sodann durch das ASRÄG 1997 (vgl dazu etwa Naderhirn, Die Neuformulierung des Dienstnehmerbegriffes des ASVG durch das ASRÄG 1997 [2000]); ebenso die Änderungen des AVRAG durch das ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139 (vgl hierzu bereits die Kritik an der Nichtaufnahme der Entlassungen von Jabornegg, Arbeitsrechtliche Aspekte des ASRÄG 1997, in Jabornegg/Resch, Rechtsfragen des ASRÄG 1997 [1997] 13 ff [37]); schließlich das ARÄG 2000 (vgl dazu zB Trost, Das Lebensalter als "soziale Komponente" im österreichischen Kündigungsschutz, in FS Cerny [2001] 353 ff) und zuletzt die AZG-Novelle 2018 (vgl hierzu etwa Felten/Trost [Hrsg], Arbeitszeitrecht neu – eine wissenschaftliche Analyse [2018]; sowie jüngst die so genannte "Karfreitagsregelung"; § 7a ARG idF BGBl I 2019/22). Der Eindruck der "Gemächlichkeit" historischer Betrachtungen soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geschichte verstehen der beste Weg ist, um in der Zukunft zu bestehen.

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