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29.5.2 Fiktionen

BMF2023-0.871.81913.3.2024

Rz 7736
Um die Vornahme des Kapitalertragsteuerabzugs durch die Abzugsverpflichteten zu erleichtern, werden in § 93 Abs. 5 EStG 1988 verschiedene Fiktionen aufgestellt. Die Fiktionen sind nicht als Wahlrecht ausgestaltet, sondern auch dann zwingend anzuwenden, wenn der Abzugsverpflichtete Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten hat.

Alle Fiktionen gelten explizit nur für Zwecke des Kapitalertragsteuerabzugs, womit die Steuerabgeltungswirkung des § 97 Abs. 1 EStG 1988 nicht eintritt. Entsprechen somit die für Zwecke des Kapitalertragsteuerabzugs getroffenen Annahmen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, besteht für die entsprechenden Wertpapiere eine Veranlagungspflicht.

29.5.2.1 Privatvermögensfiktion

Rz 7737
Nach der ersten Fiktion hat der Abzugsverpflichtete davon auszugehen, dass Wirtschaftsgüter, Derivate und Kryptowährungen im Sinne des § 27 Abs. 3 bis 4a EStG 1988 nicht in einem Betriebsvermögen gehalten werden. Dies führt dazu, dass für Zwecke des Kapitalertragsteuerabzugs keine Unterscheidung zwischen Betriebs- und Privatvermögen getroffen werden muss.

Damit entfällt die unterschiedliche Behandlung der Anschaffungsnebenkosten, womit das Ansatzverbot des § 27a Abs. 4 Z 2 EStG 1988 für sämtliche depotverwahrten Wertpapiere zur Anwendung gelangt (zur Nichtanwendbarkeit von § 27a Abs. 4 Z 2 EStG 1988 bei Kryptowährungen siehe Rz 6105a). Bei tatsächlich im Betriebsvermögen gehaltenen Wertpapieren können die Anschaffungsnebenkosten im Rahmen der zwingend durchzuführenden Veranlagung berücksichtigt werden.

Rz 7737a
Ebenso wird der Kapitalertragsteuerabzug auf ausschüttungsgleiche Erträge bei Anteilen an Investmentfonds und § 40 oder § 42 des Immobilien-Investmentfondsgesetzes unterliegenden Gebilden einheitlich vorgenommen. Einbehalten und abgeführt wird vom Abzugsverpflichteten stets nur der Kapitalertragsteuerbetrag, der auf die 60% des positiven Saldos aus Einkünften im Sinne des § 27 Abs. 3 und 4 EStG 1988 sowie des § 27b Abs. 3 EStG 1988 gemäß § 186 Abs. 2 Z 1 erster Satz InvFG 2011 entfällt. Bei tatsächlich im Betriebsvermögen gehaltenen Anteilscheinen sind die restlichen 40% des positiven Saldos aus Einkünften im Sinne des § 27 Abs. 3 und 4 EStG 1988 sowie des § 27b Abs. 3 EStG 1988 nach Abzug der damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen des Investmentfonds im Rahmen der zwingend durchzuführenden Veranlagung zu erklären (siehe § 186 Abs. 2 Z 1 vorletzter Satz InvFG 2011).

29.5.2.2 Public-placement-Fiktion

Rz 7738
Aufgrund der zweiten Fiktion hat der Abzugsverpflichtete davon auszugehen, dass im Ausland begebene Wertpapiere, die ein Forderungsrecht verbriefen, sowie Anteile an einem § 40 oder § 42 des Immobilien-Investmentfondsgesetzes unterliegenden Gebilde bei ihrer Begebung sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht einem unbestimmten Personenkreis angeboten wurden. Im Gegensatz zu den anderen aufgestellten Fiktionen ist diese Vermutung allerdings nur in Zweifelsfällen anzuwenden, somit nur dann, wenn der Abzugsverpflichtete keine Kenntnis über das Vorliegen der angesprochenen Kriterien hat. Ist daher dem Abzugsverpflichteten bekannt, dass das entsprechende Wertpapier beziehungsweise der Anteilschein entweder in rechtlicher oder in tatsächlicher Hinsicht keinem unbestimmten Personenkreis angeboten wurde, kommt die Fiktion nicht zur Anwendung.

Wurde das im Ausland begebene Wertpapier beziehungsweise der Anteilschein sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht einem unbestimmten Personenkreis angeboten oder wird das Vorliegen dieser Voraussetzungen fingiert, unterliegen sie dem Kapitalertragsteuerabzugsregime (siehe § 93 Abs. 1 EStG 1988).

Liegen die genannten Voraussetzungen nicht vor und werden sie auch nicht fingiert, fallen die Wertpapiere unter § 27a Abs. 2 EStG 1988. Die Besteuerung findet in diesem Fall nicht im Abzugsweg, sondern in der Veranlagung zum regulären Tarif statt.

29.5.2.3 Wegzugszeitpunktfiktion

Rz 7739
Nach der dritten Fiktion hat der Abzugsverpflichtete davon auszugehen, dass bei der Meldung der Entstrickung durch den Steuerpflichtigen der Zeitpunkt der Entstrickung dem Zeitpunkt der Meldung entspricht.

Bei Vorliegen von Umständen, die zur Einschränkung des Besteuerungsrechts Österreichs im Verhältnis zu anderen Staaten führen - § 27 Abs. 6 Z 1 EStG 1988 - hat die depotführende Stelle bzw. der inländische Dienstleister den Kapitalertragsteuerabzug durchzuführen, wenn der Steuerpflichtige die Entstrickung meldet (§ 94 Z 7 EStG 1988). Die Bemessungsgrundlage ist dabei gemäß § 27a Abs. 3 Z 2 lit. b EStG 1988 der Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert im Zeitpunkt des Eintritts der Umstände und den Anschaffungskosten. Die Fiktion bewirkt somit, dass der Abzugsverpflichtete den genauen Zeitpunkt des Eintritts der Umstände nicht ermitteln muss, sondern die Bemessungsgrundlage mit dem Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert zum Zeitpunkt der Meldung und den Anschaffungskosten anzunehmen hat. Dies gilt analog im Fall der Entstehung des Besteuerungsrechts.

Sind daher die Umstände, die zur Einschränkung des Besteuerungsrechts Österreichs geführt haben, bereits vor der Meldung eingetreten, hat der Steuerpflichtige im Rahmen der Veranlagung den genauen Zeitpunkt anzugeben, damit die Besteuerung ausgehend vom gemeinen Wert im tatsächlichen Zeitpunkt des Eintritts der Umstände korrekt vorgenommen werden kann.

29.5.2.4 Umgründungsfiktion

Rz 7739a
Die vierte Fiktion steht im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand zur Depotübertragung gemäß § 27 Abs. 6 Z 2 sechster Teilstrich EStG 1988. Demnach hat der Abzugsverpflichtete davon auszugehen, dass eine Depotübertragung im Rahmen einer Umgründung vorliegt, wenn der Steuerpflichtige der depotführenden Stelle anhand geeigneter Unterlagen (insbesondere notariell beurkundeter Beschluss bzw. Vertrag oder Notariatsakt über die Umgründung oder die Meldung oder Anzeige der Umgründung samt Beilagen beim Finanzamt) das Vorliegen einer Umgründung nach dem Umgründungssteuergesetz glaubhaft macht (siehe dazu Rz 6169f).

29.5.2.5 Einkünftezurechnungsfiktion

Rz 7739b
§ 93 Abs. 5 fünfter Teilstrich EStG 1988 enthält eine Fiktion in Zusammenhang mit der Einkünftezurechnungsvorschrift für Dividenden aus zentralverwahrten Aktien gemäß § 32 Abs. 4 EStG 1988 (siehe Rz 6914 ff). Gemäß dieser Bestimmung kann der Abzugsverpflichtete davon ausgehen, dass Dividenden aus solchen Aktien jenem Steuerpflichtigen zuzurechnen sind, bei dem ein Zufluss erfolgt; eine allfällige Korrektur der Anschaffungskosten bzw. des Veräußerungserlöses (Rz 6916) hat daher durch den Abzugsverpflichteten nicht zu erfolgen. Somit hat bei Dividenden aus ausländischen Gesellschaften immer ein KESt-Abzug durch die inländische auszahlende Stelle zu erfolgen, wenn eine Zahlung zufließt, selbst wenn es sich steuerlich nicht um eine Dividende, sondern um eine Ausgleichszahlung handelt. Eine allfällige Korrektur kann im Rahmen der Veranlagung erfolgen. Erfolgt gemäß § 93 Abs. 5 fünfter Teilstrich EStG 1988 ein KESt-Abzug und wird im Rahmen der Veranlagung keine Korrektur vorgenommen, bestehen aufgrund einer richtigen Gesamtgewinnbesteuerung keine Bedenken, auch im Rahmen der Veräußerung der Aktien weiterhin von einer Endbesteuerung auszugehen.

Bei Dividenden aus inländischen Gesellschaften, für die die Kapitalertragsteuer schon von der auszahlenden Gesellschaft (Schuldner gemäß § 95 Abs. 2 Z 1 lit. a EStG 1988) einbehalten wurde, darf der Abzugsverpflichtete - insbesondere zur Vornahme des automatischen Verlustausgleichs - von einer Einkünftezurechnung nur ausgehen, wenn die Auszahlung nicht im Rahmen einer korrigierten Verteilung durch den Zentralverwahrer vorgenommen wird. Eine korrigierte Verteilung liegt zB in jenen Konstellationen vor, in denen es zu Marktregulierungen durch den Zentralverwahrer und damit zu Ausgleichszahlungen in Form von Market Claims oder Reverse Claims kommt (zB OTC-Geschäfte kurz vor dem Record-Tag, verspätete Lieferung). In jenen Fällen kann die steuerliche Zurechnung von der Zahlung eines als "Dividende" bezeichneten Betrages abweichen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nicht Dividenden als Einkünfte im Zuge des Verlustausgleichs berücksichtigt werden, die dem Steuerpflichtigen gemäß § 32 Abs. 4 EStG 1988 gar nicht zuzurechnen sind; dadurch wird eine Mehrfachanrechnung bzw. -erstattung von Kapitalertragsteuer vermieden. Im Rahmen der Veranlagung kann die Einkünftezurechnung nachgewiesen werden (siehe Rz 6921). Zudem hat bei den Zahlungen aus dem Marktregulierungsverfahren im Rahmen von Market Claims eine Korrektur der Anschaffungskosten bzw. des Veräußerungserlöses durch den Abzugsverpflichteten zu erfolgen (Rz 6916). Wird im Jahr 2024 aus technischen Gründen durch den Abzugsverpflichteten keine Korrektur der Anschaffungskosten vorgenommen, hat der Abzugsverpflichtete den Steuerpflichtigen darauf hinzuweisen, dass eine spätere Veräußerung oder sonstige Realisierung der Aktien keine Endbesteuerungswirkung entfaltet und daher eine Veranlagungspflicht vorliegt.

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