1.4.6.1. Voraussetzungen für den verschmelzungsbezogenen Mantelkauftatbestand
Ein Mantelkauf liegt vor, wenn alle in § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988 geforderten wesentlichen Änderungen, also jene der persönlichen, der organisatorischen und der betrieblichen Strukturen der Körperschaft, innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes (vor und nach der Verschmelzung) eintreten und dadurch nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die wirtschaftliche Identität einer vortragsfähige Verluste besitzenden Körperschaft verloren geht.Nach § 4 Z 2 erster Satz UmgrStG liegt ein Mantelkauf im Sinne des § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988, der den Abzug von Verlusten ausschließt, auch dann vor, "wenn die wesentlichen Änderungen der Struktur zu einem Teil bei der übertragenden und zum anderen Teil bei der übernehmenden Körperschaft erfolgen." Zu einem Wegfall von Verlusten kann es gemäß § 4 Z 2 UmgrStG daher sowohl bei der übertragenden als auch bei der übernehmenden Körperschaft kommen.Es ist zwischen dem vorumgründungs- und dem umgründungsveranlassten Manteltatbestand zu unterscheiden:
- Liegen die Voraussetzungen für einen Manteltatbestand bereits in einem Jahr vor der Umgründung oder in dem mit dem Umgründungsstichtag endenden Wirtschaftsjahr der übertragenden Körperschaft nach § 8 Abs. 4 Z 2 KStG 1988 vor, ist bereits am Umgründungsstichtag ein vortragsfähiger Verlust aus den betroffenen Vorjahren nicht mehr gegeben. Fällt der verwirklichte Manteltatbestand in das Wirtschaftsjahr, in das der Umgründungsstichtag fällt, sind sämtliche Vorjahresverluste schon am Umgründungsstichtag keine vortragsfähigen Verluste mehr; ein laufender Verlust (VwGH 22.12.2005, 2002/15/0079) ist nach den Grundsätzen des § 4 UmgrStG zu beurteilen.
- Für die Beurteilung des umgründungsveranlassten Manteltatbestandes sind die übertragende und die übernehmende Körperschaft als Einheit anzusehen, und zwar insoweit, als die wesentlichen Änderungen der Struktur innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zum Teil vor und zum Teil nach der Verschmelzung, also bei der übertragenden und/oder bei der übernehmenden Körperschaft erfolgen können.
Demzufolge ist zunächst bei Vorliegen der Objektverknüpfung des vergleichbaren Umfangs von einem Übergang des vortragsfähigen Verlustes auszugehen; es ist im folgenden (bzw. unter Umständen einem späteren) Veranlagungszeitraum der übernehmenden Körperschaft zu prüfen, ob der Manteltatbestand verwirklicht ist.
Beispiel:
Die A-GmbH erwirbt am 1.6.01 alle Anteile der operativen B-GmbH. Zum Verschmelzungsstichtag 31.12.01 ist der verlusterzeugende Betrieb in einem die Vergleichbarkeitsschwelle nicht unterschreitendem Umfang vorhanden, sodass die vortragsfähigen Verluste der übertragenden B-GmbH auf die A-GmbH übergehen und im Veranlagungszeitraum 02 dem Grunde nach als Sonderausgaben zur Verfügung stehen. Wird der übernommene Betrieb im Laufe des Jahres 02 liquidiert, ohne dass ein Ausnahmetatbestand (Rz 251 f) vorliegt, verliert der übergegangene vortragsfähige Verlust im Jahr 02 mit Ausnahme der Verrechnungsmöglichkeit mit in diesem Jahr aufgedeckten stillen Reserven seine Wirkung als Sonderausgabe. Keine andere Rechtsfolge ergibt sich bei Umkehrung der Verschmelzungsrichtung. In diesem Fall verliert der eigene Verlustvortrag der übernehmenden B-GmbH seine Wirkung als Sonderausgabe.
Da § 4 Z 2 UmgrStG hinsichtlich der "wesentlichen Änderungen der Struktur" alle drei Strukturmerkmale des Mantelkaufs gleichermaßen anspricht, kann es aufgrund von § 4 Z 2 UmgrStG auch zu einem Wegfall von Verlustvorträgen kommen, obwohl die Änderung des jeweiligen Strukturmerkmals nicht bei der die Verlustvorträge besitzenden Körperschaft eingetreten ist (zB können daher Verlustvorträge einer Körperschaft wegfallen, obwohl bei dieser kein Gesellschafterwechsel stattgefunden hat und die Beteiligung bereits vor der Umgründung gehalten wurde). § 4 Z 2 UmgrStG kommt hingegen nicht zur Anwendung, wenn diese wesentlichen Änderungen der Struktur nicht in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang erfolgen.
Werden mehrere Umgründungsschritte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang vorgenommen oder liegt ein Mehrfachzug mit Umgründungsplan auf denselben Umgründungsstichtag vor (§ 39 UmgrStG; siehe Rz 1874 ff), kann eine kumulative Betrachtung hinsichtlich der Beurteilung der Strukturmerkmale für den Mantelkauf geboten sein, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die Verwertung von Verlusten im Vordergrund steht.
1.4.6.1.1. Änderung der Gesellschafterstruktur
Die Gesellschafterstruktur ist wesentlich geändert, wenn ein Gesellschafterwechsel drei Viertel des Nennkapitals der Körperschaften oder mehr betrifft.Auch für den verschmelzungsbedingten Mantelkauftatbestand gilt, dass die Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Basis erfolgen muss. Ein typischer Fall ist die Konzernverschmelzung mit einem unmittelbar vorgelagerten vorbereitenden Anteilserwerb (Körperschaft erwirbt entgeltlich Anteile an einer übertragenden Verlust-Körperschaft, beide Körperschaften werden anschließend verschmolzen). Auch eine Anteilsveräußerung nach der Verschmelzung kann unter Umständen für den Mantelkauftatbestand eine Rolle spielen.
Die Verschmelzungsrichtung hat auf die Anwendung des Mantelkauftatbestands keine Auswirkung. Es ist daher unmaßgeblich, ob der Gesellschafterwechsel bei der übertragenden oder bei der übernehmenden Körperschaft (vor oder nach Verschmelzung) erfolgt.Zu keiner Änderung der Beteiligungsstruktur kommt es bei einer Verschmelzung ohne Gewährung von Gesellschaftsanteilen (was zB auf den Fall der Mutter-Tochter-Verschmelzung zutrifft), soweit die Anteile an der übertragenden oder übernehmenden Körperschaft nicht im zeitlichen Naheverhältnis zur Verschmelzung erworben wurden. Gleiches gilt auch für eine Konzernverschmelzung in Form einer Schwesternverschmelzung ohne Kapitalerhöhung (weil die Anteile an beiden Körperschaften mittelbar oder unmittelbar in einer Hand vereinigt sind), da auch in diesem Fall eine Entgeltlichkeit nicht gegeben ist.1.4.6.1.2. Änderung der organisatorischen Struktur
Für die Beurteilung dieser Komponente ist auf die organisatorische Struktur bei der übernehmenden Körperschaft nach der Verschmelzung dahingehend abzustellen, ob und wieweit die Geschäftsleitung der übertragenden Körperschaft in der übernehmenden Körperschaft nach der Verschmelzung vertreten ist (siehe dazu auch KStR 2013 Rz 995). Wird die Geschäftsleitung der übertragenden (untergehenden) Körperschaft nicht mehr in jene der übernehmenden Körperschaft aufgenommen, wird die Änderung der organisatorischen Struktur letztlich durch den Verschmelzungsvorgang selbst realisiert.1.4.6.1.3. Änderung der wirtschaftlichen Struktur
Die wirtschaftliche Struktur ist wesentlich geändert, wenn der frühere (verlusterzeugende) Betrieb bzw. die frühere Geschäftstätigkeit nicht mehr oder nur mehr in einem untergeordneten Ausmaß existiert oder wenn die vorhandene Betriebsstruktur wesentlich erweitert oder in der Folge durch eine neue ersetzt wird. Die Veräußerung oder Stilllegung eines Betriebes stellt daher idR eine wesentliche wirtschaftliche Strukturänderung dar.Die Komponente der wirtschaftlichen Strukturänderung ist umgründungssteuerrechtlich insoweit modifiziert zu beurteilen, als nur wirtschaftliche Strukturänderungen nach der Verschmelzung maßgeblich sein können. Bei wesentlichen wirtschaftlichen Strukturänderungen vor der Verschmelzung wird der Übergang bzw. die Vortragsfähigkeit von Verlusten nämlich bereits durch § 4 Z 1 UmgrStG verhindert.Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Strukturänderung ist die konkrete betriebliche (vermögensmäßige) Struktur der im Sinne der § 4 Z 2 UmgrStG vom Mantelkauftatbestand potenziell betroffenen Körperschaft vor und nach der Verschmelzung zu vergleichen. Ist diese konkrete Struktur - unabhängig von der betrieblichen Struktur (Betriebsgröße, Branche usw.) der zweiten an der Verschmelzung beteiligten Körperschaft - auch nach der Verschmelzung unverändert geblieben, kann kein Mantelkauf vorliegen.Beispiel
Eine AG, die sich mit der industriellen Möbelerzeugung beschäftigt und einen Umsatz von 100.000 erzielt, erwirbt alle Anteile an einer als GmbH geführten Stilmöbeltischlerei mit einem Jahresumsatz von 1.000. Die Geschäftsführung wird ausgewechselt und die GmbH auf ihre nunmehrige Muttergesellschaft verschmolzen. Die wirtschaftliche Struktur der Stilmöbeltischlerei (Standort, maschinelle Ausstattung, Personal) wird aber beibehalten. Trotz Änderung der Beteiligungsstruktur und der organisatorischen Struktur ist der Mantelkauftatbestand mangels Änderung der wirtschaftlichen Struktur nicht erfüllt.
1.4.6.2. Ausnahmetatbestände
Trotz Vorliegen aller Strukturänderungen ist ein Mantelkauf bei Verschmelzungen dann nicht anzunehmen, wenn entweder- die Sanierungsklausel des § 8 Abs. 4 Z 2 vorletzter Satz KStG 1988 oder
- die Rationalisierungsklausel des § 4 Z 2 letzter Satz UmgrStG
zur Anwendung kommt.
Zur Sanierungsklausel siehe KStR 2013 Rz 1002. Die Verlustvorträge bleiben gemäß § 4 Z 2 letzter Satz UmgrStG auch dann erhalten, wenn die den Mantelkauftatbestand grundsätzlich erfüllende Totaländerung eine Verbesserung oder Rationalisierung der betrieblichen Struktur im Unternehmenskonzept der übernehmenden Körperschaft zum Ziel hat. Dies kann bei der Gewinnung von Synergieeffekten gegeben sein, etwa wenn ein verschmelzungsbedingtes Zusammenwirken verschiedener getrennt unwirksamer Faktoren zu einer wirtschaftlichen Optimierung führt oder wenn das Stilllegen der verschmelzungsveranlasst übernommenen Produktion eines Marktkonkurrenten zu einer besseren Auslastung im branchengleichen Betrieb der übernehmenden Körperschaft führt. Das Rationalisierungsmotiv muss erkennbar und der Abgabenbehörde gegenüber auch darstellbar sein.entfällt
Randzahl 253: entfällt
1.4.7.
1.4.8. Behandlung von Verlustkomponenten aus einer Teilwertabschreibung gemäß § 12 Abs. 3 Z 2 KStG 1988
Im Hinblick auf das Erfordernis einer Verteilung des Aufwandes aus einer Teilwertabschreibung auf zum Anlagevermögen gehörende Beteiligungen an Körperschaften (im Sinne des § 10 Abs. 1 KStG 1988) oder eines Verlustes aus der Veräußerung oder aus einem sonstigen Ausscheiden (zB Liquidation) einer derartigen Beteiligung auf sieben Jahre können sich Siebentelkomponenten mangels Verrechnung mit Gewinnen im vortragsfähigen Verlust befinden oder als offene Siebentelbeträge am Stichtag vorhanden sein. Die im vortragsfähigen Verlust enthaltenen Komponenten teilen das Schicksal der übrigen Verluste und gehen nach Maßgabe des § 4 UmgrStG über oder nicht über bzw. bleiben bei der übernehmenden Körperschaft abzugsfähig oder nicht. Im Hinblick auf die gleiche Grundlage sind die am Stichtag offenen Komponenten nicht anders zu behandeln als die übrigen Verluste. Auch für sie ist der Übergang auf die übernehmende Körperschaft bzw. die Fortsetzung bei der übernehmenden Körperschaft davon abhängig, ob der Objektbezug und die Vergleichbarkeit des umgegründeten Vermögens gegeben ist (VwGH 14.10.2010, 2008/15/0212).Beispiel:
Im Jahr 02 führt die X-AG (Bilanzstichtag 31.12.) auf die 50-prozentige Beteiligung an der inländischen A-GmbH eine Teilwertabschreibung über 70.000 durch, die steuerlich zu einem Verlust führt. Sie macht das erste Siebentel im Rahmen der Veranlagung 02 geltend. Zum Stichtag 30.9.03 wird die X-AG auf die Y-AG (Bilanzstichtag ebenfalls 31.12.) verschmolzen. Im Jahr 03 kann nur die X-AG ein weiteres Siebentel aus der Teilwertabschreibung geltend machen, nicht aber die Y-AG, weil auch für die noch offenen Siebentel aus der Teilwertabschreibung § 4 UmgrStG zur Anwendung kommt und daher eine Geltendmachung erstmals in dem dem Verschmelzungsstichtag folgenden Veranlagungszeitraum, dh. im Jahr 04 möglich ist. Weiters ist eine Geltendmachung der offenen Teilwertabschreibungssiebentel durch die Y-AG ab 04 nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen des § 4 UmgrStG wie insbesondere Vorhandensein des verlustverursachenden Vermögens am Stichtag und Vergleichbarkeit des vorhandenen Vermögens gegeben sind.
1.4.9. Ermittlung der tatsächlich übergehenden bzw. bestehenden vortragsfähigen Verluste
Bei der Ermittlung der nach der Verschmelzung noch verfügbaren Verluste (der übernehmenden bzw. übertragenden Körperschaft) ist wie folgt vorzugehen:- Die zum Verschmelzungsstichtag bestehenden Verluste von übertragender und übernehmender Körperschaft sind darauf zu untersuchen, ob sie Vermögenswerten (Betrieben, Teilbetrieben oder nicht einem Betrieb zurechenbaren Vermögensteilen) zuzuordnen sind, die am Verschmelzungsstichtag nicht mehr tatsächlich vorhanden sind (§ 4 Z 1 lit. a und lit. b UmgrStG). Bejahendenfalls sind diese (Teile der) Verluste (Verlustvorträge) auszuscheiden.
- Bei den danach verbleibenden Verlusten ist zu überprüfen, ob bei diesen Betrieben usw., die diese Verluste verursacht haben, im Vergleich zum Zeitpunkt der Verlustentstehung eine qualifizierte Umfangsminderung eingetreten ist (§ 4 Z 1 lit. c UmgrStG). Bejahendenfalls sind auch diese Verluste - trotz tatsächlichem Vorhandensein der verlustverursachenden Vermögenswerte - auszuscheiden.
- Bei Mutter-Tochter-Verschmelzungen (bzw. Großmutter-Enkel-Verschmelzungen) sind die danach verbleibenden Verluste der (übertragenden oder übernehmenden) Tochterkörperschaft (Enkelkörperschaft) um Teilwertabschreibungen zu kürzen, welche die Mutterkörperschaft (Großmutterkörperschaft) auf die Beteiligung an der Tochterkörperschaft (wegen der Enkelverluste) § 4 Z 1 lit. d UmgrStG).
- Die danach verbleibenden Verluste von übertragender und übernehmender Körperschaft sind dahingehend zu prüfen, ob sie bei gesamthafter Betrachtung wegen Anwendung des Mantelkauftatbestandes (unter Berücksichtigung der Ausnahmeklauseln nach § 8 Abs. 4 Z 2 lit. c KStG 1988 sowie § 4 Z 2 letzter Satz UmgrStG) auszuscheiden sind (§ 4 Z 2 UmgrStG).
- Die nach diesen vier Schritten noch verbleibenden Sonderausgabenverluste können nach der Verschmelzung - unter Beachtung der Einschränkung des § 8 Abs. 4 Z 2 lit. a KStG 1988 - weiterhin abgezogen werden.