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Erlass zur Akteneinsicht gemäß § 90 Bundesabgabenordnung

BMF2023-0.291.35617.4.20232023Erlass zur Akteneinsicht gemäß § 90 Bundesabgabenordnung

Der Erlass behandelt umfassend das Thema Akteneinsicht gemäß § 90 BAO. Es werden die Voraussetzungen für deren Gewährung, die Gründe für ihre Versagung, der Umfang und der Gegenstand der Akteneinsicht sowie Ausnahmen von der Akteneinsicht näher dargestellt.

Zusatzinformationen

Materie:

Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 90 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Akteneinsicht, Akten, Partei, Abschriften

Verweise:

BMF 05.11.2003, 05 0701/1-IV/5/03

Die folgenden Ausführungen zu § 90 BAO in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2022, BGBl. I Nr. 108/2022, stellen die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen dar, die im Interesse einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt wird. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten werden dadurch weder begründet noch können solche aus diesem Erlass abgeleitet werden.

Der Erlass des BMF vom 5.11.2003, BMF 05 0701/1-IV/5/03, AÖF Nr. 14/2004, wird aufgehoben.

1. Allgemeines

Die Einsichtnahme in Akten soll den Parteien ermöglichen, genaue Kenntnis vom Gang des Verfahrens und von den Entscheidungsgrundlagen der Abgabenbehörde in diesem Verfahren zu erlangen.

Damit ein Verfahren als behördliches Verfahren qualifiziert werden kann, muss es individuelle Verwaltungsakte der Hoheitsverwaltung zum Gegenstand haben. Schritte, die lediglich die Einleitung eines behördlichen Verfahrens durch eine andere Behörde anregen sollen, können eine Akteneinsicht nicht begründen. Ein Verfahren, welches der Behörde Sachverhaltsgrundlagen zur Prüfung der Frage liefern soll, ob bescheidförmige Maßnahmen zu setzen sind oder ob solche zu unterbleiben haben, etwa die Durchführung von Aufsichtsmaßnahmen nach § 143 BAO, ist hingegen ein derartiges behördliches Verfahren (vgl. VwGH 24.3.2021, Ra 2018/13/0062, mwN).

Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2022 - AbgÄG 2022, BGBl. I Nr. 108/2022, wurde die Berechtigung zur Akteneinsicht nach § 90 Abs. 1 BAO an die Bestimmung des § 17 Abs. 1 AVG angeglichen. Damit wurde auch eine Rechtsunklarheit beseitigt, weil es - entgegen dem Wortlaut des § 90 Abs. 1 BAO in der Fassung vor BGBl. I Nr. 108/2022 - nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Berechtigung zur Akteneinsicht auf ein gesondertes abgabenrechtliches Interesse der Partei nicht angekommen ist (siehe insbesondere VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021 sowie VwGH 24.3.2021, Ra 2018/13/0062).

Die Akteneinsicht ist eines der Grundrechte der Partei im Abgabenverfahren und stellt für sie ein wesentliches prozessuales Recht dar. Die Akteneinsicht dient insbesondere der Wahrung des rechtlichen Gehörs der Partei (vgl. VwGH 20.2.1992, 90/16/0156) und damit der Verwirklichung des aus Bestimmungen des B-VG abgeleiteten rechtsstaatlichen Prinzips, welches unter anderem besagt, dass die Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Vollziehung durch Rechtsschutzeinrichtungen gewährleistet werden muss und dieser Rechtsschutz effizient sein muss. Sie dient als Mittel zur Herstellung der Waffengleichheit im Verfahren. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sie sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 47 GRC).

Alternativ zur antragsgebundenen Akteneinsicht gemäß § 90 BAO besteht für die Parteien (sowie für Parteienvertreter) die Möglichkeit der elektronischen Akteneinsicht über FinanzOnline gemäß § 90a BAO in Verbindung mit § 4 der FinanzOnlineVerordnung 2006, BGBl. II Nr. 97/2006, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 190/2022. Für FinanzOnline-Teilnehmer besteht somit die jederzeitige Möglichkeit, die in FinanzOnline zur Verfügung gestellten Akten(-teile) anzuzeigen, abzuspeichern oder auszudrucken. Die elektronische Akteneinsicht erfolgt antragslos und ohne Tätigwerden der Abgabenbehörde, weshalb im Weiteren nicht näher darauf eingegangen wird.

2. (Abgaben-)Behörde

2.1. Bundesminister, Finanzämter und Zollamt Österreich

Das Recht auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO besteht gegenüber Abgabenbehörden. Zu den Abgabenbehörden des Bundes gehören der Bundesminister für Finanzen, das Finanzamt Österreich (FAÖ), das Finanzamt für Großbetriebe (FAG) und das Zollamt Österreich (ZAÖ). Zudem bestehen Abgabenbehörden der Länder und Gemeinden.

Gemäß § 2a erster Satz BAO gelten die Bestimmungen der BAO - und damit auch die Regelungen betreffend die Akteneinsicht gemäß § 90 BAO - sinngemäß im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren der belangten Abgabenbehörde gelten.

2.2. Amt für Betrugsbekämpfung

Das Amt für Betrugsbekämpfung (ABB) ist keine Abgabenbehörde im Sinne des § 49 Z 1 BAO. In Vollziehung der Normen des FinStrG wird das ABB als Finanzstrafbehörde tätig. Das Recht auf Akteneinsicht richtet sich in diesen Fällen nach § 79 FinStrG. Bei der Durchführung von ordnungspolitischen Kontrollhandlungen wird das ABB als Verwaltungsbehörde im Sinn des Art. II Abs. 1 EGVG tätig, die Rechtsgrundlage für die Akteneinsicht ist dann § 17 AVG. In Erfüllung von abgabenrechtlichen Aufgaben (vgl. § 4 ABBG) wird das ABB auch als Organ des FAÖ oder des FAG tätig (insbesondere nach § 143 BAO und § 144 BAO). In diesen Fällen ist das FAÖ bzw. das FAG die für die Akteneinsicht zuständige Behörde und richtet sich diese nach den Bestimmungen der BAO.

2.3. Prüfdienst für Lohnabgaben und Beiträge

Der Prüfdienst für Lohnabgaben und Beiträge (PLB) ist eine dem Bundesminister für Finanzen unmittelbar nachgeordnete Dienstbehörde und stellt keine (eigenständige) Abgabenbehörde dar. Der PLB wird als Organ der jeweils zuständigen Behörde (Finanzamt, ÖGK bzw. BVAEB und Gemeinde) tätig. Diese Behörden sind jeweils auch für die Akteneinsicht zuständig.

3. Partei

Nach § 90 Abs. 1 BAO steht der Rechtsanspruch auf Akteneinsicht nur den Parteien zu. Damit sind die Parteien genau desjenigen Abgabenverfahrens gemeint, in dem Akteneinsicht begehrt wird, nicht auch Parteien eines anderen Verfahrens (VwGH 25.10.1961, 144/73 A; UFS 10.5.2004, RV/0033-K/04).

Parteien sind solche gemäß § 78 BAO, somit insbesondere

Auch andere als die angeführten Personen haben die Rechtsstellung einer Partei dann und insoweit, als sie auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften die Tätigkeit einer Abgabenbehörde in Anspruch nehmen oder als sich die Tätigkeit einer Abgabenbehörde auf sie bezieht (§ 78 Abs. 3 BAO). In den Fällen des § 78 Abs. 3 BAO besteht die Parteistellung und damit einhergehend das Recht auf Akteneinsicht allerdings nur in dem Umfang, in dem die Tätigkeit der Abgabenbehörde in Anspruch genommen wird bzw. sich die Tätigkeit der Abgabenbehörde auf die betreffende Person bezieht.

4. Voraussetzungen für die Akteneinsicht

Der Partei eines Verfahrens ist Akteneinsicht ohne Rücksicht darauf zu gewähren, zu welchem Zweck die Einsicht begehrt wird. Das Vorliegen eines (abgaben-)rechtlichen Interesses ist nicht erforderlich. Dies gilt auch für Parteien von bereits abgeschlossenen Verfahren (zB zum Zweck der Stellung eines Wiederaufnahmeantrages oder zur Vorbereitung einer Amtshaftungsklage).

Die Initiative zur Akteneinsicht hat nicht von der Behörde (oder dem Verwaltungsgericht), sondern von der Partei auszugehen. Bei nicht vertretenen Personen ist unter Umständen eine Belehrung durch die Abgabenbehörde geboten (Manuduktionspflicht). Die Akteneinsicht gemäß § 90 BAO erfolgt nur auf Antrag der Partei. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist auch die belangte Behörde als Amtspartei zur Akteneinsicht berechtigt. Die Partei ist zur Akteneinsicht also nicht aufzufordern, ihr ist die Einsicht in die Akten lediglich zu gestatten (vgl. zB VwGH 21.10.1993, 91/15/0005; 15.5.2019, Ra 2018/13/0006). Der Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO ist ein Anbringen iSd § 85 Abs. 1 BAO. Er kann gemäß § 85 Abs. 3 lit. b BAO mündlich gestellt werden, wenn dies für die Abwicklung des Abgabenverfahrens zweckmäßig ist, nicht aber telefonisch oder per E-Mail. Mündliche Anbringen sind nach § 87 Abs. 1 BAO ihrem wesentlichen Inhalt nach in einer Niederschrift festzuhalten. Dies ist insbesondere dann geboten, wenn dem Antrag nicht vollinhaltlich entsprochen wird.

Hinweis:

Die mit dem AbgÄG 2022 erfolgte Neufassung des § 90 Abs. 1 BAO bringt mit sich, dass die Partei nicht mehr verpflichtet ist, in ihrem Antrag zu begründen, weshalb sie die Akteneinsicht begehrt (siehe VwGH 22.10.2013, 2012/10/0002, zu § 17 AVG).

5. Umfang und Gegenstand der Akteneinsicht

5.1. Bestandteile von Akten

Akten sind alle Unterlagen, die von der Abgabenbehörde in Erfüllung der Pflichten, die sich aus § 114 BAO und aus § 115 BAO ergeben, gesammelt und aufbewahrt bzw. gespeichert werden und die für weitere Verfahrensschritte von Bedeutung sein können bzw. die sich als Grundlage für mögliche Amtshandlungen eignen.

Gemäß § 90 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten. Der Rechtsanspruch der Partei auf Einsichtnahme und auf Abschriftnahme erstreckt sich auf alle ihre Sache betreffenden Akten(-teile). Unter der "Sache der Partei" ist die den Gegenstand des jeweiligen Verfahrens bildende Angelegenheit zu verstehen, in der die Parteistellung besteht.

Hinweis:

Auch gemäß § 90 BAO in der vor dem AbgÄG 2022 geltenden Fassung bestand das Recht auf Akteneinsicht für den Antragsteller nur in jenen Verfahren, in denen diesem Parteistellung zukam. Insofern war es der Partei auch vor dieser Gesetzesänderung nur möglich, in Akten(-teile) Einsicht zu nehmen, die "ihre Sache" betroffen haben. Durch die mit dem AbgÄG 2022 erfolgte Gesetzesänderung ändert sich nichts am Umstand, dass zivilrechtliche, wirtschaftliche oder Strafverfolgungs- bzw. Strafverteidigungsinteressen, die mit der abgabenrechtlichen Beurteilung der Abgabenangelegenheit eines anderen Verfahrens (d.h. eines anderen Abgabepflichtigen) verknüpft sind, nicht Parteistellung im Abgabenverfahren, damit auch nicht einen Anspruch auf Akteneinsicht begründen können (vgl. UFS 10.5.2004, RV/0033-K/04; vgl. auch VwGH 25.9.1957, 192/54 A; VwGH 25.10.1961, 144/73 A und VwGH 27.4.1979, 2023/77 A).

Zu den Akten können beispielsweise gehören:

Zu den Akten gehören nicht nur von der Abgabenbehörde verfasste Aktenteile, sondern auch vom Abgabepflichtigen übermittelte Schriftstücke (zB Abgabenerklärungen, Bilanzen, Verträge) und weiters von Dritten verfasste Schriftstücke (vgl. VwGH 28.9.2000, 99/16/0519, 0520, BFG 21.9.2020, RV/7104761/2019 betreffend Rückscheine). Nicht zuletzt wegen § 167 BAO (freie Beweiswürdigung) ist der Partei auch Einsicht in Beweismittel zu geben, die von der Abgabenbehörde nicht verwertet wurden. Dies gilt auch für die Einsicht in kein verwertbares "Ergebnis" bringende Ermittlungen. Der Akteneinsicht unterliegen Akten bzw. Aktenteile unabhängig davon, ob diese Schriftstücke sind oder ob sie auf Datenträgern gespeichert sind.

5.2. Ausnahmen von der Akteneinsicht

5.2.1. Ausnahmen aufgrund von § 90 Abs. 2 BAO

Gemäß § 90 Abs. 2 BAO sind von der Akteneinsicht ausgenommen:

Erledigungsentwürfe (VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021, darunter fallen auch interne Erwägungen zur Entscheidungsfindung);

Hier ist zu beachten, dass sich der Relativsatz "deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen herbeiführen würde" nur auf die unmittelbar zuvor genannten sonstigen Schriftstücke bezieht. Daraus folgt, dass für Beratungsprotokolle, Amtsvorträge und Erledigungsentwürfe ein unbedingter (absoluter) Ausschluss von der Akteneinsicht besteht. Hingegen gilt für alle sonstigen Schriftstücke ein relativer Ausschluss von der Akteneinsicht: Die sonstigen Schriftstücke sind nur dann von der Akteneinsicht ausgenommen, wenn deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen herbeiführen würde (VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021).

Wenngleich auch Aktenvermerke, Niederschriften, Berichte an andere Behörden zu den sonstigen Schriftstücken zu zählen sind, wird eine diesbezügliche Einsichtnahme im Regelfall nicht zu einer Schädigung von berechtigten Interessen Dritter führen. Will sich die Partei im Weg der Einsichtnahme gemäß § 90 BAO Kenntnis über den Inhalt einer im Akt enthaltenen Anzeige verschaffen, ist dies grundsätzlich unabhängig davon zulässig, zu welchem Zweck die Einsichtnahme begehrt wird. Die Akteneinsicht ist aber gegenüber der (angezeigten) Partei dann zu verweigern, wenn die Einsichtnahme in die Anzeige zu einer Schädigung von berechtigten Interessen Dritter (insbesondere des Anzeigers) führen würde. Die potentielle Schädigung (zB dem Anzeiger drohen im Falle der Offenbarung Repressalien) kann sich beispielsweise aus der Anzeige selbst ergeben bzw. ist sie amtswegig zu ermitteln. Es kann jedoch nicht per se bzw. ohne Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Offenbarung einer Anzeige gegenüber dem Angezeigten zu einer Schädigung berechtigter Interessen einer dritten Person führen würde. Das Parteiengehör erstreckt sich nämlich grundsätzlich auch auf die Identität von Auskunftspersonen und Zeugen (VwGH 17.2.1999, 98/14/0105). Würde die Einsichtnahme der Anzeige zu einer Schädigung berechtigter Interessen dritter Personen führen, ist dies durch Anonymisierung (vgl. BFG 21.9.2020, RV/7104761/2019) bzw. erforderlichenfalls durch Verweigerung der Einsichtnahme in die Anzeige zu verhindern.

5.2.2. Sonstige Ausnahmen

Gehören Ergebnisse der Einsicht in das Kontenregister bzw. die Ergebnisse der Konteneinschau zu den Akten(teilen), die Gegenstand eines Antrags auf Akteneinsicht sind, müssen diese Dokumente aufgrund des § 38 Abs. 1 BWG ("Bankgeheimnis") gegebenenfalls zur Gänze oder teilweise von der Akteneinsicht ausgenommen werden (siehe dazu den Kontenregister- und Konteneinschau-Anwendungserlass vom 15.11.2022, 2022-0.812.135, Pkt. 1.2.).

Im Zusammenhang mit schriftlichen Erledigungen der Finanzprokuratur ist zu beachten, dass in laufenden Verfahren nur mit Zustimmung der Finanzprokuratur schriftliche Erledigungen weitergegeben werden dürfen. § 4 Abs. 8 Finanzprokuraturgesetz, BGBl. I Nr. 110/2008, sieht vor, dass von der Verpflichtung zur Einholung der Zustimmung der Finanzprokuratur auch alle Fälle der Veröffentlichung, wenn auch nur in Auszügen, umfasst sind.

Eine Zustimmung der Finanzprokuratur ist nicht erforderlich, soweit eine gesetzliche Verpflichtung zur Weitergabe von Informationen besteht (zB § 13 Abs. 1 FMABG; § 78 StPO).

6. Gewährung und Verweigerung der Akteneinsicht

6.1. Gewährung der Akteneinsicht

Die Gestattung der Akteneinsicht ist ein Realakt, der nicht einer besonderen Genehmigung bedarf. Wird ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt, der nicht abgewiesen wird, dann liegt es an der Partei, diese Möglichkeit zu nutzen (VwGH 24.1.2001, 99/16/0081, 99/16/0239). In einem Aktenvermerk (§ 89 BAO) ist festzuhalten, in welche Aktenteile Akteneinsicht gewährt wurde. Wird die Akteneinsicht im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens beantragt, so ist diese bei der aktenführenden Behörde zu beantragen und durch diese zu gewähren bzw. ist durch diese darüber zu entscheiden, in welche ihrer Akten(-teile) Einsicht zu gewähren ist. Dies gilt unabhängig davon, wo sich die Akten(-teile) zum Zeitpunkt der Antragstellung befinden.

6.2. Verweigerung der Akteneinsicht

Über einen wirksam gestellten Antrag auf Akteneinsicht besteht gemäß § 85a BAO Entscheidungspflicht, auch wenn die Entscheidung - wie im Fall der Verweigerung der Akteneinsicht in einem laufenden Verfahren - nicht abgesondert anfechtbar ist. Dabei hat die Abgabenbehörde über die (gänzliche oder teilweise) Verweigerung der Akteneinsicht stets durch Bescheid zu entscheiden (VwGH 17.3.2016, Ro 2014/11/0012; VwGH 21.12.1989, 87/17/0021). Die Entscheidung darüber hat möglichst zeitnah zu erfolgen. Aus dem Bescheid hat sich zu ergeben, hinsichtlich welcher Aktenteile dem Antrag auf Akteneinsicht aus welchen Gründen nicht entsprochen wurde (BFG 25.5.2022, RV/7102847/2021). In welche Aktenteile keine Akteneinsicht gestattet wurde, muss aktenkundig sein. Erfolgt die Verweigerung mit schriftlichem Bescheid, hat sich aus dem Bescheid zu ergeben, hinsichtlich welcher Aktenteile dem Antrag auf Akteneinsicht nicht entsprochen wurde. Erfolgt die Ablehnung der Akteneinsicht nach § 94 BAO mit mündlichem Bescheid, ist hierüber ein Aktenvermerk zu verfassen, aus dem ersichtlich ist, in welche Aktenteile die Akteneinsicht verweigert wurde.

Soweit die Akteneinsicht gewährt wird, ist über den darauf gerichteten Antrag nicht bescheidmäßig abzusprechen (vgl. VwGH 8.2.1989, 87/13/0141).

Wird die Akteneinsicht während eines Abgabenverfahrens (zB Außenprüfungsverfahrens) gegenüber der Partei dieses Verfahrens verweigert, ist der den Antrag abweisende Bescheid eine verfahrensleitende Verfügung iSd § 94 BAO und § 244 BAO. Der Bescheid ist somit nicht abgesondert anfechtbar; er ist nach § 244 BAO erst in der Beschwerde gegen den die Angelegenheit abschließenden Bescheid anfechtbar.

Ist die Verweigerung der Akteneinsicht keine verfahrensleitende Verfügung, insbesondere, weil sie wegen Nichtlegitimation des Antragstellers oder nach Beendigung eines Abgabenverfahrens oder vor Einleitung eines solchen Verfahrens erfolgt, ist der Bescheid abgesondert anfechtbar (vgl. zB VwGH 22.6.2001, 2000/13/0037).

Sofern zum Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzamtes über die Akteneinsicht ein Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache anhängig ist, ist das Begehren auf Akteneinsicht im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens in der Hauptsache zu behandeln (VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021). Wird im Zuge eines Beschwerdeverfahrens Einsicht in die Aktenteile des abgabenbehördlichen Verfahrens begehrt (siehe Pkt. 6.1.), ist die Abgabenbehörde für die Gewährung der Akteneinsicht nur insoweit zuständig, als Einsicht in nicht dem Verwaltungsgericht vorgelegte Aktenteile begehrt wird.

7. Abschriften

Die Partei hat bei Vorliegen der im § 90 BAO genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Einsichtnahme und auf Abschriftnahme der in Betracht kommenden Akten oder Aktenteile.

Solche Abschriften sind grundsätzlich nicht zu beglaubigen. Sind sie nicht amtlich beglaubigt, unterliegen sie auch nicht der Gebührenpflicht nach § 14 TP 1 GebG.

Bei der Akteneinsicht gemäß § 90 BAO, sind im Falle von auf Datenträgern gespeicherten Akten(-teilen) zwecks Einsichtnahme entweder Ausdrucke anzufertigen oder die Aktenteile auf einem Bildschirm der Partei zu zeigen.

Auch wenn die Partei keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass ihr solche Ausdrucke oder Ablichtungen von Schriftstücken aus Akten ausgefolgt werden (vgl. zB VwGH 28.10.1997, 97/14/0121; VwGH 24.1.2001, 99/16/0081, 99/16/0239), ist die Ausfolgung (Übersendung mit der Post) solcher Ausdrucke (bzw. solcher Ablichtungen) als Form der Akteneinsichtsgewährung - unabhängig von der Anzahl der Ausdrucke bzw. Ablichtungen - zulässig.

Darüber hinaus können - aus verwaltungsökonomischen Gründen - die auf Datenträgern gespeicherten Akten(-teile) auch auf einem (von der Partei bereit zu stellenden) USB-Stick der Partei ausgehändigt werden, falls keine informationssicherheitsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Ausfolgung der Daten auf einem Datenträger ist in einem Aktenvermerk zu dokumentieren. Nicht zulässig ist die Übermittlung von Akten(teilen) mittels E-Mail, weil diese Form der (nicht authentifizierten) Kommunikation weder datenschutzrechtlichen noch informationssicherheitsrechtlichen Vorgaben entspricht und im Widerspruch zur abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht steht.

Nach § 312 BAO sind die Kosten für die Tätigkeit der Abgabenbehörde von Amts wegen zu tragen, sofern sich nicht aus der BAO oder sonstigen gesetzlichen Vorschriften anderes ergibt. Solche Vorschriften bestehen für die Anfertigung von Ausdrucken bzw. von Ablichtungen aus Aktenteilen zwecks Gewährung der Akteneinsicht gemäß § 90 BAO nicht. Daher besteht keine Rechtsgrundlage dafür, von der Partei den Ersatz von Kosten für die durch Behördenorgane vorgenommene Erstellung von Ablichtungen aus Aktenteilen zu verlangen.

8. Verhältnis zu anderen Akteneinsichtsrechten

8.1. Abgabenexekutionsordnung

8.1.1. Gewährung der Akteneinsicht

Gemäß § 25 AbgEO kann der Abgabenschuldner Einsicht in die das Vollstreckungsverfahren betreffenden Akten begehren. Im Gegensatz zu § 90 BAO in der Fassung vor dem AbgÄG 2022, BGBl. I Nr. 108/2022, war die Geltendmachung eines abgabenrechtlichen Interesses nie Voraussetzung für die Gewährung der Akteneinsicht.

Dritten Personen kann mit Zustimmung des Amtsvorstandes Akteneinsicht gewährt werden, wenn sie ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme glaubhaft machen. Ein solches Interesse wird unbeschadet der Einhaltung der Vorschriften über die Wahrung der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht insbesondere Personen zuzubilligen sein, die Widerspruch gegen eine Pfändung (§ 14 AbgEO) erhoben haben oder zu erheben beabsichtigen oder gemäß § 33 AbgEO ein besseres Pfandrecht an einer finanzbehördlich gepfändeten Sache behaupten. Die Einsichtnahme dieser Personen in die Akten hat sich unter Bedachtnahme auf § 48a BAO in der Regel auf das Pfändungsprotokoll zu beschränken. Die Höhe der Abgabenschuld, für die das Pfandrecht begründet wurde, darf Dritten im Hinblick auf § 48a BAO nicht bekannt gegeben werden.

8.1.2. Verweigerung der Akteneinsicht

Die Verweigerung der Akteneinsicht hat mit Bescheid zu erfolgen. Dieser Bescheid ist dem Abgabenschuldner gegenüber eine verfahrensleitende Verfügung, gegen die ein Rechtsmittel nur nach den Bestimmungen des § 244 zweiter Satz BAO zulässig ist. Bei Ansuchen dritter Personen ist ein Rechtsmittel in der Regel zulässig, wenn eine abschließende Sachentscheidung nicht zu erwarten ist, wie bei der Verweigerung der Akteneinsicht wegen fehlender Parteistellung des Antragstellers oder zwar der Partei gegenüber, aber außerhalb eines Verfahrens. In diesem Fall liegt ein selbständiger verfahrensrechtlicher Bescheid vor, der gesondert mit Beschwerde anfechtbar ist (siehe dazu VwGH 22.6.2001, 2000/13/0037).

8.2. Finanzstrafgesetz

Die Akteneinsicht im Finanzstrafverfahren dient der Sicherung eines fairen Verfahrens iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK. Je nach Zuständigkeit sind im Finanzstrafverfahren unterschiedliche Regelungen zu beachten. Im gerichtlichen Finanzstrafverfahren gelten zusätzlich die Regelungen der Strafprozessordnung (StPO).

8.2.1. Verwaltungsbehördliches Finanzstrafverfahren

Die Akteneinsicht im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren ist in § 79 FinStrG geregelt. Diese Vorschrift gilt sowohl für das ABB als auch für das ZAÖ, jeweils in ihrer Funktion als Finanzstrafbehörde. Akteneinsicht steht zum einen dem Beschuldigten und Verdächtigen, gegen den schon vor der Einleitung des Strafverfahrens eine Verfolgungshandlung gerichtet wurde, zu (§ 79 Abs. 1 FinStrG iVm § 75 FinStrG). Diese Personen können sich durch einen Verteidiger iSd § 48 Abs. 1 Z 5 StPO sowie einen Steuerberater vertreten lassen (§ 77 FinStrG). Zum anderen haben auch Nebenbeteiligte ein Recht auf Akteneinsicht (§ 79 FinStrG). Sie können sich hierbei durch voll handlungsfähige Personen (Bevollmächtigte) vertreten lassen. Im Verfahren vor dem Spruchsenat und dem BFG kommt auch dem Amtsbeauftragten das Recht auf Akteneinsicht zu (§ 125 Abs. 1 FinStrG und § 157 FinStrG).

Im Finanzstrafverfahren besteht das Erfordernis eines finanzstrafrechtlichen oder abgabenrechtlichen Interesses fort (§ 79 Abs. 1 FinStrG). Eine weitere Unterscheidung zur Akteneinsicht nach der BAO besteht in der Möglichkeit gemäß § 79 Abs. 3 FinStrG im Untersuchungsverfahren Aktenstücke vorläufig von der Einsichtnahme auszunehmen, wenn durch die Einsicht die Untersuchung erschwert werden könnte. In diesem Fall ist eine vollumfängliche Akteneinsicht allerdings jedenfalls noch vor Abschluss des Untersuchungsverfahrens zu gewähren.

Im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren fallen keine Kosten bzw. Gebühren für die Akteneinsicht an, sie sind von Amts wegen zu tragen.

Die Ausführungen zum Recht auf Abschriftnahme unter Pkt. 7 gelten auch für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren.

8.2.2. Gerichtliches Finanzstrafverfahren

Bei gerichtlicher Zuständigkeit richtet sich das Recht auf Akteneinsicht des Beschuldigten nach den §§ 51 ff StPO. Während des Ermittlungsverfahrens kann bis zu Erstattung des Abschlussberichts in die Akten der Finanzstrafbehörden sowie in die Akten der Staatsanwaltschaft Einsicht genommen werden. Nach Erstattung des Abschlussberichtes durch die Finanzstrafbehörde ist Akteneinsicht nur mehr durch die Staatsanwaltschaft zu gewähren. Ab Eingang der Anklageschrift bei Gericht ist für die Akteneinsicht ausschließlich das Gericht zuständig.

Auch im gerichtlichen Finanzstrafverfahren kann bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens aus Gründen der Gefährdung der Ermittlungen die Akteneinsicht vorläufig verweigert werden (§ 51 Abs. 2 StPO). Zusätzlich können personenbezogene Daten oder andere Informationen, die Rückschlüsse auf Identität oder Lebensumstände einer gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht ausgenommen werden (§ 51 Abs. 2 StPO iVm § 162 StPO).

Im gerichtlichen Verfahren ist für die Anfertigung von Abschriften oder Kopien durch die Behörden ein Kostenersatz vorgesehen (§ 52 Abs. 1 StPO).

8.3. Zollrecht

In allen Angelegenheiten des grenzüberschreitenden Warenverkehrs gilt die BAO subsidiär zum Zollrecht im Sinne des § 1 Abs. 2 ZollR-DG. In Fällen, in denen Waren in das oder aus dem Zollgebiet der Union verbracht werden, kommen im Zuge der Wahrung des rechtlichen Gehörs Art. 22 Abs. 6 UZK (Verordnung (EU) Nr. 952/2013) in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. c UZK-IA (Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2015/2447) zur Anwendung (Hinweis auf das Recht auf Akteneinsicht nach § 90 BAO).

8.4. Strafrecht betreffend Landes- oder Gemeindeabgaben

Im Finanzstrafverfahren betreffend Landes- und Gemeindeabgaben gelten gemäß § 254 Abs. 1 FinStrG das Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) und die Reglung zur Selbstanzeige nach § 29 FinStrG. Die Akteneinsicht richtet sich aufgrund des Generalverweises des § 24 VStG nach § 17 AVG. Demnach können Parteien bei der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen. Aktenkopien und Ausdrucke sind nach § 17 AVG jedoch kostenpflichtig.

Ist zur Durchführung des Strafverfahrens eine Finanzstrafbehörde des Bundes zuständig, ist das Finanzstrafverfahren von dieser jedoch nach dem FinStrG durchzuführen (§ 254 Abs. 2 FinStrG) und die Akteneinsicht richtet sich nach dem FinStrG bzw. nach der StPO (siehe oben, Pkt. 8.2.).

9. Verhältnis zu Auskunftsrechten

9.1. Verhältnis zum Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO

Gemäß Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung hat die betroffene Person das Recht auf Auskunft über sie betreffende personenbezogene Daten, die vom Verantwortlichen verarbeitet werden. Dementsprechend kann jede betroffene Person auch gegenüber der Abgabenbehörde das Recht auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO geltend machen.

§ 48f Abs. 2 BAO regelt das Verhältnis zwischen dem Auskunftsrecht gemäß Art. 15 DSGVO und dem Recht auf Akteneinsicht gemäß § 90 BAO:

Soweit personenbezogene Daten in einem Akt enthalten sind, besteht für die betroffene Person das Recht auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO ausschließlich nach Maßgabe der § 90 BAO und § 90a BAO. Für das Verfahren der Einsicht- oder Abschriftnahme (einschließlich deren Verweigerung) gelten die Regelungen der BAO. In personenbezogene Daten aus Akten(-teilen) kann die Partei daher nur im Wege der Akteneinsicht gemäß § 90 BAO bzw. der Datenabfrage gemäß § 90a BAO (elektronische Akteneinsicht über FinanzOnline) Einsicht nehmen.

9.2. Verhältnis zum Auskunftsrecht nach dem Auskunftspflichtgesetz

Die Auskunftspflicht gemäß § 1 Auskunftspflichtgesetz ist nicht dazu geeignet, eine Akteneinsicht durchzusetzen (siehe zB VwGH 19.9.1989, 88/14/0198). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass dann, wenn die Auskunft in der Weitergabe von Informationen über einen Akteninhalt besteht, die Auskunft in aller Regel nicht jene Detailliertheit an Informationen aufzuweisen hat, die bei der Einsicht in die Akten zu gewinnen wäre (siehe VwGH 13.9.1991, 90/18/0193 und VwGH 23.10.1995, 93/10/0009). Die Erteilung einer Auskunft in Form der Akteneinsicht ist jedoch gestattet.

Bundesministerium für Finanzen, 17. April 2023

Zusatzinformationen

Materie:

Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 90 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Akteneinsicht, Akten, Partei, Abschriften

Verweise:

BMF 05.11.2003, 05 0701/1-IV/5/03

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