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31.5 Öffentliches Interesse

BMF2023-0.871.8196.5.2021

Rz 8201p
Ein begünstigter Zuzug kann gemäß § 103 EStG 1988 unter dem Titel der Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Förderung von Kunst oder der Förderung des Sports stehen. Der Zuzug muss aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen sein. Da der Zuzugsfreibetrag gemäß § 103 Abs. 1a EStG 1988 nur Wissenschaftlern und Forschern gewährt werden kann, ergeben sich folgende Szenarien:

Zuzuziehende Person

Förderung

Beseitigung steuerlicher Mehrbelastungen

Zuzugsfreibetrag

Wissenschaftler und Forscher

Wissenschaft und Forschung

Ja, möglich

Ja, möglich

Künstler

Kunst

Ja, möglich

Nein, nicht möglich

Sportler

Sport

Ja, möglich

Nein, nicht möglich

31.5.1 Wissenschaft und Forschung

Rz 8202
Der Zuzug von Wissenschaftlern oder Forschern aus dem Ausland dient gemäß § 2 Abs. 1 ZBV 2016 der Förderung von Wissenschaft und Forschung und ist aus diesem Grund im öffentlichen Interesse gelegen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

Rz 8202a
Eine Tätigkeit ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016 als wissenschaftlich anzusehen, wenn sie auf systematische Weise unter Verwendung wissenschaftlicher Methoden mit dem Ziel durchgeführt wird, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten. Diese Definition deckt sich mit den Ausdruck "Forschung und experimentelle Entwicklung" (siehe Anhang I zur Forschungsprämienverordnung, BGBl. II Nr. 515/2012).

Als gleichwertiges Pendant zur Universitätsforschung gilt die universitäre Erschließung und Entwicklung der Künste jedenfalls als wissenschaftliche Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016.

Rz 8202b
Die Lehre (einschließlich der Lehre der Kunst) gilt nicht als wissenschaftliche Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 1 ZBV 2016.

Rz 8202c
Die Tätigkeit im Bereich der Wissenschaft und Forschung muss maßgeblich im öffentlichen Interesse Österreichs liegen. Die Maßgeblichkeit richtet sich nach dem Gesamtbild, insbesondere nach dem Tätigkeitsumfang und -inhalt sowie deren Wirkung auf den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Österreich. Wissenschaft und Forschung können durch Tätigkeiten im universitären wie auch im außeruniversitären Bereich (zB Forschungsunternehmen) gefördert werden.

Rz 8202d
Ein maßgebliches Interesse am Zuzug liegt nicht vor, wenn die Förderung von Wissenschaft und Forschung auch ohne Zuzug erfolgen könnte. Die Beurteilung der zuzugskausalen Förderung richtet sich ausschließlich nach der Gesamtheit der objektiven, äußeren Umstände.

Beispiel:

Ein deutscher Grenzgänger arbeitet seit zehn Jahren in einem österreichischen Unternehmen, das 30 km von seinem Wohnort entfernt liegt. Er zieht nach Österreich und erklärt, dass er des Pendelns überdrüssig sei. Ohne Zuzug hätte er die Tätigkeit in Österreich beendet. Auf die Behauptung kommt es nicht an. Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass eine Distanz zum Arbeitsort von 30 km ein Hindernis darstellt. Zudem spricht die jahrelange Ausübung der Tätigkeit objektiv dafür, dass der Grenzgänger die Tätigkeit auch ohne Zuzug ausführen würde. Daher ist davon auszugehen, dass die Förderung von Wissenschaft mehr oder weniger im selben Ausmaß eintreten würde.

§ 2 Abs. 1 Z 3 ZBV 2016 fordert einen starken - nämliche einen direkten - Zusammenhang zwischen Zuzug und Förderung von Wissenschaft und Forschung. Mittelbare Effekte sind nicht maßgeblich.

Beispiel 1:

Eine Wissenschaftlerin zieht nach Vorarlberg, um im benachbarten Liechtenstein zu arbeiten. Die liechtensteinische Arbeitgeberin wird allfällige Forschungsergebnisse über Lizenzverträge auch für das österreichische Tochterunternehmen zugänglich machen. Die Forschungstätigkeit fördert unmittelbar den Wirtschaftsstandort Liechtenstein. Die mittelbare Nutzung der Forschungsresultate durch die österreichische Tochtergesellschaft stellt keine unmittelbare Förderung von Wissenschaft und Forschung in Österreich dar.

Beispiel 2:

Frau S arbeitet nach ihrem Zuzug als Forschungscontrollerin in einem österreichischen Betrieb. Da ausschließlich eine Forschungstätigkeit unmittelbar die Forschung fördern kann, liegt keine unmittelbare Förderung von Wissenschaft und Forschung vor.

Rz 8202e
Die Begünstigung darf gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016 nur wissenschaftlich hochqualifizierten Wissenschaftlern und Forschern gewährt werden. Das sind Personen, deren wissenschaftliche Qualifikation durch entsprechende Leistungen (zB durch Publikationen, Peer-Reviews oder Mitarbeit an Forschungsprojekten) dokumentiert ist. Wissenschaftlich hochqualifizierte Leistungen kommen in einer wissenschaftlich besonders verantwortungsvollen Tätigkeit (zB hoher inhaltlicher Verantwortungsgrad, wichtige Projektleitungsfunktion) zum Ausdruck (BFG 25.2.2019, RV/7100556/2019).

Die Zuzugsbegünstigung ist auf den Zuzug von Spitzenkräften beschränkt (BFG 10.12.2018, RV/7100488/2017; 10.1.2019, RV/7100448/2018; 25.2.2019, RV/7103382/2018; 25.2.2019, RV/7100556/2019; 11.10.2019, RV/7104784/2019). Aus der Schwierigkeit, geeignetes Personal zu finden, kann nicht auf eine hohe wissenschaftliche Qualifikation geschlossen werden (BFG 25.2.2019, RV/7100556/2019). Angehende Wissenschaftler ohne Habilitation, wie beispielsweise Universitätsassistenten, erfüllen das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens des öffentlichen Interesses am Zuzug im Allgemeinen nicht. Auch bei einer internationalen und mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossenen Universitätsausbildung ist ein Doktorratsstudium alleine noch keine hinreichend "hohe wissenschaftliche Qualifikation" im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016 (BFG 10.12.2018, RV/7100488/2017; 10.1.2019, RV/7100448/2018; 25.2.2019, RV/7103382/2018).

Rz 8202f
Während § 2 Abs. 1 ZBV 2016 alle Zuzugsfälle in den Bereichen Wissenschaft und Forschung regelt ("materielle Prüfung", siehe Rz 8202 ff), dient Abs. 2 lediglich der Verfahrensvereinfachung in bestimmten Fällen ("formelle Prüfung"). Ein der Förderung der Wissenschaft und Forschung dienender Zuzug liegt jedenfalls in den Fällen vor, die in § 2 Abs. 2 ZBV 2016 genannt werden:

Rz 8202g
Eine Habilitation nach österreichischem Vorbild (§ 103 UG), also die Erteilung der Lehrbefugnis (venia docendi), ist länderspezifisch. Wesentlich für die venia docendi ist die Befugnis zur Betreuung von Doktoranden. Eine reguläre Universitätsprofessur im Ausland ist daher als faktischer Nachweis einer ausländischen Habilitation anzusehen. Im Hinblick auf interdisziplinäre Forschung kann die wissenschaftliche Tätigkeit im Rahmen des § 2 Abs. 2 Z 2 ZBV 2016 auch in einem angrenzenden Fach erfolgen. Wissenschaftliche Tätigkeiten in einem fremden Fach (zB Habilitationsfach vergleichende Religionswissenschaft und Forschung im Bereich Halbleiterphysik) sind nur nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 ZBV 2016 begünstigt.

Rz 8202h
Die formellen Anknüpfungskriterien in § 2 Abs. 2 Z 1 bis Z 3 ZBV 2016 dienen einem ökonomischen Vollzug. Sollten die Voraussetzungen (zB Mindestverdienst, Habilitation) für eine formelle Prüfung nicht vorliegen, ist die Zuerkennung der Begünstigung nicht ausgeschlossen, sondern es bedarf dann einer Einzelfallbeurteilung iSd § 2 Abs. 1 ZBV 2016, wobei im Ergebnis kein strengerer Maßstab als in Abs. 2 zur Anwendung kommen soll. Wesentlich sind die Tätigkeit und die Qualifikation des Antragstellers. Dies gilt insbesondere auch für zugezogene Mitarbeiter von Organisationen, die nicht von § 2 Abs. 2 Z 2 ZBV 2016 erfasst sind (zB Competence Centers for Excellent Technologies, Ludwig-Boltzmann-Institute).

Rz 8202i
Neben einer Habilitation dienen etwa auch Postdoc-"Exzellenzstipendien" als Indizien für eine außergewöhnliche wissenschaftlichen Qualifikation iSd § 2 Abs. 1 Z 4 ZBV 2016.

Ein Exzellenzstipendium liegt vor, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

Der Zuzug von "High Potentials", die Exzellenzstipendien erhalten, ist daher jedenfalls begünstigt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

Nach Ablauf des Exzellenzstipendiums ist erneut zu evaluieren, ob die ursprüngliche Annahme einer besonders hohen Qualifikation des Wissenschaftlers oder Forschers weiterhin aufrechterhalten werden kann. Wie auch in anderen Fällen sind die Voraussetzungen für den Bezug der Zuzugsbegünstigung laufend zu überprüfen (siehe Rz 8205m).

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