EAS 2356
Gemäß Artikel 31 Abs. 3 lit. b der Wiener Vertragsrechtskonvention, BGBl. Nr. 40/1980, ist die Übung der Vertragstaaten bei Anwendung eines Staatsvertrages, aus der ihre Übereinstimmung über seine Auslegung hervorgeht, bei der Abkommensauslegung durch beide Vertragstaaten zu berücksichtigen.
Nach der zwischen Österreich und Deutschland bei der Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens jahrzehntelang einvernehmlich gehandhabten Übung ist dem Begriff des "Künstlers" in Artikel 8 Abs. 2 des Abkommens der im innerstaatlichen Recht der beiden Staaten vorgegebene Begriffsinhalt zuzuschreiben und nicht jener, der dem Begriff in Artikel 17 des OECD-MA zukommt. Es sind daher weder die gewerblich tätigen Musiker von diesem Begriff erfasst noch beschränkt sich dieser Begriff auf die darstellenden Künstler. Diese Übung wird zB in dem Ergebnis eines Verständigungsverfahrens sichtbar, das zu parallelen Erlässen in Österreich und in Deutschland geführt hat und die Einkünfteaufteilung der künstlerisch tätigen Bühnen- und Kostümbildner betroffen hat (Erlass des BMF vom 11. Februar 1974, AÖF Nr. 105/1974 und Schreiben des FM Bayern vom 5. Juni 1975, 38-S 1301-4/31-33).
Die vom BFH in seinem Beschluss vom 18. Juli 2001, I R 26/01, vorgenommene Auslegung des Künstlerbegriffes im DBA-Österreich/Deutschland, derzufolge Deckungsgleiche mit dem Künstlerbegriff des Art. 17 OECD-MA bestehe, setzt sich ohne jegliche Begründung über die einvernehmlich gehandhabte Übung der beiden Staaten hinweg und erscheint daher bereits aus diesem Grund nicht völkerrechtskonform. Abgesehen davon hat anlässlich des Abschlusses des österreichisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommens im Jahr 1954 das OECD-Musterabkommen mit seinem Artikel 17 noch gar nicht bestanden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wie diesem Musterabkommen nunmehr eine Ausstrahlungswirkung auf den für die Auslegung primär maßgebenden Willen der Vertragsparteien im Jahr 1954 zugeschrieben werden kann. Denn was die Vertragsverhandler damals unter dem Begriff "Künstler" verstanden haben, kann nur jener Begriffsinhalt gewesen sein, den sie beide in ihrem innerstaatlichen Recht verwendet haben und nicht jener, der später einmal im OECD-Musterabkommen Eingang finden wird.
Die österreichische Finanzverwaltung vermag in diesem Urteil jedenfalls keine Rechtfertigung dafür zu erkennen, eine völkerrechtswidrige Abkommensauslegung vorzunehmen (EAS 1952).
Wenn ungeachtet dieser Gegebenheiten auf deutscher Seite diesem Urteil gefolgt wird, dann führt dies für die deutschen Regisseure, die in Österreich tätig waren, zu einer Doppelbesteuerung (die aber nicht im Quellenstaat, sondern im Verursacherstaat der Doppelbesteuerung, sonach in Deutschland, zu beheben ist). Im Fall österreichischer Regisseure, die in Deutschland gewirkt haben, tritt ein Fall einer Doppelnichtbesteuerung ein. Denn wenn Österreich keine Rechtfertigung dafür erkennen kann, die Besteuerung der deutschen Regisseure in Österreich wieder aufzuheben, dann kann aber umgekehrt die Nichtbesteuerung der österreichischen Regisseure in Deutschland nicht zum Anlass für deren nachträgliche Besteuerung in Österreich genommen werden; denn diesfalls würde bei Erkundung der rechtlichen Bedeutung der maßgebenden Abkommensbestimmung (Art. 8 Abs. 2 DBA-Deutschland 1954) "mit zweierlei Maß" gemessen.
Die Problematik ist allerdings mit dem Wirksamwerden des neuen DBA-Deutschland im Jahr 2003 für Zeiträume ab 1. Jänner 2003 behoben.
14. Oktober 2003 Für den Bundesminister: Dr. Loukota
Für die Richtigkeit der Ausfertigung:
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | Art. 31 Abs. 3 Wiener Vertragsrechtskonvention, BGBl. Nr. 40/1980 |
Schlagworte: | Regisseure, gewerblich tätige Musiker, darstellende Künstler, Bühnenbildner, Verständigungsverfahren, Doppelnichtbesteuerung |
Verweise: | Art. 17 OECD-MA, OECD-Musterabkommen |