VwGH 2009/13/0001

VwGH2009/13/000125.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Finanzamtes Gänserndorf Mistelbach in 2230 Gänserndorf, Rathausplatz 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 14. November 2008, GZ. RV/1222-W/03, miterledigt RV/1223-W/03, betreffend u.a. (Spruchpunkt B.) die Aufhebung erstinstanzlicher Bescheide, nämlich "Umsatzsteuerbescheid 1997, gemäß § 200 Abs. 1 BAO idgF vorläufige Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999, Körperschaftsteuerbescheide 1994 - 1997, gemäß § 200 Abs. 1 BAO idgF vorläufige Körperschaftsteuerbescheide 1998 und 1999, Bescheid über die Vorauszahlungen an Körperschaftsteuer für das Jahr 2002 und Folgejahre, Haftungs- und Abgabenbescheid über den Prüfungszeitraum 1997 (Kapitalertragsteuer)" (mitbeteiligte Partei: S GmbH in W, vertreten durch Wurst & Ströck, Rechtsanwälte Partnerschaft in 1010 Wien, Mahlerstraße 5), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §108;
BAO §108;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung, somit hinsichtlich des Spruchpunktes B., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde im Spruchpunkt B. vor ihr mit Berufung bekämpfte Bescheide der Abgabenbehörde erster Instanz deshalb auf, weil sie vom örtlich nicht zuständigen Finanzamt erlassen worden seien. Dagegen richtet sich die vorliegende gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde des Finanzamtes, in der der angefochtene Bescheid "hinsichtlich des Ausspruches auf ersatzlose Aufhebung der berufungsgegenständlichen erstinstanzlichen Bescheide wegen örtlicher Unzuständigkeit der erstbescheiderlassenden Abgabenbehörde (Finanzamt Gänserndorf) angefochten" wird.

Begründend führte die belangte Behörde im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides "Ad. Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide,

Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheid, Abgaben- und Haftungsbescheid (Kapitalertragsteuer)" aus, sie habe über die in der Berufung vom 30. Oktober 2002 enthaltenen Streitpunkte nicht inhaltlich zu entscheiden gehabt. Es sei nämlich zu prüfen gewesen, ob die bekämpften Bescheide von der zuständigen Verwaltungsbehörde erlassen worden seien. Dazu sei aus den Verwaltungsakten festzustellen, dass die Bescheide vom Finanzamt Gänserndorf (im Folgenden: Finanzamt G.) als Abgabenbehörde erster Instanz erlassen worden seien. Auf Grund der Verwaltungsakten sei "auch festzustellen, dass das Finanzamt (G.) die Bescheide nach Verlegung des Geschäftsbetriebes der (Mitbeteiligten) in die N. Gasse 68/2/7 in 1070 Wien erlassen hat". Dieser Standort in Wien liege im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes 6/7/15 Wien (im Folgenden: Finanzamt W.) und nicht innerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Finanzamtes G.

Nach § 73 BAO habe die Zuständigkeit eines Finanzamtes für die Erhebung von Abgaben mit dem Zeitpunkt geendet, in dem ein anderes Finanzamt von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt habe. Über Befragung durch die belangte Behörde habe das Finanzamt W. mitgeteilt, vor der Bescheiderlassung von seiner (örtlichen) Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung keine Kenntnis erlangt zu haben. Die Richtigkeit dieser Aussage habe die Mitbeteiligte in einer Stellungnahme vom 10. Oktober 2008 bestritten.

Ob das Finanzamt W. vor Bescheiderlassung von seiner Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung Kenntnis erlangt habe oder nicht, sei - so die weiteren Ausführungen der belangten Behörde - eine auf der Ebene der Beweiswürdigung zu beantwortende Sachfrage. Die Frage des Überganges der örtlichen Zuständigkeit sei von der belangen Behörde erstmals in der Sachverhaltsdarstellung thematisiert worden, die seitens der belangten Behörde den Vorladungen zur mündlichen Berufungsverhandlung beigelegt worden sei. Zum Beweisthema "Übergang der örtlichen Zuständigkeit vor Bescheiderlassung" habe die Mitbeteiligte in der Stellungnahme vom 10. Oktober 2008 u.a. ein "Schreiben vom 15. Juli 2002" vorgelegt, das an das Finanzamt W. gerichtet gewesen sei und in der "Betreffzeile" gelautet habe: "Steuernummer (xxx), (Mitbeteiligte), Änderung der Zuständigkeit". Der Inhalt dieses Schreiben habe gelautet: "Wir möchten Ihnen mitteilen, dass sich der Sitz und der Ort der Geschäftsleitung der (Mitbeteiligten) in 1070 Wien, N. Gasse 68/2/7 befindet und ersuchen um Erteilung einer Steuernummer."

Zu der aus dem "Schreiben vom 15. Juli 2002" sich ergebenden Sach- und Beweislage führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid sodann wie folgt aus:

"I. Für den Unabhängigen Finanzsenat ist nicht vorstellbar, dass ein Schreiben mit dem v.a. Inhalt verfasst und nicht an den Adressaten versandt wird: Der Unabhängige Finanzsenat sieht deshalb als erwiesen an, dass die (Mitbeteiligte) das Schreiben vom 15. Juli 2002 an das Finanzamt (W.) gesandt hat.

II. Dem Vorbringen (Anm.: des Finanzamtes) in der Berufungsverhandlung - es mag schon sein, dass die (Mitbeteiligte) das Schreiben vom 15. Juli 2002 an das Finanzamt (W.) gesandt hat; fraglich ist, ob dieses Schreiben im Finanzamt (W.) eingelangt ist - ist entgegenzuhalten:

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Finanzamtes nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei erwogen:

Nach der im Beschwerdefall noch anzuwendenden (durch das BGBl. I Nr. 9/2010 aufgehobenen) Bestimmung des § 73 BAO endete die Zuständigkeit eines Finanzamtes für die Erhebung von Abgaben mit dem Zeitpunkt, in dem ein anderes Finanzamt von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt hat (§ 73 erster Satz leg. cit.).

Im Beschwerdefall traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Feststellung, dass das ihrer Ansicht nach für die Erhebung der Abgaben neu zuständig gewordene Finanzamt W. vor Ergehen der vor ihr bekämpften Abgabenbescheide Kenntnis von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen erlangt habe, nämlich "frühestens im März 2001 bzw. spätestens im Juli 2002". Dafür sprächen (wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid als Ergebnis festhält) die Verwaltungspraxis, "vor geplanten Aktenabtretungen Verständigungsverfahren zwischen bisher zuständigen Finanzamt und neu zuständigen Finanzamt durchzuführen" und das Schreiben vom 15. Juli 2002.

Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.

Zur Annahme der Durchführung eines Verständigungsverfahrens führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ins Treffen, dass aus Aktenvermerken des Finanzamtes G. und aus (im Übrigen nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten einliegenden) "bereits ausgefüllten Aktenabtretungsformularen" nachweisbar sei, dass eine Aktenabtretung am 5. März 2001 angeordnet und am 13. März 2001 widerrufen worden sei.

Zu Recht wirft das beschwerdeführende Finanzamt der belangten Behörde dazu Aktenwidrigkeit vor, weil in dem diesbezüglich angesprochenen, in den vorgelegten Verwaltungsakten einliegenden Aktenvermerk vom 9. April 2001 nicht von einer Aktenabtretung an das Finanzamt W. die Rede ist, sondern von einer möglichen Aktenabtretung an das Finanzamt Mödling (weil der Geschäftsführer der mitbeteiligten Partei über Befragung am 20. Februar 2001 bekannt gegeben habe, den Firmensitz und den Ort der Geschäftsleitung Ende Oktober 2000 von Deutsch-Wagram nach Brunn am Gebirge verlegt zu haben).

Die belangte Behörde räumt in der Gegenschrift zwar ein, "es mag sein", dass im März 2001 eine nach Abschluss des Betriebsprüfungsverfahrens durchzuführende Aktenabtretung nach Mödling geplant gewesen sei. Aus einem (beim Finanzamt G. angefertigten) Aktenvermerk "Abtretung nach Rücklangen von der Bp. 11. Oktober 2001" sei jedoch eindeutig auf eine das Finanzamt W. betreffende Abtretungsabsicht zu schließen, da sich dieser Aktenvermerk auf einem Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 13. September 2001 befinde, mit dem die Sitzverlegung nach Wien, N. Gasse 68/2/7, bewilligt worden sei. Mit diesem Hinweis auf eine beabsichtigte Aktenabtretung an das Finanzamt W. allein wird aber in keiner Weise deutlich gemacht, dass im Zusammenhang mit dem angesprochenen, im Übrigen nur als Bleistiftnotiz abgefassten Aktenvermerk vom 11. Oktober 2001 eine Verständigung des Finanzamtes W. über die seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen erfolgt wäre.

Zu dem von der mitbeteiligten Partei mit der Stellungnahme vom 10. Oktober 2008 vorgelegten - in den an den Verwaltungsgerichtshof übermittelten Akten im Übrigen nicht enthaltenen - Schriftsatz vom 15. Juli 2002 sieht es die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid als erwiesen an, dass dieses Schriftstück an das Finanzamt W. gesandt worden sei. Dabei übersieht die belangte Behörde offensichtlich, dass der Beweis der Postaufgabe für den Beweis des Einlangens eines Schriftstückes bei der Behörde - wofür den Absender die Beweislast trifft (vgl. z.B. Ritz, BAO4, § 108 Tz 10) - für sich nicht ausreicht (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2011, 2008/13/0149, mwN). Dass - "außer dem im Finanzamt (W.) nicht auffindbaren Schreiben vom 15. Juli 2002" - nur keine Indizien "gegen" ein Einlangen des Schreibens bei diesem Finanzamt gesprochen hätten, war somit nicht ausreichend, um von einem Einlangen dieses Schriftstückes bei dem genannten Finanzamt ausgehen zu können. Insoweit hat die belangte Behörde auch die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf die weiters in der Beschwerde enthaltene Rüge, die belangte Behörde habe auch nicht überprüft, in welchem Finanzamtsbereich sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung tatsächlich der Sitz oder Ort der Geschäftsleitung der Mitbeteiligten befunden habe, war dabei nicht mehr näher einzugehen.

Wien, am 25. Jänner 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte