VwGH 2009/21/0281

VwGH2009/21/028125.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 27. August 2009, Zl. VwSen-401027/14/Gf/Mu/Bu,

betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: S, vertreten durch

B), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs4;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
FrPolG 2005 §77 Abs4;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

1. Der angefochtene Spruchpunkt II. wird, soweit damit gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG festgestellt wurde, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

2. Der angefochtene Spruchpunkt II. wird, soweit damit dem Mitbeteiligten als gelinderes Mittel bestimmte Aufträge erteilt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Begründung

Zur Vorgeschichte ist auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0276, zu verweisen. Mit dem dort angefochtenen Bescheid vom 17. August 2009 gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Oberösterreich (die belangte Behörde) einer vom Mitbeteiligten erhobenen Schubhaftbeschwerde Folge und stellte gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG seine Anhaltung als rechtswidrig fest. Nach Auffassung der belangten Behörde hätte beim damaligen Stand des Abschiebungsverfahrens zumindest vorerst die Anwendung gelinderer Mittel - wie insbesondere die tägliche Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle - genügt. Erst wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass gelindere Mittel tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Hierauf wurde der Mitbeteiligte am 17. August 2009 enthaftet. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (BH) vom selben Tag wurde dem Mitbeteiligten als gelinderes Mittel aufgetragen, an einer bestimmten Adresse in Traun Unterkunft zu nehmen und sich jeden zweiten Tag, beginnend ab 18. August 2009, bei der Polizeiinspektion Traun zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr unaufgefordert zu melden. Dieser Bescheid wurde sowohl dem Mitbeteiligten als auch seinem Rechtsvertreter zugestellt.

In der Folge berichtete die genannte Polizeiinspektion, dass sich der Mitbeteiligte weder am 18. August 2009, noch am 20. und 22. August 2009 gemeldet habe. Eine Meldeauskunft ergab keine aufrechte Meldung. Infolge des sodann erlassenen Festnahmeauftrages wurde der Mitbeteiligte am 24. August 2009 festgenommen und über ihn mit Bescheid der BH vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt.

Begründend führte die BH im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe es trotz der ihm nachweislich zur Kenntnis gebrachten Anordnung des gelinderen Mittels unterlassen, sich am aufgetragenen Wohnort anzumelden und sich alle zwei Tage bei der Polizeiinspektion Traun zu melden. Die Rechtfertigung des Mitbeteiligten, er habe diese Anweisungen falsch verstanden, könne angesichts der sehr guten Deutschkenntnisse, der vorhandenen Rechtsvertretung und der deutlichen (fettgedruckten) Aufforderung im Bescheid nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Im vorliegenden Fall sei somit "ein konkreter, auf den Einzelfall bezogener, erhöhter Sicherungsbedarf in Form der Verhängung der Schubhaft" gegeben, zumal die Anweisungen der Behörde vom Mitbeteiligten "schlichtweg ignoriert" worden seien. Die Schubhaftverhängung sei somit unumgänglich, zumal von der Möglichkeit des gelinderen Mittels bereits Gebrauch gemacht worden sei.

Mit dem - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - am 27. August 2009 erlassenen Bescheid der belangten Behörde wurde im Spruchpunkt I. die vom Mitbeteiligten erhobene Schubhaftbeschwerde insoweit abgewiesen, als sie den Zeitraum der Anhaltung vom 24. August 2009 bis zur Bescheiderlassung betrifft. Im Spruchpunkt II. wurde festgestellt, dass die für die weitere Anhaltung des Mitbeteiligten maßgeblichen Voraussetzungen nicht mehr vorlägen. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass der Mitbeteiligte an der genannten Adresse in Traun Unterkunft zu nehmen und sich unaufgefordert jeden Tag bei der Polizeiinspektion Traun zu melden habe; die allgemeine gesetzliche Meldepflicht habe er binnen 14 Tagen zu erfüllen.

Begründend führte die belangte Behörde - soweit für das vorliegende Verfahren wesentlich - aus, "unter dem Eindruck" der Verhandlung sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte den Sinn der verfügten Anordnungen und die für den Fall der Missachtung drohenden Konsequenzen bis zu seiner neuerlichen Inschubhaftnahme de facto nicht erfasst habe. Nunmehr seien dem Mitbeteiligten im Zuge dieser Verhandlung die behördlichen Verfügungen umfassend verdeutlicht worden. Vor diesem Hintergrund wäre es angesichts der sonst bewirkten gravierenden Grundrechtsbeeinträchtigung offensichtlich unbillig, dem Mitbeteiligten, der die behördlichen Auflagen keinesfalls mutwillig, sondern nur infolge Unwissenheit und ungenügender Aufklärung missachtet habe, die Möglichkeit zu verwehren, seinen erklärten Willen, sich künftig auflagenkonform zu verhalten, auch tatsächlich unter Beweis stellen zu lassen. Um "einigermaßen Gewähr für eine faktische Greifbarkeit" im späteren fremdenpolizeilichen Verfahren zu haben, sei es aber erforderlich, die Frist zur persönlichen Meldung auf einen Tag zu verkürzen und den Mitbeteiligten zusätzlich zu verpflichten, seiner gesetzlichen Meldepflicht nachzukommen.

Gegen Spruchpunkt II. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zu Spruchpunkt 1.

Im eingangs genannten Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0276, wurde bereits - bezogen auf die Verhängung der Schubhaft mit Bescheid der BH vom 7. August 2009 und bezogen auf die Erlassung des dort bekämpften Bescheides der belangten Behörde vom 17. August 2009 - näher dargelegt, dass die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft gerechtfertigt war und in der vorliegenden Konstellation im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Effektivität einer (baldigen) Abschiebung des Mitbeteiligten die Anwendung von gelinderen Mitteln nicht hätte in Betracht gezogen werden dürfen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Schon daraus ergibt sich, dass der zur Begründung des angefochtenen Spruchpunktes II. vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht zu folgen ist, zumal nunmehr aufgrund der gänzlichen Nichtbefolgung der im Rahmen des gelinderen Mittels aufgetragenen Meldepflicht von einer weiteren Intensivierung des Sicherungsbedarfs auszugehen gewesen wäre (vgl. auch § 77 Abs. 4 erster Satz FPG).

Angesichts dessen erweist sich der angefochtene Spruchpunkt, soweit damit gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG festgestellt wurde, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht (mehr) vorlägen, als inhaltlich rechtswidrig. In diesem Umfang war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG mit einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorzugehen.

Zu Spruchpunkt 2.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - bereits zur Rechtslage nach dem FPG - in seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, dargelegt, dass der unabhängige Verwaltungssenat zwar auch bei dem nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG vorzunehmenden Fortsetzungsausspruch die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel an Stelle der Schubhaft zu berücksichtigen habe, dass er allerdings nicht zum Ausspruch zuständig sei, welches gelindere Mittel anzuwenden wäre. Das bleibe der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (siehe danach auch noch das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2007/21/0426). Die Ausführungen in der Gegenschrift bieten keinen Anlass, von dieser Auffassung abzugehen.

Demzufolge belastete die belangte Behörde - wie in der Amtsbeschwerde zutreffend geltend gemacht wird - den angefochtenen Spruchpunkt, soweit damit dem Mitbeteiligten als gelinderes Mittel bestimmte Aufträge erteilt wurden, mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG.

Wien, am 25. März 2010

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