VwGH 2009/21/0208

VwGH2009/21/020822.12.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über den Antrag des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. Juli 2009, 25 Cg 17/09m, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. Jänner 2006, Zl. BNS3-F-05 T, betreffend Anordnung der Schubhaft (weitere Parteien: 1. Y. K, vertreten durch Dr. Klaus Kocher und Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Friedrichgasse 31;

2. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z3;
AsylG 1997 §34b;
AsylG 2005 §75 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §67;
VwRallg;
AsylG 1997 §1 Z3;
AsylG 1997 §34b;
AsylG 2005 §75 Abs1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §79;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §67;
VwRallg;

 

Spruch:

Gemäß § 67 VwGG wird festgestellt, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. Jänner 2006, Zl. BNS3-F-05 T, rechtswidrig war.

Begründung

Der aus Inguschetien stammende russische Staatsangehörige Y. K. - das ist die erstgenannte weitere Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - reiste am 24. September 2005 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern illegal nach Österreich ein. Er stellte noch am selben Tag bei der Erstaufnahmestelle-Ost des Bundesasylamtes in Traiskirchen einen Asylantrag, obwohl er einen solchen Antrag bereits davor in Polen eingebracht hatte. Nach den Eintragungen im Asylwerberinformationssystem legte Y. K. als echt qualifizierte polnische Dokumente (Lager- und Aufenthaltsberechtigungskarte) vor. Ihm wurde eine Verfahrenskarte ausgestellt und er war anschließend gemeinsam mit seinen Familienangehörigen im Rahmen der ihnen gewährten Grundversorgung in der Betreuungsstelle Traiskirchen untergebracht.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Dezember 2005 wurde der Asylantrag des Y. K. gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 zurückgewiesen und die Zuständigkeit Polens zur Prüfung des Asylantrages festgestellt sowie gemäß § 5a Abs. 1 Asylgesetz 1997 die Ausweisung nach Polen verfügt. Dieser Bescheid wurde von Y. K. am 3. Jänner 2006 übernommen.

Im Rahmen einer danach vor der Bezirkshauptmannschaft Baden aufgenommenen Niederschrift wurde Y. K. näher dargelegt, dass er im Hinblick auf die rechtskräftige Beendigung des Asylverfahrens und mangels legaler Ausreisemöglichkeit sowie wegen seiner Mittel- und Beschäftigungslosigkeit in Schubhaft genommen werde.

Mit dem sodann gemäß § 57 AVG erlassenen Bescheid vom 3. Jänner 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden (kurz: BH) gegen Y. K. zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 34b des Asylgesetzes 1997 angeführt.

Begründend führte die BH nach Wiedergabe des Inhalts der maßgeblichen Rechtsvorschriften unter Hinweis auf die Rechtskraft der Asylantragszurückweisung und der damit verbundenen Ausweisung im Wesentlichen aus, Y. K. besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen, sodass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme zu treffen sei.

Er könne mangels arbeitsmarkt- und aufenthaltsrechtlicher Bewilligung auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben. Es müssten daher für den weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. es sei der Schluss zulässig, dass Y. K. versuchen werde, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen Unterhalt zu fristen. Bei einer "Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles (illegale Beschäftigung, illegaler Aufenthalt und Einreise)" sei somit die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt von Y. K. in Österreich die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt und das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde.

Es sei daher anzunehmen, dass sich Y. K. dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Die Behörde sei "auf Grund des ermittelten Sachverhaltes" zum Ergebnis gelangt, dass die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis stehe und im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich sei.

Y. K. wurde bis zum 3. Februar 2006 (im Polizeianhaltezentrum Wien) in Schubhaft angehalten. Die Enthaftung erfolgte, nachdem der gegen den Asylbescheid erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. Februar 2006 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war.

Mit der am 20. Februar 2009 beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebrachten Klage begehrt Y. K. von der beklagten Republik Österreich gestützt auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung und der Anhaltung aus dem Titel der Amtshaftung den Betrag von EUR 3.410,-- (samt Zinsen und Kosten) als "Haftentschädigung".

Nach Erlassung eines rechtskräftigen Beschlusses auf Unterbrechung dieses Zivilprozesses stellte das Landesgericht Wiener Neustadt unter Bezugnahme auf Art. 131 Abs. 2 B-VG iVm § 11 Abs. 1 AHG den gegenständlichen Antrag vom 27. Juli 2009 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des dargestellten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. Jänner 2006 und der darauf gegründeten Anhaltung in Schubhaft. Mit näher begründeten Ausführungen vertrat das Prozessgericht die Auffassung, der Bescheid der BH sei rechtswidrig, weil er auf eine nicht (mehr) anwendbare Rechtsvorschrift gestützt worden sei und im Hinblick auf den (vorläufig weiter gegebenen) Anspruch auf Grundversorgung kein die Schubhaft rechtfertigender Sicherungsbedarf gegeben gewesen sei.

Vorauszuschicken ist, dass die im Zivilverfahren beklagte Partei (Republik Österreich) dem Vorbringen der klagenden Partei (Y. K.), das im Wesentlichen der vorliegenden Antragsbegründung entsprochen hatte, nicht substanziiert entgegen getreten ist. Auch von der Möglichkeit ergänzender Ausführungen zur Frage der Rechtswidrigkeit des genannten Bescheides (§ 65 Abs. 1 letzter Satz VwGG) machten die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keinen Gebrauch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einsicht in die dem Prozessakt angeschlossenen Verwaltungsakten erwogen:

Nach der bis 31. Dezember 2005 (bis zum Inkrafttreten des Fremdenrechtspaketes 2005) geltenden Rechtslage fanden gemäß § 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 auf Asylwerber die Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 über die Schubhaft grundsätzlich keine Anwendung. Gegen Asylwerber konnte Schubhaft (nur) unter den Voraussetzungen des (durch die Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101, eingefügten) § 34b Asylgesetz 1997 angeordnet werden.

Das am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene AsylG 2005 enthält im ersten Satz des § 75 Abs. 1 eine Übergangsregelung für alle am 31. Dezember 2005 anhängigen (Asyl-)Verfahren dergestalt, dass solche Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen sind. Das trifft nach dem oben wiedergegebenen Verfahrensgang auf das Asylverfahren des Y. K. zu.

Der von der BH ausschließlich herangezogene § 34b Asylgesetz 1997 wäre daher nur dann als tragfähige Rechtsgrundlage in Betracht gekommen, wenn Y. K. im Zeitpunkt der Erlassung des die Schubhaft anordnenden Bescheides noch Asylwerber gewesen wäre. Nach der Begriffsbestimmung des § 1 Z 3 Asylgesetz 1997 ist Asylwerber ein Fremder ab Einbringung eines Asylantrages bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens oder bis zu dessen Einstellung. Im vorliegenden Fall wurde der das Asylverfahren rechtskräftig beendende Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Dezember 2005 mit seiner Zustellung am 3. Jänner 2006 gegenüber Y. K. wirksam erlassen. Demzufolge war Y. K. im Zeitpunkt der erst danach erfolgten Erlassung des vorliegend zu prüfenden Bescheides der BH kein Asylwerber mehr. Der die Schubhaft gegen Y. K. anordnende Bescheid konnte daher nicht auf § 34b Asylgesetz 1997 gestützt werden. Es wäre vielmehr nur die Schubhaftverhängung nach dem am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 in Betracht gekommen. Indem die BH die Anordnung der Schubhaft auf eine nicht tragfähige - in einem anderen, nur für Asylwerber geltenden und davor bereits außer Kraft getretenen Gesetz normierte - Rechtsgrundlage gestützt hatte, belastete sie den zu prüfenden Bescheid schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Angesichts dessen erübrigen sich nähere Ausführungen zur zweiten Begründungslinie im vorliegenden Antrag. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch deshalb von einer Rechtswidrigkeit des zu prüfenden Bescheides auszugehen gewesen wäre, weil ihm überhaupt keine Begründung für die Nichtanwendung eines gelinderer Mittels entnommen werden kann, obwohl eine solche Vorgangsweise angesichts dessen, dass Y. K. den Behörden im Asylverfahren immer zur Verfügung gestanden ist und Ladungen befolgte, in Verbindung mit seiner familiären Situation in Betracht zu ziehen gewesen wäre.

Als Ergebnis war daher gemäß § 67 VwGG die Rechtswidrigkeit des in Prüfung gezogenen Bescheides der BH vom 3. Jänner 2006 festzustellen, woraus auch die Rechtswidrigkeit der darauf gegründeten Anhaltung des Y. K. in Schubhaft folgt.

Wien, am 22. Dezember 2009

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