VwGH 2006/13/0189

VwGH2006/13/018928.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der D in W, vertreten durch die Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottengasse 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 13. April 2006, Zl. RV/0879- W/04, betreffend Nachsicht nach § 236 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §2 lita Z1;
BAO §236 Abs1;
FamLAG 1967 §2;
BAO §2 lita Z1;
BAO §236 Abs1;
FamLAG 1967 §2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 610,60 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die für ihre fünf in Jordanien lebenden Kinder im Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zum 31. Oktober 1997 zu Unrecht Familienbeihilfe sowie Kinderabsetzbeträge bezogen hatte, beantragte mit Schriftsatz vom 9. Mai 2000 die Nachsicht von der Rückforderung in Höhe von insgesamt 485.125 S. Sie wies im Wesentlichen darauf hin, dass dem zuständigen Finanzamt die Lebensumstände der Familie bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Auszahlung bekannt gewesen seien, dieses die Beträge trotzdem ausbezahlt habe und die Beschwerdeführerin auf die Rechtmäßigkeit der Zahlungen vertraut habe.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. November 2000 mit der Begründung ab, dass die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse, welche die Grundlage für die Beurteilung einer Unbilligkeit darstelle, nicht möglich gewesen sei, weil sich laut Auskunft der Mutter der Beschwerdeführerin weder die Beschwerdeführerin noch ihre Kinder in Österreich aufhielten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Dem Finanzamt seien alle gewünschten Daten über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Berufungswerberin bekannt gemacht worden und damit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt gewesen.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden in der Berufung wie

folgt angeführt:

"Berufungswerberin

Hausfrau

Ehegatte der Berufungswerberin:

mtl. 500 Dinar/entspricht ca. ATS 10.000,--

Kinder:

4 Kinder leben noch im Haushalt (...)

Forderungen gegen Dritte:

keine

Grundbesitz:

3/16 des Hauses (...) K-gasse 21 (incl. Wohnungseigentum); Juni/Juli 2000 Verkauf und Erwerb Wohnung: W-gasse 4a/1 (...)

PKW:

keiner

mtl. Ausgaben:

Gas und Strom Einstufung seit Juni 1999 ATS 870,-- (früher zwischen ATS 2.500,-- und ATS 3.000,--)

Miete ATS 2.660,--

Vermögensverzeichnis b. Gericht:

Nein

Schulden:

Kredit bei der Bank Austria (...), Restbetrag ATS 148.342,--

monatliche Raten ATS 3.182,--

Wohnungseinrichtung:

keine Wertgegenstände"

Zusammenfassend ergebe sich aus diesen persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen und den im Nachsichtsantrag genannten Umständen die Unbilligkeit der Rückforderung.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 26. Februar 2004 wies das Finanzamt die Berufung ab. Das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit verneinte das Finanzamt, weil die Kosten der mit Kaufvertrag vom 24. Juli 2000 erworbenen Eigentumswohnung vom Existenzminimum nicht zu bestreiten gewesen wären und auch im Nachsichtsansuchen keine Angaben über weitere Vermögenswerte gemacht worden seien. Zur sachlichen Unbilligkeit wurde ausgeführt, dass die Beihilfen nicht auf Grund einer unrichtigen Auskunft der Abgabenbehörde bezogen worden seien, sodass keine Verletzung des natürlichen Rechtsgrundsatzes von "Treu und Glauben" stattgefunden habe.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Im Antrag führte sie zur persönlichen Unbilligkeit im Wesentlichen ergänzend aus, dass die Nebenkosten für den Erwerb der Eigentumswohnung mit dem Erlös aus dem Verkauf des Hauses in der K-gasse bestritten worden seien. Hinsichtlich der sachlichen Unbilligkeit betonte die Beschwerdeführerin nochmals, dass der für den Bezug der Beihilfe maßgebliche Sachverhalt von Anfang an in allen entscheidungswesentlichen Punkten der Abgabenbehörde bekannt gewesen sei und die Behörde bereits während des Bezuges der Beihilfe den Sachverhalt ständig erneut überprüft habe. Daher sei der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben verletzt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Zur persönlichen Unbilligkeit führte sie aus, dass sich aus der dargestellten wirtschaftlichen Lage ergebe, dass eine Entrichtung der nachsichtsgegenständlichen Abgaben mangels Einkommens der Beschwerdeführerin höchstens aus der Veräußerung der im Eigentum der Beschwerdeführerin befindlichen Wohnung in Betracht komme. In Hinblick auf den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Jordanien erscheine ein Bedarf an der Wohnung für Wohnzwecke nicht gegeben, sodass auch wegen der für eine Wohnung grundsätzlich anfallenden Kosten die Veräußerung als zweckmäßig und eine Abgabenentrichtung dadurch als möglich erscheine, zumal auch von der Beschwerdeführerin eine Unbilligkeit der Abgabenentrichtung durch Veräußerung der Eigentumswohnung nicht behauptet werde.

Zum Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit wies die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach die Verpflichtung zur Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe gemäß § 26 FLAG ausschließlich auf objektive Momente abstelle. Entscheidend sei somit lediglich, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Familienbeihilfe nicht gegeben gewesen seien. Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe stelle ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigtes Ergebnis dar, welches nicht eine Unbilligkeit nach der Lage des Falles zu begründen vermöge, selbst wenn der unrechtmäßige Bezug der Familienbeihilfe ausschließlich durch ein Versehen eines Bediensteten des Finanzamtes verursacht worden wäre. Zu der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben bemerke die belangte Behörde, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das im Art. 18 Abs. 1 B-VG normierte Legalitätsgebot stärker sei; der Grundsatz von Treu und Glauben könne sich aber etwa in jenem Bereich auswirken, in welchem es auf Fragen der Billigkeit ankomme. Auch unrichtige Auskünfte im Einzelfall könnten einen gewissen Vertrauens- und Dispositionsschutz auslösen sowie bei der dessen ungeachtet gebotenen Anwendung des Gesetzes eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nach der Lage des Falles und damit die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben. Mit dem Einwand, dass der für die Beziehung von Beihilfe maßgebliche Sachverhalt von Anfang an in allen entscheidungswesentlichen Punkten der Abgabenbehörde bekannt gewesen sei und die Abgabenbehörde bereits während des Bezuges der Beihilfe ständig erneut den Sachverhalt überprüft habe, werde aber keineswegs das Vorliegen einer verbindlichen Auskunft im Einzelfall dargetan, sondern lediglich der Umstand, dass der Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag eine gewisse Zeit lang unbeanstandet geblieben sei. Eine allfällige Unterlassung von Handlungen könne jedoch keine Grundlage für Treu und Glauben bilden. Eine unter dem Grundsatz von Treu und Glauben relevante Enttäuschung im Vertrauen auf eine von der Abgabenbehörde erteilte Rechtsauskunft könnte unter anderem nur dann vorliegen, wenn diese Auskunft Grundlage für eine die Steuerfolgen auslösende Disposition gewesen sei. Ein solcher Fall liege jedoch nicht vor.

Mit Beschluss vom 27. November 2006, B 984/06-4, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der vor ihm gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht verletzt, dass ihr die Unbilligkeit der "Einhebung der Abgabenschuldigkeit" zuerkannt werde und dass ihr diese "Abgabenschuld" nachgesehen werde. Des Weiteren erachtet sie sich in ihrem Recht auf Erlassung einer fehlerfreien Ermessensentscheidung durch die belangte Behörde verletzt.

Gemäß § 2 lit. a Z 1 BAO gelten die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, soweit sie hierauf nicht unmittelbar anwendbar sind und nicht anderes bestimmt ist, sinngemäß in Angelegenheiten der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen aller Art. Die Familienbeihilfe stellt eine derartige Beihilfe dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. August 2008, 2008/15/0202).

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in dieser Bestimmung vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.

Nach § 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl II Nr. 435/2005, kann die Unbilligkeit persönlicher oder sachlicher Natur sein.

Eine persönliche Unbilligkeit liegt nach § 2 der zitierten Verordnung insbesondere vor, wenn die Einhebung

1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;

2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.

Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtswerber. Ihm obliegt es im Sinne seiner Mitwirkungspflicht, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. Oktober 2006, 2004/15/0150, vom 2. Juni 2004, 2003/13/0156, und vom 3. Juli 2003, 2002/15/0155).

Mangels entsprechenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren geht die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin ins Leere, die belangte Behörde habe die Nutzung der Wohnung durch die Beschwerdeführerin zu Wohnzwecken nicht endgültig geklärt.

Die Beschwerdeführerin führt zum Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit ins Treffen, dass die Beihilfenrückzahlung nur durch Veräußerung ihrer Eigentumswohnung möglich sei, was zu einer Nachsicht führen müsse. Die Begründung, dass die Beschwerdeführerin die Wohnung nicht zu Wohnzwecken benötige, vermöge die Zulässigkeit der Vermögensverwertung nicht zu begründen, weil bei Beurteilung der Unbilligkeit lediglich an den Umstand angeknüpft werde, dass eine Vermögensverwertung, insbesondere, wenn es zu einer Verschleuderung des Vermögens komme, unbillig im Sinne der Gesetzesbestimmung sei. Die Verwertung der Liegenschaft sei aber im konkreten Fall nur durch Versteigerung oder einen Notverkauf möglich.

Nur wenn die Verwertung von Vermögenschaften einer Vermögensverschleuderung gleich käme, tritt Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ein (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 24. September 2008, 2006/15/0101, mwN, und vom 26. Juni 2007, 2006/13/0103), nicht aber schon deshalb, weil es zu Einbußen an vermögenswerten Interessen kommt, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können (vgl. etwa das zur insoweit vergleichbaren niederösterreichischen Landesabgabenordnung ergangene hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2006, 2005/17/0245). Warum eine Veräußerung der Wohnung einer Vermögensverschleuderung gleich käme, hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht dargelegt und bleibt überdies auch in der Beschwerde unbestimmt. Somit kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie eine persönliche Unbilligkeit der Rückforderung zu Unrecht geleisteter Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge als nicht gegeben erachtet hat.

Zu der von der belangten Behörde verneinten sachlichen Unbilligkeit enthält die Beschwerde kein Vorbringen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. April 2009

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