VwGH 2008/21/0407

VwGH2008/21/040717.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 25. April 2008, Zl. VwSen-400868/12/Gf/Mu/Ga, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: S), zu Recht erkannt:

Normen

32001L0040 DrittstaatsangehörigenRückführung-RL;
FrPolG 2005 §71 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §71;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
32001L0040 DrittstaatsangehörigenRückführung-RL;
FrPolG 2005 §71 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §71 Abs1;
FrPolG 2005 §71;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) vom 8. Jänner 2007 wurde über den Mitbeteiligten, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 und 4 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG zur Sicherung der Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt.

In Erledigung der dagegen erhobenen Schubhaftbeschwerde stellte der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Oberösterreich (UVS) mit Bescheid vom 22. Februar 2007 die Anhaltung des Mitbeteiligten als rechtswidrig fest. In Bezug auf den Schubhaftgrund des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG lag dem die Auffassung zu Grunde, diese Bestimmung erfasse ausschließlich von österreichischen Behörden erlassene Aufenthaltsverbote, nicht jedoch das von Griechenland gegen den Mitbeteiligten (noch vor seiner Asylantragstellung in Österreich) erlassene und bis 22. August 2008 "für alle Schengenstaaten" gültige Aufenthaltsverbot. Es bestehe aber auch kein Anhaltspunkt dafür, dass der im Asylverfahren konsultierte Staat Griechenland nach der Dublin II-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages des Mitbeteiligten zuständig sei, sodass die Anhaltung in Schubhaft auch nicht auf § 76 Abs. 2 Z 4 FPG gestützt werden könne.

Gegen diesen Bescheid - inhaltlich aber nur insoweit, als das Vorliegen des Schubhaftgrundes nach § 76 Abs. 2 Z 3 FPG verneint wurde - erhob die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich eine Amtsbeschwerde. Infolge dieser Beschwerde wurde der genannte Bescheid mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 2008, Zl. 2007/21/0126, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Gerichtshof verwies dazu auf die Entscheidungsgründe des einen gleichgelagerten Fall betreffenden Erkenntnisses vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389. Dort wurde mit näherer Begründung dargelegt, dass - entgegen der vom UVS vertretenen Meinung - der Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG nicht nur inländische Ausweisungen und Aufenthaltsverbote erfasst, sondern sich bei Vorliegen der in § 71 Abs. 1 FPG genannten Kriterien auch auf Rückführungsentscheidungen von EWR-Mitgliedstaaten bezieht.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Ersatzbescheid vom 25. April 2008 stellte der UVS (die belangte Behörde) neuerlich fest, dass die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 8. Jänner 2007 bis zum 22. Februar 2007 rechtswidrig gewesen sei.

Begründend führte die belangte Behörde - soweit für die vorliegende Entscheidung wesentlich - aus, in dem genannten Erkenntnis Zl. 2006/21/0389 sei der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Gleichstellung der ausländischen Rückführungsentscheidung mit einer inländischen durchsetzbaren Ausweisung vorlägen, "bei der Schubhaftanordnung" vorzunehmen sei und "einer entsprechenden Kooperation mit dem anderen Mitgliedstaat" bedürfe. In den vorgelegten Akten finde sich aber kein Hinweis, dass die BH eine eigenständige Kenntnis von der ausländischen Rückführungsentscheidung gehabt oder entsprechende Kooperationsmaßnahmen mit Griechenland gesetzt habe. Vielmehr habe die BH lediglich aufgrund der Angaben des Mitbeteiligten vermutet, dass das Aufenthaltsverbot wegen dessen illegaler Einreise verhängt worden sein dürfte. Es sei auch offen geblieben, ob das Aufenthaltsverbot im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft tatsächlich durchsetzbar gewesen sei. Bei der Schubhaftanordnung habe daher nicht mit der für einen Freiheitseingriff notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden können, dass das griechische Aufenthaltsverbot "effektiv" einer inländischen vollstreckbare Ausweisung gleichzusetzen sei. Es sei daher die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft festzustellen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin pflichtet der belangten Behörde in der Beschwerde darin bei, dass die eine Schubhaft verhängende Behörde nicht nur festzustellen habe, ob eine Rückführungsentscheidung eines EWR-Mitgliedstaates vorliege, sondern darüber hinaus auch, ob die in § 71 Abs. 1 FPG geforderten "Qualifikationsmerkmale" vorlägen. Zweifelsohne werde es - wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis Zl. 2006/21/0389 auch ausgeführt habe - der Regelfall sein, dass die Kenntnis der Begründung der Rückführungsentscheidung nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehe und es der Kooperation mit dem anderen Mitgliedstaat bedürfen werde. Das bedeute aber nicht, dass die eine Schubhaft verhängende Behörde nicht auch auf andere Weise zu entsprechenden Informationen kommen könne. Auch (in der Beschwerde wörtlich zitierte) Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in dem genannten Erkenntnis Zl. 2006/21/0389 seien dahin zu verstehen, dass die entsprechenden Informationen nicht nur "im Kooperationswege" eingeholt, sondern auch durch die Angaben des Fremden erlangt werden könnten. Der Fremde müsse wohl am besten wissen, weshalb über ihn eine Rückführungsentscheidung erlassen worden sei.

Dem kann für den vorliegenden Fall nicht gefolgt werden:

Die Heranziehung des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG ist nur dann möglich, wenn die gegen den Fremden erlassene (rechtskräftige und vollstreckbare) Rückführungsentscheidung eines EWR-Mitgliedstaates einer durchsetzbaren inländischen Ausweisung gleichzuhalten ist, was das Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 FPG verlangt.

Diese Bestimmung lautet:

"Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen von EWR-Staaten

§ 71. (1) Bei Drittstaatsangehörigen, die über keinen Aufenthaltstitel verfügen, entspricht die rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes einer durchsetzbaren Ausweisung, wenn

1. die Rückführungsentscheidung mit der schwerwiegenden und akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit begründet wird und

a) auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe bedrohten Straftat beruht oder

b) erlassen wurde, weil begründeter Verdacht besteht, dass der Drittstaatsangehörige schwere Straftaten begangen hat oder konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates plant, oder

2. die Rückführungsentscheidung erlassen wurde, weil der Drittstaatsangehörige gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Entscheidungsstaates verstoßen hat."

Voranzustellen ist, dass sich die BH mit dem Vorliegen der Voraussetzungen nach der zitierten Gesetzesstelle nicht konkret auseinandergesetzt hat. Sie erwähnte zwar die Voraussetzungen der fallbezogen in Betracht kommenden Z 2, beschränkte sich dann aber auf die (wiederholte) Feststellung, dass der Mitbeteiligte nicht im Besitz eines Aufenthaltsrechtes für Österreich sei und gegen ihn bereits "ein rechtskräftiges Einreise/Aufenthaltsverbot im Gebiet der Schengener Staaten" bestehe.

Der Mitbeteiligte hatte in seiner - im Bescheid der BH wörtlich wiedergegebenen - Vernehmung zwar zugestanden, sich einmal, und zwar nur im Jahre 1993, in Griechenland aufgehalten zu haben und damals illegal (ohne Reisepass und Visum) eingereist zu sein. Er habe sich dort etwa zehn Tage aufgehalten, ehe er aus Griechenland wieder "ausgewiesen" worden sei. Aus welchem Grund gegen ihn ein "Einreise-/Aufenthaltsverbot" in Griechenland erlassen worden sei, könne er nicht anführen. Er habe sich in Griechenland "nichts zu schulden kommen lassen". Er habe lediglich gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen von Griechenland verstoßen.

Nähere Feststellungen zum Grund für das Aufenthaltsverbot, die auf die wiedergegebenen Angaben des Mitbeteiligten gestützt worden wären, sind dem die Schubhaft anordnenden Bescheid aber - wie erwähnt - nicht zu entnehmen. Es kann also nicht einmal gesagt werden, die BH habe - wie die belangte Behörde unterstellte - "vermutet", dass das Aufenthaltsverbot gegen den Mitbeteiligten wegen dessen illegaler Einreise nach Griechenland verhängt worden sein dürfte. Im Übrigen ließe sich aufgrund dieser Angaben des Mitbeteiligten, der den Grund für das "Einreise- /Aufenthaltsverbot" ausdrücklich nicht nennen konnte, in schlüssiger Weise nicht ableiten, das im Schengener Informationssystem im Jahre 2007 aufscheinende "Einreise- /Aufenthaltsverbot" sei wegen Missachtung von einreise- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen im Jahre 1993 erlassen worden.

Die BH wäre daher verpflichtet gewesen, sich vor der Schubhaftanordnung eine genaue Kenntnis von der gegen den Mitbeteiligten bestehenden Rückführungsentscheidung zu verschaffen und darauf gegründet entsprechende Feststellungen zu treffen. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof auch in dem schon mehrfach erwähnten Erkenntnis Zl. 2006/21/0389 zwar zunächst ausgeführt, nach den Angaben des dortigen Mitbeteiligten sei das Aufenthaltsverbot gegen ihn angesichts seines illegalen Aufenthaltes in Italien wegen Verstoßes gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen dieses Staates erlassen worden und davon ausgehend wären die Voraussetzungen für eine Gleichstellung dieses Aufenthaltsverbotes mit einer durchsetzbaren Ausweisung nach § 71 Abs. 1 Z 2 FPG gegeben. Daran anschließend hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch gerügt, die Behörden hätten sich in Verkennung der Rechtslage damit nicht mehr befasst. Daraus folgt, dass auch in diesem Fall die behördlichen Schlussfolgerungen aus den Angaben des Fremden für nicht ausreichend erachtet wurden. Das wird auch dadurch deutlich, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis daran unmittelbar anschließend "zum Umfang dieser - bei Schubhaftanordnung durch die Fremdenpolizeibehörde vorzunehmenden - Prüfung" bemerkte, dass die erforderliche Kenntnis der Begründung der Rückführungsentscheidung nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen und es einer entsprechenden Kooperation mit dem anderen Mitgliedstaat bedürfen werde.

In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof in dem später ergangenen Erkenntnis vom 29. April 2008, Zl. 2008/21/0085, auch ausgeführt, dass die auf der Auskunft einer Kooperationsstelle beruhende Feststellung, das Aufenthaltsverbot sei gegen den Fremden "wegen illegaler Einreise" erlassen worden, nicht genüge. Diese weder in zeitlicher noch in örtlicher Hinsicht konkretisierte Feststellung, der nicht einmal der Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes und die Bezeichnung der (dort: ungarischen) Behörde, die diese Maßnahme erlassen habe, zu entnehmen sei, reichte nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht für eine Subsumtion unter die Z 2 des § 71 Abs. 1 FPG. Es wären daher ergänzende Ermittlungen zum Inhalt dieses Aufenthaltsverbotes vorzunehmen und vor allem auch klarzustellen gewesen, ob das Aufenthaltsverbot - wie es § 71 Abs. 1 FPG verlangt - durchsetzbar und rechtskräftig ist.

Am Maßstab dieser Rechtsprechung kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die belangte Behörde auf der Basis des Inhalts des Bescheides der BH zu Recht angenommen hat, im vorliegenden Fall könne nicht mit ausreichender Sicherheit von der Verwirklichung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Z 2 FPG ausgegangen werden.

Soweit die Amtsbeschwerdeführerin noch meint, allenfalls noch offene Fragen hätten entsprechende Erhebungspflichten der belangten Behörde ausgelöst, übersieht sie, dass die belangte Behörde (infolge der mittlerweile schon längst erfolgten Enthaftung des Mitbeteiligten) mit dem vorliegenden Bescheid nur über den Schubhaftbescheid vom 8. Jänner 2007 und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten bis 22. Februar 2007 feststellend abzusprechen hatte. Begründungs- und Ermittlungsmängel der vorliegenden Art konnten vom UVS aber bei einer solchen Entscheidung nicht mehr saniert werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0446, in dem kritisiert wurde, dass bestimmte Begründungsmängel im Schubhaftbescheid vom UVS nicht wahrgenommen wurden). Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit mit dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Jänner 2000, Zl. 99/02/0335, zugrunde liegenden Fall eines Schubhaftbescheides, der nur "in manchen Punkten noch hätte eingehender begründet werden können".

Die vorliegende Amtsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet, weshalb sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen war.

Wien, am 17. Juli 2008

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