VwGH 2005/18/0519

VwGH2005/18/051930.1.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des J G in L, geboren 1976, vertreten durch Dr. Harald Fahrner, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 22, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 9. März 2005, Zl. 314.117/3-III/4/04, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
MRK Art8;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §14 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 9. März 2005 wurde der vom Beschwerdeführer am 19. Juli 2004 an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (Erstbehörde) gestellte Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 10 Abs. 4, § 14 Abs. 2, § 19 Abs. 2 Z 6 iVm Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Die Erstbehörde habe diesen Antrag mit Bescheid vom 30. August 2004 abgewiesen, wogegen der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht berufen und dazu im Wesentlichen seine materielle Notlage angeführt habe. Er könnte durch seinen Verdienst seinen Familienangehörigen (Eltern und Bruder sowie dessen Kinder) im Heimatland ein wirtschaftlich abgesichertes Leben gewährleisten.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass der Beschwerdeführer am 20. November 2001 illegal (mit dem Pkw) nach Österreich eingereist sei und beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt habe, welcher mit 12. November 2003 gemäß §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 - AsylG rechtskräftig negativ entschieden worden sei. Er sei im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach diesem Gesetz gewesen. Diesbezüglich werde bemerkt, dass der Aufenthalt in Österreich als Asylwerber keinen humanitären Grund darstelle.

Da der Beschwerdeführer noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung verfügt habe, sei sein Antrag vom 19. Juli 2004 als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu werten gewesen.

Mit Bescheid der Erstbehörde vom 23. März 2004 sei der Beschwerdeführer ausgewiesen worden. Eine von ihm "dagegen" (offensichtlich gemeint: gegen den darüber ergangenen Berufungsbescheid) an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde sei am 28. September 2004 als unbegründet abgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer habe den genannten Antrag im Inland gestellt, obwohl dieser gemäß § 14 Abs. 2 erster Satz FrG vor der Einreise vom Ausland aus hätte gestellt werden müssen. Der Antrag enthalte in Form eines Zusatzantrages bzw. eines Schreibens die Behauptung humanitärer Gründe im Sinn des § 10 Abs. 4 leg. cit. Eine Überprüfung im Sinn dieser Gesetzesbestimmung sei durchgeführt worden. Nach den Ausführungen des Beschwerdeführers sei diesbezüglich von wirtschaftlichen Gründen auszugehen, weil seine im Kosovo lebenden Familienangehörigen von seiner wirtschaftlichen Versorgung und finanziellen Absicherung abhängig seien. Bei einer Heimkehr wäre er überdies der absoluten Armut preisgegeben und hätte keine Hilfe zu erwarten.

Damit seien jedoch keine ausreichenden besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Aspekte gegeben. Im Kosovo ereigneten sich derzeit aktuell keine Kriegshandlungen. Die wirtschaftliche Lage dort sei bekannt. Seitens der Europäischen Union würden jedoch erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet, um die wirtschaftliche Lage dort zu verbessern. Die materiellen Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 4 FrG lägen daher nicht vor.

Eine Inlandsantragstellung werde gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG von Amts wegen nicht zugelassen, wobei sich diese Entscheidung aus formeller Sicht auf § 90 Abs. 1 leg. cit. begründe.

Der Antrag des Beschwerdeführers sei daher gemäß § 14 Abs. 2 FrG abzuweisen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn abzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 14 Abs. 2 FrG sind Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag kann im Inland gestellt werden, wenn der Antragsteller bereits niedergelassen ist und entweder bisher für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes keinen Aufenthaltstitel benötigte oder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt hat; dies gilt nach Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels dann nicht, wenn der weitere Aufenthaltstitel eine Erwerbstätigkeit zulassen soll, für die der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel nicht hätte erteilt werden können (§ 13 Abs. 3 FrG). Liegen die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG vor, kann der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland gestellt werden.

Der letzte Satz dieser Bestimmung eröffnet der Niederlassungsbehörde die Möglichkeit, von Amts wegen in ganz bestimmten Ausnahmefällen (nämlich bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 10 Abs. 4 FrG) von einer Abweisung eines im Inland gestellten Antrages auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung Abstand zu nehmen. Einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn von § 10 Abs. 4 leg. cit. hat der Verwaltungsgerichtshof nur bei mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 leg. cit. verbundenen Lebensumständen eines Fremden und wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht, angenommen (vgl. insbesondere die Zusammenfassung der Judikatur im hg. Erkenntnis vom 15. März 2006, Zl. 2006/18/0020).

2. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers - laut dem Beschwerdevorbringen mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2003 - gemäß §§ 7 und 8 AsylG mit 12. November 2003 (rechtskräftig) negativ entschieden. Der - laut dem weiteren Beschwerdevorbringen ohne Einreise- und Aufenthaltstitel über Italien - am 20. November 2001 in das Bundesgebiet (illegal) eingereiste Beschwerdeführer verfügte noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung.

Im Hinblick darauf begegnet die - unbekämpfte - Beurteilung der belangten Behörde, dass es sich beim gegenständlichen Antrag vom 19. Juli 2004 um einen solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung handle, keinem Einwand.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er aus einem der ärmsten Gebiete des Kosovo stamme und sich auf Grund der unerträglichen wirtschaftlichen Notsituation entschlossen habe, in ein europäisches Land auszureisen, um dort eine Arbeit zu finden. Er habe in Österreich Zugang zum Arbeitsmarkt und Arbeit gefunden und verfüge über eine aufrechte Arbeitserlaubnis mit Gültigkeitsdauer bis zum 6. Oktober 2005. Seit der Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2003 hätten sich die wesentlichen sozialen, arbeitsmarktmäßigen und sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse im Kosovo und die politischen Gegebenheiten noch weiter verschlechtert, wobei die Unzufriedenheit unter den Menschen über die katastrophale wirtschaftliche Lage und die fehlenden Fortschritte in der Entwicklung des Landes die Radikalisierung der albanischen Gesellschaft im Kosovo förderten, was auch ein Schussattentat auf den Friedenshelden des Kosovo, Ibrahim Rugova, zeige. Die Massenarbeitslosigkeit, insbesondere im Bereich der jungen Menschen, wachse von Jahr zu Jahr, und es lähme die Ungewissheit über die politische Lage im Kosovo. Seit 2001 stagniere die Lage bzw. gebe es sogar einen wirtschaftlichen Rückgang, was darauf zurückzuführen sei, dass die internationalen Spendengelder größtenteils versiegten und Sparreserven der Kosovaren aufgebraucht seien.

Im Fall einer Rückkehr in den Kosovo würde den Beschwerdeführer die sehr ungünstige allgemeine sozioökonomische Lage dort voll treffen und hätte dies seine Arbeitslosigkeit und Einkommenslosigkeit und die Gefährdung seiner notwendigen materiellen Lebensgrundlage zur Folge, was einen besonders berücksichtigungswürdigen Aspekt im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG darstellte. Auch wenn die Rechte nach Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und Art. 6 Abs. 1 des Weltpaktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966 wie auch nach Art. 7, 10 und 11 Abs. 1 dieses Weltpaktes keine subjektiven Rechte begründeten, so komme mit diesen Grundrechtsnormen doch zum Ausdruck, dass zumindest das Recht auf Arbeit und ein angemessenes Arbeitsentgelt zur Ermöglichung eines angemessenen, der Menschenwürde entsprechenden Lebensstandards zu den Grundwerten der westlichen Staaten- und Wertegemeinschaft zähle. Der Beschwerdeführer sei seit Oktober 2002 durchgehend als Hilfskoch in einem Gasthof erlaubt beschäftigt, und es werde durch die Verweigerung des beantragten Aufenthaltstitels auch in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistetes Recht eingegriffen.

Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen zu der dem Beschwerdeführer im Kosovo zu erwartenden Armut treffen müssen.

3.2. Dem Beschwerdevorbringen zufolge hat der Beschwerdeführer auf Grund der unerträglichen wirtschaftlichen Notsituation im Kosovo seine Heimat verlassen und ist nach Österreich gekommen, wo er am 20. November 2001 den Asylantrag gestellt habe. Er stellt nicht in Abrede, dass über diesen Antrag (rechtskräftig) negativ entschieden wurde und der unabhängige Bundesasylsenat im Rahmen der Abweisung des Asylantrages auch eine negative Entscheidung nach § 8 leg. cit. - somit die rechtskräftige Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seine Heimat - getroffen hat.

Im Hinblick darauf steht fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat keiner Gefährdung oder Bedrohung im Sinn von § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG ausgesetzt ist, sofern nicht in den als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine wesentliche Änderung eingetreten ist (vgl. auch dazu das obzitierte Erkenntnis; ferner das hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2005/18/0557).

Mit ihrem Vorbringen hat die Beschwerde nicht aufgezeigt, inwieweit sich für den Beschwerdeführer seit der Entscheidung durch den unabhängigen Bundesasylsenat, seit November 2003, die Lebenssituation im Kosovo und damit die für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles im Sinn von § 10 Abs. 4 FrG maßgeblichen Sachverhaltselemente wesentlich geändert haben. Die allgemeine Behauptung, dass der Beschwerdeführer auf Grund der die menschlichen Grundversorgungsbedürfnisse betreffenden Armutssituation im Kosovo, womit ein menschenwürdiges Leben dort nicht mehr möglich gewesen sei, und auf Grund dieser unerträglichen wirtschaftlichen Notsituation seine Heimat verlassen habe und sich die wesentlichen Verhältnisse dort seit der Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. November 2003 noch weiter verschlechtert hätten, stellt kein ausreichendes Vorbringen im Sinn der obgenannten Erfordernisse dar.

Im Hinblick darauf kommen den in diesem Zusammenhang behaupteten Verfahrensmängeln keine Relevanz und dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde hätte zur "Rückkehrsituation" des Beschwerdeführers keine Feststellungen getroffen, keine Berechtigung zu.

4. Zur geltend gemachten Verletzung von sozialen Grundrechten bringt die Beschwerde selbst vor, dass die ins Treffen geführten internationalen Vereinbarungen keine subjektiven Rechte begründen und somit nicht unmittelbar anwendbar sind (vgl. dazu etwa das obzitierte Erkenntnis Zl. 2006/18/0020, mwN).

5. Die Ansicht der belangten Behörde, es liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall gemäß § 10 Abs. 4 FrG vor, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

6. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei einem entgegen § 14 Abs. 2 erster Satz FrG vom Inland aus gestellten Antrag eine Ermessensentscheidung nach § 8 Abs. 1 leg. cit. unter Bedachtnahme auf die in § 8 Abs. 3 leg. cit. genannten Kriterien nicht zum Tragen. Ebenso wenig ist bei einer solchen Entscheidung eine Interessenabwägung nach § 37 FrG bzw. Art. 8 EMRK durchzuführen (vgl. dazu etwa das obzitierte Erkenntnis Zl. 2005/18/0557).

7. Die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung nach § 14 Abs. 2 FrG erweist sich daher als unbedenklich.

8. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 30. Jänner 2007

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