VwGH 2004/10/0032

VwGH2004/10/003222.11.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über den Antrag des A A in L, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 17. März 1997, Zl. 93/10/0189, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, den Beschluss gefasst:

Normen

B-VGNov betreffend Staatsverträge 1964;
MRK Art41 idF 1998/III/030;
MRK Art46 Abs1 idF 1998/III/030;
EMRK Art53;
MRK Art6 Abs1 idF 1998/III/030;
MRKZP 11te;
StPO 1975 §363a idF 1996/762;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45 Abs1;
B-VGNov betreffend Staatsverträge 1964;
MRK Art41 idF 1998/III/030;
MRK Art46 Abs1 idF 1998/III/030;
EMRK Art53;
MRK Art6 Abs1 idF 1998/III/030;
MRKZP 11te;
StPO 1975 §363a idF 1996/762;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Antragsteller begehrt mit Schriftsatz vom 9. Februar 2004 gemäß § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 17. März 1997, Zl. 93/10/0189, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Er verweist zur Begründung seines Antrages im Wesentlichen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 22. Jänner 2004, Beschwerde Nr. 38185/97, Alge gg. Österreich (= ÖJZ 2004, 16 MRK 477), wonach eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK unter anderem dadurch stattgefunden habe, dass vor dem Verwaltungsgerichtshof eine vom Antragsteller beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt worden sei. Nach Auffassung des Antragstellers sei die Wiederaufnahme eines mit meritorischem Erkenntnis abgeschlossenen Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG zu bewilligen, wenn im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen worden und anzunehmen sei, dass sonst das Erkenntnis anders gelautet hätte. Nach Art. 41 MRK seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, Urteile des EGMR bestmöglichst innerstaatlich umzusetzen. Zum Anspruch auf umfassendes Parteiengehör gehöre auch der Anspruch auf eine öffentliche mündliche Verhandlung. Eine vom EGMR als "Menschenrechtsverletzung erkannte Verweigerung einer mündlichen Verhandlung stell(e) somit einen Anwendungsfall des § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG oder einen gleichwertig zu behandelnden Verfahrensfehler" dar.

Der die "Wiederaufnahme des Verfahrens" regelnde § 45 VwGG lautet auszugsweise:

"§ 45. (1) Die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens ist auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn

1. das Erkenntnis oder der Beschluss durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. das Erkenntnis oder der Beschluss auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist beruht oder

3. nachträglich eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird, die in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte oder

4. im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, dass sonst das Erkenntnis oder der Beschluss anders gelautet hätte oder

5. das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlassten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.

(2) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen von dem Tag, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses zu stellen.

(3) Über den Antrag ist in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden.

(4) ..."

Mit dem vom Beschwerdeführer genannten Urteil des EGMR wurde eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 MRK durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. März 1997, Zl. 93/10/0189, festgestellt. Die Republik Österreich wurde verurteilt, dem Beschwerdeführer - neben Kosten und Auslagen - EUR 3.000,-- "in Bezug auf immateriellen Schaden" zu zahlen.

Die Feststellung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist in dem oben wiedergegebenen § 45 VwGG nicht als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof angeführt. Doch stellt sich die Frage, ob eine Wiederaufnahme für den Fall der Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR nicht im Lichte der Europäischen Konvention für Menschenrechte für geboten erachtet wird.

Soweit mit einem Urteil des EGMR eine Konventionsverletzung festgestellt wird, handelt es sich - abgesehen von einem Ausspruch nach Art. 41 MRK - um ein Feststellungsurteil. Offen ist dabei die Frage der Tragweite der aus Art. 46 Abs. 1 MRK erwachsenden Verpflichtungen (vgl. zum Folgenden Okresek, Art. 46 MRK in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 6 f).

Art. 46 Abs. 1 MRK (vormals: Art. 53) in der Fassung des

11. ZP MRK hat folgenden Inhalt:

"Die Hohen Vertragsschließenden Teile verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofes zu befolgen."

Nach herrschender Lehre beinhaltet diese Bestimmung eine völkerrechtliche Verpflichtung, verleiht den Urteilen des EGMR jedoch keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung; dies selbst dann nicht, wenn die Europäische Menschenrechtskonvention - wie in Österreich - unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht ist (vgl. Mayer, Zivilrechtsbegriff und Gerichtszuständigkeit, ZfV 1988, 473 ff, (482)). Ein Urteil des EGMR kann den betreffenden konventionswidrigen Akt daher weder abändern noch aufheben (vgl. etwa Frowein/Peukert, MRK-Kommentar 2, 1996, 725 Rz 3; ferner Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2, 1999, Rz 225).

Der EGMR betont in ständiger Rechtsprechung, dass es dem betroffenen Staat obliege, die Mittel zu wählen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen sind, um seinen Verpflichtungen gemäß Art. 46 MRK nachzukommen (vgl. z.B. EGMR 13.6.1979, Marckx gg. Belgien, EuGRZ 1979, 454 ff (460); EGMR 26.10.1988, Norris gg. Irland, ÖJZ 1989, 628 ff (631); EGMR 25.2.1997, Z gg. Finnland, ÖJZ 1998, 152 ff (155)); ferner Ress, Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996, 350 ff). Er hat auch entschieden, dass sich aus der Konvention nicht eine Pflicht des betroffenen Staates zur Wiederaufnahme des Verfahrens oder zur Durchführung irgendwelcher Verwaltungsmaßnahmen ableiten lasse (EGMR 20.9.1993, Saidi gg. Frankreich, ÖJZ 1994, 322 ff (323); bestätigt in der Entscheidung der EKMR 18.10.1995, Kremzow gg. Österreich, ÖJZ 1996, 114 f (115)).

Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, besteht zwar bei Konventionsverletzungen im Rahmen eines Strafverfahrens die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 363a StPO. Diese Regelung wurde aber nicht in dem Verständnis getroffen, dass sie auf Grund der MRK geboten sei. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betonen vielmehr, es sei anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 MRK die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, in ihrem innerstaatlichen Recht in jedem Fall eine Aufhebung der jener Entscheidung vorzusehen, in Bezug auf welche eine Verletzung der Konvention festgestellt wurde; sie räumen lediglich ein, dass eine Verpflichtung zur "restitutio in integrum" jedenfalls insoweit anzunehmen sei, als das der innerstaatlichen Entscheidung zugrunde liegende innerstaatliche Recht einer konventionskonformen Auslegung zugänglich sei (vgl. AB BlgNR XX. GP, 64 f).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, aus der MRK könne ein verfassungsrechtliches Gebot, wonach in jedem Fall einer vom EGMR festgestellten Konventionsverletzung das Verfahren innerstaatlich wieder aufzunehmen ist, nicht abgeleitet werden (vgl. das Erkenntnis vom 2. Dezember 2002, VfSlg. 16.747).

Angesichts der Art der hier festgestellten Konventionsverletzung lässt sich unter den Umständen des vorliegenden Falles aus Art. 46 MRK keine Verpflichtung ableiten, das Ausgangsverfahren wieder aufzunehmen.

Dem vorliegenden Antrag auf Wiederaufnahme konnte somit nicht entsprochen werden.

Wien, am 22. November 2004

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