VwGH 2002/20/0344

VwGH2002/20/034418.7.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über den Antrag des FC in Wien, geboren am 12. Dezember 1970, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in Wien, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. März 2002, Zl. 219.064/0- XII/05/00, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (§ 68 AVG iVm § 23 AsylG), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 2002 wurde der Asylantrag des Antragstellers wegen entschiedener Sache (gemäß § 68 AVG iVm § 23 AsylG) zurückgewiesen. Auf Grund der antragsgemäßen Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 30. April 2002 für den Antragsteller Rechtsanwalt Dr. N. zum Verfahrenshelfer bestellt, dem dieser Bescheid (mit einer Ausfertigung des erwähnten Bescheides der belangten Behörde) am 8. Mai 2002 zugestellt wurde. Die sechswöchige Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof endete somit am 19. Juni 2002. Die zur hg. Zl. 2002/20/0330 protokollierte Beschwerde wurde jedoch erst am 21. Juni 2002 zur Post gegeben.

Gegen die Versäumung der Beschwerdefrist richtet sich der vorliegende, am 28. Juni 2002 zur Post gegebene (fristgerechte) Wiedereinsetzungsantrag, in dem der Antragsteller einleitend zugesteht, dass der Bestellungsbescheid seinem Verfahrenshelfer am 8. Mai 2002 zugestellt wurde. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages bringt er sodann wörtlich folgendes vor:

"Die Aktenanlage und EDV-Erfassung für diese neue Rechtssache erfolgte ausnahmsweise und entgegen der ständigen Administration im Sekretariat nicht mehr am 8.5.2002, sondern nach dem Feiertag am 9.5.2002 am darauf folgenden Werktag, dem 10.5.2002. Der Akt wurde daher auch erst am 10.5.2002 RA Dr. N. zur Bearbeitung vorgelegt. Dieser prüfte selbst, wie üblich, die im Fristvormerkkalender aufgrund der eingehenden Poststücke von der Kanzleikraft einzutragenden Fristen und Termine. Er stellte fest, dass die Frist für die einzubringende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht vorgemerkt war und hat selbst die sechswöchige Frist im Fristvormerkkalender eingetragen. Dabei ging er irrtümlich davon aus, dass das Schriftstück am 10.5.2002 ihm wie üblich am Tag der Zustellung auch vorgelegt wurde. Dadurch ist ihm jedoch das Versehen unterlaufen, dass er, nachdem er am 10.5.2002 den Posteingang von diesem Tag bearbeitete, die sechswöchige Frist beginnend ab diesem Tag, somit unrichtig endend am 21.6.2002 eingetragen hat. Dieses Versehen wurde erst nach der Postaufgabe am 21.6.2002 bemerkt und zwar anlässlich der Einordnung des postamtlichen Aufgabescheins.

Da dieser Fehler meines Vertreters auf den oben dargestellten besonderen Umständen beruht, er seit 1979 eingetragener Anwalt ist und ihm ein derartiger oder vergleichbares Versehen vorher noch nie unterlaufen ist, stellt dies einen minderen Grad seines Verschuldens dar. Für mich ist dieses Versehen meines Vertreters ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis, das mich an der fristgerechten Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gehindert hat."

Über diesen Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. e VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - unter anderem - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters wird nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einem Verschulden des Vertretenen gleichgesetzt und somit der Partei zugerechnet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 2000/20/0436, mwN, das auch auf die Besonderheiten des Asylverfahrens Bedacht nimmt). Eine Fristversäumnis auf Grund eines Versehens von Kanzleiangestellten - oder von Rechtsanwaltsanwärtern - beruht auf einem Verschulden des Rechtsanwaltes, wenn dieser die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat, wobei ein dabei unterlaufenes Versehen minderen Grades nicht schadet. Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt ist. Zu beurteilen ist demnach das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst. Dieser darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht grob schuldhaft außer Acht gelassen haben (vgl. etwa zuletzt den hg. Beschluss vom 16. Mai 2002, Zlen. 2002/20/0226, 0227, mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Wiedereinsetzungsantrag in Ansehung der Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Sorgfalts- und Überwachungspflicht zu substantiieren, widrigenfalls eine Beurteilung dahin, dass dem Rechtsanwalt bloß ein Versehen minderen Grades zur Last liegt, nicht möglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 2000/08/0214, mwN).

Das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich dahin verstehen, der Kanzleibetrieb des Verfahrenshelfers sei derart organisiert, dass einlangende Schriftstücke (nach Erfassung im EDV-System) dem Rechtsanwalt noch am selben Tag zur Kontrolle der von der Kanzleikraft im Fristvormerkkalender eingetragenen Frist und zur allfälligen weiteren Bearbeitung vorgelegt werden. Entgegen dieser "ständigen Administration im Sekretariat" sei jedoch die "EDV-Erfassung" und Aktenvorlage an den Rechtsanwalt nicht am Zustelltag, dem 8. Mai 2002, sondern tatsächlich erst am 10. Mai 2002 erfolgt und darüber hinaus die Berechnung der Beschwerdefrist und deren Eintragung im Fristvormerkkalender von der Kanzleikraft unterlassen worden. Ausgehend von der (irrtümlichen) Annahme des Rechtsanwaltes, die erwähnte übliche Vorgangsweise sei auch im vorliegenden Fall eingehalten worden, habe er bei der (erst) durch ihn vorgenommenen Berechnung des Endes der Beschwerdefrist unterstellt, der 10. Mai 2002 sei der Tag der Zustellung gewesen.

Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag können aber weder die Gründe für diese "ausnahmsweise" Behandlung der gegenständlichen Schriftstücke durch die Kanzleikraft entnommen werden, noch wird dargelegt, welches Kontroll- oder Überwachungssystem besteht, um in solchen Fällen nicht - geradezu zwingend - zu einer unrichtigen Fristberechnung durch den Rechtsanwalt zu kommen. Insbesondere ergibt sich aus dem Vorbringen nicht, dass auf den einlangenden Schriftstücken - wie sonst (nicht nur) in Rechtsanwaltskanzleien üblich - am Tag der Zustellung eine Eingangsstampiglie angebracht wird. (Auf der dem Verfahrenshelfer zugestellten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides befinden sich zwar Vermerke, die jedoch auf der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kopie nicht leserlich sind.) Sollte dieser Vorgang nicht erwähnt worden sein, weil er selbstverständlich ist, so bliebe aber völlig im Dunkeln, warum bei der Berechnung der Beschwerdefrist nicht auf dieses Datum, sondern auf den Tag der Vorlage des Aktenstückes abgestellt wurde. Gleiches gilt für den Fall, dass der Zeitpunkt der Zustellung sonst - etwa in dem erwähnten Fristvormerkkalender oder im EDV-System - in Evidenz gehalten wird. Angemerkt sei aber, dass offenbar eine solche Aufzeichnung über das Zustelldatum bestehen muss, weil nunmehr im Wiedereinsetzungsantrag - in der Beschwerde war das Zustelldatum ursprünglich nicht enthalten - der (richtige) Tag der Zustellung angegeben wurde und weil dessen Kenntnis auch Voraussetzung für das Erkennen der unrichtigen Fristberechnung und der Notwendigkeit zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages ist.

Sollte aber - entgegen diesen Annahmen - ein solcher Vermerk über den Zeitpunkt der Zustellung doch nicht bestanden haben, so läge aber ebenfalls eine Sorgfaltspflichtverletzung, die den minderen Grad des Versehens übersteigt, vor, wenn der Rechtsanwalt der - erst durch ihn vorzunehmenden und nicht bloß nachprüfend zu kontrollierenden - Fristberechnung ohne weiteres den Tag der Aktenvorlage zugrundegelegt hat. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die unterlassene Beschwerdefristberechnung durch die Kanzleikraft ein Indiz für die Abweichung von der üblichen Behandlung der Aktenstücke war, was den Rechtsanwalt zu erhöhter Aufmerksamkeit hätte veranlassen müssen.

Der Antrag war daher mangels Darlegung, dass die Versäumung der Frist auf einen bloß minderen Grad des Versehens beruht, abzuweisen.

Wien, am 18. Juli 2002

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