VwGH 97/18/0311

VwGH97/18/031127.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über den Antrag der am 26. Jänner 1956 geborenen L B in Wien, vertreten durch Dr. Rainer Maria Schilhan, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Tuchlauben 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. Oktober 1996, Zl. SD 633/96, betreffend Ausweisung, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Begründung

1. Mit hg. Beschluss vom 17. April 1997, Zl. 97/18/0030, wurde das Verfahren über die Beschwerde der Antragstellerin gegen den oben bezeichneten Bescheid gemäß § 34 Abs. 2 und § 33 Abs. 1 VwGG eingestellt, weil die Antragstellerin dem Mängelbehebungsauftrag vom 30. Jänner 1997 nicht nachgekommen ist.

2. In dem nunmehr gestellten Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird ausgeführt, es sei auf ein Versehen des Kanzleileiters des Rechtsvertreters der Antragstellerin zurückzuführen, dass diese dem Mängelbehebungsauftrag nicht nachgekommen sei. Der Kanzleileiter sei seit 1989 Angestellter der Kanzlei des Rechtsvertreters und erbringe seit damals verlässlich und fehlerlos seine Arbeitsleistungen, sodass er bereits seit mehreren Jahren die Vorkalendierung von Fristen besorge. Trotz seiner Verlässlichkeit würden Posteingang und Fristenvormerk immer von einem der beiden Juristen überprüft und zwar dergestalt, dass sämtliche Eingangspost nach der Vorkalendierung mit dem großen Kanzleikalender, in dem die Fristvormerkung vorgenommen werde, verglichen werde. Im vorliegenden Fall habe aber auch die am 3. und 4. April (1997) getätigte Überprüfung nicht greifen können, weil dem Rechtsvertreter und seinem Substituten nicht bekannt gewesen sei, dass ein Poststück (Konvolut) mehr eingelangt sei, als die Postmappe aufgewiesen habe. Auch sorgfältigste Kanzleiorganisation und genaue Kontrolle könnten einen solchen Fehler, der das erste Mal vorgekommen und auf weisungswidriges Verhalten von Angestellten zurückzuführen sei, im vorhinein nicht gänzlich ausschließen. Am 31. Jänner 1997 habe den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ein Fax des Verwaltungsgerichtshofs erreicht, mit dem einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss stattgegeben worden sei. In diesem Beschluss auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung seien jedoch noch andere Schriftstücke "angelegt" gewesen, nämlich ein Auftrag zur Mängelbehebung (Vorlage eines dritten Beschwerdeschriftsatzes) vom 30. Jänner 1997 sowie die Bescheidbeschwerde (2-fach) und der angefochtene Berufungsbescheid (ebenfalls 2-fach). Am 3. Februar 1997 sei die Post von einer näher genannten verlässlichen Kanzleimitarbeiterin, die seit 1987 in der Kanzlei angestellt sei, geöffnet worden. Nicht mehr feststellbar sei, ob die an diesem Tag vom Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftstücke schon im Verwaltungsgerichtshof zusammengeheftet worden seien oder von der genannten Kanzleimitarbeiterin. Jedenfalls seien die Schriftstücke so geheftet gewesen, dass zuoberst die "Stattgabe des Beschlusses" auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung "gebunden" gewesen sei, und erst darunter der Auftrag zur Mängelbehebung. Die Kanzleimitarbeiterin habe die Post - wie es nach allgemeiner Weisung in der Kanzlei unbedingt zu erfolgen habe - in die Posteingangsmappe gelegt. Dort habe die Post zu verbleiben, bis der Kanzleileiter die Vorkalendierung besorge. Jedem Kanzleiangestellten sei es streng untersagt, eingegangene Poststücke aus der Eingangspostmappe zu entfernen, bevor ein Jurist diese gesehen und die Vorkalendierung des Kanzleileiters überprüft habe. Am 3. Februar 1997 habe der Kanzleileiter die Postmappe an sich genommen, um die Vorkalendierung durchzuführen. In dem am 3. Februar 1997 eingelangten Schriftstück habe dieser nun das gleiche zu erkennen geglaubt, das bereits am 31. Jänner 1997 per Fax in der Kanzlei eingelangt gewesen sei. Am 3. Februar 1997 habe den Verfahrenshelfer dann der gleiche Beschluss per Post erreicht. Ohne weiteres habe der Kanzleileiter das Konvolut ergriffen und es ohne Kalendierung in den Handakt abgelegt, ohne die Durchsicht der Postmappe durch einen Juristen abzuwarten oder auch nur zu bemerken, dass dieses Konvolut auch Schriftstücke enthalten habe, die über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinausgegangen seien. Er habe dies (wie schon erwähnt) im irrigen Glauben getan, dass es sich bei dem am 3. Februar 1997 eingelangten Schriftstück um genau die gleiche Post gehandelt habe, die bereits am 31. Jänner 1997 per Fax eingegangen sei, was keiner Kalendierung bedurft habe.

3.1. Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss eines verstärkten Senats vom 21. Juni 1988, Zl. 87/07/0049) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch gegen die unvollständige Erfüllung eines verwaltungsgerichtlichen Verbesserungsauftrages zulässig ist.

3.2. Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt muss den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem im Grund des § 46 Abs. 1 leg. cit. als Verschulden zuzurechnen, wenn ihm ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden bei der Auswahl oder erforderlichen Überwachung der Hilfsperson vorzuwerfen wäre (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1998, Zl. 97/20/0693, u.a. unter Hinweis auf die hg. Beschlüsse eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Zl. 265/75 (Slg. Nr. 9024/A), und vom 19. Jänner 1977, Zl. 1212/96 (Slg. Nr. 9226/A)). Der Rechtsanwalt darf daher die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten nicht unterlassen haben (vgl. hiezu - sowie zum Folgenden - den hg. Beschluss vom 18. Dezember 2000, Zl. 2000/18/0229). Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation des Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch eine entsprechende Kontrolle u. a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Die Überwachungspflicht in Bezug auf die richtige Vormerkung von Fristen ist auch dann gegeben, wenn der mit der Führung des Fristvormerkes betraute Kanzleibedienstete überdurchschnittlich qualifiziert und verlässlich ist und es auch nach langjähriger einschlägiger Tätigkeit bisher nicht zu Fehlleistungen bzw. Beanstandungen gekommen sein soll. Die bloß stichprobenartige Überprüfung der Eintragungen in einen Fristvormerk ist nicht ausreichend.

4. Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich das Vorbringen der Antragstellerin (vgl. oben 2.) als zielführend. Zunächst deutet im vorliegenden Fall nichts auf ein Verschulden des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin bei der Auswahl des Kanzleileiters hin. Aus dem glaubwürdigen Vorbringen ergibt sich ferner, dass in der Kanzlei des Rechtsvertreters zur Vermeidung von Fehlleistungen bei der Kalendierung von Eingangsstücken ein Kontrollsystem dahingehend besteht, dass sämtliche in der Kanzlei einlangenden Eingangsstücke in die Posteingangsmappe zu legen sind, anhand welcher die vom Kanzleileiter vorgenommene Vorkalendierung dann vom Rechtsvertreter bzw. von dessen Substituten überprüft wird. Dieses an sich zur Sicherstellung des fristgerechten Setzens erforderlicher Prozesshandlungen geeignete System wurde (ebenfalls glaubwürdig dargetan) im vorliegenden Fall durch das regelwidrige Verhalten des Kanzleileiters nicht wirksam, ohne dass ein Anhaltspunkt dafür bestünde, dass der Rechtsvertreter die ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Genannten unterlassen hätte. Die Ausführungen unter 3. betreffend die Führung des Fristvormerkes greifen im vorliegenden Fall nicht, weil es hier nicht um die mangelhafte Führung dieses Vormerks, sondern um die - manipulative - Erfassung der in die Kanzlei des Rechtsvertreters einlaufenden Post geht.

5. Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 Abs. 1 und 4 VwGG stattzugeben.

6. Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren nun gemäß § 46 Abs. 5 VwGG in jene Lage zurück, in der es sich vor Eintritt der Versäumung befunden hat. Diesbezüglich wird auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag betreffend die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den im Spruch genannten Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. Oktober 1996 hingewiesen.

Wien, am 27. November 2001

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