Normen
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG wird nicht stattgegeben.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. Oktober 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14.Juli 1998 abgewiesen. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verfahrenshilfe an den Verwaltungsgerichtshof.
Mit Beschluß vom 29. Juli 1998 bewilligte der Verwaltungsgerichtshof dem Beschwerdeführer gemäß § 61 VwGG die Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid des Bundesministers für Inneres.
Der Bestellungsbescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien vom 4. August 1998 wurde dem Verfahrenshelfer am 11. August 1998 zugestellt. Der Verfahrenshelfer des Beschwerdeführers erhob sodann am 23. September 1998 Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die sechswöchige Beschwerdefrist hatte jedoch schon am 22. September 1998 geendet.
Am 2. Oktober 1998 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Verfahrenshelfer in derselben Sache einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG und beantragte weiters die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 VwGG.
In seinem Wiedereinsetzungsantrag brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß sein Verfahrenshelfer am 21. September 1998 von der mit der Führung des Fristenbuches betrauten Kanzleikraft schriftlich an die am 22. September 1998 endende Beschwerdefrist erinnert worden sei. Dieser habe noch am Vormittag des 21. September zwei mit 21. September datierte Ausfertigungen der Beschwerde unterzeichnet und diese samt der Rubrik seiner Sekretärin mit der ausdrücklichen Anordnung übergeben, die Beschwerde noch am 21. September 1998 abzufertigen, da am 22. September die Beschwerdefrist ende. Als Überbringungsmodus der Beschwerde sei die persönliche Übergabe der Beschwerde an die Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes vorgesehen gewesen. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus dem im Adressatenfeld der Beschwerde enthaltenen Vermerk "wird überbracht". Aufgrund des außerordentlichen Arbeitsanfalles am 21. September 1998 habe die Sekretärin übersehen für die Überbringung noch am selben Tag zu sorgen.
In diesem Zusammenhang sei vorauszuschicken, daß nach der Kanzleiorganisation des Verfahrenshelfers des Beschwerdeführers das persönliche Überbringen sowie die eigentliche Postaufgabe von Schriftsätzen von einem Kanzleiboten durchgeführt werde.
Als die Sekretärin des Beschwerdevertreters am Vormittag des 22. September 1998 im Begriff gewesen sei, die unterzeichnete Beschwerde an den Kanzleiboten zwecks Überbringung zu übergeben, habe sie vermeint, auf der Beschwerde ein unrichtiges kanzleiinternes, lediglich der Kostenverzeichnung dienendes Aktenzeichen zu erkennen. Eigenmächtig und ohne Rücksprache habe die Sekretärin das vermeintlich falsche Aktenzeichen ausgebessert. Sie habe zu diesem Zweck das unterzeichnete Textblatt der Beschwerde durch ein von ihr in der Aktenzahl und dem Datum (22. September statt 21. September) geändertes ersetzt. Zu einem solchen Vorgehen sei sie jedoch keinesfalls ermächtigt gewesen, weder durch die interne Kanzleiordnung noch durch ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Während ihrer nunmehr fast dreijährigen Tätigkeit sei dies der erste Fall, in dem die Sekretärin einen unterzeichneten Schriftsatz ohne Wissen des Beschwerdevertreters abgeändert habe.
Da infolge des Austausches das Deckblatt keine anwaltliche Unterschrift aufgewiesen habe, habe die Sekretärin den Vertreter des Beschwerdevertreters (letzterer habe an diesem Tag in Kufstein geweilt) um anwaltliche Unterzeichnung des lediglich aus kanzleiinternen Gründen formal abgeänderten Deckblattes ersucht. Bei diesem Anlaß sei die Sekretärin vom Vertreter des Beschwerdevertreters auf das bevorstehende Ende der Beschwerdefrist aufmerksam gemacht und ausdrücklich angewiesen worden, die Beschwerde unbedingt noch an diesem Tag zu überbringen. In der Folge habe die Sekretärin die unterzeichnete Beschwerde in ein Kuvert mit Sichtfenster gegeben, wodurch sich zweifelsfrei ergeben habe, daß diese Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu überbringen sei.
Da der Kanzleibote zu dem Zeitpunkt, als die Sekretärin ihm das Kuvert persönlich übergeben habe wollen, gerade Botengänge außerhalb der Kanzlei besorgt habe, habe ihm die Sekretärin dieses Kuvert deutlich und sofort sichtbar gegen 14.00 Uhr zu der von ihm zu überbringenden bzw. aufzugebenden Tagespost gelegt. Danach habe sie entsprechend der kanzleiüblichen Fristenkontrolle den Fristeintrag für die Beschwerde im Fristenbuch ausgestrichen.
Zweifel, daß der Kanzleibote die Beschwerde nicht mehr am 22. September 1998 an den Verwaltungsgerichtshof überbringen könnte, habe die Sekretärin keine gehabt, denn sie habe gewußt, daß der Kanzleibote seinen ersten nachmittäglichen Routinepostgang um etwa 14.00 Uhr beginnen würde. Ebenso sei im Anwesenheitsbuch als Zeitpunkt für die Rückkehr des Kanzleiboten "spätestens 14.00 Uhr" vorgemerkt gewesen, so daß der Sekretärin ein fristgerechtes Überbringen der Beschwerde jedenfalls gewährleistet erschienen sei. Nachdem sie die Beschwerde für den Kanzleiboten hinterlegt gehabt habe, habe sie ihren Arbeitstag beendet und die Kanzlei verlassen.
Tatsächlich sei der Kanzleibote aufgrund unerwarteter Verkehrsprobleme erst kurz vor 15.00 Uhr in die Kanzlei zurückgekommen. Zwar habe er das Kuvert mit der gegenständlichen Beschwerde gesehen, doch sei ein Überbringen der Beschwerde an die ab 15.00 Uhr geschlossene Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes nicht mehr möglich gewesen. Da er aufgrund des durch das Sichtfenster lesbaren Vermerkes "wird überbracht" davon ausgegangen sei, daß die Beschwerde jedenfalls zu überbringen sei, und er auch sonst keinen Hinweis erkennen habe können, daß die Beschwerdefrist noch an diesem Tag enden würde, habe er nicht daran gedacht, zur Fristwahrung die Beschwerde noch am selben Tag postalisch an den Verwaltungsgerichtshof zu übermitteln.
Der Kanzleibote habe daher die Beschwerde erst am 23. September 1998 in der Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes eingebracht. Bei der Kontrolle der leistungsmäßigen Erfassung der Beschwerde am 23. September 1998 habe der Beschwerdevertreter zu seinem Erstaunen festgestellt, daß die eingebrachte Beschwerde nicht von ihm unterschrieben und mit dem 22. September 1998 datiert gewesen sei. Im Zuge weiterer Nachforschung habe sich ergeben, daß die Beschwerde aufgrund der geschilderten Umstände erst am 23. September 1998 und somit verspätet bei der Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes eingebracht worden sei.
Die Versäumung der Beschwerdefrist durch seinen Vertreter sei für den Beschwerdeführer weder vorauszusehen gewesen noch habe er die Möglichkeit gehabt, sie abzuwenden. Ihn selbst treffe somit keinerlei Verschulden an der Fristversäumung. Zwar sei ein Verschulden seines Vertreters seinem Verschulden gleichzusetzen, eine Wiedereinsetzung komme aber sehr wohl in Betracht, da seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden könne. Ein Versehen der Kanzleikraft des Vertreters dürfe diesem nur dann als Verschulden angelastet werden, wenn er die für einen Rechtsanwalt zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen habe.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.
Wie der Beschwerdeführer selbst vorbringt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Dies gilt auch für ein Verschulden eines zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwaltes (vgl. den hg. Beschluß vom 18. Februar 1991, 90/19/0572, 0573). Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen (vgl. den hg. Beschluß vom 8. August 1996, Zlen. 96/14/0072, 0078).
Wie der Beschwerdeführer richtig vorbringt, ist ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes letzterem (und damit auch der Partei) wiederum nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber den Angestellten unterlassen hat.
Weiters ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers auch insoweit zuzustimmen, als nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Fehler, der einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe unterläuft, ein unvorhergesehenes Ereignis darstellt. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulative Tätigkeit tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen (vgl. den hg. Beschluß vom 20. Juni 1990, 90/13/0136).
Im gegenständlichen Fall ist allerdings der Grund für die verspätete Einbringung der Beschwerde nicht ausschließlich im fehlerhaften Verhalten eines Kanzleiangestellten des Beschwerdevertreters zu suchen. Es mag zwar richtig sein, daß die Sekretärin weisungswidrig die Beschwerde nicht am 21. September 1998 abfertigte und in weiterer Folge auch eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem Beschwerdevertreter das Deckblatt der Beschwerde austauschte, dies alles war aber nicht der eigentliche Grund für die verspätete Einbringung der Beschwerde. Wie der Beschwerdeführer selbst vorbringt, änderte die Sekretärin das Deckblatt (aus den oben angeführten Gründen) und ließ es am Vormittag des 22. September 1998 unterfertigen. Dabei wies sie der Vertreter des Verfahrenshelfers nach Angaben des Beschwerdeführers noch einmal darauf hin, daß die Beschwerde zur Wahrung der Frist noch am selben Tag einzubringen sei. Daraufhin kuvertierte die Sekretärin die Beschwerde und legte das Kuvert deutlich und sofort sichtbar zur vom Kanzleiboten zu überbringenden bzw. aufzugebenden Tagespost. Dadurch aber, daß der Kanzleibote später als vorgesehen, nämlich erst kurz vor 15.00 statt um 14.00 Uhr aufgrund von "unerwarteten" Verkehrsproblemen in die Kanzlei zurückkam, konnte er - so die Behauptung im Wiedereinsetzungsantrag - die Beschwerde, die zur persönlichen Überbringung an die Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes bestimmt war, nicht mehr an diesem Tag überbringen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von einem bloß minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 VwGG dann nicht mehr gesprochen werden, wenn in der Kanzlei eines berufsmäßigen Vertreters Organisationsmängel vorliegen, wodurch die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion
sanktionierten - Prozeßhandlungen, wie etwa die fristgerechte Einbringung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, nicht gewährleistet ist, wenn das Kontrollsystem in diesem Sinne unzureichend ist oder wenn das Bestehen einer solchen Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1993, Zl. 92/15/0100).
Im gegenständlichen Fall erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Kanzleiorganisation des Beschwerdevertreters als dahingehend mangelhaft, daß der Kanzleibote keine Anweisung hatte, was zu tun ist, wenn Schriftstücke, die unter "Tagespost" abgelegt sind, infolge einer - allenfalls verkehrsbedingten - Verspätung nicht mehr überbracht werden können. Der Beschwerdeführer bringt auch nicht vor, daß in der Kanzleiorganisation seines Verfahrenshelfers bei Eintragung des voraussichtlichen Rückkehrtermins des Boten darauf bereits Rücksicht genommen worden wäre. Die Erteilung einer entsprechenden Instruktion an den Boten für den Verspätungsfall wäre daher geboten gewesen. Eine solche Anweisung, die etwa darin bestehen könnte, bei Unmöglichkeit der Überbringung aufgrund einer Verspätung das Schriftstück zur Post zu geben, bestand offensichtlich nicht. Jedenfalls sind keine Hinweise auf eine solche Anweisung im gegenständlichen Antragsvorbringen enthalten. Bei einer entsprechenden Anweisung des Kanzleiboten, wäre es aber problemlos möglich gewesen, die Beschwerde fristgerecht einzubringen.
Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend macht, der Bote habe sich deshalb nicht veranlaßt gesehen, weitere Schritte zu unternehmen, weil die Kanzleiangestellte das Schriftstück nicht mit einem Hinweis auf das Fristende am gleichen Tag versehen habe, so ist ihm zu entgegnen, daß dem Antragsvorbringen auch nicht zu entnehmen ist, daß die Kanzleiangestellte angewiesen gewesen wäre, einen derartigen Hinweis zu setzen und der Bote gehalten gewesen wäre, im Falle des Vorliegens eines solchen Hinweises geeignete Maßnahmen - wie etwa Postaufgabe - in Angriff zu nehmen.
Da aber eine entsprechende Anweisung des Kanzleiboten in diesem Sinne nach dem Antragsvorbringen nicht bestand, ist dem Verfahrenshelfer ein Organisationsverschulden anzulasten, welches den minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG übersteigt.
Deshalb erweist sich der Wiedereinsetzungsantrag als unberechtigt.
Da eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand somit nicht stattfindet, war die Beschwerde wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß §34 Abs.1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen.
Wien, am 13. November 1998
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