VwGH 98/14/0057

VwGH98/14/005728.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Tirol gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 25. Februar 1998, RV-292.97/1-T7/97 , betreffend Umsatzsteuer 1996 (mitbeteiligte Partei: K K in A), zu Recht erkannt:

Normen

UStG 1972 §21 Abs6;
UStG 1994 §1 Abs1 Z1;
UStG 1994 §1 Abs1 Z2;
UStG 1994 §4 Abs1;
UStG 1994 §4 Abs10;
UStG 1994 §4 Abs8;
UStG 1994 §6 Abs1 Z27;
UStG 1972 §21 Abs6;
UStG 1994 §1 Abs1 Z1;
UStG 1994 §1 Abs1 Z2;
UStG 1994 §4 Abs1;
UStG 1994 §4 Abs10;
UStG 1994 §4 Abs8;
UStG 1994 §6 Abs1 Z27;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

In der Umsatzsteuererklärung für 1996 gab die Mitbeteiligte einen Umsatz von 364.850 S (aus der Tätigkeit als selbständige Keramikerin) an. Ausgehend von der Rechtsauffassung, es lägen gemäß § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 unecht befreite Umsätze eines Kleinunternehmers vor, wies sie keine Zahllast aus.

Das Finanzamt setzte Umsatzsteuer für 1996 in Höhe von 37.434 S - unter Schätzung von Vorsteuern - mit Bescheid fest. Zur Begründung führte es aus, die Umsätze hätten die Freigrenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 überschritten.

Die Mitbeteiligte erhob Berufung. Die Umsatzfreigrenze von 345.000 S (dieser Betrag ergibt sich bei Berücksichtigung des Toleranzwertes von 15 %) sei mit dem erzielten Nettoumsatz von 304.041,47 S nicht überschritten. In der Vergangenheit hätten die Umsätze die Grenze von 300.000 S niemals überschritten.

Mit Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Die Umsatzgrenze von 300.000 S stelle einen Bruttobetrag dar.

Die Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge. Es sei zu beurteilen, ob es sich bei der Umsatzgrenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 um einen Betrag mit Umsatzsteuer oder um einen Betrag ohne Umsatzsteuer handle. Die genannte Bestimmung verweise auf Umsätze iSd § 1 Abs 1 Z. 1 und 2 UStG 1994. Gemäß § 4 Abs. 10 UStG 1994 gehöre die Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage. Auch nach der Systematik und Terminologie des UStG 1994 sei der Betrag als Nettobetrag anzusehen.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die gemäß § 292 vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art 24 der EG-Richtlinie 77/388/EWG (im folgenden: 6. EG-RL) räumt den Mitgliedstaaten das Recht ein, für Unternehmer, deren Jahresumsatz eine bestimmte Größe (idR 5.000 ECU) nicht übersteigt, eine Steuerbefreiung vorzusehen. Dabei gilt gemäß § 24 Abs. 4 der Richtlinie als Umsatz der Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen abzüglich der darauf entfallenden Mehrwertsteuer, soweit diese besteuert werden, und einschließlich bestimmt bezeichneter (idR steuerfreier) Umsätze, wie etwa der Ausfuhrumsätze.

Für Österreich wird die gemeinschaftsrechtliche Situation durch den Beitrittsvertrag samt der Beitrittsakte modifiziert. Punkt IX zu Anhang XV der Beitrittsakte sieht vor, daß Österreich bei Anwendung von Art 24 Abs. 2 bis 6 der 6. EG-RL eine Steuerbefreiung für jene Steuerpflichtigen vorsehen darf, deren Jahresumsatz geringer ist als 35.000 ECU (vgl. Kolacny, SWK 1994 A 374; Zorn, RdW 1994, 326).

Gemäß § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 sind die Umsätze der Kleinunternehmer unecht befreit. Kleinunternehmer ist ein Unternehmer, der im Inland einen Wohnsitz oder Sitz hat und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 im Veranlagungszeitraum 300.000 S nicht übersteigen. Bei dieser Umsatzgrenze bleiben die Umsätze aus Hilfsgeschäften einschließlich der Geschäftsveräußerung außer Ansatz. Das einmalige Überschreiten der Umsatzgrenze um nicht mehr als 15 % innerhalb eines Zeitraumes von fünf Kalenderjahren ist unbeachtlich.

Umsätze iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 UStG 1994 erfassen Lieferungen und sonstige Leistungen (Z. 1) sowie den Eigenverbrauch (Z. 2).

Gemäß § 4 Abs. 1 UStG 1994 wird der Umsatz im Falle des § 1 Abs. 1 Z. 1 nach dem Entgelt bemessen. Gemäß § 4 Abs. 8 UStG 1994 bemißt sich der Umsatz im Fall des § 1 Abs. 1 Z. 2 u.a. nach dem Einkaufspreis oder nach den auf die Nutzung entfallenden Kosten. Gemäß § 4 Abs. 10 UStG 1994 gehört die Umsatzsteuer nicht zur Bemessungsgrundlage.

Die Grenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 (300.000 S) stellt auf die Bemessungsgrundlage für die Umsätze ab. Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob das Gesetz auf die Umsätze bei angenommener Steuerpflicht oder auf die Umsätze bei angenommener Steuerbefreiung für Kleinunternehmer abstellt. Dabei kann nach dem Wortlaut des Gesetzes keiner der beiden Lösungen der Vorzug gegeben werden.

Da wegen der Steuerbefreiung des § 6 Abs. Z. 27 UStG 1994 Umsätze bis 300.000 S - vom Verzicht auf die Befreiung iSd § 6 Abs. 3 UStG 1994 abgesehen - keine Umsatzsteuerpflicht nach sich ziehen, sind bis zu dieser Grenze die Umsätze identisch mit den gesamten Entgelten. Ist die Grenze überschritten, setzt sich hingegen der Preis aus Nettoentgelt und Umsatzsteuer zusammen. Wachsen die Einnahmen des Kleinunternehmers über den Betrag von 300.000 S und sodann - bei Vorliegen von dem Normalsteuersatz unterliegenden Umsätzen - bis zum Betrag von 360.000 S, so führt die Rechtsansicht, die in Rede stehende Umsatzgrenze sei bei unterstellter Steuerbefreiung zur Anwendung zu bringen, zu dem Ergebnis, daß eine Umsatzsteuerbemessungsgrundlage von 300.000 S und ein Umsatzsteuerbetrag von 60.000 S anzunehmen sind (vgl. Ruppe, UStG 1994, § 6 Tz 460). Die Rechtsansicht, die Umsatzgrenze spreche die Bemessungsgrundlage bei unterstellter Steuerpflicht an, läßt hingegen - bei Umsätzen zum Normalsteuersatz - die Grenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 erst bei Einnahmen von mehr als 360.000 S übersteigen.

Eine Lösung der Rechtsfrage ergibt sich aus systematischen Überlegungen: Die Steuerbefreiung stellt die in § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 normierte Rechtsfolge dar. Die Voraussetzungen der Rechtsfolge sind dabei zu prüfen, ohne die Rechtsfolge als Ergebnis vorwegzunehmen. Zu diesen Voraussetzungen gehört, daß die Umsätze die Grenze von 300.000 S nicht übersteigen. Für die Berechnung der Umsätze ist sohin nicht von der Steuerbefreiung für Kleinunternehmer sondern von der Besteuerung nach den allgemeinen Regelungen auszugehen.

Hätte der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 die gesamten Einnahmen ansprechen wollen, wäre es im übrigen naheliegend gewesen, daß er sich im Hinblick auf § 4 Abs. 10 UStG 1994 eines anderen Begriffes als jenes der Umsätze bedient und damit eine bereits dem Wortlaut nach eindeutige Bestimmung geschaffen hätte. Auch dieser Umstand spricht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes für die Auslegung, daß die Umsatzgrenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 auf die Bemessungsgrundlage bei unterstellter Steuerpflicht abstellt.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht aber auch, daß die Regelung des österreichischen UStG aufgrund der oben angeführten Ermächtigung in der Beitrittsakte ergangen ist und eine Auslegung aus der Sicht dieser Ermächtigung angestellt werden kann. Die Ermächtigung verweist nämlich u.a. auf Art. 24 Abs. 4 der 6. EG-RL; gerade diese Bestimmung legt aber den für die Umsatzgrenze maßgeblichen Umsatz dahingehend fest, daß aus dem Entgelt für - bei Außerachtlassung der Sonderregelung für Kleinunternehmer - steuerpflichtige Umsätze der Mehrwertsteuerbetrag in Abzug zu bringen ist. Wenn die 6. EG-RL die Umsatzgrenze für Kleinunternehmer unter der Annahme der Steuerpflicht festlegt, so liegt es nahe, daß sich das in Umsetzung der Richtlinie ergangene UStG 1994 derselben Technik bedient hat. Dem steht nicht entgegen, daß bereits das UStG 1972 seit der Novellierung durch das Steuerreformgesetz 1993, BGBl. 818, eine wortgleiche Regelung enthielt, zumal sich aus den seinerzeitigen Gesetzesmaterialien ergibt, daß mit der Novellierung der Konzeption des EG-Rechts entsprochen werden sollte (1237 BlgNR 18 Gp 41).

Den erwähnten Gesetzesmaterialien (1237 BlgNR 18 Gp 76) ist im übrigen auch zu entnehmen:

"Die bisherige Bagatellgrenze des § 21 Abs. 6 wird zu einer unechten Steuerbefreiung umgestaltet. Die Bagatellgrenze wird von 40.000 S auf 300.000 S angehoben. Damit wird eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung erreicht."

Auch diese Formulierung spricht für das oben dargestellte Auslegungsergebnis, weil die 40.000 S der Stammfassung des UStG unzweifelhaft als Nettobetrag anzusehen sind (vgl. Kranich/Siegl/Waba, UStG 1972, § 21 Anm. 57).

Der beschwerdeführende Präsident vertritt mit Kolacny/Mayer, UStG 1994, § 6 Anm. 39s, die Auffassung, die gesamten vereinbarten bzw vereinnahmten Beträge einschließlich Umsatzsteuer rechneten auf die Grenze des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994. Das Gesetz spreche nämlich von Umsätzen der Kleinunternehmer und somit von steuerfreien Umsätzen. Dieses Vorbringen berücksichtigt allerdings nicht, daß die Frage nach der Einhaltung der maßgeblichen Umsatzgrenze - wie oben ausgeführt wird - vorrangig zu lösen ist; diese Einhaltung stellt nämlich die Voraussetzung für die Anwendung der Steuerbefreiung als Kleinunternehmer dar.

Somit erweist sich die Beschwerde als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Wien, am 28. Oktober 1998

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