VwGH 97/18/0512

VwGH97/18/051215.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über den Antrag des M Y in Wien, vertreten durch Dr. Veronika Cortolezis, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Neutorgasse 9/10, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Juli 1997, Zl. SD 1258/96, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 lita impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 lita impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag wird stattgegeben.

Begründung

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Juli 1997 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreterin am 7. August 1997 zugestellt. Die Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde endete somit am 18. September 1997.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, am 2. Oktober 1997 persönlich überreichte Beschwerde, mit der ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde verbunden ist.

Der Beschwerdeführer begründet diesen Antrag im wesentlichen wie folgt:

Die Bescheidbeschwerde sei von der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers am 17. September 1998 diktiert worden. Am folgenden Tag sei der Schriftsatz von einer Mitarbeiterin ins Reine geschrieben, von der Rechtsvertreterin korrekturgelesen und nach Ausbesserung der Korrekturen auch unterzeichnet worden. Am gleichen Tag habe die Rechtsvertreterin für eine namentlich genannte Rechtsanwaltskanzlei in Wien I, eine Substitution übernommen. Da die Kanzleien nur zwei Häuserblöcke von einander entfernt seien, würden die Substitutionsakten von den Mitarbeitern jeweils persönlich abgegeben und nicht per Post geschickt. Von der Rechtsvertreterin sei der Substitutionsbericht an den genannten Rechtsanwalt noch am selben Tag fertiggestellt worden, sodaß die für die Post verantwortliche Mitarbeiterin vorerst beabsichtigt habe, den Akt doch noch am selben Tag in dieser Kanzlei vorbeizubringen. Dies, nachdem sie die sonstige Post samt der gegenständlichen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof am Postamt 1013 Wien, Wertertorgasse, aufgegeben hatte. Aus zeitlichen Gründen, es sei schon kurz vor 18.00 Uhr gewesen, die Kanzlei des substituierenden Anwaltes sei jedoch nur bis 17.30 Uhr verläßlich besetzt, habe sich die Mitarbeiterin entschlossen, den betreffenden Akt erst am nächsten Tag in die genannte Anwaltskanzlei zu bringen. Sie habe daher den betreffenden Akt doch in der Kanzlei gelassen. Unglücklicherweise sei unter diesen Akt jedoch die bereits kuvertierte und frankierte gegenständliche Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gerutscht. Erst am nächsten Tag habe die Mitarbeiterin das Mißgeschick entdeckt, als sie wie jeden Morgen die Einschreibzettel zu den jeweiligen Akten habe heften wollen. Diese Mitarbeiterin sei überaus verläßlich und genau. Es sei dies das erste Mal gewesen, daß ein derartiges Mißgeschick passiert sei. Auch in diesem Fall sei sie davon ausgegangen, sämtliche "Fristen" wie gewohnt gewissenhaft zur Post gebracht zu haben.

Die Rechtsvertreterin des Antragstellers sei davon ausgegangen, daß die von ihr unterschriebene Beschwerde auch tatsächlich zur Post gegeben worden sei. Mit der Mitarbeiterin sei klar vereinbart worden, daß sie sämtliche "Fristen" des Tages zur Post zu bringen und vor dem Verlassen der Kanzlei dies auch nochmals zu überprüfen habe. Bis zu diesem Vorfall habe es diesbezüglich überhaupt keine Verfehlungen gegeben. Die Rechtsvertreterin habe sich daher auf stichprobenartige Überprüfungen verlassen können. Bei diesen Kontrollen seien die unterschriebenen Schriftstücke immer noch am selben Tag zur Post gebracht worden, auch wenn es sich nicht um Schriftstücke gehandelt habe, bei denen Fristen einzuhalten gewesen wären.

Es sei der Rechtsvertreterin daher nicht möglich gewesen, die Versäumung der Frist abzuwenden. Zwar treffe den Rechtsanwalt eine Überwachungspflicht gegenüber seinen Mitarbeitern, doch gerade die Abfertigung der Tagespost werde üblicherweise verläßlich erledigt.

Aufgrund der überaus verläßlichen Mitarbeiterin handle es sich im gegenständlichen Fall, was die Überwachungspflicht der Rechtsvertreterin anbelange, um einen minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG.

Auch auf Seiten der Mitarbeiterin sei von einem minderen Grad des Versehens auszugehen. Das Kuvert mit der Beschwerde habe sich unter dem Substitutionsakt befunden, der am nächsten Tag in die Kanzlei des substituierenden Anwaltes gebracht hätte werden sollen. Daher sei der Fehler nicht mehr am selben Tag aufgefallen.

3. Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmungen des § 46 Abs. 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad eines Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn er die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat.

Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun. Vorliegend kann dem Vertreter des Antragstellers eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht nicht angelastet werden. Unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung, ist eine Kontrollmaßnahme der Art nicht erforderlich, daß sich der Anwalt nach der Übergabe der Poststücke an die Kanzleileiterin in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt (vgl. den hg. Beschluß vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1243).

Da dem Antragsteller und seiner Rechtsvertreterin ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.

Bemerkt wird, daß das Beschwerdeverfahren gesondert unter der Zl. 97/18/0513 geführt wird.

Wien, am 15. Oktober 1998

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