VwGH 95/05/0084

VwGH95/05/008425.4.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des A in S, vertreten durch Mag. W, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Februar 1995, Zl. BauR-011364/3-1995 Um/Lan, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bausache, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita idF 1990/357;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita idF 1990/357;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und dem vorgelegten angefochtenen Bescheid ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Mit Antrag vom 15. April 1991 hatte der Beschwerdeführer um Fristverlängerung für den Beginn der Bauausführung der mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom 18. August 1988 bewilligten Baumaßnahmen angesucht. Diesem Ansuchen wurde mit Bescheid vom 18. April 1991 stattgegeben und die Frist für den Beginn der Bauausführung um drei Jahre verlängert. Ein neuerlicher Antrag des Beschwerdeführers vom 11. Juli 1994 um Fristverlängerung für den Baubeginn wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde S vom 6. Oktober 1994 abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung hat der Gemeinderat mit Bescheid vom 24. November 1994 keine Folge gegeben.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Vorstellung erhoben und diese beim Amt der O.ö. Landesregierung eingebracht. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 24. Jänner 1995 wurde diese Vorstellung als verspätet zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1994 hatte der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Vorstellung vom 9. Dezember 1994 gestellt und gleichzeitig neuerlich Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates vom 24. November 1994 erhoben. In dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde im wesentlichen vorgebracht, daß eine Mitarbeiterin des anwaltlichen Vertreters entgegen dem ausdrücklichen Auftrag des Genannten, die Vorstellung vom 9. Dezember 1994 an die Marktgemeinde S zu richten, das Schreiben an das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung adressiert und auch dorthin versendet habe. Dieses Versehen sei auf den am 9. Dezember 1994 aufgetretenen außergewöhnlichen Arbeitsanfall zurückzuführen. Darauf sei es auch zurückzuführen, daß der Rechtsvertreter, der die Vorstellung unterfertigt habe, die unrichtige Adressierung des Schriftsatzes übersehen habe. Als Bescheinigungsmittel wurden zwei eidesstattliche Erklärungen des Rechtsvertreters sowie der Mitarbeiterin vorgelegt.

Mit Bescheid der O.ö. Landesregierung vom 17. Februar 1995 wurde dem Wiedereinsetzungsantrag keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, es stehe fest, daß sowohl das Kuvert als auch der Vorstellungsschriftsatz selbst die falsche Adresse "Amt der O.ö. Landesregierung Linz" enthalten hätten. Der anwaltliche Vertreter habe nun den Schriftsatz auf der ersten Seite unterfertigt, wobei genau diese Seite im Rubrum die falsche Adresse enthalte. Wenn seitens des Vertreters darauf hingewiesen werde, daß der Mitarbeiterin anläßlich des Diktates aufgetragen worden sei, die Vorstellung an die Marktgemeinde S zu richten, so vermöge dies insofern dem Wiedereinsetzungsantrag nicht zum Durchbruch zu verhelfen, als der Vertreter verpflichtet gewesen wäre, nach Herstellung der Reinschrift den gesamten Schriftsatz vor der Unterfertigung mit der erforderlichen Sorgfalt zu überprüfen, ob seine Anweisungen auch entsprechend befolgt worden seien. Die Bezeichnung jener Stelle, bei der ein Rechtsmittel einzubringen sei, stelle einen wesentlichen Bestandteil des Schriftsatzes dar. Es könne nicht davon gesprochen werden, daß das Versehen des Rechtsvertreters unverschuldet sei, im konkreten Fall könne auch von einem "minderen Grad des Versehens" nicht gesprochen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9.024/A, ausgesprochen, daß nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein Irrtum ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG sein kann. Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, daß die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (seit der AVG-Novelle 1990 BGBl. Nr. 357) unterläuft (siehe den hg. Beschluß vom 26. November 1992, Zl. 92/06/0222). Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an beruflich rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige Personen (siehe Fasching, Zivilprozessrecht2, Rz. 580, sowie das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0104).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, daß nicht nur das Kuvert an die falsche Adresse, nämlich das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung gerichtet war, sondern auch auf der ersten Seite des Schriftsatzes als Adressat der Vorstellung das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung angeführt war und die Unterschrift des Anwaltes auf derselben Seite erfolgte. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdevertreter einer Mitarbeiterin im Diktat den Auftrag erteilte, die Vorstellung an die Gemeinde S zu richten, weil die Unterfertigung vom einschreitenden Rechtsvertreter selbst auf dem Schriftsatz auf derselben Seite erfolgte, an der die falsche Adressierung angebracht war. Der Beschwerdevertreter hätte schon bei Aufwendung eines Mindestmaßes an Aufmerksamkeit nicht übersehen dürfen, daß die Adressierung auch auf dem Schriftsatz unrichtig war. Wenn der Beschwerdevertreter, ohne offenbar selbst zu lesen, was deutlich sichtbar auf der ersten Seite des Schriftsatzes angebracht ist, diesen unterfertigt hat, so kann ihm kein minderer Grad des Versehens zugebilligt werden (vgl. den hg. Beschluß vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/06/0202). Auch in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134, sowie in den Beschlüssen vom 19. Jänner 1990, Zlen. 89/18/0202, 0203, sowie vom 18. Jänner 1994, Zl. 93/14/0199, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß dann, wenn ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, dies nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren sei. An dieser Beurteilung vermag auch der Hinweis des Beschwerdevertreters nichts zu ändern, daß er am Tag der Unterfertigung des Schriftsatzes betreffend die Vorstellung gegen den Bescheid des Gemeinderates unter ungewöhnlicher Arbeitsbelastung gestanden sei, da auch großer Zeitdruck den Rechtsvertreter nicht von seiner Verpflichtung entbindet, die wichtigsten Daten des unterfertigten Schriftsatzes zu überprüfen. Unterfertigt ein beruflich rechtskundiger Parteienvertreter einen Schriftsatz, ohne ihn zu lesen, und bleiben dadurch - allenfalls auf weisungswidriges Verhalten des Kanzleipersonals zurückzuführende - Mängel des Schriftsatzes (etwa die unrichtige Behördenbezeichnung) unbemerkt, bedeutet dies nicht ein als minderer Grad des Versehens zu qualifizierendes Verschulden des Parteienvertreters (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134).

Den vom Beschwerdeführer zitierten Erkenntnissen und Beschlüssen des Verwaltungsgerichtshofes lag jeweils ein anderer Sachverhalt zugrunde, in keinem der zitierten Fälle war auf dem vom Beschwerdevertreter selbst unterfertigten ersten Blatt des Schriftsatzes eine falsche Einbringungsstelle angeführt.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

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